BT-Drucksache 16/3641

a) zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung -16/575- Entwurf eines Gesetzes zur Strafbarkeit beharrlicher Nachstellungen (...StrÄndG) b) zu dem Gesetzentwurf des Bundesrates -16/1030- Entwurf eines Stalking-Bekämpfungsgesetzes

Vom 29. November 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/3641
16. Wahlperiode 29. 11. 2006

Beschlussempfehlung und Bericht
des Rechtsausschusses (6. Ausschuss)

a) zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung
– Drucksache 16/575 –

Entwurf eines Gesetzes zur Strafbarkeit beharrlicher Nachstellungen (… StrÄndG)

b) zu dem Gesetzentwurf des Bundesrates
– Drucksache 16/1030 –

Entwurf eines Stalking-Bekämpfungsgesetzes

A. Problem

Beharrliche Nachstellungen, die einschneidend das Leben des Opfers beein-
trächtigen, spielen eine immer größere Rolle. Die unter dem englischen Begriff
„Stalking“ diskutierte Verhaltensweise ist dadurch gekennzeichnet, dass einer
anderen Person fortwährend nachgestellt, aufgelauert oder auf andere Weise mit
hoher Intensität Kontakt zu ihr gesucht bzw. in ihren individuellen Lebensbe-
reich eingegriffen wird. Durch ihre Häufigkeit und Kontinuität führen die hete-
rogenen Handlungen des Täters zu unzumutbaren Beeinträchtigungen und einer
erzwungenen Veränderung der Lebensumstände des Opfers. Vielfach verwirk-
lichen die Täter bereits nach geltender Rechtslage Straftatbestände des Strafge-
setzbuches (StGB). Seit Inkrafttreten des Gewaltschutzgesetzes (GewSchG) am
1. Januar 2002 kommt darüber hinaus eine Bestrafung nach § 4 GewSchG in
Betracht.

Die Erfahrungen mit dem Gewaltschutzgesetz zeigen, dass sich das Gesetz, mit
dem u. a. der zivilgerichtliche Schutz bei Nachstellungen verbessert werden
sollte, mit seinen Instrumentarien in der Praxis zwar bewährt und zu einem ver-
besserten Opferschutz geführt hat. Im Bereich Stalking wird allerdings von Sei-
ten der Strafverfolgungsbehörden und Opfer ein noch effektiverer Schutz vor
Nachstellungshandlungen durch die Schaffung eines eigenen Straftatbestandes

gefordert. Sie beklagen, dass die auf die fortwährende Verfolgung durch vielfäl-
tige Handlungen zurückzuführende Beeinträchtigung des Opfers und das Ge-
fährdungspotenzial derartiger Verhaltensmuster nicht selten unterschätzt wer-
den. Dies wird auch darauf zurückgeführt, dass es keine Strafnorm gibt, die dem
Gesamtbild der Taten gerecht wird. Das bestehende strafprozessuale Instrumen-
tarium wird für bestimmte eskalierende Fallkonstellationen als unzulänglich be-
wertet. Nach den Erfahrungen der Praxis kann dem Opfer in gravierenden Fällen

Drucksache 16/3641 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

nur dadurch wirksam geholfen werden, dass die bereits eingetretene Eskalation
durch die Verhängung von Untersuchungshaft unterbrochen wird. In diesem Be-
reich kann nach geltendem Haftrecht nicht rechtzeitig interveniert werden.

B. Lösung

Zu Buchstabe a

Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht die Einführung eines § 238 StGB
„Nachstellung“ vor. Er trägt dem Anliegen eines besseren strafrechtlichen
Schutzes von Stalkingopfern durch Einfügung eines Straftatbestandes Rech-
nung, der den typischen Unrechtsgehalt der Nachstellung wirklichkeitsgetreu
abbildet. Durch die Erweiterung des Straftatenkatalogs des § 112a Abs. 1 Nr. 1
der Strafprozessordnung um die qualifizierten Tatbestände des § 238 Abs. 2
und 3 StGB-E wird die Möglichkeit eröffnet, besonders gefährliche Täter in
Haft zu nehmen, um dadurch vorhersehbaren schwersten Straftaten gegen Leib
und Leben vorzubeugen.

Annahme des Gesetzentwurfs auf Drucksache 16/575 in geänderter Fassung
mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und SPD gegen die Stim-
men der Fraktionen FDP, DIE LINKE. und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Zu Buchstabe b

Einstimmige Ablehnung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 16/1030

C. Alternativen

Annahme des Gesetzentwurfs des Bundesrates.

D. Kosten

Wurden im Ausschuss nicht erörtert.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/3641

Beschlussempfehlung

Der Bundestag wolle beschließen,

a) den Gesetzentwurf auf Drucksache 16/575 in der aus der nachstehenden
Zusammenstellung ersichtlichen Fassung anzunehmen,

b) den Gesetzentwurf auf Drucksache 16/1030 abzulehnen.

Berlin, den 29. November 2006

Der Rechtsausschuss

Andreas Schmidt (Mülheim)
Vorsitzender

Ute Granold
Berichterstatterin

Christine Lambrecht
Berichterstatterin

Joachim Stünker
Berichterstatter

Jörg van Essen
Berichterstatter

Sevim Dagdelen
Berichterstatterin

Irmingard Schewe-Gerigk
Berichterstatterin

3. unter missbräuchlicher Verwendung von dessen per-
sonenbezogenen Daten Bestellungen von Waren oder
Dienstleistungen für ihn aufgibt oder Dritte veran-

3. unter missbräuchlicher Verwendung von dessen per-
sonenbezogenen Daten Bestellungen von Waren oder
Dienstleistungen für ihn aufgibt oder Dritte veran-
lasst, mit diesem Kontakt aufzunehmen,

4. ihn mit der Verletzung von Leben, körperlicher Un-
versehrtheit, Gesundheit oder Freiheit seiner selbst
oder einer ihm nahe stehenden Person bedroht, oder

5. eine andere vergleichbare Handlung vornimmt,

und dadurch seine Lebensgestaltung schwerwiegend be-
einträchtigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren
oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf
Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter das Opfer, ei-
nen Angehörigen des Opfers oder eine andere dem

lasst, mit diesem Kontakt aufzunehmen, oder

4. ihn mit der Verletzung von Leben, körperlicher Un-
versehrtheit, Gesundheit oder Freiheit seiner selbst
oder einer ihm nahe stehenden Person bedroht,

und dadurch seine Lebensgestaltung schwerwiegend und
unzumutbar beeinträchtigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu
drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

B e s c h l ü s s e d e s 6 . A u s s c h u s s e s


it beharrlicher Nachstellungen (… StrÄndG)

ses (6. Ausschuss)

Entwurf eines Gesetzes zur Strafbarkeit
beharrlicher Nachstellungen (… StrÄndG)

Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:

Artikel 1

Änderung des Strafgesetzbuches

Das Strafgesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung
vom 13. November 1998 (BGBl I. S. 3322), zuletzt geändert
durch …, wird wie folgt geändert:

1. In der Inhaltsübersicht zum 18. Abschnitt des Besonde-
ren Teils wird die Angabe zu den §§ 237 und 238 wie
folgt gefasst:

㤠237 (weggefallen)

§ 238 Nachstellung“.

2. Vor § 239 wird folgender § 238 eingefügt:

㤠238
Nachstellung

(1) Wer einem Menschen unbefugt nachstellt, indem er
beharrlich

1. u n v e r ä n d e r t

2. u n v e r ä n d e r t
Drucksache 16/3641 –

E n t w u r f


Zusammenstellung

des Entwurfs eines Gesetzes zur Strafbarke
– Drucksache 16/575 –
mit den Beschlüssen des Rechtsausschus

Entwurf eines Gesetzes zur Strafbarkeit
beharrlicher Nachstellungen (… StrÄndG)

Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:

Artikel 1

Änderung des Strafgesetzbuches

Das Strafgesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung
vom 13. November 1998 (BGBl. I S. 3322), zuletzt geändert
durch …, wird wie folgt geändert:

1. In der Inhaltsübersicht zum 18. Abschnitt des Besonde-
ren Teils wird nach der Angabe 㤠241a Politische Ver-
dächtigung“ die Angabe „§ 241b Nachstellung“ einge-
fügt.

2. Nach § 241a wird folgender § 241b eingefügt:

㤠241b
Nachstellung

(1) Wer einem Menschen unbefugt nachstellt, indem er
beharrlich

1. seine räumliche Nähe aufsucht,

2. unter Verwendung von Telekommunikationsmitteln
oder sonstigen Mitteln der Kommunikation oder über
Dritte Kontakt zu ihm herzustellen versucht,
Opfer nahe stehende Person durch die Tat in die Ge-
fahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschä-
digung bringt.

5 – Drucksache 16/3641

B e s c h l ü s s e d e s 6 . A u s s c h u s s e s

(3) Verursacht der Täter durch die Tat den Tod des
Opfers, eines Angehörigen des Opfers oder einer an-
deren dem Opfer nahe stehenden Person, so ist die
Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jah-
ren.

(4) In den Fällen des Absatzes 1 wird die Tat nur auf
Antrag verfolgt, es sei denn, dass die Strafverfolgungs-
behörde wegen des besonderen öffentlichen Interesses an
der Strafverfolgung ein Einschreiten von Amts wegen für
geboten hält.“

Artikel 2

Änderung der Strafprozessordnung

Die Strafprozessordnung in der Fassung der Bekannt-
machung vom 7. April 1987 (BGBl. I S. 1074, 1319), zuletzt
geändert durch …, wird wie folgt geändert:

1. In § 112a Abs. 1 Nr. 1 werden nach der Angabe „179“
die Wörter „oder nach § 238 Abs. 2 und 3“ eingefügt.

2. § 374 Abs. 1 Nr. 5 wird wie folgt gefasst:

„5. eine Nachstellung (§ 238 Abs. 1 des Strafgesetz-
buches) oder eine Bedrohung (§ 241 des Strafgesetz-
buches),“.

