BT-Drucksache 16/2084

Zur Lage der Menschenrechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender

Vom 29. Juni 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/2084
16. Wahlperiode 29. 06. 2006

Große Anfrage
der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Dr. Uschi Eid, Kai Boris Gehring,
Thilo Hoppe, Winfried Nachtwei, Ute Koczy, Claudia Roth (Augsburg),
Dr. Gerhard Schick, Rainder Steenblock, Silke Stokar von Neuforn, Jürgen Trittin
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Zur Lage der Menschenrechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender

In vielen Ländern werden die Menschenrechte von Lesben, Schwulen,
Bisexuellen und Transgender eingeschränkt und missachtet. In über 75 Staaten
ist Homosexualität strafbar. In einigen Staaten wie z. B. Iran, Jemen, Maure-
tanien, Pakistan, Saudi-Arabien, Afghanistan, Vereinigte Arabische Emirate und
Sudan droht sogar die Todesstrafe.

Die Androhung von Strafverfolgung bedeutet für alle Homosexuellen unabhän-
gig von der Anzahl der Verurteilungen einen Zwang zur Selbstverleugnung und
damit eine eklatante Einschränkung des Rechts auf freie Entfaltung der Persön-
lichkeit. Es ist ein Leben in steter Unsicherheit, denn Phasen relativer Ruhe bei
der Strafverfolgung können jederzeit in eine Phase massiver Repression um-
schlagen.

In Erinnerung an die frühere Strafverfolgung in Deutschland hat der Deutsche
Bundestag im Jahr 2000 in einer einstimmig von allen Parteien getragenen
Entschließung über die Rehabilitierung der im Nationalsozialismus verfolgten
Homosexuellen zur Bewertung des § 175 des Strafgesetzbuches (StGB) aus-
drücklich festgestellt, „dass durch die nach 1945 weiter bestehende Straf-
drohung homosexuelle Bürger in ihrer Menschenwürde verletzt worden sind“
(Bundestagsdrucksache 14/4894, S. 4, Plenarprotokoll 14/140 vom 7. Dezember
2000, S. 13745 A).

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat mehrmals festgestellt,
dass eine strafrechtliche Verfolgung homosexueller Handlungen menschen-
rechtswidrig ist (EGMR, NJW 1984, 541 [Fall Dudgeon gegen Vereinigtes
Königreich]; EuGRZ 1992, 477 [Fall Norris gegen Irland]; ÖJZ 1993, 821 [Fall
Modinos gegen Zypern]).

Amnesty International berichtet im Mai 2006: „Weltweit werden Menschen
wegen ihrer sexuellen Identität verfolgt, misshandelt, inhaftiert oder ermordet.
(…) Vielerorts missachten staatliche Institutionen die Menschenrechte dieser
sexuellen Minderheiten. Eine Folge davon ist, dass sexuelle Übergriffe oft

ungestraft bleiben.“ Zum Beispiel werden in vielen Ländern Lateinamerikas laut
Amnesty Transsexuelle von der Polizei schikaniert, willkürlich verhaftet und
gefoltert oder sie sterben unter mysteriösen Umständen in der Haft. Ein selbst-
bestimmtes Leben wird für Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender so
vielerorts unmöglich gemacht.

Drucksache 16/2084 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Lange Jahre war das Thema der Menschenrechtssituation von Lesben, Schwulen,
Bisexuellen und Transgender in der deutschen Außen- und Menschenrechts-
politik weitgehend tabu. Erst mit dem Regierungsantritt der rot-grünen Bundes-
regierung 1998 änderte sich das. Der erste unter Außenminister Joseph Fischers
Verantwortung erstellte Menschenrechtsbericht der Bundesregierung aus dem
Jahr 2000 formulierte ausdrücklich als Ziel der Außenpolitik, zur „Bildung eines
Bewusstseins dafür beizutragen, dass Verfolgung und Diskriminierung von
Schwulen und Lesben eine Menschenrechtsverletzung darstellt.“

Dementsprechend haben sich deutsche Botschaften in einer Reihe von Ländern
aktiv gegen Diskriminierung eingesetzt. Zum Beispiel unterstützte die deutsche
Botschaft in Nepal die Blue Diamond Society, der ein gerichtliches Verbot
drohte. Die Botschaft zeigte Präsenz durch Prozessbeobachtung und verdeut-
lichte so das Interesse der internationalen Öffentlichkeit an diesem Verfahren.

