BT-Drucksache 16/5129

Nationales Sofortprogramm und verbindliche Ziele für den Klimaschutz festlegen

Vom 25. April 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/5129
16. Wahlperiode 25. 04. 2007

Antrag
der Abgeordneten Eva Bulling-Schröter, Dr. Dagmar Enkelmann, Hans-Kurt Hill,
Lutz Heilmann, Dr. Gesine Lötzsch, Dr. Dietmar Bartsch, Karin Binder, Heidrun
Bluhm, Roland Claus, Heike Hänsel, Katrin Kunert, Michael Leutert, Dorothee
Menzner, Dr. Ilja Seifert, Dr. Kirsten Tackmann und der Fraktion DIE LINKE.

Nationales Sofortprogramm und verbindliche Ziele für den Klimaschutz festlegen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die jüngsten Klimaberichte der Vereinten Nationen machen deutlich: Der vom
Menschen verursachte Klimawandel ist kein fernes Zukunftsszenario. Er
schreitet bereits seit Jahren voran. Schon jetzt sind die Lebensgrundlagen von
Menschen in vielen Regionen der Welt bedroht. Unter den Folgen des Klima-
wandels leiden zuallererst die Armen. Ihnen fehlen die Ressourcen, um sich
den wandelnden Verhältnissen anzupassen. Das gilt für Geringverdienerinnen
und -verdiener in Industrieländern wie Deutschland, aber insbesondere für
große Bevölkerungsteile in den Entwicklungsländern. Konsequenter Klima-
schutz ist daher auch ein Akt internationaler Solidarität mit den am meisten
vom Klimawandel betroffenen Menschen.

Um die Erderwärmung in beherrschbaren Grenzen zu halten, muss das Wachs-
tum des globalen Klimagas-Ausstoßes in den nächsten beiden Jahrzehnten ge-
stoppt und die Emissionen danach vermindert werden. Zahlreiche Studien bele-
gen, dass ein Umsteuern technisch möglich und angesichts der dramatischen
Folgen der Erderwärmung auch ein Gebot wirtschaftlicher Vernunft ist.

Weltweit haben nur drei Länder mehr Treibhausgasemissionen im 20. Jahrhun-
dert freigesetzt als Deutschland. Auch heute ist die Bundesrepublik Deutsch-
land noch der sechstgrößte Emittent von Kohlendioxid. Daraus resultiert eine
besondere Verantwortung, im Klimaschutz voranzuschreiten. Die deutsche EU-
Ratspräsidentschaft bietet die Möglichkeit durch eine ambitionierte Klimapoli-
tik wesentlichen Einfluss auf die zukünftige EU-Klimapolitik und die UN-Ver-
handlungen, um ein Folgeabkommen zum Kyoto-Protokoll zu nehmen. Diese
Chance muss durch ein eindeutiges Signal noch vor dem nächsten EU-Rats-
gipfel (21./22. Juni 2007) ergriffen werden.

II. Der Deutsche Bundestag beschließt:
1. Die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet sich gegenüber 1990 zu einer
Minderung ihrer Treibhausgasemissionen von 40 Prozent bis zum Jahr 2020
und von 80 Prozent bis zum Jahr 2050.

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2. Der Anteil der erneuerbaren Energien am Primärenergieverbrauch ist in der
Bundesrepublik Deutschland bis zum Jahr 2020 auf 25 Prozent zu steigern.
Als Ziele in den einzelnen Sektoren werden festgeschrieben: Strom: 35 Pro-
zent, Wärme: 25 Prozent, Bioenergie: 20 Prozent.

III. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

dem Deutschen Bundestag schnellstens ein nationales Sofortprogramm für den
Klimaschutz vorzulegen und darin insbesondere folgende Maßnahmen aufzu-
nehmen beziehungsweise nachfolgend genannte Schwerpunkte zu berücksich-
tigen:

1. Ab 1. Januar 2008 ist der Verkauf von elektrischen und elektronischen Haus-
haltsgeräten mit so genannten Standby-Schaltungen, deren Verbrauch 1 Watt
übersteigt, zu verbieten.

