BT-Drucksache 16/2407

Einführung des Punktesystems zur Steuerung der jüdischen Zuwanderung nach Deutschland

Vom 15. August 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/2407
16. Wahlperiode 15. 08. 2006

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Josef Philip Winkler, Volker Beck (Köln), Monika Lazar, Jerzy
Montag, Irmingard Schewe-Gerigk, Hans-Christian Ströbele, Wolfgang Wieland
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Einführung des Punktesystems zur Steuerung der jüdischen Zuwanderung
nach Deutschland

Erneut werden im Hinblick auf den Zuzug von Personen aus der ehemaligen
Sowjetunion neue Instrumente zur Steuerung der Zuwanderung erprobt:

● So müssen seit Anfang 2005 nichtdeutsche Ehegatten und Angehörige von
Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedlern vor ihrer Einreise Grundkenntnisse
der deutschen Sprache vorweisen – was allein im letzten Jahr zu einem
Rückgang des Aussiedlerzuzugs von 40 Prozent geführt hat.

● Nun will die Bundesregierung den Zuzug von Jüdinnen und Juden aus dem
Gebiet der früheren Sowjetunion mithilfe eines Punktesystems steuern.

Einem Bericht des Magazins „Der Spiegel“ vom 24. Juli 2006 zufolge sollen
– mit Ausnahme von Opfern nationalsozialistischer Verfolgung – nur noch
Jüdinnen und Juden aus der ehemaligen UdSSR in Deutschland aufgenommen
werden, die mindestens 50 von 105 Punkten für eine positive Integrationsprog-
nose gesammelt haben:

● Bis zum 45. Lebensjahr sollen demnach bis zu 15 Punkte gesammelt werden
können.

● Ein Hochschulabschluss soll mit 20 Punkten, allgemeine Berufserfahrung
mit 10 Punkten bewertet werden.

● Mitarbeit in einer jüdischen Organisation soll mit 10 Punkten honoriert
werden.

● Für ein Arbeitsplatzangebot soll es 5 Punkte geben.

● In Deutschland lebende Verwandte sollen ebenfalls mit 5 Punkten bewertet
werden.

● Gute Deutschkenntnisse sollen mit bis zu 25 Punkten in die Wertung ein-
gehen.

● Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) soll die entspre-
chende Prüfung durchführen und im Rahmen dieser einen Ermessensspiel-

raum von 5 Punkten haben.

Nach dem im Magazin „Der Spiegel“ veröffentlichten Modell wären allerdings
nur höchstens 95 Punkte erreichbar.

Das Erreichen der Mindestpunktzahl allein soll für eine Aufnahmebewilligung
jedoch nicht ausreichen. Zusätzlich soll noch eine Zusage der Zentralwohl-
fahrtsstelle der Juden in Deutschland e. V. vorliegen.

Drucksache 16/2407 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Diese Pläne des Bundesministers des Innern, Dr. Wolfgang Schäuble, ähneln
sehr stark zum einen dem sog. Auswahlverfahren zur Steuerung der demo-
grafischen Zuwanderung (das die rot-grüne Bundesregierung im Jahr 2002 im
Rahmen des Zuwanderungsgesetzes beschlossen hatte; vgl. BGBl. 2002 I
S. 1946 ff.) und zum anderen dem Punktesystem der sog. Süßmuth-Kommis-
sion (vgl. Bericht der Unabhängigen Kommission „Zuwanderung“, S. 89 ff.).
Beides war in den Verhandlungen um den sog. Zuwanderungskompromiss bis
zuletzt auf den erbitterten Widerstand der Union gestoßen.

So sollte nach § 20 des Aufenthaltsgesetzes aus dem Jahr 2002 die Bundes-
regierung dazu ermächtigt werden „durch Rechtsverordnung mit Zustimmung
des Bundestages und des Bundesrates die Bedingungen für die Teilnahme an
dem Auswahlverfahren, die allgemeinen Kriterien für die Auswahl der Zu-
wanderungsbewerber sowie die Bewertung durch ein Punktesystem und Ein-
zelheiten des Verfahrens festzulegen. (…) Für die Auswahl der Zuwanderungs-
bewerber ist zumindest die Bewertung der folgenden Kriterien vorzusehen:

1. Alter des Zuwanderungsbewerbers;

2. schulische und berufliche Qualifikation sowie die Berufserfahrung des
Zuwanderungsbewerbers (…);

3. Familienstand des Zuwanderungsbewerbers;

4. Sprachkenntnisse des Zuwanderungsbewerbers (…)“.

Bei der Bewertung insbesondere der Bildungsvoraussetzungen und der beruf-
lichen Qualifikationen sollten nach dem damaligen § 20 Abs. 3 des Aufent-
haltsgesetzes „Unterbrechung der Berufstätigkeit oder längere Ausbildungs-
dauer auf Grund der Wahrnehmung von Familienpflichten wie Kindererzie-
hung oder häusliche Pflege keine nachteilige Bewertung zur Folge haben“.
Zudem sollte „bei der Auswahl der Zuwanderungsbewerberinnen und Zuwan-
derungsbewerber ein den Bewerbungen entsprechender Anteil von Frauen und
Männern“ ausgewählt werden.

