BT-Drucksache 16/3927

Probleme bei der Anerkennung der Entschädigungen für die durch Anti-D-Immunprophylaxe mit dem Hepatitis-C-Virus infizierten Frauen

Vom 18. Dezember 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/3927
16. Wahlperiode 18. 12. 2006

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Frank Spieth, Klaus Ernst, Karin Binder, Dr. Barbara Höll,
Katja Kipping, Kersten Naumann, Dr. Ilja Seifert, Jörn Wunderlich
und der Fraktion DIE LINKE.

Probleme bei der Anerkennung der Entschädigungen für die durch
Anti-D-Immunprophylaxe mit dem Hepatitis-C-Virus infizierten Frauen

In den Jahren 1978 und 1979 wurden in der DDR mehrere tausend Frauen mit
Anti-D-Immunglobulinen behandelt, die mit Hepatitis-C-Viren verseucht wor-
den waren. Die Anti-D-Immunprophylaxe war in der DDR gesetzlich vorge-
schrieben und diente nach Geburten bei Rhesusfaktor-Unverträglichkeit der
Verhinderung von Schädigungen bei nachgeborenen Kindern. Dadurch erlitten
fast 3 000 Personen eine chronische Hepatitis-C-Virusinfektion, zusätzlich
auch in vielen Fällen diverse Folgeerkrankungen.

Der Deutsche Bundestag hat 2000 ein Gesetz beschlossen, um die humanitäre
und soziale Lage der infizierten Frauen und Kinder zu verbessern. Dennoch ist
ein großer Teil der betroffenen Personen, aufgrund der Praxis der Versorgungs-
ämter, weiterhin von einem Anspruch auf eine Einmalzahlung oder auf eine
monatliche Rente ausgeschlossen.

Bei einer nicht messbaren Viruslast (Nachweisgrenze ist etwa 50 Kopien/ml),
schließen die Versorgungsämter trotz des positiven Hepatitis-C-Virus-Antikör-
pertests das Vorliegen von Erkrankungen infolge der Anti-D-Immunprophylaxe
mit der Begründung der „Anhaltspunkte für die Ärztliche Gutachtertätigkeit“
(BMGS, Juni 2005) aus. Infolgedessen wird den Frauen der Anspruch auf eine
Anerkennung der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) für eine monatliche
Rente verwehrt. Die „Anhaltspunkte“ schließen diese Verfahrensweise aber
nicht explizit aus.

Laut einer Langzeitstudie an einer großen homogenen Kohorte irischer Patien-
tinnen, die sich 1977 durch verseuchtes Anti-D-Immunglobulin mit dem Hepa-
titis-C-Virus infizierten (Gut 2001; 49: 423-430), bestehen Folgeerkrankungen
auch bei Viruselimination weiter und die Viruslast gibt nicht die Stärke der
klinischen Symptome wieder. Es scheint daher fraglich, ob das Kriterium der
Viruslast als Argument geeignet ist, die Infektion, die klinischen Auswirkungen
und damit die Minderung der Erwerbsfähigkeit auszuschließen.

Die Anhaltspunkte für die Ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädi-

gungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht entsprechen aber laut stän-
diger Rechtsprechung (BSG SozR Nr. 35, 42 zu § 30 BVG; BSG SozR 3-3100
§ 30 Nr. 22) dem jeweiligen Stand der medizinischen Wissenschaft bzw. sie
sollten es tun.

Es ist kein Grund ersichtlich, weshalb die Situation in Irland nicht auch auf die
deutschen Anti-D-Frauen übertragbar sein sollte.

Drucksache 16/3927 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Warum ist der von den Versorgungsämtern bei der Entscheidung über die
Verweigerung oder Anerkennung von GdB (Grad der Behinderung)/MdE
(Minderung der Erwerbsfähigkeit) zugrunde gelegte Nachweis einer Virus-
lastmenge (HCV-RNA-Test) das derzeit genutzte Ausschlusskriterium?

