BT-Drucksache 16/5408

Menschen statt Profite - Nein zu G8

Vom 23. Mai 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/5408
16. Wahlperiode 23. 05. 2007

Antrag
der Abgeordneten Ulla Lötzer, Wolfgang Gehrcke, Heike Hänsel, Hüseyin-Kenan
Aydin, Eva Bulling-Schröter, Hans-Kurt Hill, Dr. Barbara Höll, Monika Knoche,
Werner Dreibus, Inge Höger, Michael Leutert, Kornelia Möller, Paul Schäfer (Köln),
Dr. Herbert Schui, Dr. Axel Troost, Alexander Ulrich, Sabine Zimmermann und der
Fraktion DIE LINKE.

Menschen statt Profite – Nein zu G8

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Demokratisch legitimierte Alternativen zur G8 stärken

Die G8 – der Zusammenschluss der mächtigsten Industriestaaten – entbehrt
jeglicher demokratischer Legitimation. Weder durch Wahlen noch durch völ-
kerrechtlich verbindliche Verträge noch durch eine Beauftragung durch die
Vereinten Nationen sind die Handlungen der G8 gedeckt. Für viele Menschen
erscheinen die Strukturen und die Wirkungsweise der G8 als die einer nicht
legitimierten Weltregierung. Entscheidungen, die im Rahmen der UNO zu tref-
fen sind, dürfen nicht auf die Ebene der G8-Staaten verlagert werden. Die G8
haben nicht nur ein Demokratiedefizit, sie sind der Ausdruck für mangelnde
Demokratie in den globalen Beziehungen.

Es ist begrüßenswert, dass die jährlichen Gipfeltreffen der G8 weltweites Inte-
resse finden und von großen öffentlichen Diskussionen und Protesten begleitet
werden. Dies war anlässlich vorangegangener Gipfeltreffen der Fall und wird
auch beim Gipfel 2007 in Heiligendamm der Fall sein. Die öffentliche Anteil-
nahme, die Diskussion und die Proteste sind Ausdruck dafür, dass alternative
Vorstellungen, dass „eine andere Welt möglich“ ist. Sie sind Ausdruck eines
demokratischen, solidarischen Engagements von Bürgerinnen und Bürgern.
Ihnen sollte mit Offenheit und nicht mit Abschottung, mit Dialogbereitschaft
und nicht mit Repression begegnet werden.

2. Schrittweise Abrüstung einleiten

Auf dem Gipfeltreffen, das 2007 unter dem deutschen Vorsitz stattfindet, fehlt
das Thema der weltweiten Kriege und der unerträglichen Rüstungslasten. Krieg
und Rüstung, die Gefahren der Massenvernichtungswaffen einschließlich der

Gefahren der Atomwaffen, sind aber von herausragender Bedeutung und be-
drohen Sicherheit, Wohlfahrt und Lebensbedingungen der Menschen. Sie sind
unter anderem der Hintergrund für millionenfache Fluchtbewegungen in vielen
Teilen der Welt.

Jährlich werden inzwischen weltweit über 1 Billion US-Dollar für Rüstung
ausgegeben. Daran sind die G8-Staaten mit ca. 75 Prozent, das heißt mit rund
750 Mrd. US-Dollar beteiligt. Allein die USA geben fast 50 Prozent der welt-

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weiten Kosten für Rüstung aus. Vier der G8-Staaten – USA, Russland, Frank-
reich und Großbritannien – sind führende Atommächte. Sie sind ihrer Ver-
pflichtung aus dem Atomwaffensperrvertrag zur atomaren Abrüstung nicht
gerecht geworden. Der hohe Mitteleinsatz für Rüstung erhöht die Gefahr von
Kriegen, der Weiterverbreitung von Atomwaffen und entzieht dem Kampf ge-
gen Armut, Massenkrankheiten und Unterentwicklung wichtige Ressourcen.
Rüstung tötet bereits im Frieden.