Das Auswahlverfahren selber sollte nur durchgeführt werden, wenn das BAMF
und die Bundesagentur für Arbeit gemeinsam eine Höchstzahl für die Zu-
wanderung im Auswahlverfahren festgesetzt hatten.

Die Zuwanderung über das Punktesystem war von der rot-grünen Bundesregie-
rung von vorneherein als optionales Modell angelegt (Bundestagsdrucksache
14/7387, S. 59). Zudem hatte sich die damalige Bundesregierung der Empfeh-
lung der sog. Süßmuth-Kommission angeschlossen, die demografische Zuwan-
derung über ein solches Auswahl- bzw. Punkteverfahren in einer ersten Phase
mit zunächst geringen Zuwandererkontingenten (von ca. 20 000 Personen) zu
erproben (Bericht der Unabhängigen Kommission „Zuwanderung“, S. 86 f.).

Dieses Auswahl- bzw. Punkteverfahren scheint die Bundesregierung nun im
Rahmen der Neuordnung der künftigen jüdischen Einwanderung nach Deutsch-
land austesten zu wollen.

Der Zentralrat der Juden in Deutschland hat dem Punktsystem zur Steuerung
des Zuzugs von Jüdinnen und Juden aus der ehemaligen Sowjetunion zu-
gestimmt (Süddeutsche Zeitung vom 25. Juli 2006).

Auf der Website des Zentralrates der Juden in Deutschland wird die Erwartung
geäußert, dass sich durch die neue Zuzugsregelung die Zahl der jährlich auf-
zunehmenden Jüdinnen und Juden auf „wahrscheinlich 5 000 bis 7 000 redu-
zieren“ dürfte (www.zentralratdjuden.de/de/topic/262.html). Ebendort wird
auch der Abteilungsleiter des BAMF, Dr. Michael Griesbeck, mit der Absicht
zitiert, sich dafür einzusetzen, dass innerhalb des sog. Königssteiner Schlüssels,
zukünftig eine „intelligente Verteilung“ der zuziehenden Jüdinnen und Juden
erfolgen solle. So werde man „in Zukunft verstärkt berücksichtigen, an welchem

Ort der Zuwanderer sich gut integrieren kann. Hier zähle neben den beruflichen
Chancen auch die Gemeindezugehörigkeit.“

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/2407

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Entspricht das im Magazin „Der Spiegel“ vorgestellte Modell für ein Aus-
wahl- bzw. Punkteverfahren zur Steuerung der jüdischen Einwanderung
nach Deutschland dem derzeitigen Planungsstand auf Seiten der Bundesre-
gierung?

Wenn ja, wie kommt es dann, dass Kandidatinnen und Kandidaten inner-
halb dieses Modells nur 95 und nicht – wie „Der Spiegel“ behauptet –
105 Punkte sammeln können?

Wenn nein, worin unterscheidet sich das Modell der Bundesregierung von
dem im „Der Spiegel“ dargestellten?

2. Nach welchen Kriterien sollen die 15 Punkte für die ersten 45 Lebensjahre
vergeben werden?

3. Sollen Zusatzqualifikationen im Beruf bzw. im Hochschulbereich bei der
Punktevergabe berücksichtigt werden, so wie dies die sog. Süßmuth-Kom-
mission empfohlen hatte (vgl. Bericht der Unabhängigen Kommission „Zu-
wanderung“, S. 94), und wenn nein, warum nicht?

4. Wird in dem Punkteverfahren auch die berufliche Qualifikation etwaiger
Ehegattinnen/Ehegatten berücksichtigt, so wie dies die sog. Süßmuth-Kom-
mission empfohlen hatte (ebd.), und wenn nein, warum nicht?

5. Nach welchen Gesichtspunkten soll das BAMF seine 5 Ermessenspunkte
verteilen können?

6. Soll bei dem künftigen Punkteverfahren sichergestellt werden, dass im Zuge
der Bewertung von Bildungsvoraussetzungen und beruflichen Qualifikatio-
nen – analog zu § 20 Abs. 3 AufenthG aus dem Jahr 2002 – eine Unter-
brechung der Berufstätigkeit oder längere Ausbildungsdauer aufgrund der
Wahrnehmung von Familienpflichten wie Kindererziehung oder häusliche
Pflege keine nachteilige Bewertung zur Folge hat, und wenn nein, warum
nicht?

