BT-Drucksache 16/2610

zu der ersten Beratung des Antrags der Bundesregierung -16/2572- Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der United Nations Interim Force in Lebanon (UNIFIL) auf Grundlage der Resolution 1701 (2006) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 11. August 2006

Vom 18. September 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/2610
16. Wahlperiode 18. 09. 2006

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Jürgen Trittin, Winfried Nachtwei, Kerstin Müller (Köln), Fritz
Kuhn, Renate Künast, Volker Beck (Köln), Alexander Bonde, Dr. Uschi Eid, Thilo
Hoppe, Ute Koczy, Omid Nouripour, Claudia Roth (Augsburg), Christine Scheel,
Rainder Steenblock und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

zu der ersten Beratung des Antrags der Bundesregierung
– Drucksache 16/2572 –

Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der United Nations Interim Force
in Lebanon (UNIFIL) auf Grundlage der Resolution 1701 (2006) des Sicherheitsrates
der Vereinten Nationen vom 11. August 2006

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Der Antrag der Bundesregierung zur Beteiligung deutscher Streitkräfte an
der UNIFIL-Mission beschreibt die Ausgestaltung des Mandats der Ver-
einten Nationen (VN) und die militärischen Einsatzbedingungen. Dagegen
fehlen wichtige umfassende Überlegungen zur politischen Einbettung der
Mission, Ansätze für eine regionale Perspektive und die Reflektion der
besonderen Bedingungen der deutschen Beteiligung.

2. Seit dem Rückzug der israelischen Armee aus dem Südlibanon im Jahr 2000
hat die Hisbollah wiederholt Zivilisten im Norden Israels mit Raketen be-
schossen. Die libanesische Regierung war nicht in der Lage, dies zu ver-
hindern und die international geforderte Entwaffnung der Milizen durch-
zusetzen. Auch die seit 1978 im Libanon stationierte UNIFIL-Truppe war
nicht berechtigt und nicht in der Lage, die völkerrechtswidrigen Angriffe
auf Israel zu unterbinden. Bei dem Überfall der Hisbollah-Miliz auf eine
israelische Grenzpatrouille wurden am 12. Juli dieses Jahres acht israelische
Soldaten getötet und zwei weitere entführt. Israel durfte sich dagegen vertei-
digen und hat mit einer Militäroperation geantwortet.

Die damit verbundene Zerstörung ziviler Infrastruktur im Libanon, der Be-

schuss und die Vertreibung von Zivilisten waren unverhältnismäßig. Dabei
kam es auch zum Einsatz von Streubomben, deren internationale Ächtung
wir anstreben. Im Libanon hat der Krieg über 1 100 Tote gefordert – neben
Kämpfern der Hisbollah vor allem Zivilisten – und enorme humanitäre Nöte
hervorgerufen. Im Kriegsverlauf hat die Hisbollah, die die Existenz Israels
nicht anerkennt und vom Iran über Syrien massiv mit Waffen beliefert
wurde, ihr Bedrohungspotential mit dem Abschuss von nahezu 4 000 Rake-

Drucksache 16/2610 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

ten auf ausschließlich zivile Ziele und über 40 getöteten israelischen Zivilis-
ten unter Beweis gestellt. Beide Kriegsparteien sahen sich nach Ende des
Krieges massiver Kritik an ihrer Kriegsführung, z. B. von Amnesty Inter-
national, gegenüber.

Das Ziel der israelischen Regierung, eine militärische Zerstörung der His-
bollah zu erreichen, das von den USA mitgetragen wurde, konnte nicht er-
reicht werden. Das Signal der Abschreckung misslang. Die Bemühungen der
VN, durch einen sofortigen Waffenstillstand zu einem schnellen Ende der
Kampfhandlungen zu kommen, wurden von den USA blockiert und von der
Bundesregierung nur halbherzig unterstützt. Einmal mehr hat sich gezeigt:
Die Konflikte des Nahen Ostens sind nicht mit Mitteln des Krieges und der
Gewalt zu lösen.

