BT-Drucksache 16/2014

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung und der Fraktionen der CDU/CSU und SPD -16/1859, 16/1545, 16/2012- Entwurf eines Steueränderungsgesetzes 2007

Vom 28. Juni 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/2014
16. Wahlperiode 28. 06. 2006

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Dr. Axel Troost, Werner Dreibus,
Ulla Lötzer, Kornelia Möller, Dr. Herbert Schui, Sabine Zimmermann,
Diana Golze, Jörn Wunderlich, Karin Binder, Dr. Petra Sitte, Oskar Lafontaine
und der Fraktion DIE LINKE.

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung
und der Fraktionen der CDU/CSU und SPD
– Drucksachen 16/1859, 16/1545, 16/2012 –

Entwurf eines Steueränderungsgesetzes 2007

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. In ihrem Koalitionsvertrag vom November 2005 haben sich CDU, CSU und
SPD zum Ziel gesetzt, die Staatsfinanzen nachhaltig zu konsolidieren und
das Steuersystem zukunftsorientiert zu reformieren. So strebt die Bundes-
regierung an, das Steuerrecht zu vereinfachen und ein höheres Maß an
Transparenz, Effizienz und Gerechtigkeit zu erreichen. Beherrschender
Grundsatz soll dabei die Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungs-
fähigkeit sein.

In den rund sechs Monaten ihrer Amtszeit legte die Bundesregierung meh-
rere Gesetze zur Änderung des Steuerrechts vor, in denen scheinbar wahllos
steuerliche Vergünstigungen abgeschafft, einige Steuertatbestände einge-
schränkt bzw. andere ausgeweitet wurden. Ein Konzept ist hinter allen Neu-
regelungen jedoch insoweit zu erkennen, als dass insbesondere Arbeit-
nehmerinnen und Arbeitnehmer höher belastet und Unternehmen entlastet
wurden und werden. So sollen zahlreiche Steuerpflichtige z. B. durch die
massive Einschränkung der steuerlichen Absetzbarkeit des häuslichen
Arbeitszimmers und der Kosten für Fahrten zwischen Wohnung und Ar-
beitsstätte sowie die Verkürzung der Bezugsdauer des Kindergelds im vor-
liegenden Gesetzentwurf mit jährlich rund 3,4 Mrd. Euro belastet werden.

Die so genannte Reichensteuer für Einkommen ab 250 000 Euro/500 000
Euro bildet für diese massiven Höherbelastungen – entgegen den Äußerun-
gen der Bundesregierung – keinen gerechten Ausgleich. Die erwarteten jähr-
lichen Mehreinnahmen in Höhe von 250 Mio. Euro betragen gerade ein
Zehntel dessen, was insbesondere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
allein durch die faktische Streichung der Entfernungspauschale (2,5 Mrd.
Euro jährlich) aufzubringen haben. Darüber hinaus bleiben Steuerpflichtige

Drucksache 16/2014 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

mit Gewinneinkünften von der Anhebung des Spitzensteuersatzes ver-
schont. Damit knüpft die Bundesregierung nahtlos an die zum 1. Januar
2006 umgesetzte Ausweitung der Abschreibungsmöglichkeiten für Unter-
nehmen und an die Absicht, Unternehmen durch die Unternehmenssteuerre-
form ab 2008 um mindestens 10 Mrd. Euro jährlich zu entlasten, an. Gleich-
zeitig reiht sich der Gesetzentwurf eines Steueränderungsgesetzes 2007 in
die Politik einer zunehmenden Belastung der Bürgerinnen und Bürger mit
Lohnsteuer und indirekten Steuern sowie durch Sozialabbau ein.