7. Soll bei dem künftigen Punkteverfahren sichergestellt werden, dass – analog
zu § 20 Abs. 3 AufenthG aus dem Jahr 2002 – bei der Auswahl der Kandida-
tinnen und Kandidaten ein den Bewerbungen entsprechender Anteil von
Frauen und Männern ausgewählt wird, und wenn nein, warum nicht?

8. Soll innerhalb dieses Punkte- bzw. Auswahlverfahrens mit jährlichen
Höchstgrenzen für Jüdinnen und Juden gearbeitet werden?

Wenn ja, wer legt diese Grenzen aufgrund welcher objektiv nachvollzieh-
barer Parameter fest?

Wenn nein, warum nicht?

9. Wie ist die Antwort der Bundesregierung auf Frage 14 der Kleinen Anfrage
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Bundestagsdrucksache 16/2097),
dass zuwanderungswillige Jüdinnen und Juden bei der Miteinreise bzw. dem
Nachzug von Kindern im Vergleich zu den Regelungen des Aufenthalts-
gesetzes nicht schlechter gestellt werden sollen, damit in Einklang zu
bringen, dass das BAMF auf seiner Website ausführt, dass „bei Kindern, die
das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet haben“, vom Nachweis von
Deutschkenntnissen i. S. d. der Niveaustufe A1 des Europäischen Referenz-
rahmens für Sprachen „abgesehen werden kann“ (www.bamf.de/cln_043/
nn_565180/DE/Integration/JuedischeZuwanderer/juedische-zuwanderer-node.
html__nnn=true), obwohl § 32 AufenthG Kinder bis 18 Jahre ohne sprach-
liche Voraussetzungen mit einreisen lässt und beim Kindernachzug das Vor-

weisen von Deutschkenntnissen erst mit Vollendung des 16. Lebensjahres
zulässt?

Drucksache 16/2407 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
10. Ist es im Hinblick auf eine zumutbare Erfüllung der neuen Sprachvoraus-
setzungen ausreichend – wie dies die Bundesregierung auf die Fragen 11
und 12 der Kleinen Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
beantwortet hat (Bundestagsdrucksache 16/2097) –, dass zuwanderungs-
willigen Jüdinnen und Juden lediglich in den Herkunftsgebieten von Spät-
aussiedlerinnen und -aussiedlern nachrangiger Zugang „zu nicht aus-
geschöpften Sprachkursplätzen“ gewährt wird?

Wenn nein, durch welche Maßnahmen strebt die Bundesregierung an, die
„Kapazitäten für Sprachkurse vor Ort [zu] erweitern, bzw. den Zugang für
jüdische Zuwanderungswillige [zu] erleichtern“, so wie dies die Innen-
ministerkonferenz (IMK) in Nummer 5 der Anlage zu TOP 35 ihres Be-
schlusses vom 24. Juni 2005 – entgegen der Darstellung der Bundesregie-
rung in ihrer o. g. Antwort – ausdrücklich eingefordert hat?

11. Wie soll die Gruppe der zuwanderungswilligen Jüdinnen und Juden diese
neuen Sprachvoraussetzungen auch unter zumutbaren Bedingungen er-
füllen?

12. Wann ist mit dem Abschluss der von der IMK in Nummer 5 der Anlage zu
TOP 35 ihres Beschlusses vom 24. Juni 2005 geforderten „gesonderten
Absprache“ zu rechnen, in der – so die IMK – Einzelheiten zu den Sprach-
kursen (insbesondere im Hinblick auf deren Umfang, die Gewährleistung
der Erreichbarkeit sowie die Finanzierung) geklärt werden sollen; wird
diese „Absprache“ Gegenstand der Rechtsverordnung für die Neureglung
der jüdischen Zuwanderung?

13. Welche Schritte plant die Bundesregierung, damit in Zukunft – innerhalb
des sog. Königssteiner Schlüssels – eine Verteilung der zuziehenden Jüdin-
nen und Juden unter stärkerer Berücksichtigung dessen erfolgt, an wel-
chem Ort sich diese Zuwanderer gut integrieren können (berufliche Chan-
cen, Gemeindezugehörigkeit)?

14. Inwiefern ist innerhalb des neuen Aufnahmeverfahrens sichergestellt, dass
auch künftig säkulare Jüdinnen und Juden Aufnahme in Deutschland fin-
den können?

15. Plant die Bundesregierung im Hinblick auf das angekündigte Auswahl-
bzw. Punkteverfahren zur Steuerung der jüdischen Einwanderung nach
Deutschland – analog zu § 20 AufenthG aus dem Jahr 2002 – eine Rechts-
verordnung, die der Zustimmung auch des Deutschen Bundestages bedarf?

Wenn ja, für wann ist mit der Vorlage eines entsprechenden Verordnungs-
entwurfs zu rechnen?

Wenn nein, warum nicht?

Berlin, den 15. August 2006

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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