BT-Drucksache 16/12735

Landrechte stärken - "land grabbing" in Entwicklungsländern verhindern

Vom 22. April 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/12735
16. Wahlperiode 22. 04. 2009

Antrag
der Abgeordneten Thilo Hoppe, Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln),
Cornelia Behm, Alexander Bonde, Dr. Uschi Eid, Hans-Josef Fell, Bettina
Herlitzius, Peter Hettlich, Ulrike Höfken, Bärbel Höhn, Dr. Anton Hofreiter,
Ute Koczy, Sylvia Kotting-Uhl, Nicole Maisch, Kerstin Müller (Köln), Winfried
Nachtwei, Omid Nouripour, Claudia Roth (Augsburg), Manuel Sarrazin,
Rainder Steenblock, Jürgen Trittin, Josef Philip Winkler und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Landrechte stärken – „land grabbing“ in Entwicklungsländern verhindern

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Während der Welternährungskrise der Jahre 2007 und 2008 sind die Lebens-
mittelpreise auf dem Weltmarkt kurzfristig in die Höhe geschnellt. Als eine der
Reaktionen auf diesen Preisschock spitzt sich eine bereits bestehende, welt-
weite Tendenz zur Landkonzentration zu: Regierungen und Unternehmen
reicher Ölförder-, Schwellen- und Industrieländer kaufen oder pachten riesige
Flächen fruchtbaren Landes in den Entwicklungsländern, um dort Nahrungs-
mittel für den eigenen Binnenmarkt zu produzieren. Privatinvestoren sehen im
Aufkauf fruchtbaren Agrarlands auch eine neue Profitquelle, in die sie zu
Spekulationszwecken investieren können. Gleichzeitig ist durch den Agro-
spritboom die Nachfrage nach Anbauflächen für Energiepflanzen in die Höhe
getrieben worden.

Die Regierungen in den Entwicklungsländern stehen großflächigen Land-
aneignungen oft positiv gegenüber, da sie sich durch die Verpachtung und den
Verkauf von Land ausländisches Kapital, Investitionen in Infrastruktur, Wirt-
schaftswachstum auf dem Lande und die Schaffung von Arbeitsplätzen ver-
sprechen. Kritiker hingegen bezeichnen diese Entwicklung als „land grabbing“
– unrechtmäßige oder illegitime Landaneignung. Sie befürchten, dass Land-
arbeiter, Bauern und lokale Gemeinschaften den Zugang zu Land für ihre lokale
Nahrungsmittelproduktion verlieren, mit Landvertreibungen rechnen müssen
und Armut und Hunger auf dem Land zunehmen.

Bisher liegen keine belastbaren und vollständigen Informationen über das Aus-
maß der Kauf- und Pachtabschlüsse vor. Verhandlungen und Vertrags-

abschlüsse verlaufen scheinbar oft überhastet und intransparent. Die nationalen
Parlamente, die Zivilgesellschaft und insbesondere die betroffene Landbevöl-
kerung werden meist weder informiert noch an den Verhandlungen beteiligt.
Aufgrund der verfügbaren Informationen ist anzunehmen, dass insbesondere
Länder mit niedrigen Einkommen und Nahrungsmitteldefiziten (Low Income
Food Deficit Countries) von Landaufkäufen betroffen sind.

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„Land grabbing“ muss verhindert werden. Die Entwicklungszusammenarbeit
Deutschlands muss Länder mit einem Hungerproblem darin unterstützen, um-
fassende Boden- und Landnutzungspolitiken umzusetzen. Ziel muss es dabei
sein, die Landrechte der marginalisierten Landbevölkerung zu schützen und das
Recht auf Nahrung umzusetzen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. sich dafür einzusetzen, dass das Thema „land grabbing“ auf die internatio-
nale Agenda gesetzt wird und hierfür unter anderem eine internationale
hochrangige Konferenz auszurichten, die mögliche Potentiale, Gefahren und
Auswirkungen von „land grabbing“ diskutiert;

