BT-Drucksache 16/13610

Reformprozesse in Indien unterstützen

Vom 1. Juli 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/13610
16. Wahlperiode 01. 07. 2009

Antrag
der Abgeordneten Jürgen Trittin, Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln),
Alexander Bonde, Dr. Uschi Eid, Peter Hettlich, Thilo Hoppe, Ute Koczy, Kerstin
Müller (Köln), Winfried Nachtwei, Omid Nouripour, Claudia Roth (Augsburg),
Manuel Sarrazin, Christine Scheel, Irmingard Schewe-Gerigk, Rainder Steenblock
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Reformprozesse in Indien unterstützen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die globalen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts erfordern neue Formen
der internationalen Zusammenarbeit. Keines der großen Probleme unserer Zeit
wie der Klimawandel, Armut, Hunger, die Rohstoffkrise und der Rüstungs-
wettlauf, kann für sich gelöst werden, und kein Staat der Welt kann sie allein
meistern. Indien spielt bei der Suche nach und der Umsetzung von Lösungen
für diese globalen Herausforderungen eine entscheidende Rolle. Es ist Aufgabe
der Bundesregierung, Indien dafür zu gewinnen, noch stärker als bisher ge-
meinsam Verantwortung zu übernehmen und die internationalen Institutionen
zu stärken. Globalisierung muss politisch und gerecht gestaltet werden. Der
Klimawandel kann nicht alleine in Europa bekämpft werden, sondern nur zu-
sammen mit anderen. Indien spielt dabei eine entscheidende Rolle. Indien ist
unerlässlich bei der Gestaltung eines fairen Welthandels und einer Stabilisie-
rung des Finanzsystems. Und nur mit einem wirksamen Multilateralismus, in
dem sich Indien als Akteur einbringt, kann es gelingen, die Interessen unter-
schiedlichster Weltregionen zu befriedigen.

Indien steht zudem vor großen innenpolitischen Aufgaben. Bei den Wahlen für
das Unterhaus Lok Sabha erreichte die United Progressive Alliance (UPA) im
Mai 2009 einen klaren Sieg. Die damit bestätigte indische Regierung steht nun
angesichts eines Rückganges des Wirtschaftswachstums und einer Zunahme
der öffentlichen Verschuldung, großer Armut und Arbeitslosigkeit, sozialer und
religiöser Unruhen aufgrund massiver sozioökonomischer Unterschiede und
einer unzureichenden Infrastruktur vor der gewaltigen Aufgabe, angekündigten
Programmen nun eine entschlossene Umsetzung von Reformen folgen zu las-
sen. Der Deutsche Bundestag würdigt die bisherigen Bemühungen und begrüßt
die verabschiedeten Programme, die überwiegend zeigen, wie klar die Analyse

der größten Probleme des Landes bereits ist. Jetzt kommt es entscheidend auf
den Willen und die Fähigkeiten der indischen Regierung an, die Reformvor-
haben umfassend zu implementieren. Dabei sollte die deutsche Bundesregie-
rung ein verlässlicher, kooperativer und strategischer Partner sein, der stärker
als bisher die wichtigen Themen Menschenrechtsschutz, Armutsbekämpfung,
Aufbau von Sozialsystemen sowie Klima und Energie in den Fokus seiner Zu-
sammenarbeit stellt.

Drucksache 16/13610 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. Indien als wichtigen Akteur zur Gestaltung einer gerechten Globalisierung
stärker wahrzunehmen;

2. sich aktiver als bisher mit Indien um gemeinsame Ansätze einer global
governance vor allem in den Bereichen Bekämpfung des Klimawandels,
Energiesicherheit, der nuklearen Nichtverbreitung und Armutsbekämpfung
zu bemühen;

3. ihre Schwerpunktsetzung in der Zusammenarbeit mit Indien bilateral und
im Rahmen der EU dahingehend zu ändern, dass sie sich stärker als bisher
für eine Verbesserung der Menschenrechtslage einsetzt und dabei die Not-
wendigkeit einer rechtsstaatlichen Grundsätzen entsprechenden Strafver-
folgung zu betonen;

4. zur Stärkung des internationalen Menschenrechtsschutzes aktiver beizu-
tragen, indem sie Indien zur baldigen Zeichnung und Ratifizierung wichti-
ger noch ausstehender Menschenrechtsabkommen wie der Genfer Flücht-
lingskonvention und des Römischen Statuts für den internationalen
Strafgerichtshof auffordert;

5. Indien noch intensiver in der Armutsbekämpfung zu unterstützen und Hilfe
insbesondere bei der nachhaltigen und umfassenden Umsetzung der be-
schlossenen Sozialprogramme, des neuen Gesetzes zur sozialen Sicherung
im informellen Sektor und des ländlichen Beschäftigungsprogramms zu
leisten;

6. deutlicher als bisher der indischen Regierung gegenüber die Bedeutung des
Rechts auf Nahrung zu betonen und sie bei der Umsetzung des neuen
Gesetzes zur Ernährungssicherheit zu unterstützen;

7. die Notwendigkeit eines verbesserten Schutzes vor Folter und einer gesetz-
lichen Regelung zu bekräftigen und dabei mit gutem Beispiel voran zu
gehen, indem sie den Präventionsmechanismus des Zusatzprotokolls zur
Anti-Folter-Konvention der Vereinten Nationen in Deutschland besser aus-
stattet;

8. gegenüber der indischen Regierung die Notwendigkeit des verbesserten
Minderheitenschutzes zu betonen und die nachhaltige Umsetzung von
Programmen zum umfassenden Schutz und zur besseren Rechtsstellung
ethnischer, religiöser, sexueller und anderer Minderheiten zu unterstützen;