3. In § 395 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe e werden nach dem
Wort „nach“ die Wörter „§ 238 des Strafgesetzbuches
und“ eingefügt.

Artikel 3

Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt am Tag nach der Verkündung in Kraft.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode –

E n t w u r f

(2) Die Tat nach Absatz 1 wird nur auf Antrag verfolgt,
es sei denn, dass die Strafverfolgungsbehörde wegen des
besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfol-
gung ein Einschreiten von Amts wegen für geboten hält.“

Artikel 2

Änderung der Strafprozessordnung

Die Strafprozessordnung in der Fassung der Bekannt-
machung vom 7. April 1987 (BGBl. I S. 1074, 1319), zuletzt
geändert durch …, wird wie folgt geändert:

1. § 374 Abs. 1 Nr. 5 wird wie folgt gefasst:

„5. eine Bedrohung (§ 241 des Strafgesetzbuches) oder
eine Nachstellung (§ 241b des Strafgesetzbuches),“.

2. In § 395 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe e wird nach dem Wort
„nach“ die Angabe „§ 241b des Strafgesetzbuches und“
eingefügt.

Artikel 3

Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt am Tag nach der Verkündung in Kraft.

Thomas Janovsky
aller Männer und Frauen in Deutschland werden im Laufe
ihres Lebens Opfer von Stalking. Die Belästigungen er-
Leitender Oberstaatsanwalt,
Leiter der Staatsanwaltschaft Bayreuth

Prof. Dr. Dr. Kristian Kühl
Eberhard Karls Universität Tübingen,

strecken sich zumeist über längere Zeiträume. Eine Studie
des Zentralinstituts für seelische Gesundheit in Mannheim
hat ergeben, dass bei 68 Prozent der Opfer die Verfolgung
und Belästigung länger als 1 Monat, bei ca. 24 Prozent so-
Drucksache 16/3641 – 6 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Bericht der Abgeordneten Ute Granold, Christine Lambrecht, Joachim Stünker,
Jörg van Essen, Sevim Dag˘delen und Irmingard Schewe-Gerigk

I. Überweisung
Der Deutsche Bundestag hat die Gesetzentwürfe auf Druck-
sachen 16/575 und 16/1030 in seiner 35. Sitzung am 11. Mai
2006 in erster Lesung beraten und zur federführenden Bera-
tung dem Rechtsausschuss und zur Mitberatung dem Innen-
ausschuss sowie dem Ausschuss für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend überwiesen.

II. Stellungnahmen der mitberatenden Ausschüsse
Der Innenausschuss hat in seiner 26. Sitzung am 29. Novem-
ber 2006 beide Gesetzentwürfe beraten und mit den Stim-
men der Fraktionen der CDU/CSU und SPD gegen die Stim-
men der Fraktionen FDP, DIE LINKE. und BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN die Annahme des Gesetzentwurfs der Bun-
desregierung auf Drucksache 16/575 empfohlen. Er hat fer-
ner einstimmig die Ablehnung des Gesetzentwurfs des Bun-
desrates auf Drucksache 16/1030 empfohlen.

Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
hat die Gesetzentwürfe in seiner 24. Sitzung am 29. Novem-
ber 2006 beraten und mit den Stimmen der Fraktionen der
CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktionen
DIE LINKE. und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bei Stimm-
enthaltung der Fraktion der FDP die Annahme des Gesetz-
entwurfs der Bundesregierung auf Drucksache 16/575 emp-
fohlen. Er hat ferner mit den Stimmen der Fraktionen der
CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktionen FDP,
DIE LINKE. und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN empfohlen,
den Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen der CDU/
CSU und SPD auf Ausschussdrucksache 16(6)74 anzuneh-
men. Er hat des Weiteren empfohlen, den Gesetzentwurf des
Bundesrates auf Drucksache 16/1030 für erledigt zu erklären.

III. Beratung im Rechtsausschuss
Der Rechtsausschuss hat die Gesetzentwürfe auf Druck-
sache 16/575 und 16/1030 in seiner 17. Sitzung am 31. Mai
2006 beraten und beschlossen, eine öffentliche Anhörung
durchzuführen. Diese fand am 18. Oktober 2006 statt. An
der Anhörung haben folgende Sachverständige teilgenom-
men:

Dagmar Freudenberg
Staatsanwältin, Vorsitzende der Kommission „Gewalt gegen
Frauen und Kinder“ des Deutschen Juristinnenbundes, Göt-
tingen

Michaele Gabel
Interventionsstelle Mainz

Dorothea Hecht
Berliner Interventionszentrale bei häuslicher Gewalt

Armin Nack
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof, Karlsruhe

Benno H. Pöppelmann
Justiziar des Deutschen Journalistenverbandes, Berlin

Susanne Schumacher
freie Journalistin und Autorin, Berlin

Prof. Dr. Hans-Georg W. Voß
Technische Universität Darmstadt,
Institut für Psychologie.

Hinsichtlich der Ergebnisse der Anhörung wird auf das Pro-
tokoll der 30. Sitzung am 18. Oktober 2006 mit den anlie-
genden Stellungnahmen der Sachverständigen verwiesen.

Der Rechtsausschuss hat die Gesetzentwürfe in seiner
40. Sitzung am 29. November 2006 abschließend beraten
und beschlossen, die Annahme des Gesetzentwurfs der Bun-
desregierung auf Drucksache 16/575 in der vom Ausschuss
geänderten Fassung zu empfehlen. Diese Entscheidung wur-
de mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und SPD
gegen die Stimmen der Fraktionen FDP, DIE LINKE. und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gefasst. Darüber hinaus be-
schloss der Rechtsausschuss einstimmig zu empfehlen, den
Gesetzentwurf des Bundesrates auf Drucksache 16/1030 ab-
zulehnen.

Bei der Beratung der Vorlagen lag den Berichterstattern eine
Petition vor.

Die Fraktion der FDP führte aus, sie könne beiden Gesetz-
entwürfen aus mehreren Gründen nicht zustimmen. Es sei
nicht gelungen, die vielfältigen Tatbegehungsformen des
Stalking in einer dem Bestimmtheitserfordernis des Straf-
rechts erforderlichen Weise umzusetzen. Das sei schon bei
den einzelnen aufgeführten Tatbestandshandlungen so, gelte
aber umso mehr, wenn auch noch eine Generalklausel dazu
käme. Es sei ferner nicht hinnehmbar, dass der strafrecht-
liche Schutz des Stalkingopfers erst dann einsetze, wenn der
„Erfolg“ tatsächlich eingetreten sei; dem Opfer müsse be-
reits früher mit strafrechtlichen Maßnahmen geholfen wer-
den können. Des Weiteren würden durch den unbestimmten
Anwendungsbereich die berechtigten Interessen von Me-
dienvertretern nicht berücksichtigt, es fehle insoweit an einer
Abgrenzung, die verhindere, dass sich Journalisten bei be-
rufsadäquaten Verhalten strafbar machen.

Die Fraktion der FDP stellte daher folgenden Entschlie-
ßungsantrag:

I. Der Bundestag wolle beschließen:

Stalking ist längst kein Randproblem mehr. Etwa 10 Prozent
Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht und Rechtsphilo-
sophie

gar länger als 1 Jahr dauerte. Die Studie hat gezeigt, dass
die Stalkingopfer im Vergleich zur allgemeinen Bevölkerung

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 7 – Drucksache 16/3641

eine signifikant schlechtere psychische Befindlichkeit zei-
gen. Stalking hat massive Auswirkungen für die Opfer.
Neben körperlichen und psychischen Beschwerden sind die
Belästigungen für viele Opfer auch mit einer erheblichen
Einschränkung ihres Lebensstils verbunden. Sie erwägen
einen Wohnortwechsel, die Meidung bestimmter Plätze so-
wie den sozialen Rückzug und den Verlust von Freunden.
Nach einer Studie der Arbeitsstelle für Forensische Psycho-
logie der Technischen Universität Darmstadt gaben fast alle
Opfer an, dass sich ihr Leben durch die Verfolgung, Bedro-
hung oder Belästigung massiv verändert habe. 43 Prozent
der Opfer suchten wegen der anhaltenden Belästigungen
Psychologen oder Ärzte auf. Häufig zeigt sich ein Nähever-
hältnis zwischen dem Täter und dem Opfer. Opfer sind häu-
fig ehemalige Lebens- oder Ehepartner. Der Täter will durch
seine Handlungen bewirken, dass die Opfer zu einer Bezie-
hung oder deren Fortsetzung mit dem Stalker bewegt wer-
den. Immer häufiger werden jedoch auch Personen des
öffentlichen Lebens Opfer von Belästigungen.

Immer wieder wird darauf hingewiesen, das geltende Recht
biete einen nur lückenhaften Schutz vor Stalking. Die unter-
schiedlichen Ausprägungen des Stalkings würden von den
Straftatbeständen des Strafgesetzbuches nicht ausreichend
erfasst, wird als Argument häufig vorgetragen. Die Bundes-
regierung hat daher einen Gesetzentwurf vorgelegt, der
einen eigenen Straftatbestand der „Nachstellung“ vorsieht.
Die von der Bundesregierung vorgeschlagene Regelung ist
nicht geeignet, den Opferschutz zu stärken:

– Der von der Bundesregierung vorgeschlagene Straftatbe-
stand wird zu erheblichen Ermittlungs- und Beweis-
schwierigkeiten in der Praxis führen. Der Gesetzentwurf
hält eine Vielzahl von unbestimmten Rechtsbegriffen, so
dass fraglich ist, ob der Tatbestand dem Bestimmtheits-
gebot in Art. 103 Abs. 2 GG entspricht. Es ist kaum mög-
lich, einen Straftatbestand zu schaffen, der die vielfälti-
gen Stalkinghandlungen erfasst, sie aber gleichzeitig von
normalem, sozialadäquatem Verhalten, abgrenzt. Gerade
im sensiblen Bereich der zwischenmenschlichen Kontakt-
aufnahme wird es große Schwierigkeiten bereiten, ein
Tatbestand zu formulieren, der konkret genug ist, das un-
erwünschte Verhalten zu erfassen. Auch wenn es gelingen
sollte, eine geeignete Formulierung zu finden, so ist da-
von auszugehen, dass die Täter immer weitere Bege-
hungsmöglichkeiten finden werden, um einer Strafbarkeit
zu entgehen.