2. im Rahmen der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit in Verhandlungen
mit Partnerländern, die keine Ernährungssicherheit in ihren Ländern gewähr-
leisten (können), „land grabbing“ zu thematisieren und mit den Regierungen
dieser Partnerländer im Sinne der Ziele der bilateralen und nationalen Strate-
gien zur ländlichen Entwicklung auf die Ausarbeitung umfassender Boden-
politiken und Landnutzungspläne sowie redistributive Agrarreformen hinzu-
arbeiten;

3. in der bi- und multilateralen Entwicklungszusammenarbeit Möglichkeiten
zu schaffen und zu unterstützen, durch die auf regionaler und internationaler
Ebene unter Einbeziehung der Zivilgesellschaft und der betroffenen Land-
bevölkerung Erfahrungen und Kapazitäten über Landpolitik, den Zugang zu
Land und produktiven Ressourcen sowie die Sicherung dieses Zugangs aus-
getauscht werden können;

4. in der Landpolitik- und Agrarberatung von Partnerländern dem Thema „land
grabbing“ Rechnung zu tragen. Hierbei könnten beispielhafte Vorstöße wie
das geltende mosambikanische Landgesetz wichtige Impulse dafür liefern,
wie die Sicherung von Landrechten und die Nutzbarmachung ausländischer
Kapitalinvestitionen in Einklang gebracht werden können;

5. stärker als zuvor regionale und nationale Initiativen zur Implementierung
bzw. Reformierung von Landpolitiken zu unterstützen und kritisch zu be-
gleiten; so z. B. die Ausarbeitung der „Umfassenden Leitlinien zur Boden-
politik in Afrika“ (Comprehensive framework and guidelines on land policy
for Africa) der UN-Wirtschaftskommission für Afrika;

6. den Stellenwert von Bodenpolitik und Agrarreform in der deutschen Ent-
wicklungszusammenarbeit zu stärken und dabei auf die nachhaltige Siche-
rung von Land(nutzungs)rechten und die Umverteilung von Land im Sinne
von Frauen, Indigenen, Landlosen, Landarbeiterinnen, Landarbeitern und
anderen verletzlichen Gruppen hinzuarbeiten;

7. darauf hinzuwirken, dass die Förderung der ländlichen Entwicklung im
Rahmen sowohl der bilateralen als auch der europäischen Entwicklungs-
zusammenarbeit sich an die im Jahr 2004 verabschiedeten EU-Leitlinien zur
Bodenpolitik (EU Land Policy Guidelines) hält;

8. sich im Sinne der Erklärung von Paris im Rahmen der Gebergemeinschaft
für eine Harmonisierung im Bereich der Boden- und Agrarreformpolitik ein-
zusetzen und die hierfür nötigen institutionellen Voraussetzungen zu schaf-
fen und zu unterstützen;

9. den vor kurzem begonnenen Prozess der Ausarbeitung von freiwilligen
Landleitlinien (Voluntary Guidelines on Responsible Governance of Tenure
of Land and other Natural Resources) im Rahmen der Ernährungs- und
Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) finanziell zu

unterstützen und sich dafür einzusetzen, dass der Prozess eine hohe politi-
sche Priorität innerhalb der FAO und bei den Mitgliedstaaten genießt;

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10. sicherzustellen, dass im Sinne der extraterritorialen menschenrechtlichen
Staatenpflichten Deutschlands und im Rahmen der Mitgliedschaft Deutsch-
lands in internationalen Finanzinstitutionen und anderen relevanten Institu-
tionen, „land grabbing“ und Landvertreibungen durch Kreditvergabepolitik
und Kreditvereinbarungen kein Vorschub geleistet wird;

11. sicherzustellen, dass öffentliche und private Investitionen, die mit deut-
scher Beteiligung in Entwicklungsländern getätigt werden, im Einklang mit
den relevanten Menschenrechtsprinzipien und -instrumenten stehen. Hierzu
gehören insbesondere das Recht auf Nahrung und das Recht auf Unter-
kunft, die freiwilligen Leitlinien zur Umsetzung des Rechts auf Nahrung
der FAO sowie die „Grundprinzipien und Leitlinien zu Zwangsräumungen
und Zwangsvetreibungen“ (Basic Principles and Guidelines on Develop-
ment-based Evictions and Displacement) des UN-Menschenrechtsrats;

12. sich dafür einzusetzen, dass der Anbau von Agrarexportprodukten, insbe-
sondere von Agrotreibstoffen, einem System von verbindlichen Menschen-
rechts- und Nachhaltigkeitskriterien unterliegt. Diese dürfen sich nicht
allein auf die Zertifizierung beschränken, sondern müssen in den Ländern,
die Energiepflanzen oder Biosprit exportieren wollen, die gesamte Politik
mit Relevanz für die Ausübung des Rechts auf Nahrung erfassen.