Seit 2003 wird der Komplex Menschenrechte für Lesben und Schwule als eigen-
ständiges Thema offiziell von der Staatengemeinschaft diskutiert. Deutschland
hat sich gemeinsam mit den anderen EU-Staaten 2003 auf der 58. Sitzung der
UN-Menschenrechtskommission (MRK) gegen den massiven Widerstand der
Islamischen Konferenz-Organisation (OIC) erfolgreich dafür eingesetzt, dass in
der dort verabschiedeten Resolution zu „Extralegalen Hinrichtungen“ derartige
Morde an Menschen wegen ihrer sexuellen Orientierung ausdrücklich verurteilt
werden.

2003 hatte zudem Brasilien erstmals einen Resolutionsentwurf zu „Menschen-
rechten und sexueller Orientierung“ in die MRK eingebracht. Deutschland
unterstützte Brasiliens Vorstoß von Beginn an intensiv. Aufgrund des massiven
Drucks der OIC und des Vatikans kam es noch nicht zu einer förmlichen Abstim-
mung. Immerhin wurde aber eine intensive Befassung der MRK mit diesem
Thema erreicht. Das Auswärtige Amt ermöglichte zudem 2004 und 2005 Vertre-
terinnen und Vertretern von auf diesem Feld aktiven Organisationen aus dem
globalen Süden die Reise zur Tagung der MRK nach Genf.

Die Entwicklung der Menschenrechte ist ein nicht abgeschlossener Prozess.
Viele Themen wie z. B. Frauenrechte sind erst seit kurzem auf der Agenda der
internationalen Menschenrechtsdiskussion. Wenn sie ihre eigenen Werte ernst
nehmen, müssen sich alle demokratischen Staaten dafür einsetzen, dass die
Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender in diesem Diskurs
weiter verankert werden. Es ist weiter eine Resolution des neuen UN-Menschen-
rechtsrates und letztlich auch der Generalversammlung anzustreben.

Die Widerstände sind groß. Insbesondere der Vatikan und islamische Staaten
kämpfen aktiv dagegen. Auch die derzeitige US-Regierung schließt sich in in-
ternationalen Gremien mitunter dieser Linie an.

Menschenrechte sind jedoch universell und unteilbar. Menschenrechtspolitik
bezieht selbstverständlich die Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und
Transgender ein. Staatliche Verfolgung aufgrund sexueller Orientierung oder
Geschlechtsidentität und homophobe Übergriffe verletzen elementare Men-
schenrechte, wie sie in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und im
Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte festgelegt sind.

Wir fragen die Bundesregierung:

I. Zur menschenrechtlichen Situation von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und
Transgender weltweit

1. In welchen Ländern sind nach Kenntnis der Bundesregierung einvernehm-
liche homosexuelle Handlungen zwischen erwachsenen Personen strafrecht-

lich verboten?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/2084

a) In welchen dieser Länder sind nach Kenntnis der Bundesregierung gleich-
geschlechtliche sexuelle Handlungen mit der Todesstrafe bedroht?

b) In welchen dieser Länder sind nach Kenntnis der Bundesregierung homo-
sexuelle Handlungen mit Körperstrafen bedroht?

c) Welches Strafmaß wird in anderen Ländern angedroht, in denen homo-
sexuelle Handlungen strafrechtlich verboten sind?

d) In welchen Ländern gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung strafrecht-
liche Sonderbestimmungen (z. B. unterschiedliche Schutzaltersgrenzen),
die für sexuelle Handlungen zwischen Personen gleichen Geschlechts an-
dere Regelungen vorsehen als für heterosexuelle Handlungen?

e) Welches Ausmaß von Strafverfolgung ist der Bundesregierung jeweils be-
kannt?

f) Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung darüber, dass eine auf
Homosexuelle zielende Strafverfolgungspraxis gegenüber der internatio-
nalen Öffentlichkeit mitunter wahrheitswidrig als Verfolgung von sexuel-
ler Gewalt oder von Pädophilie getarnt wird?

g) Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung darüber, dass Strafverfol-
gung von Homosexualität als Mittel der politischen Auseinandersetzung
instrumentalisiert wird?

h) Welche Schritte hat die Bundesregierung unternommen, um in den jewei-
ligen Ländern auf die Änderung menschenrechtswidriger Rechtslagen
hinsichtlich der Verfolgung homosexueller Handlungen hinzuwirken?