3. Agenda der deutschen G8-Präsidentschaft

Auf der Tagesordnung der deutschen G8-Präsidentschaft steht an oberster
Stelle die weitere Durchsetzung der neoliberalen Weltwirtschaftsordnung und
weltweiter Investitionsfreiheit. Unverbindliche gesellschaftliche Verantwor-
tungsübernahme durch Unternehmen stellt dabei das soziale Beiwerk dar. Über
den stärkeren Schutz geistigen Eigentums soll die Privatisierung von Wissen
vorangetrieben werden. Durch die aktuelle Diskussion wird dem Klimaschutz
breiterer Raum als vorgesehen eingeräumt werden. Als zweiten Schwerpunkt
setzt die deutsche Präsidentschaft das Thema Afrika. Die afrikanischen Staaten
sollen stärkeren Investitionsschutz gewährleisten, schließlich beherbergt der
Kontinent die Rohstoffreserven der Welt. Auch die Bekämpfung von HIV/Aids
ist auf die Tagesordnung gesetzt, ohne jedoch das Thema der preisgünstigen
Generika, die Leben retten könnten, überhaupt zu erwähnen. Das Leitmotiv der
Regierungspolitik ist in jedem einzelnen Tagesordnungspunkt die Durchset-
zung der Renditeinteressen der transnationalen Konzerne und Finanzmarkt-
akteure gegenüber allen sozialen und ökologischen Interessen.

3.1 Stärkung regionaler Wirtschaftsentwicklung statt reiner Exportorientierung

Die deutsche G8-Präsidentschaft orientiert sich an den Interessen der großen
Konzerne und Finanzmarktakteure. Damit wird eine gerechte Weltwirtschafts-
ordnung verhindert und ein weltweiter Verteilungskrieg um Weltmarktanteile
forciert. Die einseitige Ausrichtung auf Exportorientierung hat nicht nur den
Nord-Süd-Konflikt verschärft. Sie führt in allen Ländern zu Arbeitslosigkeit,
Lohnsenkung, Sozial- und Arbeitsplatzabbau, Absenkung gewerkschaftlicher
Rechte und ökologischer Standards und zum Ruin öffentlicher Haushalte. Die
Binnennachfrage wird in allen Ländern geschwächt.

Die weltweit organisierten Wertschöpfungsketten erfordern einen rasanten An-
stieg des Güterverkehrs, der maßgeblich die Klimakatastrophe mit verursacht.
Die niedrigen Transportkosten sind nur möglich, weil gerade auch diese Unter-
nehmen mit menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen operieren und ökologi-
sche und Infrastrukturkosten nicht in die Transportkosten aufnehmen müssen,
sondern auf die Staaten abwälzen.

In der Haltung gegenüber China und Indien zeigt sich die Doppelzüngigkeit der
neoliberalen Handelsideologie. Einerseits wird der Freihandel als Heilsweg für
die Entwicklung von armen Ländern propagiert. Gelingt diese Entwicklung in
Ausnahmefällen tatsächlich und wachsen starke Handelsnationen heran, so
werden sie als Bedrohung empfunden und als Konkurrenten auf das Schärfste
bekämpft. Entwicklungsländer sollen Rohstoffe und billige Lohnarbeit ausfüh-
ren und Produkte aus den entwickelten Ländern einführen. Eine eigenständige
Rolle, gar noch nach anderen wirtschaftspolitischen Regeln als der Club der G8
sie aufstellt, ist unerwünscht.

Statt einer Verschärfung der Verdrängungskonkurrenz bedarf es einer „Deglo-
balisierung“ im Sinne einer stärkeren Regionalisierung der Wirtschaftsstruktu-
ren. Ziel ist dabei nicht, internationale Produktions-, Handels- und Finanzbezie-
hungen aufzugeben, sondern eine Umorientierung der Wirtschaftpolitik auf die

Bedürfnisse der regionalen Märkte und auf positive Ökobilanzen. Notwendig
sind eine Reduzierung der Exportabhängigkeit, die Reduzierung unnötiger

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Transporte, die Diversifizierung von Volkswirtschaften und die Stärkung regio-
naler Wirtschaftskreisläufe.