2. Ab 1. Januar 2008 ist eine Verbrauchskennzeichnung für alle elektrischen
und elektronischen Haushaltsgeräte nach Energieklassen analog zur Kenn-
zeichnungsregelung der EU für Haushaltsgroßgeräte gesetzlich vorzuschrei-
ben, wobei die Zuordnung der Energieklassen zu den Produkten aufgrund
der technischen Entwicklung alle zwei Jahre zu aktualisieren ist. Ergänzend
wird eine gesetzliche Kennzeichnungspflicht der spezifischen CO2-Emissio-
nen von Haushaltsgeräten eingeführt.

3. Ab 1. Januar 2008 ist ein nationales „Top-Runner“-Programm zu starten,
welches orientiert an den verbrauchsärmsten Typen einer Produktklasse den
maximal zulässigen Energieverbrauch von ausgewählten energieintensiven
Produkten für ein bestimmtes Zieljahr festschreibt. Diese Verbrauchsober-
grenze wird regelmäßig dem technischen Fortschritt angepasst. Parallel sind
noch im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft Verhandlungen auf-
zunehmen, um für die EU einen gemeinsamen europäischen „Top-Runner“-
Ansatz zu entwickeln.

4. Noch vor der parlamentarischen Sommerpause 2007 sind die Eckpunkte für
ein regeneratives Wärmegesetz vorzulegen, das spätestens nach der parla-
mentarischen Sommerpause dem Deutschen Bundestag zur Beratung über-
wiesen wird.

5. Der Passivhausstandard und das Projekt „Niedrigenergiehaus im Bestand“
der Deutschen Energieagentur (dena) ist mit geeigneten Mitteln bundesweit
zu fördern.

6. Die Gestaltung des Energieausweises für Gebäude ist dahingehend zu über-
arbeiten, dass sowohl im Neubau als auch im Bestand ab 1. Januar 2008 ein
bedarfsorientierter Energieausweis nach Vorbild des von der dena entwickel-
ten Gebäudepasses vorgeschrieben wird. Dabei soll die Kennzeichnung ana-
log zu Elektronik- und Elektrogeräten anschaulich in Energieklassen erfol-
gen.

7. Die Kfz-Steuer ist so zu reformieren, dass ab dem 1. Januar 2008 für alle ab
diesem Zeitpunkt neu zugelassenen Fahrzeuge die Bemessungsgrundlage
vom Hubraum auf den Kohlendioxidausstoß pro gefahrenen Kilometer um-
gestellt wird. Dabei sind verbrauchsarme Personenkraftwagen mit einem
Kohlendioxidausstoß von weniger als 120 Gramm pro Kilometer steuerlich
zu begünstigen, während Fahrzeuge mit einem Kohlendioxidausstoß ab
140 Gramm stärker und Fahrzeuge mit mehr als 200 Gramm deutlich stärker
belastet werden sollten. Wegen der steuerlichen Begünstigung von Diesel-
fahrzeugen bei der Mineralölsteuer sind bei der reformierten Kfz-Steuer
Aufschläge für Dieselfahrzeuge vorzunehmen. Für Fahrzeuge, die bereits

frühzeitig die neue Euro-5-Abgasnorm erfüllen, ist eine steuerliche Ermäßi-
gung zu gewähren. Für alle bis einschließlich 31. Dezember 2007 erstmals

16. Am Ziel der Verdopplung des Schienengüterverkehrs von 1990 bis 2015
auf 148 Mrd. Tonnenkilometer ist festzuhalten. Alle dafür erforderlichen
Maßnahmen, insbesondere der notwendige, sozial und ökologisch verträg-
liche Ausbau des Schienennetzes der Deutsche Bahn AG, sind umzuset-
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zugelassene Fahrzeuge ist eine entsprechende Umstellung erst nach einer
angemessen Übergangsfrist von fünf Jahren zum 1. Januar 2013 einzufüh-
ren.

