BT-Drucksache 16/4952

Rente ab 67 - Die Auswirkungen für die Betroffenen

Vom 2. April 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/4952
16. Wahlperiode 02. 04. 2007

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Klaus Ernst, Volker Schneider (Saarbrücken), Karin Binder,
Dr. Lothar Bisky, Dr. Martina Bunge, Werner Dreibus, Katja Kipping,
Kornelia Möller, Elke Reinke, Frank Spieth, Dr. Kirsten Tackmann,
Jörn Wunderlich, Sabine Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

Rente ab 67 – Die Auswirkungen für die Betroffenen

Die Anhebung der Altersgrenze, so der Sozialverband VdK Deutschland e. V. in
seiner Stellungnahme zum RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz (Ausschuss-
drucksache 16(11)578), ist ohne „die Voraussetzung einer deutlich erhöhten
Beschäftigungsquote älterer Arbeitnehmer […] eine Rentenkürzung …“. Deut-
licher noch kommentiert das ifo Institut für Wirtschaftsforschung e. V.,
München, die Anhebung der Altersgrenze (Ausschussdrucksache 16(11)570):
„Sicher, auch die Erhöhung des Rentenalters ist eine Rentenkürzung, die nur den
Mangel anders verteilt…“. Dennoch beharrt die Bundesregierung darauf, die
Anhebung der Regelaltersgrenze sei keine Rentenkürzung. Ziel sei es vielmehr,
die Lebensarbeitszeit zu verlängern. Daraus entstünden dann sogar weitere Ren-
tenansprüche, die Betroffenen könnten sich so besser stellen als ohne Anhebung
der Altersgrenze. Dieser Aussage der Bundesregierung steht andererseits die
Tatsache entgegen, dass im Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) die Mög-
lichkeiten zur Zwangsverrentung von ALG-II-Bezieherinnen und -Beziehern
zum frühestmöglichen Zeitpunkt beibehalten werden und so eine Verkürzung
der Lebensarbeitszeit um bis zu vier Jahre bewirkt wird. Damit einher gehen Ab-
schläge durch die vorzeitige Inanspruchnahme von Renten. Da es nicht ausrei-
chend Beschäftigungsmöglichkeiten gibt, ist diese Fallkonstellation in vielen
Fällen zu erwarten. Solange die Erwerbsbeteiligung Älterer deutlich unterdurch-
schnittlich ist, momentan sind nicht einmal 45 Prozent der über 55-Jährigen in
irgendeiner Beschäftigung, gibt es für die Menschen faktisch kaum eine Mög-
lichkeit, überhaupt bis 67 Jahre zu arbeiten. Für viele bleibt Fakt, dass es sich
lediglich um eine verkürzte Rentenbezugszeit oder eben um eine bei vorzeitiger
Inanspruchnahme durch höhere Abschläge gekürzte Rente handelt.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die Anhebung des Renten-
eintrittsalters auf 67 Jahre in ihrer erwarteten Beitragsentlastung – höchstens
je 0,25 Beitragspunkte für Arbeitnehmer und Arbeitgeber bis 2029 – nur sehr

gering ist und daher nicht geeignet ist, wie im Gesetz behauptet, die Finan-
zierungsbasis nachhaltig zu verbessern?

2. Wie bewertet die Bundesregierung die Tatsache, dass im Gesetzentwurf die
Auswirkungen auf die Arbeitsförderung (Arbeitslosenversicherung) sowie
auf die Ausgaben des Bundes, der Länder und Kommunen im Rahmen von
SGB II und SGB XII trotz einem zu erwartenden Anstieg der Erwerbslosig-

Drucksache 16/4952 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
keit sowie niedrigerer Renten durch die Anhebung der Regelaltersgrenze
nicht geprüft wurden bzw. solche Kosten nicht benannt sind?

3. Wie begründet die Bundesregierung die Tatsache, dass sie in den Folge-
abschätzungen des RV-Altersgrenzenanpassungsgesetzes nur die Kostenaus-
wirkungen auf die Unternehmen berücksichtigt, jedoch nicht, welche finan-
ziellen Kosten und Risiken für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
entstehen?

4. Wäre im Jahr 2029 eine Person, die das 63. Lebensjahr vollendet hat, 35 Bei-
tragsjahre aufweisen kann und seit mehr als 18 Monaten erwerbslos ist, unter
Berücksichtigung der §§ 2 und 5 SGB II gezwungen, einen Antrag auf
vorgezogene Altersrente zu stellen, obwohl sich hieraus Abschläge von
14,4 Prozent ergeben würden?

5. Wie bewertet die Bundesregierung die Tatsache, dass die Regelung der Nach-
rangigkeit im SGB II, welche Leistungsbezieherinnen und -bezieher zwingt,
zum frühestmöglichen Zeitpunkt eine Altersrente zu beantragen, selbst wenn
diese mit erheblichen Abschlägen verbunden ist, der Begründung des RV-
Altersgrenzenanpassungsgesetzes, eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit
anzustreben, elementar entgegenläuft?

Sieht die Bundesregierung hier dringenden Handlungsbedarf und welchen?

6. Wie bewertet die Bundesregierung, dass im Gesetzentwurf die Behauptung
aufgestellt wird, die Auswirkungen des Gesetzentwurfs seien „unter dem As-
pekt des Gender Mainstreaming auf ihre Geschlechterrelevanz geprüft“ wor-
den und wären „gleichstellungspolitisch ausgewogen“, wenn gleichzeitig die
Sachverständigen Prof. Dr. Ursula Rust sowie Prof. Dr. Helge Sodan in ihren
Stellungnahmen zum RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz aus gleichstel-
lungspolitischer Perspektive aufgrund der Tatsache, dass lediglich 4 Prozent
aller Frauen diese Bedingung erfüllen, erhebliche verfassungsrechtliche so-
wie europarechtliche Bedenken äußern?

7. Welche Aspekte hat die Bundesregierung unter dem Aspekt des Gender
Mainstreaming genau geprüft, und bei welchen Punkten wurden geschlech-
terrelevante Sachverhalte vermutet?

8. Teilt die Bundesregierung die am 9. März 2007 im Plenum von mehreren Ab-
geordneten vertretene Auffassung, dass die sog. Riester-Reform faktisch eine
Beitragserhöhung für die Arbeitnehmer ist, die höher ausfällt als es bei einer
paritätischen Finanzierung durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer notwendig
gewesen wäre?

Wenn nein, wie kommt die Bundesregierung zu ihrer Auffassung?

9. Wie bewertet die Bundesregierung die Tatsache, dass durch die Modifi-
zierung der Schutzklausel die Renten zukünftig für einen längeren Zeitraum
deutlicher hinter der Lohn- und Inflationsentwicklung zurückbleiben werden,
wenn bereits heute zunehmend – insbesondere für Frauen – die Renten unter-
halb der Grundsicherung liegen?

Berlin, den 29. März 2007

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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