Auch die Ausgestaltung des Straftatbestandes als Er-
folgsdelikt wird den Opferinteressen nicht gerecht. Bei
Erfolgsdelikten wird im Tatbestand der Eintritt eines von
der Tathandlung abgrenzbaren Erfolges vorausgesetzt,
so dass ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Hand-
lung und Erfolg vorliegen muss. Stalking ist ein typisches
Tätigkeitsdelikt. Erst am Ende einer Eskalationsspirale
realisiert sich die Konsequenz für das Opfer, z. B. in
Form einer schweren Gesundheitsbeschädigung. Es wird
hier regelmäßig sehr schwierig werden, die Kausalität
zwischen der Handlung und dem Erfolg zweifelsfrei
nachzuweisen. Es ist daher vorherzusehen, dass eine Be-
strafung wegen Stalking unterbleibt, wenn es bei dem
Opfer, trotz fortgesetzter Belästigungen durch den Täter,

vorgeschlagene Strafvorschrift nicht möglich sein, den
Täter frühzeitig an seinem Handeln zu hindern. Das Op-
fer muss daher die Belästigungen des Täters so lange er-
dulden, bis es schwerwiegend beeinträchtigt ist. Erst
dann setzt die Strafbarkeit ein. Den Opfern wird mit der
Strafvorschrift suggeriert, dass es mit dem Einfügen
eines neuen Straftatbestandes künftig leichter möglich
sein wird, das Handeln des Täters zu beenden. Diese
Sicherheit wird sich in der Praxis als Trugschluss heraus-
stellen. Es ist zu erwarten, dass viele strafrechtliche Er-
mittlungen eingestellt werden, weil die Kausalität nicht
nachgewiesen werden kann. Damit bleibt das Opfer wei-
ter schutzlos. Durch die weitgehende Formulierung des
Straftatbestandes wird in vielen Fällen ein Anfangsver-
dacht gegeben sein. Es ist abzusehen, dass ein großer
Teil der Ermittlungsverfahren wieder eingestellt werden
muss, weil das unmittelbare Geschehen für eine Klage-
erhebung nicht ausreicht. Dadurch werden Polizei und
Staatsanwaltschaft mit zusätzlicher Arbeit belastet, ohne
dass der Schutz der Opfer verbessert würde.

– Der neue Straftatbestand führt nicht zu einem sach-
gerechten Interessenausgleich. Insbesondere werden die
berechtigten Interessen von Journalisten nicht berück-
sichtigt. Der Gesetzentwurf sieht für Journalisten keine
Ausnahmeregelungen vor. Der weite und unbestimmte
Anwendungsbereich der vorgeschlagenen Norm kann
auch die journalistische Recherche mit umfassen. Oft-
mals wird die engagierte und hartnäckige Tätigkeit von
Journalisten als Belästigung empfunden. Der Gesetzent-
wurf schließt nicht aus, dass auch an sich sozialadäqua-
tes Verhalten von dem Tatbestand erfasst wird. Es ist der
falsche Weg, die journalistische Recherche grundsätzlich
unter den Generalverdacht des Stalking zu stellen.

Im Interesse der Opfer ist es daher der falsche Weg, Stalking
allein mit den Mitteln des Strafrechts bekämpfen zu wollen.
Vorzugswürdiger ist es, das bereits geltende Recht zu ändern
und wirksame Instrumente zur Stalkingbekämpfung gesetz-
lich zu verankern:

– Das Gewaltschutzgesetz hat sich beim Schutz vor häus-
licher Gewalt grundsätzlich bewährt. Den Opfern wird
nicht länger zugemutet, selbst für ihren Schutz zu sorgen
und dabei auch den Verlust der vertrauten Wohnung und
Umgebung in Kauf nehmen zu müssen. Das Gesetz stellt
sicher, dass die Opfer häuslicher Gewalt zu Hause blei-
ben dürfen, während die Täter per einstweiliger Anord-
nung der Polizei dauerhaft aus der Wohnung, manchmal
sogar aus dem Stadtviertel gewiesen werden können. Der
Gesetzgeber ist seinerzeit davon ausgegangen, dass das
Gewaltschutzgesetz auch das Stalking erfasst. Danach
kann das Opfer vor dem Zivilgericht eine Schutzanord-
nung erwirken, bspw. ein Kontakt- oder Näherungsver-
bot. Das Zivilgericht kann auf Antrag des Opfers klar und
eindeutig bestimmte Verhaltensweisen des Stalkers unter-
sagen. Mit der genauen Beschreibung des verbotenen
Verhaltens durch die richterliche Anordnung ist der Be-
stimmtheitsgrundsatz gewahrt. Der Täter weiß durch den
richterlichen Beschluss vor seiner Tat ganz genau, mit
welchem Verhalten er sich strafbar macht. Diese Schutz-
anordnung kann zivilrechtlich mit Ordnungsgeld oder
noch zu keiner schwerwiegenden Beeinträchtigung der
Lebensgestaltung gekommen ist. Es wird daher durch die

Ordnungshaft vollstreckt werden. Bei einem Verstoß ge-
gen die Schutzanordnung macht sich der Täter strafbar.

Drucksache 16/3641 – 8 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Damit ist sichergestellt, dass auch Nachstellungen, die
nicht von den Straftatbeständen des Strafgesetzbuchs er-
fasst sein sollten, strafrechtlich geahndet werden können.

Es hat sich gezeigt, dass das Gewaltschutzgesetz geeignet
ist, Formen des sog. „weichen Stalkings“ wirksam zu be-
gegnen. Das Gesetz zeigt jedoch Lücken, wenn es darum
geht, Handlungen des Täters abzuwehren, die für das
Opfer mit erheblichen körperlichen und seelischen Aus-
wirkungen verbunden sind. Um auch diese Fälle durch
das Gewaltschutzgesetz zu erfassen, ist es dringend gebo-
ten, das Gesetz entsprechend anzupassen. Das Gesetz
muss um weitere Tatbestandsalternativen ergänzt wer-
den. So ist die Möglichkeit zu eröffnen, neben Kontakt-
aufnahmen über das Telefon auch solche durch Briefe
oder andere Kommunikationsmittel zu verbieten. Auch
das Schalten von unrichtigen Anzeigen in Zeitungen muss
ebenso erfasst werden wie das Hinterlassen von Mittei-
lungen am Auto oder am Briefkasten des Opfers. Das Ge-
richt muss auch das Bestellen von Waren oder das Abon-
nieren von Zeitschriften unter dem Namen des Opfers
verbieten können. Aufgenommen werden müssen auch
die Veranlassung Dritter zur Kontaktaufnahme und die
Drohung mit Körperverletzung, Nötigung und Freiheits-
beraubung, auch gegenüber dem Opfer nahestehenden
Personen. Unerlässlich ist auch eine Änderung der Straf-
androhung bei Zuwiderhandlung gegen die vollstreckba-
re Anordnung. Vorgesehen werden sollte auch eine Straf-
androhung für besonders schwere Fälle von Stalking,
wenn z. B. der Täter wiederholt gegen die richterliche
Anordnung verstoßen hat oder sein Verhalten das Opfer
in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung
bringt. Der derzeitige Strafrahmen, der Geldstrafe oder
Freiheitsstrafe bis zu 1 Jahr vorsieht, erweckt den Ein-
druck, dass es sich bei Stalking um ein Bagatelldelikt
handelt. Mit einer entsprechenden Änderung des Straf-
rahmens wird diesem Eindruck entgegengewirkt und da-
mit die generalpräventive Wirkung des Gesetzes gestärkt.

– Daneben bedarf es zusätzlicher Maßnahmen zur Stär-
kung des Opferschutzes. Dringend notwendig ist eine
Verfahrensbeschleunigung. Die Möglichkeiten zur be-
schleunigten Abwicklung der Verfahren müssen verstärkt
genutzt werden. Die einstweilige Anordnung ohne münd-
liche Verhandlung und die Anordnung der Wirksamkeit
vor Zustellung an den Antragsteller sind geeignete Maß-
nahmen im Interesse des Opferschutzes. Hohe Bedeutung
muss auch der Möglichkeit zukommen, Anordnungen
schon vor der Zustellung des Beschlusses an den An-
tragsgegner wirksam werden zu lassen. Daneben müssen
geeignete Maßnahmen ergriffen werden, damit die Opfer
besser über die Möglichkeiten, die ihnen das geltende
Recht zur Stalkingbekämpfung gibt, informiert werden.
Wichtig ist die Aufklärung über das Gewaltschutzgesetz
sowohl in der Bevölkerung, als auch bei den betreffenden
Berufsgruppen, die in ihrer Arbeit mit dem Schutz von
Stalkingopfern befasst sind. Die Studie der Arbeitsstelle
für Forensische Psychologie der Technischen Universität
Darmstadt hat ergeben, dass die befragten Opfer in fast
70 Prozent der Fälle Schwierigkeiten hatten, der Polizei
den Ernst ihrer Situation zu vermitteln. Bei der Umset-
zung des Gesetzes sind daher vor allem Polizei, Staatsan-

kenntnis über die gesetzlichen Bestimmungen und Unver-
ständnis über die Nöte der Opfer zeigt, ist es dringend
notwendig, auch Informations- und Sensibilisierungs-
kampagnen für die Justiz anzubieten, um die Akzeptanz
des Gesetzes zu stärken. Notwendig sind auch interdiszi-
plinäre Fortbildungen für Polizei und Justiz. Die Bereit-
schaft der Gerichte, die Regelungen des Gewaltschutz-
gesetzes auszuschöpfen, muss gefördert werden. Ein
kooperierendes Vorgehen von Polizei, Justiz, Frauenhäu-
sern und Beratungseinrichtungen kann zudem in vielen
Fällen den Opfern das sichere Gefühl geben, mit ihren
Problemen nicht allein gelassen zu sein.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf:

1. Einen Gesetzentwurf zur Reform des Gewaltschutzgeset-
zes vorzulegen, der im Interesse des Opferschutzes die
Möglichkeiten zur Stalkingbekämpfung erweitert, indem
neue Tatbestände eingeführt werden und der Strafrahmen
bei Zuwiderhandlung gegen die richterliche Anordnung
erhöht wird;

2. geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um die Aufklärung
über die Rechte aus dem Gewaltschutzgesetz in der Be-
völkerung und insbesondere für die Opfer sicherzustellen;

3. geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um die Akzeptanz
des Gewaltschutzgesetzes bei Polizei und Justiz zu erhö-
hen, insbesondere durch Fortbildungs- und Sensibilisie-
rungskampagnen.

