BT-Drucksache 16/12010

Ausgrenzung vom Schulbedarfspaket bei hilfebedürftigen Schulkindern im Hartz-IV-Bezug

Vom 17. Februar 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/12010
16. Wahlperiode 17. 02. 2009

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Diana Golze, Katja Kipping, Klaus Ernst, Dr. Lothar Bisky,
Dr. Martina Bunge, Cornelia Hirsch, Dr. Barbara Höll, Elke Reinke,
Volker Schneider (Saarbrücken), Dr. Ilja Seifert, Dr. Petra Sitte, Frank Spieth
und der Fraktion DIE LINKE.

Ausgrenzungen vom Schulbedarfspaket bei hilfebedürftigen Schulkindern
im Hartz-IV-Bezug

Das Gesetz zur Förderung von Familien und haushaltsnahen Dienstleistungen
(Familienleistungsgesetz – FamLeistG) der Bundesregierung ist am 18. Dezem-
ber 2008 endgültig vom Deutschen Bundestag beschlossen worden. Nach Bera-
tung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgeset-
zes (GG) (Vermittlungsausschuss) zu dem FamLeistG – Bundestagsdrucksachen
16/10809, 16/11001, 16/11172, 16/11191, 16/11329, 16/11392 – wurde das Ge-
setz mit der Mehrheit der Koalition der Fraktionen der CDU/CSU und SPD
angenommen (Plenarprotokoll 16/196 vom 18. Dezember 2008, S. 21175). Es
sieht auch „zusätzliche Leistungen für die Schule“ vor. Danach sollen Schülerin-
nen und Schüler in Hartz-IV-Haushalten und Sozialhilfehaushalten jährlich zum
Schuljahresbeginn im Rahmen des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II)
und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) eine zusätzliche Leistung in
Höhe von 100 Euro erhalten (sog. Schulbedarfspaket). Diese Leistung ist bislang
nur bis einschließlich der Jahrgangsstufe 10 vorgesehen. In ihrer Antwort auf die
Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE. vom 24. November 2008 („Kein Abi-
tur für Schulkinder im Hartz-IV-Bezug?“ Bundestagsdrucksache 16/10925) er-
klärte die Bundesregierung am 2. Dezember 2008, dass verschiedene Fragen
nicht zu beantworten seien, da „die Begrenzung auf die Jahrgangsstufe 10 im
laufenden Gesetzgebungsverfahren überprüft wird“ (Bundestagsdrucksache 16/
11154, S. 5). Dies ist nun nicht mehr der Fall, sodass die bereits gestellten Fragen
jetzt von der Bundesregierung sicherlich beantwortet werden können. Gleich-
falls ergeben sich neue Fragen zur Vergabe des Schulbedarfspaketes, die darauf
hinweisen, dass eine nicht unerhebliche Anzahl von Schulkindern vom Bezug
des Schulbedarfspaketes ausgegrenzt wird, obwohl sie hilfebedürftig sind.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Mit welcher Begründung begrenzt die Bundesregierung die Förderung durch
die geplante jährliche pauschale Leistung in Höhe von 100 Euro auf hilfe-

berechtigte Schülerinnen und Schüler bis einschließlich Jahrgangsstufe 10?

2. Warum sollen nach Ansicht der Bundesregierung Schülerinnen und Schüler,
die von Leistungen des SGB II bzw. SGB XII leben, nicht über die Jahr-
gangsstufe 10 hinaus gefördert werden, wenn sie einen weiter gehenden
Schulabschluss – und damit „Aufstieg durch Bildung“ (so die Überschrift
des Abschlussdokuments des sog. Bildungsgipfels von Bund und Ländern) –
anstreben?

Drucksache 16/12010 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

3. Welche Gründe kann die Bundesregierung benennen, die die offensicht-
liche Ungleichbehandlung der Schulbedarfe von Schülerinnen und Schü-
lern in unterschiedlichen Jahrgangsstufen rechtfertigen?

4. Hält die Bundesregierung die Aussage: „Hierdurch wird gewährleistet,
dass zumindest ein Bildungsabschluss erreicht werden kann, mit dem eine
qualifizierte Ausbildung möglich ist“ (Entwurf zum FamLeistG auf der
Homepage des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales) für eine
ausreichende Begründung zum Ausschluss von Schülerinnen und Schülern
höherer Jahrgangsstufen von der geplanten Unterstützung (bitte begrün-
den)?

5. Wie bewertet die Bundesregierung die Einschätzung, dass die Ungleichbe-
handlung der Schülerinnen und Schüler nach unterschiedlichen Jahrgangs-
stufen ein Verstoß gegen den Artikel 3 des Grundgesetzes darstellt?

6. Wie erklärt die Bundesregierung, dass in der dem Gesetz zugrunde liegen-
den Drucksache komplett auf eine Begründung für die Einschränkung der
Anspruchsberechtigung auf Schülerinnen und Schüler bis zum 10. Schul-
jahr verzichtet wird?

7. Sollten nicht nach Auffassung der Bundesregierung, gerade vor dem Hin-
tergrund nachgewiesener Abhängigkeiten des Bildungserfolgs von der so-
zialen Herkunft, Schülerinnen und Schüler in Hartz IV, die das Abitur ma-
chen wollen, besonders gefördert werden (bitte begründen)?

