BT-Drucksache 16/5232

Rente ab 67 - Ökonomische Gründe und Zusammenhänge

Vom 7. Mai 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/5232
16. Wahlperiode 07. 05. 2007

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Klaus Ernst, Volker Schneider (Saarbrücken), Karin Binder,
Dr. Lothar Bisky, Dr. Martina Bunge, Diana Golze, Dr. Barbara Höll, Katja Kipping,
Elke Reinke, Frank Spieth, Dr. Kirsten Tackmann, Jörn Wunderlich und der
Fraktion DIE LINKE.

Rente ab 67 – Ökonomische Gründe und Zusammenhänge

Die Bundesregierung plant die Regelaltersgrenze in der gesetzlichen Renten-
versicherung (GRV) von 65 auf 67 Jahre anzuheben. Notwendig sei dies, so die
Bundesregierung, da die GRV ansonsten in Zukunft nicht mehr finanzierbar sei.
Ursächlich dafür wiederum seien die demographische Entwicklung sowie die
zu hohen Lohnnebenkosten, die die internationale Konkurrenzfähigkeit der
deutschen Industrie gefährden würden. Nach ihrer Auffassung ist „die An-
hebung der Altersgrenzen […] auch aus ökonomischen Gründen unerlässlich.“
(RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz).

Diese Argumentation kann nicht überzeugen. Deutschland ist seit Jahren
Exportweltmeister und zum anderen laut FOCUS-Online vom 2. Januar 2007
der wettbewerbsfähigste Staat in der Eurozone. Da in den anderen Euroländern
das Wachstum fast durchgängig höher liegt, kann die Ursache der schlechten
wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland nicht in der Wettbewerbsfähigkeit
begründet sein, mithin können die Lohnkosten keine relevante Rolle spielen.
Des Weiteren verfolgt die Bundesregierung mit der Anhebung der Altersgrenzen
das Ziel, die Finanzierungsbasis der Rentenversicherung zu stärken, und fördert
den Aufbau ergänzender privater Vorsorge, um das – aufgrund der Reformen seit
2001 – sinkende Leistungsniveau in der GRV zu ergänzen. Die Umstellung der
gesetzlichen Rentenversicherung von einer Lebensstandardsicherung auf eine
Beitragssatzorientierung und damit langfristig auf eine Grundrente, sowie die
Übertragung der Aufgabe der Lebensstandardsicherung auf private, gewinn-
orientierte Versicherungskonzerne ist allerdings sehr umstritten. So sind zum
Beispiel – nach Berechnungen der Deutschen Rentenversicherung Bund – die
Renditen in der GRV höher als in der privaten kapitalgedeckten Vorsorge.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Sollte sich die Entwicklung der wirtschaftlichen Situation und insbesondere
die Arbeitsmarktslage aus dem Jahr 2006 in den nächsten drei Jahren fort-

setzen, wie würde sich dann – sowie bei Annahme von Lohnsteigerungen
von 2, 2,5 sowie 3 Prozent – die Nachhaltigkeitsrücklage, der Beitragssatz
sowie der aktuelle Rentenwert bis Ende 2009 entwickeln?

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2. Wie würden sich die Beitragssätze zur gesetzlichen Rentenversicherung,
Krankenversicherung sowie zur Arbeitsförderung (Arbeitslosenversiche-
rung) entwickeln, wenn bis 2030 die vom Institut für Arbeitsmarkt- und
Berufsforschung (IAB) berechneten notwendigen zusätzlichen sozialver-
sicherungspflichtigen Arbeitsplätze von über 3 Millionen als Vollzeit-
arbeitsplätze entstünden (bei durchschnittlichem sowie bei drei Viertel des
durchschnittlichen Lohnes)?