3.2 Investitionspolitik für eine soziale und ökologische Entwicklung

Der Anstieg ausländischer Direktinvestitionen gilt neben der Liberalisierung
der Finanz-, Güter- und Dienstleistungsmärkte als dritte Säule der Globalisie-
rung. Auf die Gruppe der in den Industrieländern beheimateten Konzerne ent-
fallen seit Jahren ca. 90 Prozent der Direktinvestitionen, ca. 80 Prozent davon
sind auf Fusionen und Übernahmen zurückzuführen. Investitionsfreiheit für die
Konzerne gehört zur WTO-Agenda der G8. Zugleich ist es ein Schwerpunkt in
bilateralen Verhandlungen, wie auch gerade der „Global-Europe“-Strategie.

In dem Geflecht aus multilateralen, regionalen und bilateralen Investitionsab-
kommen werden schon jetzt Unternehmen Klagerechte gegen politische Ent-
scheidungen der Gastländer gegeben. Die Rechte der Betroffenen der sozialen,
ökologischen und arbeitspolitischen Folgen ausländischer Direktinvestitionen
werden durch die Abkommen eingeschränkt.

Die Politik der G8 zur Durchsetzung von Investitionsfreiheit verstößt gegen
die UN-Charta über ökonomische Rechte und Pflichten von 1974. Darin
wurde ausdrücklich die Souveränität von Nationalstaaten anerkannt „das öf-
fentliche Interesse durch Regulierung von Auslandsinvestitionen zu schützen
… und die Autorität, die Handlungen von transnationalen Konzernen durch
Auflagen zu überwachen“.

Es bedarf einer Stärkung der sozialen, wirtschaftspolitischen und ökologischen
Gestaltungsmöglichkeiten der Nationalstaaten wie auch internationaler Insti-
tutionen. Eine Umkehr in der Investitionspolitik muss auf nationaler, euro-
päischer wie internationaler Ebene zu einer zukunftsfähigen Entwicklung bei-
tragen.

3.3 ILO-Normen und verpflichtende Standards für Konzerne durchsetzen

Im Zuge der neoliberalen Globalisierung werden die Pflichten der Konzerne
weiter abgebaut, wichtige internationale Vereinbarungen – wie die Kernarbeits-
normen und Konventionen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) –
bleiben ohne wirksame Durchsetzungsinstrumente. Stattdessen überlässt die
herrschende Politik den Unternehmen die Wahrnehmung ‚sozialer Verantwor-
tung’ als eine freiwillige Angelegenheit. Eine globale Verankerung von ver-
bindlichen sozialen und ökologischen Mindeststandards für Unternehmen exis-
tiert nicht, genauso wenig wie eine europäische Verpflichtung transnational
agierender Konzerne auf Mindeststandards. Auch in Europa werden verpflich-
tende Standards von den Regierungen als Wettbewerbshindernis behandelt und
durch freiwillige Verhaltenskodizes ersetzt.

Anknüpfend an Vorschläge von Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisa-
tionen (NGO) bedarf es einer neuen Politik für „Corporate Accountability“:
Dabei geht es um die Stärkung, Weiterentwicklung und Durchsetzung bereits
vereinbarter internationaler Konventionen (u. a. der ILO sowie der UN-Men-
schenrechtspakte), aber auch um verbindliche Rechenschaftspflichten der Un-
ternehmen gegenüber weitergehenden gesellschaftlichen Ansprüchen. Hierzu
gehören Informations- und Mitentscheidungsrechte der betroffenen Bevöl-
kerung bei Investitionen, klare Haftungsregeln für soziale und ökologische
Schäden und wirksame ökonomische Anreize und Sanktionen zur Förderung
zukunftsfähigen Wirtschaftens. Zudem brauchen Unternehmen gleichstellungs-
politische und steuerliche Vorgaben sowie eine Kontrolle und Beschränkung
ihres politischen Agierens.

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3.4 Vorreiterrolle im Klimaschutz übernehmen

Der jüngste Klimabericht der Vereinten Nationen macht deutlich: Der vor allem
von Konzernen und Industrieländern verursachte Klimawandel ist Realität. Er
schreitet bereits seit Jahren voran. Schon jetzt sind die Lebensgrundlagen von
Menschen in vielen Regionen der Welt bedroht. Es sind die Ärmsten der
Armen, die unter den Folgen des Klimawandels besonders leiden. Konsequen-
ter Klimaschutz ist daher auch ein Akt internationaler Solidarität mit den am
meisten vom Klimawandel betroffenen Menschen.

