BT-Drucksache 16/13474

zu dem Antrag der Bundesregierung -16/13187, 16/13393 - Anpassung des Einsatzgebietes für die Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-geführten Operation Atalanta zur Bekämpfung der Piraterie vor der Küste Somalias

Vom 17. Juni 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/13474
16. Wahlperiode 17. 06. 2009

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Jürgen Trittin, Winfried Nachtwei, Omid Nouripour, Kerstin
Müller (Köln), Jerzy Montag, Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln),
Alexander Bonde, Dr. Uschi Eid, Thilo Hoppe, Ute Koczy, Claudia Roth (Augsburg),
Manuel Sarrazin, Irmingard Schewe-Gerigk, Rainder Steenblock, Wolfgang
Wieland und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

zu der Beratung des Antrags der Bundesregierung
– Drucksachen 16/13187, 16/13393 –

Anpassung des Einsatzgebietes für die Beteiligung bewaffneter deutscher
Streitkräfte an der EU-geführten Operation Atalanta zur Bekämpfung der Piraterie
vor der Küste Somalias

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Mit der von der EU angestrebten Ausweitung des Einsatzgebietes der Anti-
Piraterie-Mission Atalanta von den Küstengewässern Somalias in Richtung der
Seychellen müssen die Defizite bei der Strafverfolgung endlich angegangen
werden. Das derzeitige uneinheitliche Vorgehen der internationalen Gemein-
schaft mit festgesetzten mutmaßlichen Piraten am Horn von Afrika verdeutlicht
die Abstimmungsdefizite der internationalen Gemeinschaft insbesondere auch
in Bezug auf die Strafverfolgung. Damit wird man dem Auftrag der Sicher-
heitsratsresolution der Vereinten Nationen (VN) zur Bekämpfung der Piraterie
nicht gerecht.

Während z. B. die USA mutmaßliche Piraten vor US-Gerichten anklagen und
auch die Niederlande dazu übergehen, ließen Kanada und Dänemark Mitte
April 2009 Personen, die der Piraterie verdächtig waren, nach kurzer Zeit wieder
frei, da ihr nationales Recht die Strafverfolgung nach eigenen Angaben nicht
zulasse, was faktisch einer Straffreiheit gleich kommt. Die NATO-Operation
Allied Protector, die Anti-Terror Operation Enduring Freedom am Horn von
Afrika haben keine verbindlichen Regeln für einen verantwortbaren strafrecht-
lichen Umgang mit mutmaßlichen Straftätern.
Auch der von Deutschland und einigen anderen EU-Staaten gewählte Weg, auf
Grundlage der EU-Vereinbarung mit Kenia am Horn von Afrika festgesetzte
mutmaßliche Piraten an die kenianischen Behörden zu überstellen, kann keine
dauerhafte Lösung sein. Kenia wird bei Zunahme der Überstellungen an die
Grenzen seiner Handlungsmöglichkeiten stoßen. Schon jetzt ist fraglich, ob
Kenia die Zusage der Einhaltung menschenrechtlicher Standards auch im Voll-
zug der verhängten Strafen einhalten kann und will.

Drucksache 16/13474 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Es ist im Interesse der Völkergemeinschaft wie der Bundesrepublik Deutsch-
land, dass Straftäter, die schwere Straftaten wie die Piraterie begehen, auch tat-
sächlich verfolgt werden. Die derzeitige Situation am Horn von Afrika, ins-
besondere die Freisetzung, aber auch die uneinheitliche Art der Strafverfolgung
und die Überstellung an Drittstaaten, sind mit dem Verständnis von kollektiver
Sicherheit und der Wahrung internationalen Rechts schwer vereinbar.