8. Auf Autobahnen ist ein generelles Tempolimit von 130 Kilometern pro
Stunde einzuführen, womit einerseits sofort der Kohlendioxid-Ausstoß des
Straßenverkehrs um knapp zwei Prozent verringert werden kann und ande-
rerseits ein wichtiger Anreiz sowohl für die Hersteller als auch die Käufer
für verbrauchsarme Fahrzeuge geschaffen wird.

9. Die Verbrauchskennzeichnung von Personenkraftwagen ist deutlich ver-
braucherfreundlicher zu gestalten, indem die Fahrzeuge, wie bei einigen
Haushaltsgeräten bereits üblich, Klassen zugeordnet werden. Um künftige
Effizienzsteigerungen angemessen berücksichtigen zu können, sind die
Kriterien der Zuordnung zu den Klassen alle zwei Jahre zu überprüfen und
gegebenenfalls anzupassen.

10. Die gegenwärtig vorhandenen indirekten steuerlichen Anreize für den
Kauf unverhältnismäßig großer und damit in der Regel verbrauchsstarker
Dienst- und Firmenwagen sind unverzüglich abzuschaffen.

11. Im Geschäftsbereich der Bundesregierung und des Deutschen Bundestages
sind nur noch solche Fahrzeuge anzuschaffen bzw. nur noch solche
Fahrzeuge von externen Dienstleistern zu nutzen, die zu den effizientesten
10 Prozent der jeweiligen Fahrzeugklasse gehören und die jeweils neueste
Euro-Abgasnorm einhalten. Somit kann der Bund seiner Vorbildfunktion
gerecht werden.

12. Biogene Kraftstoffe der ersten Generation (Pflanzenöl, Biodiesel, Bioetha-
nol) werden sofort steuerfrei gestellt. Eine Besteuerung, frühestens ab 2010,
stellt eine Besserstellung gegenüber fossilen Kraftstoffen sicher und orien-
tiert sich an den Faktoren Klimaschutz und Ökobilanz unter besonderer
Berücksichtigung des Naturschutzes. Der Import von biogenen Treibstoffen
soll nur zulässig sein, wenn der Anbau der Energiepflanzen Nachhaltig-
keitskriterien genügt, die von der Bundesregierung in Zusammenarbeit mit
Umwelt- und Entwicklungsorganisationen bis Anfang 2008 zu erarbeiten
sind.

13. Die Biogas diskriminierende und in Europa unübliche Regelung in
Deutschland, nach der Biogas, welches ins Netz der Energieversorger ein-
gespeist werden soll, einen bestimmten Brennwert nicht überschreiten
darf, ist unverzüglich abzuschaffen. Bis zur parlamentarischen Sommer-
pause 2007 ist ein Biogas-Einspeisegesetz vorzulegen.

14. Der Verkauf von Anteilen der Deutsche Bahn AG an Private ist zu unter-
lassen, weil ansonsten das Erzielen von Gewinn und die Rentabilität Vor-
rang vor dem öffentlichen Auftrag der Versorgung mit Verkehrsleistungen
hätte, was dem Ziel, umweltfreundliche Mobilität zu fördern, zuwiderlau-
fen würde.

15. Die im Jahr 2006 beschlossenen Kürzungen bei den Regionalisierungs-
mitteln für den Nahverkehr sind zurückzunehmen und zusätzliche Haus-
haltmittel zur Förderung des Öffentlichen Nahverkehrs und spezieller
umweltverträglicher Mobilitätsangebote für den ländlichen Raum, wie
Bürgerbusse und Ruftaxen, bereitzustellen.
zen.