Die G8-Staaten sind Hauptverursacher des Klimawandels. Auf sie allein gehen
mehr als 60 Prozent der CO2-Emissionen des letzten Jahrhunderts zurück. Je
Einwohnerin/Einwohner setzen sie noch heute ein Vielfaches mehr an
Klimagasen frei als die meisten Menschen in den Entwicklungsländern. Die
G8-Staaten stehen daher in einer besonderen klimapolitischen Verantwortung,
ihre Treibhausgasemissionen drastisch zu senken.

Vielen Menschen in Entwicklungsländern fehlen die personellen, technischen
und finanziellen Kapazitäten, um sich an die heute schon nicht mehr vermeid-
baren Folgen des Klimawandels anzupassen. Die Industrieländer müssen daher
umfangreiche Unterstützungsleistungen für die Opfer des Klimawandels an-
bieten.

Zentrales Aktionsfeld für die internationale Klimapolitik muss der UN-Verhand-
lungsprozess bleiben. Nur dort sind auch diejenigen Länder an den Verhandlun-
gen beteiligt, deren Bevölkerung zu den Hauptleidtragenden des Klimawandels
zählen. Um dem UN-Klima-Prozess den notwendigen Schwung zu verleihen, be-
darf es Vorreiterstaaten. Nur dann wird eine Einigung auf ein Folgeabkommen
zum Kyoto-Protokoll bis spätestens 2009 möglich.

3.5 Wissen als öffentliches Gut erhalten

Die G8 haben sich weitere Maßnahmen zum stärkeren Schutz geistigen Eigen-
tums zum Ziel gesetzt. Das nutzt vor allem großen Konzernen aus den Indus-
triestaaten, die die allermeisten Patente halten. Allein Unternehmen und Institu-
tionen aus den G8-Staaten verfügen zusammen über mehr als 63 Prozent aller
gültigen Patente weltweit. Von 1995 bis 2004 stieg die Zahl der Patentanmel-
dungen um rund 50 Prozent. Mit der wachsenden wirtschaftspolitischen Bedeu-
tung wurde die Patentierung seit Anfang der 80er Jahre zunehmend auf Berei-
che der belebten Natur, Pflanzen, Gene und Tiere ausgedehnt. Mit der
Ausweitung der Patentierung geht einher, dass Forschung und Bildung zuneh-
mend dem direkten und kurzfristigen Verwertungsinteresse der Konzerne un-
terworfen werden. Patente werden zunehmend zur Blockade eingesetzt, was die
Forschung insbesondere von kleinen und mittleren Unternehmen erschwert
oder durch hohe Lizenzgebühren verteuert. Patente sind vom Schutz von For-
schung und Entwicklung zum Hemmnis derselben geworden, weil das Wissen
der Gesellschaft bei den Konzernen privatisiert wird.

Entwicklungs- und Schwellenländern soll durch die schärferen Regelungen zu
geistigem Eigentum eine Entwicklungsperspektive verbaut werden. Technolo-
gietransfer durch Nutzung und Nachbau neuerer Technologien wird zunehmend
illegalisiert, obwohl auch die heutigen Industriestaaten in ihrer Entwicklungs-
phase einen weitaus schwächeren Schutz geistigen Eigentums gewährleisteten.
Zu Recht kritisierte Vandana Shiva, Trägerin des alternativen Nobelpreises:
„Die transnationalen Konzerne betreiben die Ausweitung des Schutzes geisti-
gen Eigentums, was eine Monopolisierung von Ideen und Entwertung des Wis-
sens der Menschen in der Dritten Welt bedeutet. Der Schutz geistigen Eigen-
tums ist der Schlüssel zur endgültigen Besitznahme und Kontrolle der Märkte
und Ressourcen der Dritten Welt.“