Die Frage der Strafverfolgung von Piraten stellt sich dabei nicht nur für das
Horn von Afrika. Die Zahl der Piratenüberfälle ist in den letzten Jahren welt-
weit angestiegen und hat im Jahr 2008 einen neuen Höchststand erreicht. Die
Länder, vor deren Küsten Piraten aktiv sind, müssen daher in den Stand versetzt
werden, ihre Gerichtsbarkeit auszuüben. Erste Erfolge diesbezüglich gibt es in
der Straße von Malakka. Für Fälle, in denen dies aktuell nicht möglich ist, wie
in Somalia, muss die Strafverfolgung auf internationaler Ebene übernommen
werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. eine rechtstaatliche Strafverfolgung von festgenommenen, der Piraterie ver-
dächtigten Personen sicherzustellen;

2. im Rahmen der EU und der VN einen Vorschlag zur internationalen Straf-
verfolgung von Piraterie zu unterbreiten;

3. dabei insbesondere zu prüfen, in welcher Form die Infrastruktur des Interna-
tionalen Seegerichtshofs in Hamburg, der bislang nur für seerechtliche Strei-
tigkeiten zwischen Staaten und nicht für Individuen zuständig ist, genutzt
werden kann;

4. darauf aufbauend zu prüfen, inwieweit eine entsprechende Resolution des
Sicherheitsrates anzuregen ist und inwieweit als mittelfristige Perspektive
ein Zusatzprotokoll zum Statut des Gerichtshofs umsetzbar ist;

5. sich bei den Vorschlägen bezüglich der Regelungen zum Strafprozess-, Ge-
richtsorganisations-, Rechtshilfe- und Auslieferungsrecht sowie der Frage
des Strafvollzugs an dem Statut und den Regelungen des Internationalen
Strafgerichtshofs zu orientieren;

6. einen Gesetzentwurf vorzulegen, der das Festhalten von der Piraterie verdäch-
tigen Personen bis zur Entscheidung über die Strafverfolgung näher regelt.

Berlin, den 17. Juni 2009

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

Begründung
Die durch die VN-Resolution 1816 und 1838 (2008) unter Berufung auf Kapi-
tel VII der VN-Charta erlassenen Maßnahmen zur Bekämpfung der Piraterie
am Horn von Afrika haben dazu beigetragen, dass die Piraterie vor Somalia
stärker verfolgt werden konnte. Keines der Schiffe des World Food Programms,
die Nahrungsmittel nach Somalia bringen und auf denen der Schwerpunkt des
Schutzes liegt, wurde seitdem angegriffen. Das Problem der Piraterie ist mit
dem relativ erfolgreichen Einsatz der rund 35 Schiffe der internationalen Ge-
meinschaft in den Küstengewässern Somalias, an dem sich auch die Bundes-
wehr im Rahmen der EU-Mission Atalanta beteiligt, jedoch keineswegs gelöst.
Die Piraten weichen mittlerweile auf andere Gebiete aus und greifen verstärkt

Schiffe im Indischen Ozean an. Derzeit befinden sich rund 17 Schiffe in den
Händen von Piraten. Mehr als 300 Seeleute werden als Geiseln festgehalten,

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/13474

darunter auch mehrere Deutsche. Nach Angaben der International Foundation
of the Law of Sea (IFLS) kam es in den ersten drei Monaten dieses Jahres vor
Somalia trotz des internationalen Einsatzes zu 102 Übergriffen – doppelt so
viele wie im ersten Quartal 2008. Zudem wird die Piraterie immer professionel-
ler und gewaltsamer betrieben. Die Zunahme von Überfällen von Piraten be-
schränkt sich zudem nicht allein auf das Horn von Afrika. Die Zahl der Piraten-
überfälle auf See hat im Jahr 2008 weltweit einen neuen Höchststand erreicht.
Die IFLS registrierte im vergangenen Jahr insgesamt 293 Piratenüberfälle, bei
denen insgesamt 889 Seeleute als Geiseln genommen wurden. Zusätzlich zu
Somalia bleibt vor allem Südostasien eine Hochrisikoregion, ebenso die Küste
von Nigeria und die Küstengewässer Perus.