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17. Ab 1. Januar 2008 ist die Lkw-Maut auf alle Bundesstraßen in der Baulast
des Bundes auszuweiten. Ab 1. Januar 2009 ist die Lkw-Maut zudem für
alle Lkw ab 7,5 Tonnen zulässigem Gesamtgewicht einzuführen. Beglei-
tend sind Förderprogramme insbesondere für klein- und mittelständische
Unternehmen zur Modernisierung ihrer Fuhrparke auf emissionsärmere
Lkw und Transporter aufzulegen.

18. Die im Jahr 2004 beschlossene Rücknahme der steuerlichen Vergünstigung
von Jobtickets sind schnellstens, wenn möglich rückwirkend zum 1. Januar
2007, aufzuheben.

19. Die steuerliche Begünstigung des Flugverkehrs bei der Kerosin-, Öko- und
Mehrwertsteuer ist unverzüglich zu beenden. Auf EU-Ebene setzt sich die
Bundesregierung für die Einführung einer europaweiten Kerosinsteuer so-
wie für die Schaffung eines eigenständigen Emissionshandelssystems für
den Flugverkehr ein.

20. Noch vor Ende des Jahres 2007 ist eine Novelle des KWK-Gesetzes vorzu-
legen, um sowohl den Neubau als auch die Modernisierung von Anlagen
der klimafreundlichen Kraft-Wärme-Kopplung voranzutreiben.

21. In Bezug auf den Neubau oder die wesentliche Änderung von Kraftwerken
sind Klimagas-Emissionen gegenüber den Schutzgütern als relevante
schädliche Umwelteinwirkungen im Bundesimmissionsschutzgesetz fest-
zuschreiben. Gleichzeitig ist die Betriebsgenehmigung von Kondensa-
tionskraftwerken nur dann unbefristet zu erteilen, wenn beim CO2-Ausstoß
der Wert von 365 Gramm/kWh nicht überschritten wird. Bei Nichterfül-
lung dieses Standards ist eine Befristung der Betriebsgenehmigung auf
maximal zehn Jahre festzulegen. Diese kann verlängert werden, wenn
CO2-Techniken nachgerüstet werden, die zur Erfüllung des genannten
Standards führen.

22. Für die Handelsperiode 2008 bis 2012 des Europäischen Emissionshan-
delssystems ist in der Bundesrepublik Deutschland ein brennstoffunabhän-
giger Benchmark bei der Zuteilung von Emissionszertifikaten einzuführen,
welcher eine Ausstattung mit Emissionsrechten von Kraftwerken gleicher
Leistung und Auslastung nur in einem Umfang zulässt, den ein gasbetrie-
benes Kondensationskraftwerk benötigen würde. Somit wird im Kraft-
werksneubau der Wechsel hin zu emissionsärmeren Brennstoffen und
Klimaschutztechnologien befördert.

23. Mit mindestens 10 Prozent der Emissionszertifikate für die nächste Han-
delsperiode 2008 bis 2012 sind die Emissionsrechte in dem Umfang zu
versteigern, welcher laut EU-Emissionshandelsrichtlinie für diesen Zeit-
raum maximal zulässig ist. Die Einnahmen aus der Versteigerung sind zur
Finanzierung des überarbeiteten Klimaschutzprogramms der Bundesregie-
rung zu nutzen. Zudem sind die Einnahmen zur Finanzierung eines neu zu
erarbeitenden Nationalen Infrastruktur-Anpassungsprogramms zu verwen-
den, welches den Auswirkungen des Klimawandels und der demografi-
schen Entwicklung in Deutschland Rechnung trägt.

24. Im Rahmen der in 2007 anstehenden Überarbeitung der EU-Emissionshan-
delsrichtlinie ist sich für eine vollständige und in jedem Mitgliedstaat ver-
bindlich einzuführende Versteigerung der Emissionszertifikate ab 2013
einzusetzen. Bis zu diesem Zeitpunkt sind durch geeignete Maßnahmen
die Extraprofite der Energieversorger abzuschöpfen, die ihnen infolge der
kostenlosen Zuteilung der Emissionsrechte und der Einpreisung der Zerti-
fikats-Handelspreise in den Strompreis zufallen. Dazu zählt insbesondere
das international diskutierte Instrument einer so genannten windwall profit

tax.