3. Die VN-Resolution 1701 (2006) vom 11. August 2006 hat die Grundlage
dafür gelegt, dass endlich die Kriegshandlungen beendet, humanitäre Hilfe
geleistet und der Wiederaufbau angegangen werden konnten. Die VN-Reso-
lution sieht ein qualitativ und quantitativ verstärktes internationales Engage-
ment im Libanon vor. Sie dient der Wiederherstellung der Souveränität und
Handlungsfähigkeit der libanesischen Regierung. Bislang war die libanesi-
sche Regierung nicht in der Lage, die Resolutionen der Vereinten Nationen,
die eine Entwaffnung der Milizen vorsehen, wirksam umzusetzen.

4. Der Deutsche Bundestag begrüßt die weithin akzeptierte Stärkung des
UNIFIL-Mandates. Mit der zugesagten Unterstützung stehen die EU und
Deutschland vor einer bedeutenden, aber auch risikobehafteten Aufgabe in
der Region. An die deutsche EU-Präsidentschaft werden ab Jahresbeginn
2007 hinsichtlich des politischen Beitrags zur Wiederbelebung und Weiter-
entwicklung des Friedensprozesses im Nahen und Mittleren Osten beson-
dere Anforderungen gestellt. Der Erfolg der Mission ist für die Zukunft der
Region, aber auch für den außenpolitischen Einfluss der EU und der Ver-
einten Nationen bei der Mitgestaltung der Lösung der regionalen Konflikte
grundlegend. Stabilität und eine tragfähig Zweistaatenlösung zwischen
Israel und Palästina sowie eine friedliche Koexistenz Israels mit den ara-
bischen Nachbarstaaten liegen im elementaren Interesse sowohl der Region
als auch Europas.

Um die Grundlage für diesen Erfolg zu legen, sind folgende Voraussetzungen
notwendig:

a) Deutschlands hat eine besondere Verantwortung gegenüber Israel und ein ele-
mentares Interesse an einem dauerhaften Frieden im Nahen Osten: Deshalb
bedarf es einer Unterstützung der VN-Mission. Neben dem zivilen und poli-
tischen Engagement kann auch eine im Risiko überschaubare und begrenzbare
maritime deutsche Beteiligung an UNIFIL einen legitimen und wichtigen Bei-
trag darstellen. In diesem Zusammenhang ist von entscheidender Bedeutung,
dass neben der libanesischen auch die israelische Regierung um deutsche
militärische Hilfe gebeten hat. Grundbedingung jeder deutschen Beteiligung
ist ein Ausschluss jeglicher militärischer Konfrontation mit Israel aufgrund
der Vergangenheit der Shoa und der besonderen deutschen Verantwortung für
Israel. Deshalb kann Deutschland an einem Landeinsatz nicht teilnehmen.
Zugleich kann eine deutsche Beteiligung einen wichtigen Beitrag auch zur
Sicherheit des Staates Israel darstellen. Das europäische Engagement ist ein
Beitrag zur Schaffung zuverlässiger und dauerhafter Sicherheitsgarantien, die
Vertrauen in Stabilität erzeugen können. Dabei muss Deutschland ehrlicher
Makler für alle Beteiligten bleiben. Nur so können wir der Rolle gerecht wer-
den, wie sie maßgeblich von dem ehemaligen Bundesminister des Auswärti-

gen, Joseph Fischer, geprägt wurde.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/2610