Mit dem verstärkten Agieren der internationalen Gemeinschaft zur Bekämp-
fung der Piraterie am Horn von Afrika und der zunehmenden Zahl von aufge-
griffenen mutmaßlichen Piraten, wird deutlich, dass die Frage der strafrecht-
lichen Verfolgung zu Beginn der Mission nicht ausreichend erörtert wurde. Und
dies, obwohl von Anfang an klar war, dass an Somalia sowie die faktisch unab-
hängigen Gebiete Somaliland und Puntland, Heimat der meisten Piraten am
Horn von Afrika, die mutmaßlichen Piraten aufgrund fehlender staatlicher
Strukturen und rechtsstaatlicher Mindeststandards nicht überstellt werden kön-
nen. Die meisten Staaten, die im Rahmen der vier Operationen im Indischen
Ozean unterwegs sind (die europäische Anti-Piraten-Operation Atalanta die
NATO-Operation Allied Protector, die OEF-Marinegruppe „Task-Force 150“
und die US-geführte Task Force 151) sowie die Staaten, die wie Russland,
Japan, China und auch dem Iran unter nationalem Kommando vor Ort sind,
sehen dennoch von einer eigenen nationalen Strafverfolgung – wie es aber das
Seerechtsübereinkommen für das Aufbringen eines Seeräuberschiffs auf Hoher
See vorsieht – ab. Gründe dafür sind bei einigen Ländern verfassungsrechtliche
Fragen und bei anderen Ländern politische.

Die von einigen Ländern praktizierte Straflosigkeit gegenüber aufgegriffenen
mutmaßlichen Piraten droht die Mission vor Ort ad absurdum zu führen. Es
widerspricht dem Sinn des Einsatzes, wenn mit großem Aufwand Soldaten und
Soldatinnen eingesetzt werden, um Piraterie zu unterbinden, und dann diejeni-
gen, die bei solchen Verbrechen festgesetzt werden, ohne Strafverfolgung an
Land wieder freigelassen werden. Auch der von Deutschland und einigen ande-
ren EU-Staaten gewählte Weg, auf Grundlage der EU-Vereinbarung mit Kenia
am Horn von Afrika festgesetzte mutmaßliche Piraten an die kenianischen Be-
hörden zu überstellen, kann keine dauerhafte Lösung sein. Die Bundesrepublik
Deutschland überprüft derzeit mit großem Aufwand, ob die rechtsstaatlichen
Standards in Kenia eingehalten werden. Dies gewährleistet jedoch nicht, dass
ein möglicher späterer Strafvollzug ebenfalls den erforderlichen menschen-
rechtlichen Standards gerecht wird. Zudem widerspricht es dem Verständnis
der gemeinsamen internationalen Verantwortung, dass ein einziges Land allein
die Konsequenzen aus Aktionen im System kollektiver Sicherheit trägt.

Solange die Länder, vor deren Küsten Piraten aktiv sind, nicht selbst in der
Lage sind, ihre Gerichtsbarkeit auszuüben, muss daher die internationale Ge-
meinschaft eine unterstützende Funktion einnehmen. Dafür bedarf es gerade
von den Staaten, die im Rahmen der Bekämpfung der Piraterie aktiv sind, kon-
kreter Vorschläge. Der bloße Ruf nach einem Internationalen Piratengerichts-
hof wird dieser Herausforderung nicht gerecht.

Der Internationale Seegerichtshof (ISGH) in Hamburg, der auf Grundlage des
Internationalen Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen (SRÜ) von
1982 (Anlage VI) errichtet wurde, könnte als Gericht für eine internationale
Strafverfolgung von Piraterie dienen. Zwar ist der Gerichtshof derzeit lediglich
für zwischenstaatliche Konflikten und nicht für die strafrechtliche Verfolgung

von Individuen zuständig. Allerdings ist der seerechtliche Zusammenhang sehr
naheliegend, das Übereinkommen sieht bereits heute die „Bekämpfung der See-

