BT-Drucksache 16/13470

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Fraktionen der CDU/CSU und SPD sowie der Bundesregierung -16/12850, 16/13125, 16/13411- Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Kinderpornographie in Kommunikationsnetzen

Vom 17. Juni 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/13470
16. Wahlperiode 17. 06. 2009

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Wolfgang Wieland, Grietje Staffelt, Kai Gehring, Volker Beck
(Köln), Monika Lazar, Jerzy Montag, Irmingard Schewe-Gerigk, Silke Stokar
von Neuforn, Hans-Christian Ströbele, Josef Philip Winkler und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Fraktionen der CDU/CSU und
SPD sowie der Bundesregierung
– Drucksachen 16/12850, 16/13125, 16/13411 –

Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Kinderpornographie
in Kommunikationsnetzen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Herstellung und Verbreitung von Kinderpornographie gehören zu den wider-
wärtigsten Straftaten. Die Opfer erleiden physische und psychische Schäden, mit
denen sie ihr ganzes Leben lang zu kämpfen haben. Auch die Darstellung und
Verbreitung der schrecklichen Bilder im Internet und auf anderen Trägermedien
sind Teil des Missbrauchsgeschehens. Es muss Ziel staatlichen Handelns sein
und bleiben, gegen diese Verbrechen national wie international vorzugehen. Im
Vordergrund müssen dabei die Verhinderung von Missbrauch, die Beschlag-
nahmung und Vernichtung kinderpornographischen Materials, die Verfolgung
der Täter und die intensive Hilfe für die Opfer stehen.

Die Verbreitung von kinderpornographischem Material erfolgt sowohl über
klassische Vertriebswege wie Briefpost als auch über das Internet mit seinen
verschiedenen Diensten. Hier werden Videos und Bilder per E-Mail versandt
oder über Peer-to-peer-Netzwerke (Tauschbörsen, BitTorrent) ausgetauscht,
daneben sind kinderpornographische Inhalte auch über das World Wide Web
zugänglich.

Das Internet ist und war noch nie ein rechtsfreier Raum. Aus diesem Grund
wird gegen die Anbieter kinderpornographischer Inhalte auch jetzt schon vor-

gegangen. Dies führt dazu, dass Angebote dauerhaft aus dem Netz entfernt
werden, so dass sie auch auf Umwegen nicht mehr zugänglich sind, und dass
gegen die Hersteller und Verbreiter Strafverfahren eingeleitet werden.

Die deutsche Internetwirtschaft arbeitet mit ihrer Einrichtung der freiwilligen
Selbstkontrolle (FSM) bereits seit vielen Jahren daran, die Verbreitung dieser
schrecklichen Inhalte zu unterbinden. Im Rahmen der internationalen Zusam-

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menarbeit zwischen Beschwerdestellen und Behörden über das internationale
Beschwerdestellen-Netzwerk INHOPE ist es in den vergangenen Jahren immer
wieder gelungen, umfangreiche Verfahren einzuleiten und eine Vielzahl von
Beschuldigten zu ermitteln. Dem Netzwerk gehören mittlerweile 35 Hotlines
aus 31 Ländern, verteilt auf alle fünf Kontinente, an. Seit Kurzem zählen auch
Organisationen aus Russland und Südafrika dazu. Die Ausweitung der inter-
nationalen Vernetzung ist ein wichtiger Schritt, um kinderpornographische
Inhalte von Servern außerhalb Deutschlands zu entfernen. Das Bestehen dieser
Hotlines und deren konstruktive Zusammenarbeit mit den Behörden führen
dazu, dass Hinweise aus der Bevölkerung schnell und unbürokratisch an die
Strafverfolgungsbehörden weitergegeben werden. Im Idealfall führt die Arbeit
der Beschwerdestelle zu einer Entfernung kinderpornografischer Inhalte oder
löst, wie in der Vergangenheit mehrfach international geschehen, große polizei-
liche Fahndungen aus.