2. In welchen Ländern wird nach Kenntnis der Bundesregierung mit Vorschrif-
ten zur Aufrechterhaltung von Sitte, Ordnung, religiösen Vorstellungen und
Traditionen insbesondere gegen Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgen-
der vorgegangen, und welche Schritte hat die Bundesregierung unternom-
men, um in den jeweiligen Ländern auf eine Änderung dieser Vorschriften
und Praktiken hinzuwirken?

3. In welchen Ländern kommt es nach Kenntnis der Bundesregierung durch den
Polizei- oder Militärapparat bzw. paramilitärische Gruppen zu Morden an
Lesben, Schwulen, Bisexuellen oder Transgender oder zum „Verschwinden-
lassen“ von Menschen aus diesen Personenkreisen, und welche Schritte hat
die Bundesregierung unternommen, um in den jeweiligen Ländern auf ein
Ende dieser Vorfälle hinzuwirken?

4. In welchen Ländern bestehen nach Kenntnis der Bundesregierung unmensch-
liche Haftbedingungen für Lesben, Schwule, Bisexuelle oder Transgender?

a) In welchen Ländern kommt es nach Kenntnis der Bundesregierung zu
Misshandlungen und Folterungen durch Angehörige von Staatsorganen?

b) Welche Schritte hat die Bundesregierung gezielt zum Bereich der Lesben,
Schwulen, Bisexuellen und Transgender unternommen, um in den jewei-
ligen Ländern auf die Beendigung dieser Praktiken hinzuwirken?

5. In welchen Ländern kommt es nach Kenntnis der Bundesregierung zu ge-
waltsamen Übergriffen durch Teile der Bevölkerung auf Lesben, Schwule,
Bisexuelle oder Transgender, ohne dass die staatlichen Behörden diesen aus-
reichend Schutz gewähren, und welche Schritte hat die Bundesregierung
unternommen, um in den jeweiligen Ländern auf eine Verbesserung der Situa-
tion von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender hinzuwirken?

Drucksache 16/2084 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

6. In welchen Ländern werden Lesben, Schwulen, Bisexuellen oder Transgen-
der nach Kenntnis der Bundesregierung die Grundrechte auf Vereinigungs-,
Versammlungs-, Meinungs- und Pressefreiheit staatlich verwehrt oder be-
schränkt, und welche Schritte hat die Bundesregierung unternommen, um
sich für die Gewährleistung dieser Grundrechte auch für Lesben, Schwule,
Bisexuelle und Transgender einzusetzen?

7. In welchen Ländern wird nach Kenntnis der Bundesregierung Lesben,
Schwulen, Bisexuellen oder Transgender in Verfassung, Strafrecht, Arbeits-
recht oder Zivilrecht gleicher Schutz vor Diskriminierung wie anderen
Gruppen vorenthalten?

8. In welchen Ländern besteht nach Kenntnis der Bundesregierung für gleich-
geschlechtliche Paare keine Möglichkeit der rechtlichen Absicherung in
Form eines Rechtsinstituts?

9. In welchen Ländern sind nach Kenntnis der Bundesregierung gleiche Fami-
lienrechte für Lesben und Schwule bezogen auf Adoption, Sorgerecht und
Rechte homosexueller Eltern nicht verwirklicht?

10. In welchen Ländern gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung für trans-
sexuelle Menschen keine rechtlichen Möglichkeiten, das ihrer Identität ent-
sprechende Geschlecht anzunehmen?

11. In welchen Ländern wird nach Kenntnis der Bundesregierung die Verfol-
gung als Lesbe, Schwuler, Bisexuelle/r oder Transgender nicht als Asyl-
grund anerkannt?

12. In welchem Maße sind nach Kenntnis der Bundesregierung die Menschen-
rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen oder Transgender in EU-Mit-
gliedsländern gefährdet, und welche Schritte unternimmt die Bundesregie-
rung auf bi- und multilateraler Ebene, um auf die Verbesserung der Situation
von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender in den jeweiligen Län-
dern hinzuwirken?