Drucksache 16/13474 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
räuberei auf Hoher See“ (Artikel 100 ff.) vor und nach Anlage VI Artikel 21
kann der Gerichtshof „für alle in einer sonstigen Übereinkunft, die dem Ge-
richtshof die Zuständigkeit überträgt, besonders vorgesehenen Angelegenhei-
ten“ zuständig sein. Zudem sind auch keine überzeugenden Alternativen erkenn-
bar. Der in der öffentlichen Diskussion vorgebrachte Vorschlag, die Piraterie als
weiteren Tatbestand des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag aufzu-
nehmen, verkennt, dass dies die Schwere und Schrecklichkeit der dort verurteil-
ten Verbrechen wie Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die
Menschlichkeit nivellieren würde. Ein Gerichtshof in der Region würde für Pira-
terie aus anderen Weltteilen (Asien, Südamerika) nicht passen und eine ander-
weitige Neugründung wäre zwar möglich, aber äußerst zeit- und kostenintensiv.
Denn gerade infrastrukturell bietet sich eine Nutzung des ISGH, der seit seiner
Gründung 1996 bis 2008 erst 15 Verhandlungen geführt hat, an.

Einer Änderung des Seerechtsübereinkommens selbst bedürfte es für die Er-
weiterung der Zuständigkeit des ISGH also nicht, was angesichts dessen, dass
das derzeitige Abkommen zwölf Jahre lang von 5 800 Beteiligten verhandelt
wurde, auch aussichtslos wäre. Allerdings müsste die in Anlage VI Artikel 21
(SRÜ) erwähnte Übereinkunft über die Übertragung der Zuständigkeiten ge-
troffen werden und zudem gilt es, den materiellen Straftatbestand der Piraterie
völkerrechtlich zu definieren. Die Regelungen zum Strafprozess-, Gerichts-
organisations-, Rechtshilfe- und Auslieferungsrecht sowie der Frage des Straf-
vollzugs könnten an das Statut des Internationalen Strafgerichtshofs (Rom-
Statut), der ebenfalls eine strafrechtliche Verfolgung von Individuen vollzieht,
angelehnt werden. Auch für Fragen der finanziellen Mittel des Gerichtshofs
und der Regelung der Vollstreckung von Strafurteilen bietet sich das Rom-Sta-
tut als Vorbild an. Dort ist die Beitragspflicht der Vertragsstaaten ebenso ge-
regelt wie das Verfahren, nach dem die Staaten für die Strafvollstreckung ge-
funden werden. Um eine zügige Übertragung der Zuständigkeiten auf den
Internationalen Seegerichtshof zu gewährleisten, ist zu prüfen, inwieweit kurz-
fristig auf eine Sicherheitsratsresolution gebaut werden kann.

Mit dem Aufbau einer internationalen Strafverfolgung von Piraterie muss je-
doch die Bekämpfung der Ursachen der Piraterie einhergehen. Somalia muss
politisch stabilisiert und funktionstüchtige staatliche Strukturen müssen aufge-
baut werden. Darüber hinaus gilt es, die internationale Überfischung der soma-
lischen Gewässer durch internationale Fangflotten, eine der Ursachen der Pira-
terie, endlich zu beenden.

Auch die Nachbarstaaten müssen mit technischer und finanzieller Hilfe in die
Lage versetzt werden, ihre Küsten und die angrenzenden Seegebiete mit eige-
nen Mitteln zu überwachen und Piraterie angemessen zu bestrafen. Die Erfah-
rungen in Südostasien haben gezeigt, dass nur eine regionale Zusammenarbeit
mit internationaler Unterstützung bei der Bekämpfung der Piraterie nachhalti-
gen Erfolg verspricht.

Abschließend ist zu betonen, dass die Mission Atalanta auf einer klaren Grund-
lage steht.

Die völkerrechtlichen Voraussetzungen für eine deutsche Beteiligung sind
erfüllt. Es gibt die Befugnisse gemäß des Seerechtsübereinkommens Artikel
100 ff., entsprechende Beschlüsse des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen
und eine Gemeinsame Aktion der EU. Damit ist nach Artikel 24 Absatz 2 des
Grundgesetzes ein Einsatz bewaffneter Streitkräfte grundsätzlich möglich. An-
zustreben ist jedoch, dass das Festalten von der Piraterie verdächtigen Personen
bis zur Entscheidung über die Einleitung der Strafverfolgung im nationalen
Recht näher geregelt wird. Es entspricht dem allgemeinen rechtsstaatlichen
Standard, dass derartige Grundrechtseingriffe gesetzlich ausführlich geregelt
sind.

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