Aber auch Kinderschutzvereine kämpfen erfolgreich gegen Kinderpornografie
im Internet: Bei einem Versuch der Organisation CareChild, wurden die An-
bieter von 20 Seiten mit mutmaßlichen Kinderpornographieseiten wegen dieser
Inhalte angesprochen. Innerhalb von drei Tagen wurden 16 Angebote entfernt,
bei drei weiteren wurde der Nachweis erbracht, dass es sich nicht um
Kinderpornographie handelt.

Auch das staatliche Vorgehen gegen Kinderpornographie im World Wide Web
hat in der Vergangenheit Erfolge gebracht. Kinderpornographische Angebote
wurden aufgespürt, ihre Entfernung verfügt und Strafverfahren eingeleitet. Und
es gibt das Mittel der richterlichen Sperrverfügung, mit der Internet-Zugangs-
Anbieter gezwungen werden können, durch technische Maßnahmen den Zu-
gang ihrer Kunden zu bestimmten Internetangeboten zu verhindern.

Die Bundesregierung plant nun die umfassende Einführung sogenannter Sperr-
listen. Das Bundeskriminalamt soll eigenständig an Werktagen eine Liste von
Webseiten mit kinderpornografischen Inhalten nach § 184b des Strafgesetz-
buchs und Webseiten, die auf solche verweisen, erstellen, aufgrund derer die
Internet-Zugangs-Anbieter ihren Kunden verpflichtend den Zugang zu den
gelisteten Seiten erschweren sollen. Statt auf die avisierte Internetseite soll der
Surfer auf eine „Stoppseite“ gelangen, die ihn über die allgemeinen Gründe der
Sperrung sowie eine Kontaktmöglichkeit zum Bundeskriminalamt (BKA) in-
formieren soll. Dieses Vorhaben wurde zunächst vertraglich zwischen BKA
und den größten deutschen Internet-Zugangs-Anbietern vereinbart. Handelte
man dabei zunächst ohne gesetzliche Grundlage, soll diese nunmehr durch den
vorliegenden Gesetzentwurf nachgeschoben werden.

Die Wirksamkeit der geplanten Maßnahme wird von Experten stark angezwei-
felt, dies wurde u. a. in der Anhörung des Wirtschaftsausschusses des Deut-
schen Bundestages am 27. Mai deutlich (s. Wortprotokoll des Ausschusses für
Wirtschaft und Technologie Nr. 16/96). Denn es handelt sich bei den in der Dis-
kussion als „Sperren“ bezeichneten technischen Maßnahmen eben nicht um die
Entfernung der Inhalte. Interessierte Nutzer können mit sehr geringem techni-
schem Aufwand die von ihrem Internet-Zugangs-Anbieter errichteten Hürden
umgehen und sich Zugriff auf die im Netz ja nach wie vor vorhandenen Inhalte
verschaffen. Auch die Erfahrung mit bisherigen Sperrverfügungen zeigt, dass
die Anbieter mit einer Verlagerung ihrer Angebote reagieren.

Zudem besteht aus technischen Gründen die Gefahr des sogenannten over-
blocking, es werden fast unvermeidlich auch gar nicht zur Sperrung vor-
gesehene Inhalte verborgen. Das zeigt die Erfahrung mit den bisher in Deutsch-
land richterlich verfügten Sperrmaßnahmen, das belegen aber auch Fälle von
Sperrungen aufgrund der Listen in den skandinavischen Ländern.

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In Ländern, in denen es ähnliche Sperrlisten gibt, ist ihr Nutzen umstritten. Es
fanden sich immer wieder Seiten aufgeführt, die keine kinderpornographischen
Inhalte zeigen. So befanden sich etwa auf den aus Schweden und Finnland
bekannt gewordenen Listen nur 1 bis 2 Prozent Kinderpornografie, der Rest
waren legale Angebote, die dennoch blockiert wurden.