2. Die Bundesregierung nimmt das Risiko einer Verfassungswidrigkeit ver-
schiedener Neuregelungen ihres Gesetzentwurfs bewusst in Kauf: So wird
die Abschaffung der Absetzbarkeit der Fahrtkosten zwischen Wohnung und
Arbeits- bzw. Betriebsstätte von zahlreichen Sachverständigen als Verstoß
gegen das verfassungsrechtlich verankerte Prinzip der Besteuerung nach der
wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit gewertet. Im deutschen Einkommen-
steuerrecht gilt das objektive Nettoprinzip, nach dem alle Aufwendungen zur
Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der Einnahmen vom Einkommen der
Steuerpflichtigen abzuziehen sind. Das hat das Bundesverfassungsgericht in
seinem Beschluss vom Dezember 2002 bezüglich der zeitlichen Beschrän-
kung der Absetzbarkeit der Kosten der doppelten Haushaltsführung aus-
drücklich bestätigt. Darin führte es u. a. aus, dass Mobilitätskosten, obwohl
sie durch die Wahl des Wohnorts zwangsläufig privat mit veranlasst seien, zu
den im Rahmen des objektiven Nettoprinzips abzugsfähigen beruflichen
Aufwendungen gehören. Weiterhin erteilte das Gericht dem „Werkstor-
prinzip“, das die Bundesregierung an dieser Stelle zu implementieren be-
absichtigt, eine deutliche Absage. Darüber hinaus droht durch die steuerliche
Nichtberücksichtigung der ersten 20 Fahrtkilometer ein Verstoß gegen das
Gebot der Steuerfreiheit des Exstistenzminimums (Verschonung des Exis-
tenzminimums vor dem Zugriff des Staates). Nach den Ausführungen des
Bundesverfassungsgerichts in verschiedenen Beschlüssen ist zum sozial-
hilferechtlichen Mindestbedarf, der die Grundlage für das steuerfreie
Existenzminimum bildet, ein erwerbsbedingter Mehrbedarf zu zählen. Bei
Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern ist dieser erwerbsbedingte Mehrbedarf
durch die Abziehbarkeit des erwerbsdienlichen Aufwands im Rahmen der
Werbungskosten gedeckt. Durch die massive Einschränkung der Abziehbar-
keit der Fahrtkosten wird bei den Betroffenen – insbesondere bei Steuer-
pflichtigen mit geringen Einkommen – zukünftig das Existenzminimum be-
steuert.

Verfassungsrechtlich bedenklich ist ebenfalls die Verschonung der Gewinn-
einkünfte vor der „Reichensteuer“ mittels eines Entlastungsbetrags. Dies
verstößt gegen das Gebot der Gleichbehandlung aller Steuerpflichtigen. So
wurde die Gewerbesteuerbelastung als Rechtfertigung für die in den 90er
Jahren existierende Tarifbegrenzung für gewerbliche Einkünfte angeführt.
Diese Begründung hat jedoch der Bundesfinanzhof nicht anerkannt. Ein
sachlich einleuchtender Grund, der eine derartige gesetzliche Differenzie-
rung rechtfertigt, lässt sich auch aktuell nicht finden. Die unterstellte höhere
Risikoanfälligkeit von unternehmerischen Einkünften gilt – auch nach Ein-
schätzung zahlreicher Sachverständiger – jedenfalls nicht als Argument für
die unterschiedliche steuerliche Belastung der Bürgerinnen und Bürger.

Durch das Festhalten an diesen Neuregelungen zwingt die Bundesregierung
die Steuerpflichtigen zu Auseinandersetzungen mit den Finanzgerichten. Sie
trägt damit nicht zu mehr Transparenz, Effizienz und Gerechtigkeit im
Steuerrecht bei. Darüber hinaus riskiert die Bundesregierung, dass das
Bundesverfassungsgericht insbesondere die Neuregelung bezüglich der Ent-
fernungspauschale für nichtig erklärt. Mittelfristig wird diese damit nicht
den beabsichtigten Beitrag zur nachhaltigen Konsolidierung des Haushalts
leisten.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/2014

3. Die Bundesregierung ignoriert mit dem Gesetzentwurf eines Steuerände-
rungsgesetzes 2007 die Lebenswirklichkeit der Bürgerinnen und Bürger und
verschlechtert diese drastisch. Die Verkürzung der Bezugsdauer des Kinder-
gelds vom 27. auf das 25. Lebensjahr des Kindes betrifft 451 000 Kinder-
geldberechtigte. Laut Begründung der Bundesregierung soll damit ein An-
reiz zum früheren Studien- oder Ausbildungsabschluss gesetzt werden. Dies
geht jedoch an der Realität der Studierenden und Auszubildenden vorbei.
Für diese stellt das Kindergeld einen wesentlichen Bestandteil ihrer Finan-
zierung dar. Zudem befinden sich die Studierenden im Alter zwischen 25
und 27 Jahren überwiegend in der Examensphase. Sie können den Wegfall
des Kindergelds nur durch zusätzliche Erwerbstätigkeit unter Inkaufnahme
schlechterer Examensergebnisse und längerer Studienzeiten ausgleichen.
Der Entzug des Kindergelds und die vermehrte Einführung von Studien-
gebühren werden die materielle Situation von Studierenden verschärfen und
Ausbildungszeiten, entgegen dem eigentlichen Ziel, verlängern sowie die
soziale Auslese bei den Studierenden verstärken.