b) Stärkung der Souveränität des Libanon: Stärkung der libanesischen Regie-
rung, Wiederaufbau und weit reichende humanitäre Hilfe sind die Ziele, die
durch den deutschen Beitrag unterstützt werden sollen. Die Bundesregie-
rung muss gewährleisten, dass militärisches Engagement einhergeht mit hu-
manitärer Hilfe, Programmen zur Stärkung schwacher staatlicher Strukturen
und einer Unterstützung des politischen Gesamtprozesses sowie der Versöh-
nung und des nationalen Dialogs zwischen allen Parteien und Gruppierun-
gen im Libanon. Das Bedrohungspotential der Hisbollah kann nur beseitigt
werden durch Fortschritte im politischen Prozess im Innern des zu stär-
kenden Staates Libanon auf der Grundlage der Taif-Vereinbarung und der
Sicherheitsratsresolutionen 1559 (2004), 1680 (2006) und 1701 (2006). Die
richtige Strategie liegt deshalb in der politischen Einbindung der Hisbollah
und einer schrittweisen Beendigung ihrer Existenz als Miliz. Sollte dieser
politische Prozess scheitern, drohen neue Konfrontationen, die auch den
Erfolg der internationalen Truppe gefährden würden. Deshalb ist jede Zeit-
verzögerung bei der Gestaltung der politischen Initiativen zu vermeiden.

c) Verantwortungsvolle und kluge Diplomatie sind die Grundbedingung für
Fortschritte im Nahen Osten: Die erstmalige massive internationale Präsenz,
insbesondere der EU, die auch von Israel gewünscht wird, ist bereits ein
wichtiger Fortschritt. Dies könnte mögliche Präzedenzwirkung für den isra-
elisch-palästinensischen Konflikt und weitere regionale Konfliktlösungen
haben. Wer wie der amerikanische Präsident George W. Bush die Situation
im Nahen Osten nur durch die Brille des „Krieges gegen den Terrorismus“
sieht, wird diese Krise nicht bewältigen können. Terror und Krieg lösen kein
politisches Problem. Nur durch politische Verhandlungen und Einigungen
können Konflikte gelöst werden. Das Scheitern von Gewalt und Gegen-
gewalt ist evident. Deswegen sind Respekt, Anerkennung und Dialog die
Basis eines Friedensprozesses, der jetzt begonnen werden muss. Hierzu
gehören auch die Freilassung der Geiseln, der Austausch von Gefangenen
sowie direkte Gespräche.

d) Ein neuer Anlauf zum Frieden in Nahost: Hierzu bedarf es neben der
Wiederherstellung der Staatlichkeit im Libanon und gesicherter Grenzen für
Israel, der Wiederherstellung der territorialen Integrität Syriens und einer
Zweistaatenlösung zwischen Israel und Palästina. Die Gespräche zwischen
Israelis und Palästinensern müssen wieder aufgenommen werden. Friedens-
initiativen aus der Region wie die arabische Initiative von 2002 und vor-
handene Ansätze wie die sog. Road Map müssen wieder belebt, Gespräche
über regionale Sicherheitsstrukturen müssen aufgenommen werden. Es gilt,
die Voraussetzungen für die Einberufung einer Konferenz über Sicherheit
und Zusammenarbeit der Region zu schaffen. Schließlich bleibt das ira-
nische Atomprogramm als anhaltendes Problem für die internationale Ge-
meinschaft und als besondere Bedrohung Israels. Aber auch dieses Problem
wird nur über den Verhandlungsweg und mit zivilen Mitteln zu lösen sein.
Jeder Militärschlag gegen den Iran wäre ein Schlag auch gegen das Engage-
ment der VN im Libanon und könnte einen Flächenbrand in der Region und
eine Gefährdung im Libanon bedeuten. Verantwortungsvolle und kluge Di-
plomatie für den Libanon muss militärisches Vorgehen im Iran ausschließen.

e) Die EU muss die Rolle der Vereinten Nationen und multilaterale Ansätze
nachdrücklich stärken: Die Forderungen Kofi Annans während des Krieges
wurden zu spät erfüllt. Um eine Beschädigung der Vereinten Nationen zu
verhindern, ist es wichtig, ihre Rolle bei der Herstellung von Frieden und
Stabilität umfassend zu stärken. Die Bundeswehr soll erstmals an einer um-
fassenden VN-geführten Mission teilnehmen. Auch die Rolle der VN darf
nicht auf die militärische Mission reduziert werden. Die Resolution 1701
(2006) sieht UNIFIL als Teil einer umfassenden Aufgabe der VN. Die