Der Rechtsausschuss beschloss mit den Stimmen der
Fraktionen CDU/CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN gegen die Stimmen der Fraktionen FDP und DIE
LINKE. den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP ab-
zulehnen.

Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN stellte folgenden
Änderungsantrag:

Der Bundestag wolle beschließen:
1. In Artikel 1 Nr. 2 wird § 238 StGB wie folgt geändert:

a) Absatz 1 wird wie folgt geändert:

aa) In der Nummer 3 wird nach dem Komma das
Wort „oder“ angefügt.

bb) In der Nummer 4 wird das Wort „oder“ ge-
strichen.

cc) Die Nummer 5 wird gestrichen.

dd) Nach dem Wort „schwerwiegend“ werden die
Wörter „und unzumutbar“ eingefügt.

ee) Es wird folgender Satz angefügt:

„Die Unzumutbarkeit kann in den Fällen des
Satz 1 Nr. 1 oder 2 insbesondere dadurch entfal-
len, dass die Person in Wahrnehmung überragen-
der öffentlicher Interessen handelt.“

b) Absatz 2 und 3 werden gestrichen und der Absatz 4
wird zu Absatz 2.

2. Artikel 2 wird wie folgt geändert:

a) Die Nummer 1 und 2 werden gestrichen.
waltschaft und Gerichte in besonderer Weise gefordert.
Da sich auch bei den Ermittlungsbehörden häufig Un-

b) Vor der Nummer 3 wird die Nummernangabe „3.“ ge-
strichen.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 9 – Drucksache 16/3641

Begründung
Zu Nummer 1 (Artikel 1 Nr. 2, § 238 StGB)

Zu Buchstabe a

Es werden zwei inhaltliche Änderungen vorgenommen:

– Die Tatbestandsvariante der „anderen vergleichbaren
Handlung“ wird gestrichen (Doppelbuchstabe cc). Ge-
gen diese Formulierung bestehen in Hinblick auf ihre Be-
stimmtheit durchgreifende verfassungsrechtliche Beden-
ken. Zwar mag es strafrechtlich scharf konturierte
Tatbestände geben, in denen der Begriff der „vergleich-
baren Handlung“ noch dem Bestimmtheitserfordernis
genügen kann. Dies gilt jedoch nicht im vorliegenden
Fall. Denn bereits die anderen Tatbestandsvarianten
zeichnen sich teilweise durch eine erhebliche Unbe-
stimmtheit aus (z. B. „Wer die räumliche Nähe des Op-
fers aufsucht“ oder „Dritte veranlasst, … mit diesen
Kontakt aufzunehmen“). Der Begriff der „vergleichba-
ren Handlung“ hat daher im vorliegenden Zusammen-
hang keinerlei Konturen mehr.

– Es wird wieder (wie im Regierungsentwurf) vorgesehen,
dass die Beeinträchtigung der Lebensführung „unzumut-
bar“ sein muss (Doppelbuchstabe dd). Zugleich wird
durch einen neuen Satz 2 klargestellt, dass dieses Krite-
rium die Strafbarkeit ausschließen kann, wenn die betref-
fende Person in Wahrnehmung überragender öffentlicher
Interessen handelt (Doppelbuchstabe ee). Diese Rege-
lung ist aus verfassungsrechtlichen Gründen zu treffen
(Art. 5 GG). Sie begünstigt z. B. Journalisten, die zur Auf-
klärung von gravierenden Missständen und Rechtsver-
stößen in die Gefahr geraten, sich dem Vorwurf beharr-
lichen Nachstellens auszusetzen.

Bei den weiteren Änderungen handelt es sich um Folgeände-
rungen.

Zu Buchstabe b

Die durch die Beschlussempfehlung eingefügten Absätze 2
und 3 sind zu streichen. Ihr alleiniger Zweck ist es, gemein-
sam mit der Änderung des § 112a StPO den Eindruck zu ver-
mitteln, nunmehr sei allgemein eine „Deeskalationshaft“
gegen „Stalker“ möglich. Bereits die jetzige Regelung des
§ 112a StPO ist in der rechtswissenschaftlichen Literatur
überwiegend als Fremdkörper im System der Strafprozess-
ordnung auf Ablehnung gestoßen. Schon deshalb ist jede
weitere Erweiterung bedenklich. Überdies gaukeln die Ab-
sätze 2 und 3 den betroffenen Opfern nur vor, nunmehr könne
in Verbindung mit der Änderung des § 112a StPO wirklich in
den meisten Fällen Haft verhängt werden. Fälle im Sinne des
Absatzes 2 werden in der Praxis jedoch selten sein. Fälle im
Sinne des Absatzes 3 begründen regelmäßig bereits eine
Strafbarkeit nach anderen Vorschriften (z. B. §§ 211, 212
StGB), die die Verhängung von Haft auch ohne Gesetzesän-
derung rechtfertigen können (§ 112 Abs. 3 StPO). Rein sym-
bolische Regelungen sind aber gerade im Strafrecht nicht
wünschenswert.

Zu Nummer 2 (Artikel 2, Änderung der StPO)

Zu Buchstabe a

rung des ohnehin bedenklichen § 112a StPO aus rein symbo-
lischen Gründen ist abzulehnen.

Die Streichung der Nummer 2 erfolgt im Interesse der Be-
troffenen. Es ist nicht wünschenswert, dass Opfer von Nach-
stellungen auf den Privatklageweg verwiesen werden und
damit ihren strafrechtlichen Schutz selbst erkämpfen müs-
sen. Vielmehr begründet die besondere Schutzbedürftigkeit
der betroffenen Opfergruppen gerade regelmäßig ein öffent-
liches Interesse an der Strafverfolgung.

Zu Buchstabe b

Folgeänderung.

Der Rechtsausschuss beschloss mit den Stimmen der Frak-
tionen der CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bei Stimmenthaltung
der Fraktionen FDP und DIE LINKE. den Änderungsantrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN abzulehnen.

Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN stellte ferner fol-
genden Entschließungsantrag:

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

in Zusammenarbeit mit Ländern und Kommunen ein Ge-
samtkonzept zu erstellen und umzusetzen, das mit Hilfe
struktureller Maßnahmen auf allen Ebenen dazu beiträgt,
dass der Schutz für Opfer von Straftaten nach § 238 (beharr-
liche Nachstelllungen) und § 4 (Gewaltschutzgesetz) auch
tatsächlich gewährleistet werden kann. In diesem Rahmen
soll die Bundesregierung:

1. sich für eine sachgerechte bundeseinheitliche Behand-
lung von Strafverfahren wegen Stalkings einsetzen, in-
dem sie gegenüber den JustizministerInnen und –senato-
rInnen der Länder darauf hinwirkt, dass die Richtlinien
für das Straf- und Bußgeldverfahren (RiStBV) dahinge-
hend ergänzt werden, dass das besondere öffentliche In-
teresse an der Strafverfolgung insbesondere bei engen
persönlichen Beziehungen oder bei einer sonstigen Un-
zumutbarkeit der Strafantragstellung durch das Opfer
anzunehmen ist und diese Richtlinien in der Praxis kon-
sequent umgesetzt werden;

2. sich für eine bundesweit sachkundige Behandlung von
Strafverfahren nach dem neuen Stalking-Straftatbestand
sowie wegen Straftaten nach § 4 Gewaltschutzgesetz ein-
setzen, indem sie gegenüber den JustizministerInnen und
–senatorInnen der Länder darauf hinwirkt, dass die
Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren (RiStBV)
um folgende Punkte ergänzt werden:

❍ Bei den Staatsanwaltschaften sind zur Verfolgung von
Straftaten nach § 238 StGB (Stalking) und § 4
GewSchG Sonderzuständigkeiten einzurichten.

❍ Es empfielt sich, bei Aussagen von Opfern einer Straf-
tat nach § 238 (Stalking) oder § 4 GewSchG unver-
züglich, möglichst im Anschluss an die polizeiliche
Vernehmung, eine richterliche Vernehmung im Hin-
blick darauf herbeizuführen, dass Opfer derartiger
Straftaten erfahrungsgemäß nicht selten ihre Aussa-
Zur Streichung der Nummer 1 (Erweiterung des § 112a
StPO) wird grundsätzlich auf oben verwiesen. Eine Erweite-

gen gegen den Angeklagten in der Hauptverhandlung
nicht aufrecht erhalten.

Drucksache 16/3641 – 10 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

❍ Die Staatsanwaltschaft prüft bei Straftaten nach
§ 238 StGB (Stalking) und § 4 GewSchG, ob gegen
den Beschuldigten Haftbefehl zu beantragen ist, weil
bestimmte Tatsachen den verdacht begründen, er wer-
de auf Zeugen in unlauterer Weise einwirken oder ein-
wirken lassen und dadurch die Gefahr droht, dass die
Ermittlung der Wahrheit erschwert werde (Verdunke-
lungsgefahr, § 112 Abs. 1, 2 Nr. 3 Buchstabe b Alter-
native 2, Buchstabe c).