2. Wer hat dieses Ausschlusskriterium festgelegt, und wo ist dies geregelt?

3. Weshalb wird die maßgebliche Grenze der Viruslast zur Anerkennung bzw.
zum Ausschluss der Betroffenen seitens der Versorgungsämter bei der der-
zeit technisch feststellbaren Menge definiert, und steht dies nach Auffas-
sung der Bundesregierung im Einklang mit der Absicht des Gesetzes aus
dem Jahr 2000?

4. Welche Konsequenzen hat die Bundesregierung aus den in der Vorbemer-
kung genannten Petitionen, die Beschwerden über den Vollzug des Geset-
zes beinhalten, gezogen?

5. Wie viele Anerkennungen liegen heute in den jeweiligen MdE-Gruppen ab
einer MdE von 0 Prozent, 10 Prozent, 20 Prozent, 30 Prozent usw. vor?

6. Bei vielen Geschädigten wurde die MdE seit 2000 aufgeschlüsselt nach
Jahren herabgestuft?

7. Welche zum Anti-D-Hilfegesetz erlassenen Richtlinien und Durchfüh-
rungsbestimmungen regeln die Bewertung der MdE bei extrahepatischen
Folgeerkrankungen?

8. Wäre es nach Ansicht der Bundesregierung möglicherweise hilfreich, in
den so genannten Anhaltspunkten, die das Ministerium zur Feststellung
des GdB und der MdE herausgibt, den Hinweis einzufügen, dass ein Anti-
körpernachweis zur Feststellung einer Hepatitis-C-Infektion ausreicht?

9. Welche „üblichen klinischen Auswirkungen“ der Leberentzündung und der
Leber-Fibrose sind in den „Anhaltspunkten“ der Bundesregierung konkret
bei welchen GdB/MdE-Werten in der Histologiebefund-Tabelle gemeint?

10. Welche Voraussetzungen müssen die Betroffenen erfüllen, um eine Aner-
kennung von chronischen extra-hepatischen Folgeerkrankungen der chro-
nischen Hepatitis-C-Virusinfektion zu erreichen?

11. Werden die extra-hepatischen Folgeerkrankungen der Hepatitis-C-Virus-
infektion jeweils mit einer Einzel-MdE bewertet, die sich dann erhöhend
auf die Gesamt-MdE auswirkt?

12. Gibt es Hinweise auf eine zusätzliche Kontamination des fraglichen Medi-
kaments mit Hepatitis G, und falls ja, hat die Bundesregierung diesbezüg-
lich etwas unternommen?

13. Falls die Frage 12 mit „Ja“ zu beantworten war: In welchen der 15 Char-
gennummern wurde der Hepatitis-G-Virus nachgewiesen?

14. Falls die Frage 12 mit „Ja“ zu beantworten war: Wurden oder werden die
betroffenen Personen von der Bundesregierung und von den Ländern über
diese zweite – mit dem Hepatitis-G-Virus – erfolgte Infektion und die be-
stehenden rechtlichen Möglichkeiten informiert?

15. Wie hoch sind die tatsächlichen Mehrausgaben gegenüber dem Jahr der
Einführung, resultierend aus möglichen Erhöhungen der MdE, weiteren
Anerkennungen und Dynamisierungen bislang gegenüber den Planungen
des Gesetzentwurfs des Anti-D-Hilfegesetzes aufgeschlüsselt nach den
einzelnen Jahren ausgefallen?
16. Bei wie vielen Betroffenen sind seit 2000, aufgeschlüsselt nach Jahren, Er-
höhungen der MdE anerkannt worden?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/3927

17. Wie viele neue Anerkennungen hat es seit 2000, aufgeschlüsselt nach Jah-
ren, gegeben?

18. Weshalb sinken seit 2002 in jedem weiteren Jahr die Aufwendungen des
Bundes für die Hilfebedürftigen, wobei sie nach den Planungen des Geset-
zes und auch nach dem „Informationspapier über den Entwurf eines Geset-
zes über die Hilfe für durch Anti-D-Immunprophylaxe mit dem Hepatitis-
C-Virus infizierte Personen“ (BMG, März 2000, Seite 8) eigentlich steigen
sollten?

Berlin, den 13. Dezember 2006

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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