Stärkung der VN muss über substantielle politische und humanitäre Beiträge
und die eindeutige Unterstützung für eine VN-Untersuchungskommission

Drucksache 16/2610 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
zur völkerrechtlichen Bewertung des Krieges erfolgen, wie sie von Kofi
Annan (und Amnesty International) gefordert wurde.

f) Evaluierung: Die Resolution 1701 (2006) stellt kein abschließendes Konzept
für einen stabilisierenden Prozess dar. Im Lichte der politischen Entwicklun-
gen bedürfen alle Maßnahmen zur Umsetzung der Resolution 1701 (2006) der
laufenden Evaluierung und Anpassung an veränderte Situationen. Dies gilt
auch für das deutsche militärische Engagement und seine Ausgestaltung sowie
den weiteren Zeitrahmen der bis zum 31. August 2007 befristeten Mission.

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

– sich für eine konsequente Umsetzung der Ziele des VN-Mandats aus der
Resolution 1701 (2006) einzusetzen, insbesondere die libanesische Regie-
rung und die Armee bei der Ausübung ihrer Autorität im gesamten Hoheits-
gebiet zu unterstützen,

– einen politischen Prozess zur Stabilisierung im Libanon zu unterstützen, der
die Voraussetzungen für einen dauerhaften Frieden schafft, das Problem der
Shebaa-Farmen löst und ein Ende der Bedrohung durch die auch vom Iran
unterstützte Hisbollah gewährleistet,

– sicherzustellen, dass Konfrontationen zwischen deutschen und israelischen
Soldaten ausgeschlossen bleiben,

– während der deutschen Ratspräsidentschaft im Rahmen des Nahost-Quar-
tetts für eine energische Friedensinitiative zu sorgen, die neue Verhandlun-
gen Israels und der Palästinenser über eine gerechte Zweistaatenlösung mit
einem entwicklungsfähigen palästinensischen Staat und einem jüdischen
Staat Israel in anerkannten und sicheren Grenzen zum Ziel haben muss,

– sich darüber hinaus für eine Verhandlungslösung mit dem Ziel friedlicher
Koexistenz aller Staaten in der Region einzusetzen, wozu eine Wiederauf-
nahme direkter Verhandlungen zwischen Israel und Syrien über die Rück-
gabe des Golans und bilaterale Sicherheitsfragen ebenso notwendig ist, wie
Bemühungen, Fortschritte bei der Anerkennung Israels durch seine Nach-
barn zu erreichen,

– den Generalsekretär der Vereinten Nationen bei seinen Bemühungen zur
Umsetzung der maßgeblichen VN-Resolutionen nach Kräften zu unter-
stützen,

– die Einsetzung einer VN-Untersuchungskommission zum Verlauf des Krie-
ges samt seiner völkerrechtlichen Bewertung zu unterstützen und sich für
eine Ächtung von Streubomben einzusetzen,

– im Rahmen der Vereinbarungen der Stockholmer Geberkonferenz ihre Zusa-
gen zu erhöhen und neben humanitärer Soforthilfe substantielle Beiträge
zum langfristigen Wiederaufbau zu leisten, insbesondere zur Behebung der
Umweltschäden, darunter der Ölverschmutzung im östlichen Mittelmeer,

– eine rechtzeitige Evaluierung des erweiterten UNIFIL-Einsatzes und des bis
zum 31. August 2007 befristeten deutschen Beitrags zu diesem Einsatz vor-
zunehmen,

– die Fraktionen des Deutschen Bundestages ausführlich über die Ziele, Be-
dingungen und Risiken des geplanten Einsatzes der Bundeswehr und seine
Umsetzung laufend und umfassend zu informieren.

Berlin, den 18. September 2006

Fritz Kuhn, Renate Künast und Fraktion

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