Die Bundesregierung zielt nach eigenen Angaben mit dem Gesetzentwurf vor
allem auf Zufallsnutzer und Gelegenheitskonsumenten. Zufallstreffer und die
gelegentliche Nutzung durch Uneingeweihte sind aber auch heute schon un-
wahrscheinlich. Denn die Anbieter von Suchmaschinen filtern ihrerseits illegale
Inhalte heraus und verzichten auf die Auflistung von Links, die im Rahmen der
Arbeit der Jugendschutzbehörden als nicht für Kinder und Jugendliche geeignet
eingestuft werden.

Wegen dieser grundsätzlichen Erwägungen zur Geeignetheit und Effizienz der
geplanten Maßnahmen hat sich die Frage nach dem bürgerrechtlichen Flur-
schaden verstärkt.

Die Liste soll vom BKA erstellt und nicht veröffentlicht werden. Damit besteht
keinerlei Kontrollmöglichkeit über ihren Inhalt. Es ist angesichts der Gefahr,
dass eine öffentliche Liste zur „Hitliste“ für Pädophile wird, richtig, diese Liste
besonders zu schützen. Eine vollkommen unkontrollierte Geheimliste ist in
einem Rechtsstaat jedoch ein nicht akzeptables Mittel zur Prävention von Straf-
taten.

Bisher können Zugangserschwerungen für Webseiten nach einem entsprechen-
den Verfahren im Einzelfall richterlich angeordnet werden. Das ist ein rechts-
staatliches Vorgehen und dem Eingriff in die Kommunikationsfreiheit ange-
messen. Eine nur vom BKA erstellte Liste genügt den Standards der Rechts-
staatlichkeit nicht.

Der Bundestag hat nicht die gesetzgeberische Zuständigkeit für dieses Vor-
gehen. Die Bundesregierung erklärt, dass es sich hierbei um das Recht der
Wirtschaft handele, das bundesweite Einheitlichkeit erfordere. Im Vordergrund
des Gesetzes steht jedoch die Verhinderung der Verbreitung gesetzeswidriger
Inhalte, wofür Private – die Internet-Zugangs-Anbieter – in Dienst genommen
werden. Für die Gefahrenabwehr in diesem Rechtsbereich besteht jedoch keine
Bundeskompetenz. Auch die Übernahme der Aufgabe der Listenerstellung
durch das BKA geht deutlich über seine Kompetenz als „Zentralstelle“ hinaus.
Außer im Bereich des internationalen Terrorismus hat das BKA keine Kom-
petenz der Gefahrenabwehr. Im Rahmen der Föderalismusreform wurde dies
ausdrücklich so festgeschrieben.

Der Aufbau einer umfassenden Sperrinfrastruktur bei den Internet-Zugangs-
Anbietern zur Umsetzung der vom BKA erstellten Liste der zu sperrenden
Webseiten, ist auch geeignet, andere Seiten als solche mit kinderporno-
graphischen Inhalten zu sperren. Im Rahmen der Diskussion um den Gesetz-
entwurf wurde bereits eine Vielzahl von Inhalten genannt, die in Zukunft eben-
falls durch die Sperrliste erfasst werden sollten. Damit besteht die Möglichkeit
zu einer allgemeinen Zensur von Inhalten im Internet.

Aus den gleichen Gründen ist auch die auf EU-Ebene geplante Verpflichtung
der Mitgliedstaaten zur Sperrung des Zugangs von Webseiten mit kinderporno-
grafischen Inhalten durch einen Rahmenbeschluss abzulehnen (Artikel 18,
Ratsdok. 8150/09). Es kann nicht hingenommen werden, dass innenpolitisch
höchst umstrittene und rechtsstaatlich fragwürdige Vorhaben über den Umweg
der Europäischen Union durchgesetzt werden.

Kinderpornographie muss konsequent und nachhaltig bekämpft und verfolgt
werden. Durch die im Gesetzentwurf vorgesehenen Maßnahmen werden weder

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kinderpornographische Bilder beseitigt, noch das Leid der abgebildeten Opfer
gemindert, noch der sexuelle Missbrauch von Kindern verhindert.