❍ Besteht die dringende Gefahr eines schwerwiegenden
Nachteils für das Wohl der Zeugin oder des Zeugen,
wenn sie oder er in Gegenwart der in der Hauptver-
handlung Anwesenden vernommen wird, so wirkt die
Staatsanwaltschaft auf eine Videovernehmung nach
§ 247a StPO hin.

❍ Die Verurteilung zu Freiheitsstrafe, die nicht zur Be-
währung ausgesetzt wird, ist vor allem dann zu bean-
tragen, wenn zu befürchten ist, dass der Täter erneut
gegen § 238 (Stalking) oder eine Schutzanordnung
nach dem Gewaltschutzgesetz verstoßen wird.

❍ Die Staatsanwaltschaft arbeitet auch mit Stellen zu-
sammen, die sich um die Betreuung von Opfern des
Stalkings oder Straften nach § 4 GewSchG bemühen.

3. auf die Länder einwirken, dass sie für Polizei und Justiz
geeignete Aus- und Fortbildungsmaßnahmen anbieten,
die sie Stalking sensibilisieren und ihnen die Auswirkun-
gen dieser Art der Nachstellungen für die Opfer, Hand-
lungsempfehlungen der einschlägigen Studien und Pro-
jekte sowie die rechtliche Situation nahe bringen.

4. auf die Länder einwirken, dass auch bei der Polizei Son-
derzuständigkeiten und feste AnsprechpartnerInnen für
die Opfer von Stalking geschaffen werden.

5. darauf hinzuwirken, dass Justiz, Polizei sowie Opferbe-
ratungs- und Interventionsstellen eng miteinander ko-
operieren.

6. darauf hinzuwirken, dass die Opferberatungs- und Inter-
ventionsstellen von den Ländern auskömmlich finanziert
werden.

7. darauf hinzuwirken, dass von Seiten der Polizei sehr
frühzeitig Interventionsmaßnahmen vorgenommen wer-
den, um Eskalationen zu vermeiden. Zu solchen Maßnah-
men gehört insbesondere die Gefährderansprache.

8. darauf hinzuwirken, dass die Angebote an täterorientier-
ten Maßnahmen, die auf Hilfestellung, die Bewusst-
machung der eigenen Schuld und auf Verhaltensände-
rung beim Täter abzielen, deutlich ausgebaut werden.

Begründung
Sinn und Zweck eines Straftatbestandes gegen Stalking ist ein
besserer Rechtsgüterschutz für die Opfer. Dies kann aber nur
bei konsequenter Strafverfolgung gelingen. Die Koalition hat
sich dafür entschieden, Stalking im Grundtatbestand nicht als
Offizialdelikt auszugestalten, bei dem die Staatsanwaltschaft
in jedem Fall von Amts wegen ermitteln müsste. Die Tat soll
vielmehr nur auf Antrag verfolgt werden, es sei denn, dass die
Strafverfolgungsbehörde ein besonderes öffentliches Inte-
resse an der Strafverfolgung annimmt. Wird die Tat damit

gestaltet, muss jedoch dafür gesorgt werden, dass die beson-
deren Umstände berücksichtigt werden, die dazu führen, dass
es für das Opfer – etwa aufgrund der engen persönlichen Be-
ziehung zwischen den Beteiligten oder weil der Täter Druck
ausübt – unzumutbar sein kann, Strafantrag zu stellen. Dieses
Phänomen ist insbesondere aus dem Bereich der häuslichen
Gewalt bekannt. Damit Stalking-Opfer nicht von der Staats-
anwaltschaft allein gelassen werden, indem das besondere
öffentliche Interesse verneint wird, muss dem mithilfe der
Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren entgegenge-
wirkt werden. Entsprechende Vorgaben für die Verfolgung
von Körperverletzung werden leider nicht überall konse-
quent genug in die Praxis umgesetzt. Die Einführung entspre-
chender Richtlinien für Stalking-Verfahren sollte zum Anlass
für besondere Schulungsmaßnahmen genommen werden.

Strafrechtliche Regelungen allein schaffen noch keinen wir-
kungsvollen Schutz für die Opfer. Opfer von Stalking oder
häuslicher Gewalt sind zu über 80 Prozent Frauen. Sie erle-
ben häufig, dass ihre Situation nicht ausreichend ernst ge-
nommen und als eine subjektiv wahrgenommene Bedrohung
heruntergespielt wird. Die Täter hingegen werden oftmals
weniger als Straftäter, sondern als Beteiligte eines privaten
Familienkonfliktes behandelt. Der Aktionsplan zur Bekämp-
fung von Gewalt gegen Frauen hat hier bereits sehr viel be-
wirkt, trotzdem gibt es nach wie vor Probleme, gerade beim
Opferschutz. Mit dem Straftatbestand „beharrliche Nach-
stellungen“ kommen außerdem neue Herausforderungen auf
Polizei, Justiz, Behörden zu.

Das „Bremer Modell“ hat gezeigt, wie effektiv die Stalking-
Bekämpfung verbessert werden kann, wenn die Bearbeitung
durch besonders geschulte Beamte erfolgt. Sensibilisierte
und geschulte AnsprechpartnerInnen bei der Polizei können
die Gefährlichkeit der Lage deutlich besser einschätzen und
dem Opfer die passende Unterstützung geben. Auch auf der
Ebene der Staatsanwaltschaft sollten die Länder daher Son-
derzuständigkeiten für Stalking-Verfahren einrichten. Die
Staatsanwältinnen und Staatsanwälte, die in diesen Einhei-
ten mitarbeiten, müssen entsprechend fortgebildet werden
und – ebenso wie die Polizei – mit den einschlägigen Opfer-
beratungs- und Interventionsstellen zusammenarbeiten. Sie
sollten an rechtzeitige richterliche Vernehmungen zur Be-
weissicherung und die Prüfung der Verdunkelungsgefahr als
Haftgrund denken. Sind erneute Verstöße zu erwarten, dürfte
dies den Voraussetzungen einer Strafaussetzung zur Bewäh-
rung entgegenstehen. Die Konfrontation mit dem Täter in
der Hauptverhandlung ist für die Opfer meist eine besondere
Belastung, zumal Stalking-Täter in dem so hergestellten auf-
gezwungenen Kontakt gerade einen Erfolg ihrer Bemühun-
gen sehen können. Daher sollte die Möglichkeit einer Video-
vernehmung durch das Gericht genutzt werden, sofern ihre
Voraussetzungen gegeben sind. Die gleichen Maßnahmen
sind jeweils bei Verfahren wegen Verstößen gegen die
Schutzanordnung nach dem Gewaltschutzgesetz angezeigt.
Die Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren sind ein
geeignetes Instrument, um auf bundeseinheitliche Hand-
habung durch die Staatsanwaltschaften hinzuwirken.

Zum Schutz der Opfer muss in Stalking-Fällen und bei Ver-
stößen gegen eine Wegweisung so früh wie möglich inter-
veniert werden. Gefährderansprachen haben sich als äußerst
– wie die Körperverletzung, aber anders als § 4 Gewalt-
schutzgesetz – als sogenanntes relatives Antragsdelikt aus-

wirkungsvolles Instrument erwiesen. Nach den Angaben
einer der Sachverständigen der Anhörung im Rechtsaus-

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 11 – Drucksache 16/3641

schuss am 18. Oktober 2006 wurde festgestellt, dass der-
artige Interventionen in achtzig Prozent der Fälle zu einer
Beendigung des Stalkings führten.

Nur wenige gewalttätige und stalkende Männer suchen von
sich aus eine Beratung auf. Sie sehen das Problem - sofern
es für sie überhaupt eines gibt - auf Seiten der Frau, nicht bei
sich. Sie sehen daher keinen Anlass, aktiv und eigenverant-
wortlich gegen ihre Übergriffigkeit vorzugehen und sich ggf.
Hilfe zu holen. Täterarbeit, die auf ein Erkennen der Schuld
und auf eine Verhaltensänderung abzielt, ist daher eine sehr
wichtige Maßnahme, die unter Umständen auch zum Opfer-
schutz beitragen kann. Bereits das geltende Recht gibt den
Gerichten die Möglichkeit, die Verhängung einer Bewäh-
rungsstrafe mit der Weisung zu verbinden, an einem sozialen
Trainingskurs teilzunehmen. Diese Möglichkeit sollte ver-
mehrt genutzt werden.

Für die Umsetzung vieler Maßnahmen zur Bekämpfung des
Stalking sind die Länder zuständig. Der Bund hat seinerseits
ein Strafgesetz geschaffen, das den Opfern von Stalking je-
doch nur effektiv helfen kann, wenn bundesweit die oben ge-
nannten Strukturen geschaffen werden. Analog dem Aktions-
plan gegen häusliche Gewalt ist es auch beim ähnlich
gelagerten Phänomen des Stalkings sinnvoll, einen bundes-
weiten Anstoß zu geben, solche Strukturen im Rahmen eines
Gesamtkonzeptes zu schaffen und gemeinsam mit den Län-
dern einen Austausch über „best practices“ in der Bekämp-
fung des Stalking herzustellen.

Der Rechtsausschuss beschloss mit den Stimmen der Frak-
tionen der CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bei Stimmenthaltung der
Fraktionen FDP und DIE LINKE., den Entschließungsantrag
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN abzulehnen.

Die Fraktion DIE LINKE. stellte folgenden Entschließungs-
antrag:

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Der Deutsche Bundestag begrüßt ausdrücklich, dass die
Bundesregierung den Versuch unternimmt, den Opfern
des unter dem Begriff des Stalking bekannten Verhaltens
wirksamer als bisher zu helfen.