Durch die Kürzung der Bezugsdauer des Kindergelds zahlen Allein-
erziehende mehr Steuern, da der Entlastungsbetrag für Alleinerziehende an
den Bezug des Kindergelds gekoppelt ist.

Nach einer Schätzung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales sind
ca. 10 000 der von der Verkürzung der Bezugsdauer betroffenen Kindergeld-
berechtigten arbeitslos. Sie werden zusätzlich benachteiligt, da ihnen zu-
künftig nicht mehr der erhöhte Leistungssatz beim Arbeitslosengeld I ge-
währt wird.

Durch die Senkung des Sparerfreibetrags werden zukünftig Kleinsparerin-
nen und Kleinsparer verstärkt steuerlich belastet. Ursprünglich eingeführt,
um – laut offizieller Begründung der damaligen Bundesregierung – einen
Ausgleich für die „gesteigerte Inflationsanfälligkeit“ von Kapitaleinkünften
zu bilden, wurde der Sparerfreibetrag verstärkt zur Stellschraube für die Er-
zielung zusätzlicher Steuereinnahmen. Allerdings gewinnen private Spar-
vermögen z. B. durch den Abbau der gesetzlichen Rentenversicherung so-
wie die zunehmende Kostenpflichtigkeit von Lehre und Studium für die
Bürgerinnen und Bürger ein immer größeres Gewicht. Durch die beabsich-
tigte Senkung des Sparerfreibetrags sinkt das steuerfreie Sparvermögen bei
einem Zinssatz von 5 Prozent von 28 420 Euro auf 16 020 Euro. Damit sind
zukünftig die Erträge von bereits kleinen Sparvermögen von einer Besteue-
rung betroffen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert deshalb die Bundesregierung auf,

den Gesetzentwurf eines Steueränderungsgesetzes 2007 zurückzuziehen und
gesetzliche Maßnahmen im Rahmen der Einkommen- und Körperschafts-
besteuerung zu ergreifen, die eine sozial gerechte Beteiligung aller Steuer-
pflichtigen an der Finanzierung öffentlicher Aufgaben garantieren. Grund-
prinzip ist dabei die Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit.
Das Steuerrecht ist einfach und transparent zu gestalten:

Der Spitzensteuersatz ist für alle Einkunftsarten gleichermaßen anzuheben. Die
Höhe des Spitzensteuersatzes ist so zu bemessen, dass sich – im Gegensatz zur
aktuellen Höhe – die Bezieherinnen und Bezieher hoher Einkommen in einem
wesentlich größeren Umfang an der Finanzierung des Gemeinwesens beteili-
gen als diejenigen mit mittleren und geringen Einkommen.

Steuerbefreiungen und Sonderregelungen werden im Sinne einer tatsächlichen
Vereinfachung des Steuerrechts abgeschafft. Aufwendungen zur Erwerbung,
Sicherung und Erhaltung der Einnahmen sind weiterhin vom Einkommen der
Steuerpflichtigen, gegebenenfalls unter Bildung von Kostenpauschalen, abzu-
setzen.

Drucksache 16/2014 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Das steuerfreie Existenzminimum ist realitätsgerecht anzuheben. Darüber hin-
aus ist eine unabhängige Kommission einzurichten, die die Höhe des steuer-
freien Existenzminimums regelmäßig überprüft.

Grundlage der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit muss
die steuerliche Gleichbehandlung aller Steuerpflichtigen unabhängig von ihrer
Lebensweise sein. Im Sinne der Individualisierung des Einkommensteuerrechts
ist das Ehegattensplitting in eine Freibetragsregelung zur steuerlichen Berück-
sichtigung von Unterhaltsleistungen bis in Höhe des steuerfreien Existenzmini-
mums umzuwandeln. Dies fördert gleichzeitig die Durchsetzung der Gleich-
berechtigung von Frauen und Männern.

Nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts ist das Existenzminimum
der im Haushalt der Steuerpflichtigen lebenden Kinder steuerfrei zu stellen.
Deshalb ist das Kindergeld für alle Kinder auf 250 Euro zu erhöhen. Seine Be-
zugsdauer bis zum 27. Lebensjahr des Kindes ist beizubehalten. Für Kinder, de-
ren Eltern über geringe bzw. keine Einkommen verfügen, ist das Kindergeld
durch einen Zuschlag so weit zu ergänzen, dass es das Existenzminimum von
Kindern abdeckt. Für Kosten der Kinderbetreuung ermäßigt sich die Steuer bis
zu einem Höchstbetrag von 2 100 Euro jährlich um die Hälfte.

Das zu versteuernde Einkommen wird realitätsnah ermittelt. Zu diesem Zweck
sind Steuervergünstigungen und Gestaltungsmöglichkeiten mit Subventions-
charakter zu streichen. Der Abzug von Ausgaben der privaten Lebensführung
wird untersagt. In Bezug auf Aufwendungen, die privat mit veranlasst sind,
sind klare quantitative und qualitative Grenzen anzusetzen.

Kosten für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeits- bzw. Betriebsstätte der
Steuerpflichtigen sind weiterhin als Werbungskosten zu behandeln. Darüber
hinaus ist die Bundesregierung aufgefordert zu prüfen, in welchem Umfang die
Absetzbarkeit von Kosten für Aus- und insbesondere Weiterbildung der Steuer-
pflichtigen sachgerecht aus- bzw. umgebaut werden kann.

Einkünfte aus Kapitalvermögen werden, soweit sie im Inland anfallen, effek-
tiver erfasst. Veräußerungsgewinne sind in vollem Umfang steuerpflichtig. Die
Bundesregierung wird aufgefordert, zur effektiven Erfassung von Einkünften
aus Kapitalvermögen im internationalen Bereich eine intensive Kooperation
zwischen den Finanzbehörden der Staaten (z. B. Informationsaustausch) vehe-
ment voranzutreiben. Hier weist die in 2005 verabschiedete EU-Richtlinie zur
effektiven Besteuerung von Zinserträgen den richtigen Weg, der aber noch im-
mer zu langsam beschritten wird.

Die steuerlichen Gewinne der Unternehmen sind realitätsnah und umfassend zu
ermitteln, Steuerbefreiungen und -gestaltungen entsprechend abzuschaffen.
Dazu gehören u. a. die Streichung der Steuerfreiheit von Beteiligungserträgen
der Kapitalgesellschaften und für Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen
an Kapitalgesellschaften, die Versagung des Betriebsausgabenabzugs, im Falle
der Steuerfreiheit damit zusammenhängender Erträge, die stärkere Belastung
unversteuerter Erträge in Form stiller Reserven bzw. deren Aufdeckung sowie
die Verhinderung der Verlagerung der Bemessungsgrundlage ins Ausland z. B.
durch die Zahlung von Schuldzinsen und Lizenzgebühren an verbundene
Unternehmen. Des Weiteren wird die Bundesregierung beauftragt zu prüfen,
inwieweit der Abzug von Betriebsausgaben, die mit der Verlagerung von
Standorten in Niedrigsteuerländer in Zusammenhang stehen, begrenzt werden
kann.

Unternehmensgewinne, die im Inland erwirtschaftet werden, sind in vollem
Umfang den inländischen Steuern zu unterwerfen. Intertemporäre Verlustver-
rechnungen sind – wie in anderen europäischen Staaten üblich – zeitlich zu be-
grenzen.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5 – Drucksache 16/2014

Die Bundesregierung wird aufgefordert, sich im Sinne des Erhalts der Finanzie-
rungsgrundlage des Gemeinwesens und des ökonomischen, sozialen und fiska-
lischen Zusammenhalts in der Europäischen Union auf internationaler Ebene
intensiver gegen Steuerwettbewerb und Steuerdumping einzusetzen.

Zur Vermeidung von Steuerflucht und -umgehung durch Geschäfts- und Wohn-
sitzverlegung von Steuerpflichtigen ins Ausland ist die so genannte Wegzugs-
besteuerung im Außensteuerrecht bezüglich der Einkommen- und Erbschaft-
steuer kurzfristig europarechtskonform zu vitalisieren.

Berlin, den 27. Juni 2006

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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