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25. Die Förderung der Bundesregierung im Bereich Energieforschung ist kon-
sequent auf CO2-Minderungstechnologien und erneuerbare Energien aus-
zurichten.

26. Der Sachverständigenrat für Umweltfragen wird beauftragt, jährlich einen
Fortschrittsbericht „Klimaschutz in der Bundesrepublik“ vorzulegen.

27. Eine breit angelegte Informationskampagne zur Aufklärung der Bürgerin-
nen und Bürger über die Möglichkeiten klimaschonenden Verhaltens ins-
besondere in den Bereichen Energieverbrauch, Mobilität, Konsumverhal-
ten und Ernährung wird initiiert. In Absprache mit den Ländern soll dies
auch verstärkt in den Lehrplänen der Schulen verankert werden.

Berlin, den 24. April 2007

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

Begründung

Die Dramatik des Klimawandels und die Notwendigkeit unverzüglichen staat-
lichen Handelns haben jüngst mehrere wissenschaftliche Studien und Unter-
suchungen unter Beweis gestellt, so auch die ersten beiden Berichte des Zwi-
schenstaatlichen Gremiums für Klimafragen der Vereinten Nationen (IPPC)
sowie Berichte seitens des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW)
und des britischen Regierungsberaters Nicholas Stern. Es besteht ein weitge-
hender Konsens in der Wissenschaft darüber, dass eine Erderwärmung um
mehr als zwei Grad gegenüber vorindustriellen Temperaturen weit reichende
und nicht zu tolerierende Konsequenzen für Umwelt und Mensch mit sich brin-
gen würde. Die Berichte weisen zudem darauf hin, dass die Menschheit nicht
mehr viel Zeit hat, um die Emissionen auf ein ungefährliches Niveau zu dros-
seln.

Das DIW rechnet damit, dass sich – sollten keine größeren Anstrengungen
unternommen werden – das Klima bis auf 4,5 Grad über dem vorindustriellen
Niveau aufheizen könnte. Um die Zwei-Grad-Grenze nicht zu überschreiten,
müssen die Treibhausgasemissionen bis Mitte dieses Jahrhunderts weltweit hal-
biert und in den Industrieländern um 80 Prozent gesenkt werden, so auch der
Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen
(WBGU). Das alles macht deutlich, dass die notwendigen klimapolitischen
Weichenstellungen nicht länger aufgeschoben werden dürfen. Im Entwurf des
für Mai 2007 angekündigten dritten Teils des IPCC-Sachstandsberichts wird
dafür sogar nur noch ein Zeitfenster von maximal 15 Jahren angenommen.

Die Folgekosten des Klimawandels beziffern Rückversicherer, Wissenschaftler
und Wissenschaftlerinnen in zahlreichen Studien auf ein Vielfaches der Präven-
tion. Die Industrieländer haben mehr als drei Viertel der weltweiten Treibhaus-
gasemissionen der letzten hundert Jahre freigesetzt und sind damit Hauptver-
antwortliche für den Klimawandel. Ihr durchschnittliches Emissionsniveau je
Einwohner beträgt auch heute noch ein Vielfaches von dem anderer Weltregio-
nen. Die Folgen eines ungezügelten Klimawandels hätten dagegen vor allem
die Menschen und Volkswirtschaften in den ärmeren Ländern dieser Erde zu
tragen. So erwartet der zweite Teil des aktuellen IPCC-Berichts einen Rück-
gang der Nahrungsmittelproduktion insbesondere in südlichen Breiten und
prognostiziert eine dramatische Zunahme von Hungersnöten in Regionen wie

Subsahara-Afrika. Angesichts der Hauptverantwortung der Industriestaaten für

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die Erderwärmung wäre eine solche Entwicklung nichts anderes als eine öko-
logische Aggression des Nordens zu Lasten des Südens.