2. Die Schaffung eines neuen Straftatbestandes ist aus Sicht
des Deutschen Bundestages ein ungeeignetes Mittel zur
Bekämpfung des Stalking. Ein alle Begehungsformen des
Stalking erfassendes neues Strafgesetz gerät zwangsläu-
fig in einen unlösbaren Konflikt mit dem verfassungs-
rechtlichen Bestimmtheitsgebot aus Art. 103 Abs. 2 GG.

3. Der Deutsche Bundestag ist der Ansicht, dass der vorge-
legte Gesetzentwurf der Bundesregierung für den Opfer-
schutz ungeeignet ist und gegen das Bestimmtheitsgebot
des Art. 103 Abs. 2 GG verstößt.

4. Der Deutsche Bundestag hält demgegenüber sowohl un-
ter systematischen als auch unter praktischen Gesichts-
punkten das Gewaltschutzgesetz für geeignet, wirksamen
Opferschutz zu gewährleisten.

5. Der Deutsche Bundestag ist der Ansicht, dass das Ge-

6. Der Deutsche Bundestag stellt fest, dass Polizei und Jus-
tiz nicht ausreichend über die verschiedenen Erschei-
nungsformen und Entwicklungsverläufe des Stalking in-
formiert sind und dass unter anderem dadurch ein
Anwendungsdefizit der bisher bestehenden gesetzlichen
Regelungen zu verzeichnen ist.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. das Gewaltschutzgesetz zu novellieren und seinen An-
wendungsbereich auf alle für das Stalking typischen Ver-
haltensweisen zu erweitern. Dabei soll durch die Einfüh-
rung eines Auffangtatbestandes dafür Sorge getragen
werden, dass eine Anordnung nach dem Gewaltschutzge-
setz auch bei Handlungen des Täters ergehen kann, die
mit den im bisherigen § 1 Abs. 2 GewSchG erfassten ver-
gleichbar sind. Der Strafrahmen des § 4 GewSchG ist auf
drei Jahre zu erhöhen.

2. sich dafür einzusetzen, dass die Regelungen des Gewalt-
schutzgesetzes in der Praxis konsequenter angewendet
werden. Dazu ist ein Aktionsplan zu erstellen, der dem
Monitoring dient und mindestens die Bereiche Einrich-
tung von Sonderdezernaten bei den Strafverfolgungsbe-
hörden, Einrichtung von Präventionsnetzwerken, Fort-
bildung professioneller und ehrenamtlicher Beteiligter
und die Durchführung wissenschaftlicher Begleitfor-
schung zur Evaluation und Prüfung weiteren Reformbe-
darfs umfasst.

3. eine Aufklärungskampagne zum Phänomen Stalking, sei-
nen Erscheinungsformen und typischen Verläufen, sowie
zu den gesetzlichen Regelungen zum Schutz vor beharr-
lichen Nachstellungen und insbesondere zu den Hilfs-
angeboten für Betroffene zu initiieren.

Begründung
1. Das gesellschaftliche Phänomen des Stalking tritt vielge-

staltig in Erscheinung: Von der physischen Verfolgung
des Opfers, der unerwünschten Kontaktaufnahme über
Dritte oder Telekommunikationsmittel und der unbe-
fugten Bestellung von Waren im Namen des Opfers bis hin
zur Bedrohung mit Verletzung von Leib und Leben und
darüber hinaus reicht das heterogene Feld denkbarer
Verhaltensweisen des Täters, die zu einer unerträglichen
Beeinträchtigung der Lebensgestaltung des Opfers füh-
ren. Das gesetzgeberische Tätigwerden zielt daher richti-
gerweise hauptsächlich auf Handlungen des Täters ab,
die äußerlich sozialadäquat erscheinen und erst aus ihrer
Häufigkeit oder ihrem Kontext heraus zu einer Beein-
trächtigung der Lebensgestaltung des Opfers führen.
Handlungen, die bereits aus sich heraus erkennbar auf
eine Beeinträchtigung der Lebensführung der Betroffe-
nen abzielen, sind in der Regel durch bereits bestehende
Straftatbestände wie Körperverletzung, Nötigung, Bedro-
hung, Sachbeschädigung, Hausfriedensbruch oder Belei-
digung erfasst. Für diese Fälle des schweren Stalking be-
steht daher kein strafrechtlicher Handlungsbedarf für den
Gesetzgeber.

Nach heutigen Erkenntnissen sind Opfer des Stalking in
den allermeisten Fällen Frauen. Der oftmals männliche
Täter entstammt überwiegend aus dem näheren sozialen
waltschutzgesetz im Hinblick auf beharrliche Nachstel-
lungen der Ergänzung bedarf.

Umfeld; in der Hälfte aller Fälle handelt es sich um einen
ehemaligen Partner. Komplexe psychische und soziale

Drucksache 16/3641 – 12 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Sachverhalte liegen dem Phänomen des Stalking daher
zumeist zu Grunde. Nicht weniger häufig sind aber auch
psychische und soziale Probleme auf Seiten der Opfer die
erzielte oder intendierte Folgen der Nachstellungen.

Daher besteht Einigkeit darin, dass die Opfer von
Stalking unter einen wirksamen Schutz der Gesellschaft
gestellt werden müssen und ihnen zugleich die Hilfe zu-
kommen soll, derer sie bedürfen.

2. Ein Dissens besteht jedoch über den richtigen Weg zu
diesem Schutz.

Während in Wissenschaft und Praxis der Versuch unter-
nommen wird, wirksamen Opferschutz auf Grundlage der
tatsächlichen Interessen der Betroffenen und einer ver-
lässlichen empirischen Forschung durchzusetzen, domi-
niert in der Politik strafrechtlicher Aktionismus.

Gerade die Interessen der Opfer verbieten es aber, Öf-
fentlichkeitswirksamkeit einer wirklichen Problemlösung
vorzuziehen. Der vorgelegte Gesetzesentwurf ist aus Op-
fersicht weitgehend nutzlos und aus rechtsstaatlicher
Perspektive verfassungswidrig. Diese Mängel setzen sich
auch in der Formulierungshilfe des Bundesministeriums
der Justiz, die den unausgereiften Gesetzentwurf der
Bundesregierung ersetzen soll, fort: Einerseits greift das
Strafrecht seiner Funktion gemäß erst nach der erfolgten
Rechtsgutsverletzung oder -gefährdung ein. Dann ist es
aber für wirksamen Opferschutz in den allermeisten Fäl-
len zu spät.

Andererseits unterliegt das Strafrecht als schärfstes
Schwert des Rechtsstaats strengen Bindungen. Nach dem
Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG muss für je-
den Bürger erkennbar sein, durch welches Verhalten er
sich strafbar macht und durch welches nicht. Der gesetz-
liche Straftatbestand muss also das strafrechtlich rele-
vante Verhalten genau beschreiben. Diese für den Rechts-
staat elementare Forderung gerät zwangsläufig in einen
unlösbaren Konflikt zu der dargestellten Vielgestaltigkeit
des Phänomens Stalking.

a) Nur durch eine generalklauselartige Umschreibung
ließen sich alle Formen des Stalking erfassen. Eine
solche wäre daher notwendig, um dem Phänomen
strafrechtlich zu begegnen. Dieser Weg, den der Ent-
wurf der Bundesregierung in Gestalt der Formulie-
rungshilfe des Bundesministeriums der Justiz geht, ist
jedoch mit dem Bestimmtheitsgebot aus Art. 103
Abs. 2 GG nicht zu vereinbaren. Eine Vielzahl von
alltäglichen Verhaltensweisen würde durch das Straf-
gesetz erfasst, ohne dass es eine verlässliche Abgren-
zung zwischen strafbarem und rechtmäßigem Verhal-
ten träfe.

Diese Einschätzung teilte zunächst auch die Bundes-
regierung, die zum Entwurf des Bundesrates wie folgt
Stellung nahm: „Der Entwurf enthält neben einer
Vielzahl wenig bestimmter Rechtsbegriffe einen Auf-
fangtatbestand, der nach der Begründung der Tatsa-
che Rechnung tragen soll, dass sich der durch den
„Stalker“ vollführte Terror einer abschließenden ge-
setzlichen Bestimmung entziehe. Der vorgelegte Ent-
wurf begegnet durchgreifenden Bedenken im Hinblick

beispielsweise auch die Recherchetätigkeit der Me-
dien erfasst sein“ (Bundestagsdrucksache 15/5410,
S. 9).

Dennoch ist in den Formulierungshilfen des Bundes-
ministeriums der Justiz als Grundlage der Beschluss-
empfehlung des Rechtsausschusses die zuvor gerügte
Auffangklausel enthalten.

b) Der in Gestalt des ursprünglichen Entwurfs der Bun-
desregierung erfolgte Versuch einer abschließenden
Umschreibung der möglichen Begehungsalternati-
ven, scheitert an der Vielgestaltigkeit des Stalking.
Der Täter müsste nur eine nicht in der Aufzählung
enthaltene Art der Nachstellung wählen und würde
rechtmäßig handeln. Ein solches Strafgesetz liefe in
der Praxis bei gezielt vorgehenden Tätern leer und
würde nur den Anschein einer Hilfe für die Opfer er-
wecken. Ein Strafgesetz, dessen Wirkung sich in der
Symbolik erschöpft, verschleiert aber eher alternative
Lösungsansätze für gesellschaftliche Probleme, als
dass es den Betroffenen hilft.

c) Das zu begrüßende Ziel der Gesetzesinitiativen ist vor
allem der Opferschutz. Die Spirale der Gewalt soll zu
einem Zeitpunkt unterbrochen werden, zu dem es noch
zu keinen Handlungen kam, die nach den bestehenden
Strafvorschriften bereits strafbar sind. Zur Erfüllung
dieses präventiven Zwecks ist der vorliegende Ent-
wurf jedoch ungeeignet.