3. Wie würden sich die Beitragssätze zur gesetzlichen Rentenversicherung,
Krankenversicherung sowie Arbeitsförderung entwickeln, wenn bis 2030
die vom IAB berechneten notwendigen zusätzlichen sozialversicherungs-
pflichtigen Arbeitsplätze von über 3 Millionen nicht entstünden (die Er-
werbslosigkeit gegenüber heute also um 3 Millionen ansteigen würde)?

4. Wie würden sich die Beitragssätze zur gesetzlichen Rentenversicherung,
Krankenversicherung sowie Arbeitsförderung entwickeln, wenn die Lohn-
und Beschäftigungsentwicklung sich bis 2020 analog zur durchschnitt-
lichen Entwicklung der Jahre 2002 bis 2005 entwickeln würden?

5. Wie hätten sich der Beitragssatz zur gesetzlichen Rentenversicherung, die
Nachhaltigkeitsrücklage sowie der aktuelle Rentenwert (mit und ohne
Reformen) seit 1996 entwickelt, wenn sich Löhne und Gehälter sowie die
Beschäftigung analog zu denen im Vereinigten Königreich Großbritannien
und analog zu den im RV-Bericht 2006 für 2011 bis 2020 in der mittleren
Variante angegeben Annahmen entwickelt hätten?

6. Wie hoch wäre die vorausberechnete Änderung des Beitragssatzes in 2030,
wenn im RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz die Schutzklausel nicht modi-
fiziert werden würde?

7. Hat die Bundesregierung unwiderlegbare Beweise, die ihre Behauptung
untermauern, die Rente wäre durch ein ergänzendes kapitalgedecktes Ver-
fahren zukunftsfähiger in dem Sinne, dass die Belastungen für die Arbeit-
nehmerinnen und Arbeitnehmer bei gleicher Leistung durch die Um-
stellung insgesamt geringer wären als ausschließlich im Umlageverfahren
bei gleichem Sicherungsniveau?

Wenn nein, wieso fordert sie dennoch den Aufbau einer ergänzenden priva-
ten Vorsorge?

8. Kann die Bundesregierung ihre Behauptung, dass ein Absenken der Lohn-
nebenkosten zum Aufbau zusätzlicher Beschäftigung führt, empirisch
beweisen?

Wenn nein, wieso begründet sie die Begrenzung des Beitragssatzes mit
diesem Argument?

9. Hat die Bundesregierung die Auswirkungen berücksichtigt, welche sich
durch eine Anhebung der Regelaltersgrenze und einem daraus resultieren-
den möglichen Anstieg der Erwerbslosigkeit um bis zu 3 Millionen für die
Beitragssätze zur Arbeitsförderung sowie die Ausgaben des Bundes für die
Leistungen im Rahmen des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch ergeben
würden?

10. Wenn ja, wie würden sich die Sätze entwickeln?

Wenn nein, sieht die Bundesregierung nicht die Gefahr, dass durch die
steigende Arbeitslosigkeit die Beitragssatzminderung in der GRV durch
einen Anstieg der Beiträge zur Arbeitsförderung (über)kompensiert werden
könnten?

11. Stimmt die Bundesregierung der Aussage zu, dass der bereits heute be-

stehende Fachkräftemangel auf eine ungenügende (Aus)Bildungspolitik
der Betriebe und der Länder/des Bundes zurückzuführen ist?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/5232

Wenn ja, ist dann der von der Bundesregierung kolportierte zukünftige
Fachkräftemangel nicht eher ein Ausdruck der momentanen (Aus)Bil-
dungspolitik als der demographischen Entwicklung?

12. Wie hoch ist die Differenz, die durch die Dämpfungsfaktoren (Riester-
Treppe sowie Nachhaltigkeitsfaktor) entstanden ist, zwischen dem aktu-
ellen Rentenwert und seiner Höhe, wenn es diese Dämpfungsfaktoren nicht
gegeben hätte?

Wie hoch ist die Rentenminderung durch die genannten Faktoren gegen-
über der ungedämpften Entwicklung für eine sog. Eckrentnerin?