Die gute Arbeit zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexueller
Gewalt und Ausbeutung, die vor fünf Jahren unter der rot-grünen Bundesregie-
rung mit dem Aktionsplan initiiert wurde, ist in den vergangenen Jahren nicht
mit der nötigen Kraft fortgeführt und weiterentwickelt worden. Die hier von der
Bundesregierung und dem zuständigen Ministerium zu verantwortenden Ver-
säumnisse sind durch den vorgelegten Gesetzentwurf nicht zu beheben. Die
Bekämpfung sexueller Gewalt gegen Kinder darf sich nicht allein auf das Inter-
net und die neuen Medien beziehen.

Erforderlich sind nationale und internationale Strategien gegen Kinderporno-
graphie. Die Aufdeckung und Vermeidung von sexuellem Missbrauch und Aus-
beutung, die Identifizierung der Opfer, deren Schutz und Rehabilitation, sowie
die Strafverfolgung der Täter und ihrer Netzwerke sind dabei die zentralen
Ansatzpunkte. Aus Kinderrechts- und Kinderschutzgesichtspunkten muss
zudem der Zugang der Betroffenen und ihrer Familien zu Beratung und Be-
gleitung eine hohe Priorität eingeräumt werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. den vorliegenden rechtsstaatlich mehr als fragwürdigen Gesetzentwurf nicht
weiter zu verfolgen, auf den Aufbau einer umfassenden Sperrinfrastruktur zu
verzichten und jede in die gleiche Richtung gehende Rechtsetzungsinitiative
auf EU-Ebene abzulehnen;

2. auf die Länder einzuwirken, die Personal- und Sachmittel der Strafver-
folgungsbehörden mit dem Ziel zu erhöhen, Kinderpornografie an der
Quelle zu bekämpfen und die Verfolgung von Tätern zu verbessern;

3. in Abstimmung mit den Bundesländern die Strafverfolgungsbehörden zu
veranlassen, gegen ihnen bekannte Provider von Kinderpornographie straf-
rechtlich vorzugehen und behördenbekannte kinderpornografische Inhalte
auf Webseiten unverzüglich löschen zu lassen;

4. an Staaten, in denen bekanntermaßen viele der Webseiten mit kinderporno-
grafischen Inhalten bereitgestellt werden, die Forderung nach konsequenter
Ächtung solcher Websites und Verfolgung der Verantwortlichen zu richten
und die Zusammenarbeit mit den Strafverfolgungsbehörden im Ausland
weiter zu intensivieren;

5. den Nationalen Aktionsplan „Schutz von Kindern und Jugendlichen vor
sexueller Gewalt und Ausbeutung“ mit dem Schwerpunkt der Aufdeckung
und Vermeidung von sexuellem Missbrauch und Ausbeutung, Identifizie-
rung der Opfer, deren Schutz und Rehabilitation, mit aller Kraft fortzuführen
und weiterzuentwickeln;

6. die Nutzung und Weiterentwicklung der technischen Möglichkeiten zur
Opferidentifizierung voranzutreiben;

7. die Ermittlung und Ausweitung von Best-practice-Modellen zur Weiter-
entwicklung der Interventions- und Therapiekonzepte für betroffenen Kin-
der und Jugendliche und ihr soziales Umfeld zu unterstützen sowie spezifi-
sche therapeutische Konzepte zur Begleitung und Behandlung minderjähri-
ger Opfer und ihres sozialen Umfelds im Zusammenhang mit kinderporno-
graphischen Bildern zu entwickeln;

8. weitere Forschung und Analyse über Bedingungen zur Entstehung sexueller
Gewalt einschließlich der Entwicklung von besseren Therapieangeboten für
Täter und potentielle Täter zu fördern und stärker bekannt machen. Diese

Ergebnisse müssen dann zur Verbesserung bundesweiter Präventionsarbeit
mit Kindern und Jugendlichen bereitgestellt werden;

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5 – Drucksache 16/13470

9. die Kinder- und Jugendhilfestrukturen sowie deren Personalentwicklung im
Hinblick auf sexuellen Missbrauch und Ausbeutung von Kindern und
Jugendlichen mit Blick auf die neuen Medien zu stärken.

Berlin, den 17. Juni 2009

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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