Industriestaaten sind nicht nur die größten Emittenten von Treibhausgasen, sie
haben gleichzeitig am meisten vom enormen Wirtschaftswachstum des letzten
Jahrhunderts auf Kosten der Umwelt profitiert. Deutschland gehört dabei nach
wie vor zu den Ländern, die pro Kopf der Bevölkerung die höchsten CO2-Emis-
sionen aufweisen. Nach DIW-Berechnungen liegen diese bei jährlich 10,4 Ton-
nen CO2 und damit weit oberhalb des EU-Durchschnitts. Klimaverträglich
wären hingegen maximal 3 Tonnen CO2 pro Jahr.

Obwohl Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel für die EU-Ratspräsidentschaft
angekündigt hat, Deutschlands Rolle als Vorreiter im Klimaschutz zu stärken
und dem Thema auch in Europa oberste Priorität zu geben, ist bis jetzt nicht
viel erreicht worden. Im Gegenteil: Der Streit mit der EU-Kommission um die
Höhe und die Zuteilungsregeln der Emissionshandelsrechte oder um die CO2-
Emissionen der Fahrzeugflotten hat gezeigt, dass Deutschland nicht bereit ist,
sich in entscheidenden Momenten verbindlich für den Klimaschutz einzuset-
zen. Noch bleiben der Bundesregierung zwei Monate, um die Versprechungen
der Kanzlerin umzusetzen.

Die auf dem EU-Frühjahrsgipfel im März 2007 getroffenen Beschlüsse, insbe-
sondere die festgelegte Minderung der CO2-Emissionen um lediglich 20 Pro-
zent bis 2020 gegenüber dem Emissionsniveau von 1990, sind nicht ausreichend.
Umweltverbände weisen zu Recht darauf hin, dass mindestens 30 Prozent nötig
seien, um weltweit ein Zeichen für den Klimaschutz zu setzen. Für die Bundes-
republik Deutschland bedeutet dies aufgrund der „Klimaschutzdividende“, die
Deutschland aus dem Zusammenbruch der ostdeutschen Wirtschaft ziehen
konnte, ein Einsparziel von mindestens 40 Prozent. Dieses Einsparziel ist nicht
als Last, sondern als Chance zu begreifen. Die dafür notwendigen Innovationen
schaffen neue zukunftsfähige Arbeitsplätze. So wächst die Beschäftigung in-
folge des Ausbaus erneuerbarer Energien deutlich schneller, als Arbeitsplätze
im fossil-atomaren Bereich wegfallen. Neue Jobs durch die Nutzung von Bio-
masse, die Produktion von Windrädern oder die energetische Gebäudesanie-
rung entstehen im mittelständischen Anlagenbau, in der Landwirtschaft und im
Handwerk. Eine solche Entwicklung nutzt besonders strukturschwachen Regio-
nen. Davon wird insbesondere Ostdeutschland profitieren. Schon heute hat sich
ein Großteil der Produktionsstätten der Photovoltaik-Branche in den neuen
Bundesländern niedergelassen.

Im Kampf gegen die Erderwärmung darf kein weiterer Tag verschenkt werden.
Die Bundesrepublik Deutschland ist darum aufgefordert, sofort zusätzliche
Maßnahmen zum Klimaschutz zu ergreifen. Verzichtet sie darauf, wird der Weg
für das Erreichen mittel- und langfristiger Klimaschutz-Ziele heute schon ver-
baut. Viele der vorgeschlagenen Maßnahmen erfordern weder zusätzliche
Haushaltmittel noch langwierige gesetzgeberische Verfahren. Das gilt insbe-
sondere für die vielen ungenutzten Potenziale zur Energieeinsparung oder Ver-
kehrsvermeidung.

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