Berlin, den 22. April 2009

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

Begründung

„Land grabbing“ unterscheidet sich von bisherigen Prozessen der Landkonzen-
tration in Ländern des Südens durch das Ausmaß der getroffenen Vereinbarun-
gen. So umfasste die Pachtvereinbarung zwischen dem südkoreanischen Kon-
zern Daewoo und der ehemaligen Regierung Madagaskars, die vor dem Regie-
rungssturz im März 2009 ausgehandelt aber noch nicht beschlossen wurde,
Presseberichten zufolge ca. 1,3 Mio. Hektar fruchtbaren Ackerlands. Ähnlich
gigantische Flächen sind zwischen einem US-amerikanischen Investmentban-
ker und einem südsudanesischen Milizenführer ausgehandelt worden. Diese
beiden Fälle stellen die Extreme einer sich beschleunigenden Tendenz dar. Be-
richte von weiteren Landaneignungen in Ländern Afrikas, Lateinamerikas und
Asiens häufen sich. Dabei stellen insbesondere ärmere Staaten (z. B. Uganda),
große Flächenstaaten (z. B. Sudan, Brasilien) und demokratisch wenig konsoli-
dierte Staaten (z. B. Angola, Äthiopien, Sudan) besonders attraktive Standorte
für „land grabbing“ dar. Während größere Landkäufe oder Pachtvereinbarun-
gen in den letzten Jahren vor allem dem Erwerb von Land für den Anbau von
Agrotreibstoffen dienten, ist in jüngster Zeit die Auslagerung der Nahrungs-
mittelproduktion als Motivation hinzugekommen: Reiche Erdöl- und Industrie-
staaten investieren strategisch in Land, um längerfristig die Versorgung der
eigenen Bevölkerung mit Lebensmitteln zu garantieren. Medienberichten zu-
folge zählen hierzu u. a. Ägypten, die Vereinigten Arabischen Emirate, Süd-
korea, China, Indien und Libyen.

„Land grabbing“ stellt sich in zweierlei Hinsicht als problematisch, ja ge-
fährlich dar. Zum einen wird hierdurch die sich in vielen Ländern des Südens
bereits vollziehende Landkonzentration beschleunigt. Die Anhäufung von

Landbesitz verursacht negative Folgen wie Zwangsvertreibungen von Klein-
bäuerinnen und -bauern von angestammtem Ackerland, die Zerstörung von ge-

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wachsenen Siedlungs- und Sozialstrukturen, die Zunahme von Hunger und
Armut durch Landlosigkeit, die Verbreitung gewalttätiger Konflikte auf dem
Lande und die Beschleunigung der Landflucht. Die Erfahrung aus Ländern mit
einer langen Geschichte massiver Landkonzentration wie Brasilien, Kolum-
bien, Südafrika oder Simbabwe zeigt, wie schwer das Vermächtnis einer unaus-
gewogenen Landverteilung auf der Zukunft eines Landes lasten kann.

Zum anderen begünstigt Landkonzentration Anbaumethoden, die sich negativ
auf die Umwelt auswirken. Durch die Bewirtschaftung großer Flächen werden
eben jene kapital- und technikorientierten Produktionsmodelle gefördert, die
die ungehemmte Intensivierung der Landwirtschaft vorantreiben und den mas-
siven Einsatz von Energie, Wasser, Pestiziden und chemischen Düngemitteln
beinhalten.