13. In welchem Maße sind nach Kenntnis der Bundesregierung die Menschen-
rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender in jenen Län-
dern verwirklicht, die in näherer Zukunft der EU beitreten wollen, und
welche Schritte unternimmt die Bundesregierung, um auf die Verbesserung
der Lage der Menschenrechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und
Transgender in den betreffenden Ländern hinzuwirken?

14. Gegenüber welchen Regierungen ist die Bundesregierung vorstellig gewor-
den, um sich für die Verbesserung der Menschenrechte von Lesben,
Schwulen, Bisexuellen und Transgender einzusetzen?

II. Initiativen der Bundesregierung für die Verbesserung der Lage von Lesben,
Schwulen, Bisexuellen und Transgender

15. In welchen Internationalen Organisationen plant die Bundesregierung
Vorstöße oder die Unterstützung von Initiativen anderer Staaten zur Verbes-
serung der Menschenrechtssituation von Lesben, Schwulen, Bisexuellen
oder Transgender?

16. Welche Perspektiven sieht die Bundesregierung für die Wiederaufnahme
der Bemühungen in den Vereinten Nationen für eine Resolution im neuen
Menschenrechtsrat zu den Menschenrechten für Lesben, Schwule, Bisexu-
elle und Transgender (Brasilianische Initiative), und was unternimmt die
Bundesregierung für ihre Unterstützung?

17. In welcher Weise will die Bundesregierung im Rahmen des neu geschaffe-

nen Menschenrechtsrates das Thema Menschenrechte für Lesben und
Schwule voranbringen?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5 – Drucksache 16/2084

18. Wie beurteilt die Bundesregierung die bei verschiedenen Gelegenheiten zu
beobachtende Allianz der USA mit den Ländern der Organisation der
Islamischen Konferenz, dem Vatikan und Kuba bei der Verhinderung und
Bekämpfung von Initiativen für die Menschenrechte von Lesben, Schwu-
len, Bisexuellen und Transgender?

19. Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, um die Arbeit von lesbi-
schen, schwulen, bisexuellen und transgender Menschenrechtsverteidige-
rinnen und -verteidigern zu unterstützen und zu schützen?

20. In welcher Weise werden Aktivitäten von deutschen, ausländischen oder
internationalen Organisationen von Lesben, Schwulen, Bisexuellen oder
Transgender durch für Menschenrechtsarbeit bestimmte Bundesmittel unter-
stützt?

21. Wird die Menschenrechtssituation von Lesben oder Schwulen in die lau-
fende Förderung der Menschenrechtserziehung im Rahmen der bilateralen
Entwicklungszusammenarbeit mit einbezogen?

a) Wenn ja, in welcher Form, durch welche Projekte und gegenüber
welchen Ländern geschieht das?

b) Wenn nein, warum geschieht das nicht?

22. Wie beurteilt die Bundesregierung die Situation, dass unter den ca. 2 700 of-
fiziell bei den Vereinten Nationen anerkannten Nichtregierungsorganisatio-
nen keine einzige von Lesben, Schwulen, Bisexuellen oder Transgender ist?

a) In welcher Form ist die Bundesregierung tätig geworden, um sich für
einen Beraterstatus von Organisationen von Lesben, Schwulen, Bisexu-
ellen oder Transgender bei den Vereinten Nationen einzusetzen?

b) Welche Initiativen hat die Bundesregierung unternommen, um den
Beraterstatus der „International Lesbian and Gay Association“ (ILGA),
der dänischen „Landsforeningen for Bøsser og Lesbiske“ (LBL), des
„Lesben- und Schwulenverbands in Deutschland“ (LSVD) u. a. beim
UN-Wirtschafts- und Sozialrat (ECOSOC) zu unterstützen?

III. Stärkung, Erweiterung und Ergänzung von Menschenrechtsverträgen zur
Einbeziehung von Lesben, Schwulen und Transgender

23. Warum hat die Bundesrepublik Deutschland das 12. Zusatzprotokoll zur
Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) bislang nicht unter-
zeichnet?

24. Hat die Bundesregierung geprüft, ob etwaigen Bedenken auch durch eine
Protokollerklärung Rechnung getragen werden kann?

25. Wird die Bundesregierung das 12. Zusatzprotokoll zur Europäischen
Menschenrechtskonvention (EMRK) unterzeichnen, und wenn ja, wann?

Berlin, den 29. Juni 2006

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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