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Die zunehmende Patentierung genetischer Ressourcen, beispielsweise von
Saatgut untergräbt die Ernährungssicherheit, weil Saatgut langfristig verteuert
wird und Bäuerinnen und Bauern nicht mehr einen Teil der Ernte zur Wieder-
aussaat zurückhalten dürfen. Davon sind besonders Frauen betroffen, die haupt-
sächlich die landwirtschaftliche Arbeit tragen. So produzieren Frauen im süd-
lichen Afrika 80 Prozent der Nahrungsmittelpflanzen und stellen in Asien
90 Prozent der Arbeiterinnen im Reisanbau. Eine Monopolisierung durch
Agrochemiekonzerne kann zudem eine weltweite Verknappung und Verteue-
rung von Lebensmitteln zur Folge haben.

Besonders tragisch sind die Auswirkungen eines strengen Patentschutzes im
Bereich der Pharma-Industrie. Zum einen liefert der Patentschutz lediglich
einen Anreiz zur Entwicklung von Medikamenten, für die auch eine zahlungs-
kräftige Nachfrage besteht. Das erklärt, warum Unternehmen kaum die For-
schung zu Krankheiten wie Malaria investieren. Zum anderen verteuern Patente
bereits vorhandene Medikamente – etwa zur Behandlung von HIV/Aids welt-
weit. In der WTO wurde von den Entwicklungsländern durchgesetzt, wenigs-
tens in bestimmten Fällen, preisgünstige Generika einsetzen zu können. Selbst
diese eingeschränkte Möglichkeit wird durch bilaterale Abkommen und Klagen
von Pharma-Konzernen weiter torpediert. Statt einer Forcierung der Privatisie-
rung von Wissen durch Patentierung ist eine Umorientierung notwendig, die
Wissen als öffentliches Gut, und damit als Mittel demokratischer Öffentlich-
keit, sozialer Gerechtigkeit und der Überwindung von Wissensunterschieden
priorisiert.

3.6 Afrika: Armutsbekämpfung statt Freihandelspolitik

Afrika hat besonders unter dieser Politik zu leiden: Südlich der Sahara leben
24,5 Millionen Menschen, die mit dem HI-Virus infiziert sind. In jedem Jahr
kommen 3 Millionen Neuinfizierte hinzu. Frauen leiden in Afrika in besonderer
Weise unter der Pandemie, da sie auch in Afrika häufig Opfer männlicher Ge-
walt werden und sich dabei infizieren. Die Bekämpfung von HIV in Afrika
wurde von den G8 als weiterer Schwerpunkt proklamiert. Eine wichtige Hilfe
wäre hierbei, den Zugang zu Generika zu ermöglichen anstatt ihn zu erschwe-
ren. Oberstes Ziel der Kooperation mit Afrika sollte die Sicherstellung des Zu-
gangs zu Prävention, Pflege und Behandlung für alle Betroffenen sein.

Hinzukommen muss eine umfassende Strategie zur Bekämpfung von Hunger
und Armut. 200 Millionen Menschen in Afrika leiden chronisch an Hunger.
300 Millionen leben in absoluter Armut – doppelt so viele wie vor 20 Jahren.
Armut und Mangel an Nahrung sind nicht naturgegeben, sondern Ausdruck der
ungerechten Weltwirtschaftsordnung und Bilanz von Jahrzehnten neoliberaler
Handels- und Wirtschaftspolitik, wie sie von Geberstaaten, Weltbank und Inter-
nationalem Währungsfonds (IWF) in Afrika durchgesetzt wurde. Der von den
Industrieländern maßgeblich verursachte Klimawandel wird diese Situation
weiter verschärfen.