Da das Strafrecht im Falle des vorgesehenen Stalking-
Grundtatbestandes erst nach dem Eintritt der schwer-
wiegenden Beeinträchtigung der persönlichen Le-
bensgestaltung des Opfers eingreift, entfaltet der Ent-
wurf Relevanz im präventiven Sinne vor allem durch
die Eröffnung der Möglichkeit der Sicherungshaft
nach § 112a Abs. 1 Nr. 1 des Entwurfs. Diese greift
allerdings nur in dem Fall ein, dass ein dringender
Tatverdacht des qualifizierten Stalking vorliegt und
bestimmte Tatsachen auf eine Wiederholungsgefahr
hindeuten.

Die Sicherungshaft wird nach dem Entwurf erst mög-
lich, wenn die „Gefahr durch die Tat“ schon eingetre-
ten ist. In der Regel fallen aber Gefahreintritt und Ver-
wirklichung zusammen, das heißt beispielsweise, die
Gefahr der schweren Gesundheitsbeschädigung mün-
det unmittelbar in eine schwere Körperverletzung.
Damit werden die Opfer in den Eskalationsfällen
nicht geschützt und in der entscheidenden Phase
allein gelassen, sofern sie nicht auf die bereits beste-
henden Möglichkeiten nach dem Gewaltschutzgesetz
oder dem Polizeirecht zurückgreifen.

Die Einführung einer Sicherungshaft für diese Fälle
begegnet zudem Bedenken hinsichtlich der Verhält-
nismäßigkeit.

Die Haft ist verbunden mit einem tiefen Eingriff in die
allgemeine Handlungsfreiheit und die Freiheit der
Person aus Art. 2 Abs. 2 GG. Die Stellung des beson-
deren Haftgrundes der Wiederholungsgefahr im Be-
reich der StPO ist an sich schon problematisch und
systemfremd, da er der Gefahrenabwehr dient. Die
auf das Bestimmtheitsgebot des Artikels 103 des
Grundgesetzes. Von dem sehr weiten Tatbestand kann

Sicherungshaft ist wegen der Unschuldsvermutung
besonders restriktiv zu handhaben. Sie ist nur dann

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 13 – Drucksache 16/3641

verhältnismäßig, wenn es sich um eine besonders
schwere Straftat handelt. Bei den in § 112a I Nr. 1
StPO genannten schweren Sexualstraftaten wird der
ausnahmsweise zulässige vorbeugende Freiheitsent-
zug nach dem Bundesverfassungsgericht damit be-
gründet, dass es dabei um die Bewahrung eines be-
sonders schutzbedürftigen Kreises der Bevölkerung
vor mit hoher Wahrscheinlichkeit drohenden schwe-
ren Straftaten gehe. Dies sind die Delikte: Sexueller
Missbrauch von Schutzbefohlenen (§ 174 StGB), von
Gefangenen, Verwahrten, Kranken und Hilfsbedürfti-
gen in Einrichtungen (§ 174a StGB), von Kindern
(§ 176 StGB) und widerstandsunfähigen Personen
(§ 179 StGB).

Diesen Straftaten steht das Stalking in seiner qualifi-
zierten Form aber nicht gleich. Die Erfüllung der
hohen Anforderungen, die das Bundesverfassungsge-
richt an die Schwere des Eingriffs zur Rechtfertigung
der Anordnung von Sicherungshaft gestellt hat, ist bei
der Weite der von den Qualifikationstatbeständen er-
fassten Handlungsweisen nicht gewährleistet. Dieser
Ansicht war zunächst auch die Bundesregierung, die
gegenüber dem Vorschlag des Bundesrates feststellte:
„Keineswegs genügt die vorgeschlagene Ausweitung
des Katalogs der Anlasstaten in § 112a StPO den ver-
fassungsrechtlichen Anforderungen, die an den Haft-
grund der Wiederholungsgefahr zu stellen sind.“
Dennoch hat sie nun diese Ausweitung weitgehend
übernommen.

Das Ziel eines früheren Schutzes der Opfer wird auch
dadurch konterkariert, dass es sich bei dem Grundtat-
bestand des Stalking um ein relatives Antragsdelikt
handelt, d.h. der oder die Betroffene in der Regel erst
von sich aus aktiv werden muss, um die Verfolgbarkeit
der Tat herzustellen.

3. Das Phänomen des Stalking war bereits bei der Einfüh-
rung des Gewaltschutzgesetzes bekannt. Deshalb wurden
die zu dieser Zeit als Stalking erkannten Handlungen in
§ 1 Absatz 2 GewSchG erfasst.

Das Gewaltschutzgesetz bietet den Betroffenen die Mög-
lichkeit eine einstweilige Anordnung zu erwirken, die
dem Adressaten bestimmte Verhaltensweisen wie die
Kontaktaufnahme oder den Aufenthalt in einem bestimm-
ten Umkreis zur Wohnung des oder der Betroffenen unter-
sagt.

Der Verstoß gegen eine solche vollstreckbare Anordnung
wird mit einer Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr oder
mit Geldstrafe bestraft. Dadurch, dass die Anordnung
nach dem Gewaltschutzgesetz einerseits jedes belästi-
gende Verhalten des Stalkers erfassen kann und anderer-
seits durch die konkrete Anordnung der Adressat in die
Lage versetzt wird, zu erkennen, welches Verhalten er zu
unterlassen hat, um sich nicht strafbar zu machen, eignet
sich das Gewaltschutzgesetz zum Schutz der Betroffenen,
ohne mit dem Bestimmtheitsgebot aus Art. 103 Abs. 2 GG
in Konflikt zu geraten.

Weitere Vorteile des Verfahrens nach dem Gewaltschutz-
gesetz sind, dass zum Erlass der Unterlassungsverfügung

Verstöße gegen die ergangene Anordnung von Amts we-
gen, also ohne weiteres Handeln des Opfers verfolgt wer-
den.

Verbesserungsbedarf besteht allerdings noch insoweit,
als dass § 1 GewSchG nicht alle möglichen Erschei-
nungsformen des Stalking erfasst. Daher ist eine Erwei-
terung desselben notwendig. Da es sich bei § 1 des
GewSchG nicht um ein Strafgesetz handelt, sondern um
die Rechtsgrundlage zivilrechtlicher Anordnungen, bietet
sich insoweit auch ein Auffangtatbestand für „vergleich-
baren Handlung“ an. Dieser würde umfassenden Schutz
bei allen denkbaren Stalkinghandlungen bieten.

Der Strafrahmen des § 4 GewSchG sollte auf drei Jahre
erhöht werden, damit das Stalking nicht als Bagatellde-
likt erscheint und auf die unterschiedlichen Unrechtsge-
halte der konkreten Taten angemessen reagiert werden
kann.

4. Die Erstellung eines Aktionsplans ist notwendig, um die
effektive Umsetzung des Gewaltschutzgesetzes zu ge-
währleisten. Bereits jetzt werden in der Praxis die Män-
gel des bestehenden Schutzes für Opfer von häuslicher
Gewalt oder Stalking vor allem in der Umsetzung des
Rechts und nicht in der Rechtslage gesehen. Um die
effektive Umsetzung der reformierten Rechtslage sicher-
zustellen, bedarf es daher vor allem einer Fortbildung
der mit dem Phänomen Stalking professionell Beschäftig-
ten. Doch auch der ehrenamtliche Bereich der Opferhilfe,
-beratung oder -betreuung muss als wichtiger Baustein
der Prävention und Nachsorge von Fortbildungsmög-
lichkeiten partizipieren können.

Eine wissenschaftliche Forschung muss Grundlage jedes
kriminalpolitischen Handelns sein, dies muss gerade in
einem sozial und psychologisch komplexen Bereich wie
demjenigen des Stalking gelten.

Der Rechtsausschuss beschloss mit den Stimmen der Frak-
tionen CDU/CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
gegen die Stimmen der Fraktion DIE LINKE. bei Stimm-
enthaltung der Fraktion der FDP, den Entschließungsantrag
der Fraktion DIE LINKE. abzulehnen.

Die Fraktion der SPD erklärte, über ein Stalkinggesetz sei
jahrelang diskutiert worden, man habe sich eingehend damit
befasst; es sei an der Zeit, den Opfern nunmehr den dringend
benötigten Schutz zu geben. Gerade mit Blick auf das Be-
stimmtheitsgebot sei der Grundtatbestand als Erfolgsdelikt
ausgestaltet worden. Auch die Sachverständigenanhörung
habe ergeben, dass hiergegen keine Bedenken bestünden.

IV. Zur Begründung der Beschlussempfehlung

1. Allgemeines

Aufgrund der Beratungen des Gesetzentwurfs empfiehlt der
Ausschuss Änderungen zu den Artikeln 1 und 2 des Gesetz-
entwurfs der Bundesregierung, die im Wesentlichen Vor-
schläge des Bundesrates zur Einfügung eines Auffangtat-
bestandes (§ 238 Abs. 1 Nr. 5 StGB) sowie von Qualifika-
tionstatbeständen (§ 238 Abs. 2 und 3 StGB) und zur
bereits die Glaubhaftmachung seitens des Opfers genügt,
hierbei anwaltliche Vertretung statthaft ist und eventuelle

Erweiterung des Katalogs der Anlasstaten in § 112a StPO
aufgreifen.

Drucksache 16/3641 – 14 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

2. Zu den einzelnen Vorschriften

Im Folgenden werden lediglich die vom Rechtsausschuss
beschlossenen Änderungen gegenüber der ursprünglichen
Fassung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung erläutert.
Soweit der Ausschuss den Gesetzentwurf der Bundes-
regierung unverändert angenommen hat, wird auf die jewei-
lige Begründung des Gesetzentwurfs (Bundestagsdruck-
sache 16/575, S. 6 ff.) verwiesen.