9. dabei insbesondere auf die Bedeutung einer besseren Integration der musli-
mischen Minderheit durch gezielte Programme hinzuweisen und in diesem
Zusammenhang in der Form in Deutschland ein Zeichen zu setzen, dass sie
die längst überfällige Gleichstellung des Islams als Weltreligion in der
Bundesrepublik Deutschland vorantreibt;

10. gegenüber der indischen Regierung die Notwendigkeit von mehr Maß-
nahmen zum Schutz vor Diskriminierung zu unterstreichen und dabei ins-
besondere auf die Beseitigung aller noch bestehenden Auswirkungen des
Kastenwesens zu drängen;

11. die Bekämpfung der Kinderarbeit zu unterstützen und Indien zu verstärkten
Maßnahmen zu drängen;

12. Indien aufzufordern, verstärkte Anstrengungen zu unternehmen, Frauen
durch gezielte Programme zu fördern, z. B. durch die Verabschiedung und
Umsetzung eines Gesetzes über eine Quotenregelung in Bundes- und
Landesparlamenten und öffentlichen Einrichtungen sowie durch intensive
Alphabetisierungsmaßnahmen insbesondere in den ländlichen Gebieten;

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/13610

13. sich im Rahmen der Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen zwi-
schen der EU und Indien kritischer und klarer als bisher für umfassende
Regelungen zu nachhaltiger Entwicklung und zum Schutz der sozialen und
gesellschaftlichen Belange der Frauen in Indien einzusetzen und dafür
Sorge zu tragen, dass internationale Menschenrechts- und Umwelt-
standards gewährleistet werden;

14. die Notwendigkeit einer umfassenden Reform indischer Arbeitsgesetze zu
bekräftigen;

15. die indische Regierung bei Maßnahmen zur Verbesserung der Infrastruktur
zu unterstützen, insbesondere beim Ausbau schadstoffärmerer öffentlicher
Nahverkehrssysteme;

16. mit Indien nicht nur an einer quantitativen, sondern vor allem auch an einer
qualitativen Vertiefung der Wissenschaftskooperation zu arbeiten und dabei
insbesondere die Ausbildung und den Aufenthalt deutscher Wissenschaft-
lerinnen und Wissenschaftler in Indien stärker als bisher zu unterstützen;

17. einen Schwerpunkt der Zusammenarbeit mit Indien in der Erforschung,
Entwicklung und Umsetzung von Maßnahmen für mehr Energieeffizienz
und -einsparung sowie für eine bessere rechtliche Regelung und stärkere
Nutzung erneuerbarer Energie zu setzen;

18. im Hinblick auf die Verhandlungen zum Klimarahmenprogramm in Kopen-
hagen (COP 15) spezielle Anstrengungen zu unternehmen, Indien in das
internationale Klimaregime einzubinden;

19. sich von ihrem Förderkonzept für Atomkraft zu verabschieden und der
indischen Regierung gegenüber klar zu vertreten, dass der Ausbau von
Atomkraft weder finanziell sinnvoll, noch als Maßnahme zur massiven
Elektrifizierung des Landes geeignet, noch ökologisch und sicherheits-
politisch vertretbar wäre;

20. eine restriktivere Rüstungsexportpolitik umzusetzen und unter den gegen-
wärtigen Bedingungen keine Kriegswaffen in die indisch-pakistanische
Krisenregion zu exportieren;

21. das deutsch-indische Abkommen über die friedliche Nutzung der Kern-
energie von 1971 zu beenden und statt dessen einen Vertrag über die Nut-
zung der erneuerbaren Energien zu schließen;

22. darauf zu drängen, dass Indien dem Atomteststoppvertrag (CTBT) beitritt,
ein überprüfbares Moratorium für die Produktion von waffenfähigem
spaltbarem Material erklärt, verbindlich signalisiert, einem zukünftigen
Vertrag über das Verbot zur Produktion von spaltbarem Material für
Waffenzwecke (FMCT) ebenfalls beizutreten und alle bestehenden sowie
zukünftigen zivilen Nuklearanlagen rechtsverbindlich unter dauerhafte
Aufsicht der Internationalen Atomenergieorganisation zu stellen;

23. sich auf EU-Ebene für ein verbindliches Abkommen einzusetzen, in dem
die Mitgliedstaaten sich dazu verpflichten, ebenfalls kein Atommaterial
und keine Atomtechnologie an Indien zu liefern, so lange die unter
Nummer 22 aufgeführten Punkte von Indien nicht erfüllt wurden;

24. die indische Atompolitik einer jährlichen Überprüfung zu unterziehen und
dem Deutschen Bundestag jährlich zu berichten, welche Fortschritte Indien
hinsichtlich der Annäherung an das nukleare Nichtverbreitungsregime ge-
macht hat;

Drucksache 16/13610 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
25. mehr Eigeninitiative für eine Vermittlung im Friedensprozess in Sri Lanka
zu entwickeln und gleichzeitig Indien darin zu bestärken, sich für einen
Friedensprozess in Sri Lanka unter Einbeziehung und Wahrung der Rechte
der tamilischen Minderheit einzusetzen;

26. die indische Regierung bei politischen Vermittlungsbemühungen zur
Stabilisierung der Demokratie in Nepal zu unterstützen;

27. eine Wiederbelebung des Verbunddialogs Indiens mit Pakistan zu begrüßen
und den Ausbau und die Vertiefung der Kooperation und friedlichen
Konfliktlösung der beiden Staaten zu fördern;

28. sich für eine friedliche Einigung zwischen Indien und China über Grenz-
verläufe zwischen den beiden Staaten einzusetzen.

Berlin, den 1. Juli 2009

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.