Die versprochenen Wohlfahrtsgewinne durch Liberalisierung, Privatisierung
und Freihandel sind ausgeblieben. Die Konferenz der Vereinten Nationen für
Handel und Entwicklung (UNCTAD) hatte 2002 im Gegenteil einen negativen
Zusammenhang bei den am wenigsten entwickelten Staaten ermittelt: Die Staa-
ten, die den Kriterien des IWF zufolge am konsequentesten liberalisiert hatten,
wiesen in den 90er Jahren den höchsten Zuwachs an in Armut lebender Bevöl-
kerung auf. In zahlreichen Staaten Afrikas sind Produktionsrückgänge in kom-
merziellen landwirtschaftlichen und industriellen Sektoren und entsprechender
Verlust an Arbeitsplätzen nach Handelsliberalisierungen dokumentiert. Den
rasch ansteigenden Importen steht keine entsprechende Ausweitung der Ex-

portmärkte gegenüber, unter anderem eine Folge des Protektionismus des Nor-
dens gegenüber dem Süden. Darüber hinaus verzerren die Agrarsubventionen

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der reichen Industrieländer die globalen Märkte zu Lasten der Länder des
Südens, so dass ihnen insgesamt etwa 300 Mrd. US-Dollar an Einnahmen ver-
loren gehen. Dieser Einnahmeverlust wird nur zu einem Teil durch die Ent-
wicklungshilfe wieder ausgeglichen.

Die Öffnung der Märkte, der Zugriff auf Ressourcen und die Absicherung der
Investitionstätigkeit ihrer Konzerne stehen in den Beziehungen der G8 zu Af-
rika aber weiterhin im Vordergrund. In Afrika jedoch fordert eine erstarkende
Zivilgesellschaft eine gleichberechtigte Partnerschaft mit dem Norden ein, die
ihre Bedürfnisse und Potenziale in den Mittelpunkt stellt. Nicht Investitionssi-
cherheit für US- und EU-Konzerne muss das Ziel der Afrika-Politik sein, son-
dern Nahrungssicherheit für die Menschen in Afrika und ihre flächendeckende
Versorgung mit grundlegenden sozialen Diensten. Die Industriestaaten müssen
ihre Entwicklungshilfe für Afrika massiv aufstocken und einen umfassenden
Schuldenerlass weit über die Verabredungen des G8-Gipfels von Gleneagles
2005 hinaus gewähren, der nicht – wie bislang gängige Praxis der G8 – auf die
Entwicklungshilfe angerechnet werden darf.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

● eine Debatte zur Auflösung der G8 und der Überführung der von den G8 be-
anspruchten Entscheidungskompetenzen in die Strukturen der Vereinten Na-
tionen zu beginnen. Die Konkurrenz mit der UNO muss in Richtung Stärkung
der UNO aufgelöst werden;

● nicht nur die Sicherheit der Gipfelteilnehmer, sondern das grundgesetzlich
verbriefte Recht auf Demonstrationsfreiheit, das Recht der Bürgerinnen und
Bürger, sich friedlich zum Protest zu versammeln, zu ihrem Anliegen zu ma-
chen und zu gewährleisten;

● eine Initiative zu ergreifen, Schritte zur Beendigung des besorgniserregenden
Wettrüstens einzuleiten. Die Rüstungsetats der G8-Staaten müssen eingefro-
ren und schrittweise verringert werden. Die G8-Staaten sollen im ersten
Schritt 5 Prozent der jetzigen Ausgaben für Rüstung zur weltweiten Armuts-
bekämpfung entsprechend der Millenniumsziele der Vereinten Nationen um-
widmen und diese an einen Fonds der Vereinten Nationen abführen;

● als Vertreterin eines Nichtatomwaffenstaates die Atommächte der G8 auf-
zufordern, konkrete Schritte atomarer Abrüstung einzuleiten. Anlässlich des
Gipfels in Deutschland fordert sie die USA auf, um die Absicht atomarer Ab-
rüstung nachhaltig zu unterstreichen, ihre Atomwaffen von deutschem Boden
abzuziehen;

● sich in Deutschland, Europa und in internationalen Wirtschaftsbeziehungen
für eine vorrangige Binnenmarkt- und Regionalorientierung anstelle einer
reinen Exportorientierung einzusetzen;

● eine vollständige Einrechnung der sozialen und ökologischen Kosten in die
Kosten des Güterverkehrs zu erwirken, um so einerseits dem Umwelt- und
Klimaschutz auch im Güterverkehr gerecht zu werden und andererseits An-
reize für eine stärkere Regionalisierung der Wertschöpfungsketten zu schaf-
fen;