Zu Artikel 1 (Änderung des Strafgesetzbuches)

● Der neue Straftatbestand soll im 18. Abschnitt, der die
Straftaten gegen die persönliche Freiheit enthält, als
neuer § 238 eingegliedert werden. Typische Folge von
Stalkinghandlungen ist die massive Beeinträchtigung der
Freiheitssphäre des Opfers. Diese steht in ihrem Schwe-
regrad der Einschränkung der Freiheit zur Ortsverände-
rung (§ 239) nicht nach. Nicht selten ist die Behinderung
der Fortbewegungsfreiheit eine Konsequenz des Täter-
verhaltens. Dies rechtfertigt den Standort in unmittelba-
rem Zusammenhang mit der Freiheitsberaubung (§ 239)
in dem nach gesetzgeberischen Maßnahmen der Vergan-
genheit weggefallenen § 238.

● § 238 Abs. 1 Nr. 5

Der als Erfolgsdelikt mit vier konkret bezeichneten Hand-
lungsalternativen ausgestaltete Grundtatbestand wird un-
ter Nummer 5 um einen Auffangtatbestand ergänzt. Ein
Auffangtatbestand vermeidet Strafbarkeitslücken für sol-
che Verhaltensweisen, die sich nicht unter eine der vor-
gesehenen Fallgruppen subsumieren lassen und ermög-
licht es, künftigen technischen Entwicklungen Rechnung
zu tragen. Damit wird der für das Phänomen Stalking
typischen Vielgestaltigkeit möglicher Verhaltensformen
Rechnung getragen. Über die von § 238 Abs. 1 Nr. 1 bis 4
erfassten wesentlichen Verhaltensweisen hinaus ist Num-
mer 5 insbesondere erforderlich, um auf neu auftretende
Verhaltensweisen reagieren zu können.

Auffangtatbestände finden sich bereits heute im Strafge-
setzbuch (§ 315 Abs. 1 Nr. 4, § 315b Abs.1 Nr. 3). Gegen
diese Regelungen können durchgreifende Bedenken mit
Blick auf das Bestimmtheitsgebot nicht geltend ge-
macht werden. Ein Auffangtatbestand ist im Bereich des
Stalking erforderlich, weil vielfältige, häufig wechselnde
und immer neue Angriffsformen, die durch konkret um-
schriebene Handlungsalternativen nicht abschließend er-
fasst werden können, für dieses Delikt typisch sind. Es
handelt sich um eine verfassungsrechtlich zulässige, ge-
setzlich angeordnete innertatbestandliche Analogie. Ihre
Auslegung hat sich an den vier konkret beschriebenen
Handlungsalternativen des § 238 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 zu
orientieren. Erfasst werden Handlungen, die den in § 238
Abs. 1 Nr. 1 bis 4 genannten ihrer Bedeutung nach ent-
sprechen, also sowohl quantitativ als auch qualitativ eine
vergleichbare Schwere aufweisen und in ihrem Hand-
lungs- und Erfolgsunwert diesen gleichkommen.

● Schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung

Die kumulative Verwendung der Begriffe „schwerwie-
gend“ und „unzumutbar“ im Gesetzentwurf der Bundes-

aber nicht unzumutbar sein könnte und umgekehrt. Im
Hinblick darauf, dass beide Begriffe einerseits aus-
legungsbedürftig sind und andererseits Vergleichbares
beschreiben, soll aus Klarstellungsgründen ausschließ-
lich an eine schwerwiegende Beeinträchtigung der
Lebensgestaltung des Opfers angeknüpft werden. Der
Begriff „schwerwiegend“ wird in der Rechtsordnung
vielfach verwendet. Erfasst werden damit im konkreten
Kontext ins Gewicht fallende, gravierende und ernst zu
nehmende Beeinträchtigungen, die über durchschnitt-
liche, regelmäßig hinzunehmende und zumutbare Be-
einträchtigungen erheblich und objektivierbar hinaus-
gehen.

● § 238 Abs. 2

In Fällen, in denen durch eine Tat nach Absatz 1 für das
Opfer oder eine ihm nahestehende Person die konkrete
Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschä-
digung herbeigeführt worden ist, reicht der Strafrahmen
des Grundtatbestandes zur Ahndung nicht aus. Der er-
höhte Strafrahmen von drei Monaten bis zu fünf Jahren
trägt dem gegenüber dem Grundtatbestand gesteigerten
Unrechts- und Schuldgehalt einschlägiger Taten ange-
messen Rechnung.

Der Begriff der schweren Gesundheitsschädigung wird
bereits jetzt im StGB verwendet. Zur Begriffsbestim-
mung kann auf Rechtsprechung und Literatur zurückge-
griffen werden (vgl. zur schweren Gesundheitsschädi-
gung Tröndle/Fischer, StGB, 53. Auflage 2006, § 306b
Rn. 4). Der Begriff reicht weiter als der der schweren
Körperverletzung im Sinne des § 226 StGB.

Die Einbeziehung von Angehörigen und sonst naheste-
henden Personen in den Qualifikationstatbestand er-
scheint mit Blick auf die Typik des Stalking geboten. Oft-
mals schrecken die Täter vor Pressionen gegenüber dem
sozialen Umfeld des Opfers nicht zurück. Auch im Übri-
gen sind die dem Opfer nahestehenden Personen – für
den Täter erkennbar und von diesem jedenfalls billigend
in Kauf genommen – von zahlreichen Stalkinghandlun-
gen mit betroffen.

● § 238 Abs. 3

§ 238 Abs. 3 normiert eine Erfolgsqualifikation für die
Verursachung des Todes. In Betracht kommen neben
Sachverhalten, in denen das Opfer durch den Täter in
den Selbstmord getrieben wird, auch Konstellationen, in
denen das Opfer oder ihm nahestehende Menschen auf
der Flucht vor dem nachstellenden Täter zu Tode kom-
men. Die Erstreckung der Qualifikationstatbestände auf
Angehörige oder andere dem Opfer nahestehende Perso-
nen ist erforderlich, weil von den Stalkinghandlungen
typischerweise nahestehende Dritte (beispielsweise Kin-
der, Lebenspartner) häufig unmittelbar mit betroffen sind.

Zu Artikel 2 (Änderung der Strafprozessordnung)

Zu Nummer 1 (§ 112a Abs. 1 Nr. 1)

Durch die Erweiterung des Straftatenkatalogs des § 112a
Abs. 1 Nr. 1 um die qualifizierten Tatbestände in § 238
Abs. 2 und 3 StGB wird für eskalierende Fallkonstellationen
regierung wirft die Frage auf, welche Beeinträchtigung
der Lebensgestaltung des Opfers zwar schwerwiegend,

die Möglichkeit eröffnet, besonders gefährliche Täter in Haft
zu nehmen, um dadurch vorhersehbaren schwersten Straf-

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 15 – Drucksache 16/3641

taten gegen Leib und Leben vorzubeugen. Nach den Erfah-
rungen der Praxis kann dem Opfer in gravierenden Fällen
nur dadurch wirksam geholfen werden, dass die bereits ein-
getretene Eskalation durch die Verhängung von Unter-
suchungshaft unterbrochen wird. In diesem Bereich kann
nach geltendem Haftrecht nicht rechtzeitig interveniert wer-
den. So liegen etwa in der Regel die Voraussetzungen des
§ 112 nicht vor, weil es sich bei den Tätern um ansonsten
strafrechtlich noch nicht in Erscheinung getretene Personen
in geordneten sozialen Verhältnissen handelt. Die zeitlich
eng begrenzte Ingewahrsamnahme nach Polizeirecht bietet
ebenfalls keine effektive Handhabe. Auch bei Stalking, das
nur gegen Anordnungen des Gewaltschutzgesetzes ver-
stößt, zugleich aber das Opfer massiv beeinträchtigt, können
keine sofortigen strafrechtlichen Zwangsmaßnahmen ergrif-
fen werden. Nach geltender Rechtslage ist die Anordnung
der Untersuchungshaft erst dann möglich, wenn bereits
schwerwiegende Verletzungshandlungen verwirklicht wor-
den sind. Zukünftig kann bereits dann interveniert werden,
wenn eine konkrete Gefahr eingetreten ist.

In Fällen, in denen der Täter für das Opfer oder eine diesem
nahestehende Person eine konkrete Gefahr des Todes oder

einer schweren Gesundheitsschädigung herbeigeführt hat
und die übrigen Voraussetzungen des § 112a vorliegen, ist
die Anordnung von Untersuchungshaft ein zulässiges und
erforderliches Mittel, um angemessenen Schutz für außerge-
wöhnlich stark betroffene Stalkingopfer zu gewährleisten.
Dieser Personenkreis ist besonders schutzwürdig. Weiterhin
besteht in diesen Fällen eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass
weitere gravierende Straftaten mit der Gefahr massiver
Schädigungen der Opfer drohen. Schwere Gesundheitsschä-
digungen im Sinne des § 238 Abs. 2 StGB sind nach ihrer
Wertigkeit mit den von § 224 StGB erfassten Fällen, die be-
reits nach geltender Rechtslage in den Anwendungsbereich
des § 112a fallen, vergleichbar. Zugleich bestehen gerade in
diesen Fällen erheblicher konkreter Gefahren bislang keine
zureichenden rechtlichen Möglichkeiten, um Stalker in Un-
tersuchungshaft zu nehmen.

Die beabsichtigte Aufnahme der Tatbestände des § 238
Abs. 2 und 3 StGB in § 112a Abs. 1 Nr. 1 ergibt sich aus der
rechtsethischen Vergleichbarkeit dieser qualifizierten Nach-
stellungstaten mit den dort enthaltenen Straftaten gegen die
sexuelle Selbstbestimmung und der auch bei Stalkern beste-
henden hohen Wiederholungs- und Rückfallgefahr.

Berlin, den 29. November 2006

Ute Granold
Berichterstatterin

Christine Lambrecht
Berichterstatterin

Joachim Stünker
Berichterstatter

Jörg van Essen
Berichterstatter

Sevim Dagdelen
Berichterstatterin

Irmingard Schewe-Gerigk
Berichterstatterin

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