Es besteht daher dringender Handlungsbedarf in mehreren Bereichen. Zum
einen muss der Brisanz des Themas „land grabbing“ Rechnung getragen wer-
den, indem es auf die politische Tagesordnung gesetzt wird. Dies ist umso
dringlicher, als ländliche Entwicklung insgesamt, und die Bodenpolitik und
Agrarreformen im Besonderen, in der Entwicklungszusammenarbeit (EZ) der
letzten Jahre sträflich vernachlässigt worden sind. Zudem müssen dringend nö-
tige empirische Daten über das Ausmaß und die Formen des „land grabbing“
gewonnen werden. Strategien zur Eindämmung des „land grabbing“ und die
Sicherung von Landrechten der marginalisierten Landbevölkerung sollten in
der bi- und multilateralen EZ im Bereich ländliche Entwicklung einen wichti-
gen Stellenwert bekommen. Eine stärkere Orientierung hin zu bisher vernach-
lässigten Aspekten der EZ in der ländlichen Entwicklung wie Bodenpolitik und
Agrarreform, und dabei insbesondere die Sicherung von traditionellen Land-
rechten, muss sich in der Ausgestaltung der deutschen und multilateralen EZ
widerspiegeln. Die Zunahme des „land grabbing“ zeigt, dass die Landrechte
der verletzlichen, marginalisierten Landbevölkerung in vielen Ländern keines-
wegs gesichert sind und massiv verletzt werden.

Die im Rahmen der FAO begonnene Ausarbeitung von freiwilligen Landleit-
linien (Voluntary Guidelines on Responsible Governance of Tenure of Land
and other Natural Resources) kann wichtige Impulse für die Ausgestaltung
eines national anwendbaren Systems zur guten Regierungsführung in der Bo-
den- und Agrarreformpolitik geben. Die deutsche EZ sollte die Ausarbeitung
von Leitlinien und anderen Instrumenten aktiv fördern, die die Anerkennung
und Sicherung traditioneller Land(nutzungs)rechte sowie die Durchführung
von Boden- und Agrarreformprozessen zum Ziel haben. Insbesondere sollte die
Politik der Beförderung von Land- und Landpachtmärkten angesichts des „land
grabbing“ kritisch hinterfragt werden, da diese den Landverlust von verletz-
lichen Gruppen beschleunigen können.

Die Dokumentation von „Best Practices“, der Austausch von Informationen
und politischer Praxiserfahrung mit staatlichen Institutionen, Zivilgesellschaft
und Landbevölkerung in den Partnerländern und -regionen sollten angeregt, be-
gleitet und unterstützt werden. Die Ausgestaltung der EZ im ländlichen Raum
muss vorrangig die Kleinbäuerinnen und -bauern in die Lage versetzen, auf
nachhaltige Weise Lebensmittel für die eigene Bevölkerung zu produzieren und
auf die Verwirklichung des Rechts auf Nahrung zielen. Hierbei spielt die Siche-
rung von Nutzungs- und Zugangsrechten zu Land und natürlichen Ressourcen
sowie der Schutz vor „land grabbing“ eine ausschlaggebende Rolle. Von zen-
traler Bedeutung ist daher neben der bereits bestehenden Förderung im Bereich
der Landadministration auch ein stärkeres Engagement deutscher EZ für redis-
tributive, rechtsstaatliche Agrarreformen. Nur so können die Landrechte von
marginalisierten und benachteiligten Gruppen in Ländern mit einer ausgepräg-

ten Ungleichheit in der Landverteilung angesichts von „land grabs“ nachhaltig
gesichert werden.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5 – Drucksache 16/12735

Die energetische Nutzung von Biomasse darf nicht einhergehen mit Raubbau
an der Natur und der Verletzung von Menschenrechten. Die Schaffung eines
Zertifizierungssystems, das verbindliche ökologische und soziale Standards für
den Anbau von Energiepflanzen und die Produktion von Biosprit festlegt, ist
notwendig, reicht aber nicht aus, um auch die Ausweicheffekte zu erfassen.
Deutschland muss sich auf europäischer Ebene und international dafür ein-
setzen, dass die gesamte Politik von Ländern, die Energiepflanzen oder Biosprit
exportieren wollen, verbindlichen Menschenrechts- und Nachhaltigkeitskrite-
rien unterworfen wird. Nationale Flächennutzungspläne und Ressourcen-
management müssen an internationalen Abkommen zur Umsetzung des Rechts
auf Nahrung und zum Erhalt der biologischen Vielfalt ausgerichtet sein.

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