13. Wie hoch sind die durchschnittlich erworbenen Entgeltpunkte pro Jahr bei
Frauen, und wie hoch sind diese unter Herausrechnung der Kinderer-
ziehungszeiten?

14. Wie hoch ist der Durchschnitt und der Median an Beitragszeiten, wenn
lediglich Zeiten aus Erwerbstätigkeit angerechnet werden (getrennt für
Frauen, Männer, Ost- und Westdeutschland)?

Wie hoch ist die durchschnittliche Rente dieser Gruppe (ebenfalls getrennt
für Frauen, Männer, Ost- und Westdeutschland)?

15. Wie hoch ist der Durchschnitt und der Median an Beitragszeiten, wenn Zei-
ten aus Erwerbstätigkeit, Pflege und Kindererziehung angerechnet werden
(getrennt für Frauen, Männer, Ost- und Westdeutschland)?

Wie hoch ist die durchschnittliche Rente dieser Gruppe (ebenfalls getrennt
für Frauen, Männer, Ost- und Westdeutschland)?

16. Kann die Bundesregierung die Angaben vom Bremer Institut für Arbeits-
marktforschung und Jugendberufshilfe (BIAJ) bestätigen, nach denen am
30. Juni 2006 in der Altersgruppe der 55- bis 64-Jährigen 31 Prozent und in
der Gruppe der 60- bis 64-Jährigen 16,4 Prozent sozialversicherungspflich-
tig beschäftigt waren?

Würde die Bundesregierung bei einer solchen Arbeitsmarktlage auf eine
Anhebung der Regelaltersgrenzen im Rahmen der Bestandsprüfungs-
klausel, wie sie im RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz formuliert wird,
verzichten?

17. Welche Beschäftigungssituation würde nach Einschätzung der Bundes-
regierung eine Beibehaltung der getroffenen Entscheidungen zur Anhebung
der Altersgrenze rechtfertigen?

Ist nach Auffassung der Bundsregierung die Beschäftigungsquote von Per-
sonen über 55 Jahren oder eher die Quote sozialversicherungspflichtig Be-
schäftigter für eine Anhebung der Altersgrenze entscheidend?

Oder würde sie die Überprüfung eher an den Quoten der 60- bis 64-Jährigen
orientieren?

18. Sollte zur Abschätzung „der wirtschaftlichen und sozialen Situation älterer
Arbeitnehmer“ (RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz, § 154 Abs. 4 Satz 1)
neben der Sozialversicherungspflichtigkeit ihrer Beschäftigungsverhält-
nisse nach Auffassung der Bundesregierung auch deren Lohn im Verhältnis
zum Durchschnittseinkommen berücksichtigt werden?

Welche Beschäftigungs- und Lohnentwicklung würde dann nach Auf-
fassung der Bundesregierung einer Anhebung der Altersgrenzen wider-
sprechen, und welche eine solche Anhebung vertretbar machen?

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19. Wenn die Bundesregierung die Fragen 16, 17 und 18 nicht oder lediglich
mit einer unbezifferten Entwicklung bei den Fragen zur Bestandsprüfungs-
klausel (zum Beispiel Aussagen wie „eine nachhaltige Verbesserung“) be-
antwortet, wie möchte sie dann im Jahr 2010 und darauffolgend alle vier
Jahre eine sinngemäße Anwendung der Bestandsprüfungsklausel gewähr-
leisten, wenn eine solche Überprüfung ohne konkrete Angaben durch-
geführt werden soll?

20. Würde die Bundesregierung der Aussage zustimmen, dass die Bestands-
prüfungsklausel, wenn nicht bereits heute konkrete Kriterien festgelegt
werden, ihre Funktion schwerlich erfüllen kann, da die Anhebung der
Altersgrenzen dann eher von einer zukünftigen politischen Interpretation
und weniger von der tatsächlichen Entwicklung der Arbeitsmarktlage so-
wie der wirtschaftlichen und sozialen Situation abhängen würde?

Berlin, den 3. Mai 2007

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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