BT-Drucksache 16/3302

Bundesweite Mindeststandards für angemessenen Wohnraum und Wohnkosten für Bezieherinnen und Bezieher von Arbeitslosengeld II

Vom 7. November 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/3302
16. Wahlperiode 07. 11. 2006

Antrag
der Abgeordneten Heidrun Bluhm, Katrin Kunert, Dr. Gesine Lötzsch,
Dr. Dietmar Bartsch, Dr. Lothar Bisky, Eva Bulling-Schröter, Roland Claus,
Lutz Heilmann, Hans-Kurt Hill, Katja Kipping, Michael Leutert, Dorothee Menzner,
Kornelia Möller, Volker Schneider (Saarbrücken), Dr. Ilja Seifert, Dr. Kirsten
Tackmann, Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und der Fraktion DIE LINKE.

Bundesweite Mindeststandards für angemessenen Wohnraum und Wohnkosten
für Bezieherinnen und Bezieher von Arbeitslosengeld II

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

in der Absicht, erzwungene Umzüge als Folge der Aufforderung zur Senkung
der Wohnkosten zu vermeiden, die soziale Entmischung in den Wohngebieten
zu verhindern sowie Bezieherinnen und Beziehern von Arbeitslosengeld II ein
weitestgehend selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen, bundesweit einheitliche
Mindeststandards für angemessenen Wohnraum und für die angemessene Er-
stattung von Aufwendungen für Wohnkosten für Bezieherinnen und Bezieher
von Arbeitslosengeld II zu formulieren.

Gemäß § 27 (Verordnungsermächtigung) des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch
(SGB II) – Grundsicherung für Arbeitsuchende – wird das Bundesministerium
für Arbeit und Soziales ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Bundes-
ministerium für Finanzen und dem Bundesministerium für Gesundheit durch
Rechtsverordnung folgende Kriterien zu bestimmen:

1. Im ersten Jahr des Leistungsbezuges werden die bisherigen Wohnkosten in
voller Höhe übernommen.

2. Für die Festlegung der Angemessenheit gilt als Bezugspunkt die Miete ein-
schließlich der Kosten für Heizung und Warmwasser sowie aller Wohnneben-
kosten (Betriebskosten). Die Regelleistung bleibt hierdurch unberührt.

3. Die angemessene Grundfläche einer Wohnung bestimmt sich mindestens
nach den Maßgaben der Förderwürdigkeit im sozialen Wohnungsbau ent-
sprechend den Verwaltungsvorschriften der Länder zum Wohnungsbin-
dungsgesetz. Die Wohnungsgröße gilt demnach in der Regel dann als
angemessen, wenn sie es ermöglicht, dass auf jedes Familienmitglied ein

Wohnraum ausreichender Größe entfällt. Darüber hinaus sind auch be-
sondere persönliche und berufliche Bedürfnisse der Leistungsbezieherinnen
und -bezieher und ihrer Angehörigen sowie der nach der Lebenserfahrung in
absehbarer Zeit zu erwartende zusätzliche Raumbedarf zu berücksichtigen.
Für Menschen mit Behinderung finden die Regelungen nach DIN 18022,
18025/1 und 18025/2 Anwendung.

Drucksache 16/3302 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
4. Die Festsetzung der angemessenen Wohnkosten nimmt Bezug auf den ört-
lichen Mietspiegel bzw. die örtliche Vergleichsmiete, deren Mittelwerte
nicht unterschritten werden dürfen.

5. Sofern die Wohnkosten die Maßgaben der Angemessenheit nach Ablauf der
Frist (ein Jahr) übersteigen, ist vor Aufforderung zur Wohnkostenreduzie-
rung für jeden Einzelfall die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme zu prüfen.
Nach dieser Verhältnismäßigkeitsprüfung werden die Kosten der Wohnung
für sechs Monate, in besonders begründeten Fällen für zwölf Monate über-
nommen.

6. Die Leistungsbeziehenden haben Anspruch auf eine kostenlose, unabhän-
gige Mieterberatung zur Überprüfung der Wohnkosten.

7. Auf Maßnahmen zur Wohnkostensenkung wird bei folgenden Personen-
gruppen bzw. Sachverhalten verzichtet:

– bei schwer kranken oder behinderten Menschen;

– bei über 60-Jährigen nach längerer Wohndauer;

– bei einmaligen oder kurzfristigen Hilfen;

– bei Alleinerziehenden mit zwei oder mehr Kindern.

8. Die Wohnkosten können bei bestehendem Wohnraum um zehn Prozent
überschritten werden bei folgenden Personengruppen oder Sachverhalten:

– wenn im Haushalt Kinder leben;

– bei einer Wohndauer von mehr als zehn Jahren;

– bei Vorhandensein wesentlicher sozialer Beziehungen im Wohnumfeld,
die der Stabilisierung dienen;

– bei über 60-Jährigen;

– bei Schwangeren;

– bei Aussicht auf in absehbarer Zeit kostendeckende Einkünfte.

9. Vor einem möglichen Wohnungswechsel infolge der Aufforderung zur
Senkung der Wohnkosten ist für jeden Einzelfall eine Wirtschaftlichkeits-
berechnung zu erstellen. Die Einleitung geeigneter Schritte soll ausschließ-
lich unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit
erfolgen.

10. Bei unvermeidbarem Wohnungswechsel sind den Leistungsbeziehenden die
doppelte Mietzahlung im Umzugsmonat, die mittelbaren und unmittelbaren
Umzugskosten, Beihilfen gemäß § 23 Abs. 3 Nr. 1 SGB II (Erstausstattun-
gen für die Wohnung) zu erstatten, und es ist die Zahlung einer ggf. fälligen
Kaution durch den Leistungsträger zu übernehmen.

11. Bei unvermeidbarem Wohnungswechsel sind den Leistungsbeziehenden die
Kosten für Schönheitsreparaturen bzw. Renovierungsmaßnahmen für die zu
räumende Wohnung zu erstatten.

12. Die Verwaltungsvorschriften über die Angemessenheit von Wohngröße und
Wohnkosten gemäß den o. g. Mindeststandards sind so zu veröffentlichen,
dass eine einfache, flächendeckende Information der Betroffenen ohne tech-
nische Hilfsmittel (z. B. Internet) gewährleistet ist.

Berlin, den 7. November 2006

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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