● im UN-Rahmen den Aufbau eines internationalen Investitionsregimes für zu-
kunftsfähige Entwicklung aktiv zu unterstützen, dabei wirtschafts- und inves-
titionspolitische Gestaltungsmöglichkeiten der Staaten auszubauen und wirk-
same Maßnahmen u. a. zur Beschränkung der Marktmacht großer Unterneh-
men sowie zur Besteuerung vorzuschlagen;

● sich im nationalen, europäischen wie internationalen Rahmen für verbind-

liche Regeln gegenüber transnationalen Konzernen einzusetzen, dabei die
ILO- und UN-Menschenrechtsnormen durch sanktionsbewährte Instrumente

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zu stärken und insbesondere die Möglichkeiten des öffentlichen Beschaf-
fungswesens zur Durchsetzung von Tariftreue, Arbeits-, Menschenrechts-
und Umweltschutz sowie zur Förderung zukunftsfähiger Wirtschaftsformen
konsequent zu nutzen;

● sich unabhängig von anderen Staaten zu einem Minderungsziel für den Aus-
stoß von Klimagasen von 40 Prozent bis 2020 gegenüber dem Niveau von
1990 zu verpflichten;

● die bisher zugesagten Zahlungen in die UN-Fonds zur Unterstützung der vom
Klimawandel betroffenen Menschen zu verdoppeln;

● sich bereits im Vorfeld der UN-Klimakonferenz in Bali (Dezember 2007) ge-
genüber anderen Staaten dafür einzusetzen, dass in Bali ein klares Mandat
zum Abschluss eines Kyoto-Folgeabkommens bis 2009 beschlossen wird;

● sich dafür einzusetzen, dass die laufende weltweite Ausweitung und Stärkung
geistiger Eigentumsrechte – insbesondere durch bi- und multilaterale Ver-
träge – gestoppt wird;

● Maßnahmen zum Schutz Wissen als öffentliches Gut zu treffen, indem die öf-
fentliche Forschung und der freien Zugang beziehungsweise die freie Ver-
wendung von Forschungsergebnissen gestärkt werden;

● dafür einzutreten, dass das TRIPS-Abkommen aus dem WTO-System heraus
genommen wird. Sowohl internationale wie europäische Regelungen sollen
v. a. hinsichtlich der Problemfelder Technologietransfer, Landwirtschaft, Ge-
sundheit und Biodiversität einer Revision unterzogen und mit den Menschen-
rechts-, Sozial- und Umweltabkommen in Einklang gebracht werden;

● verstärkt alternative Anreizmechanismen für die Forschung zu entwickeln
und anzuwenden, um insbesondere auch die Entwicklung von Medikamenten
gegen Krankheiten, die vor allem in Entwicklungsländern vorkommen, vor-
anzutreiben;

● sich auf allen Ebenen dafür einzusetzen, dass Saatgut, Lebewesen und Pflan-
zen von Patentierungen ausgeschlossen werden oder bleiben;

● die Durchsetzung symmetrischer Handelsliberalisierung in Verhandlungen
mit afrikanischen Staatengruppen und insbesondere die Aufnahme der Ver-
handlungsfelder Investitionsschutz, Wettbewerbsrecht und öffentliche Aus-
schreibungen im Rahmen der Welthandelsorganisation und der angestrebten
bilateralen Abkommen der EU mit Entwicklungs- und Schwellenländern zu-
rückzuweisen;

● verbindlich darzulegen, wie sie die ODA-Quote und insbesondere die Ent-
wicklungshilfe für Afrika gemäß der von ihr eingegangenen internationalen
Verpflichtungen erhöhen wird, und dabei auf die Anrechnung von Entschul-
dungsleistungen und militärischen Einsätzen zu verzichten;

● im Rahmen ihrer Entwicklungszusammenarbeit mit Afrika den Aufbau de-
zentraler Energieversorgungssysteme auf der Grundlage regenerativer Ener-
gieträger zu fördern und zugleich, als Beitrag zu einer nachhaltigen globalen
Energiesicherheit, auf eine Umstellung des Energiesystems in den Rohstoff-
abnehmerstaaten im Norden hinzuwirken.

Berlin, den 22. Mai 2007

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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