8. Wie begründet die Bundesregierung die unterschiedlichen Regelungen in
der Sozialgesetzgebung, dass es hinsichtlich der Anspruchsberechtigung
auf das Schulbedarfspaket in der Hilfe zum Lebensunterhalt im Sinne des
§ 28a SGB XII alleine auf die Hilfebedürftigkeit der Bedarfsgemeinschaft
ankommt (Elternteil oder Kind egal) und in der Grundsicherung für Arbeit-
suchende unter Beachtung des § 24a SGB II, ungeachtet dessen, ob ein
Kind hilfebedürftig ist oder nicht, mindestens ein Elternteil zum 1. August
eines Jahres Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem
SGB II beziehen muss?

9. Stimmt die Bundesregierung zu, dass alleinerziehende Personen oder beide
Elternteile, die vom Leistungsanspruch der Grundsicherung für Arbeit-
suchende gemäß § 7 Absatz 5 SGB II ausgeschlossen sind, weil sie einer
Ausbildung nachgehen und nur Leistungen für ihre hilfebedürftigen Kinder
erhalten, das Schulbedarfspaket für ihre Schulkinder nicht erhalten, weil
kein Elternteil Leistungen nach dem SGB II bezieht?

10. Kann die Bundesregierung bestätigen, dass es das Schulbedarfspaket nicht
für Leistungsempfänger der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsmin-
derung gibt, da § 42 SGB XII den Umfang dieser Leistungen regelt und
dieser mit der Einführung des § 28a SGB II nicht entsprechend angepasst
wurde?

11. Gibt es nach Einschätzung der Bundesregierung den Personenkreis behin-
derter Kinder, die Leistungen nach dem Grundsicherungsgesetz (GSiG)
beziehen und sich in den Jahrgangsstufen 1 bis 10 befinden und folglich
keinen Anspruch auf das Schulbedarfspaket haben?

12. Trifft es zu, dass in Mischhaushalten, wenn ein Elternteil oder beide Eltern
zum Leistungsbezug der Grundsicherung für Arbeitsuchende wegen feh-
lender Erwerbsfähigkeit nicht berechtigt sind und die Voraussetzungen
nach dem 4. Kapitel des SGB XII (GSiG) erfüllen, die über 15-jährigen
Kinder, sofern sie eine Schule bis zur 10. Jahrgangsstufe besuchen, das
Schulbedarfspaket nicht erhalten?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/12010

13. Weshalb sollen Kinder der Eltern, die einen Zuschuss zu ihren Kranken-
und Pflegeversicherungsbeiträgen nach § 26 Absatz 3 SGB II beziehen,
weil sie alleine durch diese Aufwendungen hilfebedürftig würden, nicht bei
der Erreichung eines Bildungsabschlusses durch ein Schulbedarfspaket ge-
fördert werden, obwohl Eltern das ihnen zur Verfügung stehende Einkom-
men bereits auf die o. g. Sozialversicherungsbeiträge verwenden müssen
und folglich über keine darüber hinausgehenden Mittel zur Deckung der
Bedarfe, die ein Schulbedarfspaket pauschal decken soll, verfügen?

14. Wie rechtfertigt die Bundesregierung die Fallkonstellation, dass Schülerin-
nen und Schüler kein Schulbedarfspaket erhalten, wenn das alleinerzie-
hende Elternteil aufgrund von Pflichtverletzungen keine Leistungen nach
dem SGB II bezieht, diese Schülerinnen und Schüler aber weiterhin hilfe-
bedürftig bleiben und somit nur aufgrund einer Pflichtverletzung des
Elternteils bei der Erreichung eines Bildungsabschlusses nicht gefördert
werden?

15. Kann die Bundesregierung bestätigen, dass, wenn ein alleinerziehender
Elternteil am 1. August eines Jahres in einer stationären Einrichtung unter-
gebracht und damit gemäß § 7 Absatz 4 SGB II zum Leistungsbezug der
Grundsicherung für Arbeitsuchende nicht berechtigt ist, der Anspruch
eines Schulkindes auf das Schulbedarfspaket nicht besteht, weil der allein-
erziehende Elternteil aufgrund der stationären Unterbringung keine Leis-
tungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II bezieht?

16. Wie beurteilt die Bundesregierung, dass zwar gemäß dem neu eingeführten
§ 24a Satz 2 SGB II auch Schülerinnen und Schüler unter den Vorausset-
zungen des § 22 Absatz 2a SGB II das Schulbedarfspaket erhalten, die
nicht im Haushalt der Eltern wohnen, doch Schülerinnen und Schüler, die
ohne Zusicherung des kommunalen Trägers und ohne schwerwiegende
Gründe den Elternhaushalt verließen, vom Schulbedarfspaket ausgenom-
men werden, obwohl ihnen bereits keine Kosten der Unterkunft erbracht
werden und sie nur 80 Prozent des Eckregelsatzes erhalten?

17. Wie begründet die Bundesregierung den Sachverhalt, dass diesen Schülern
im Gegensatz zu dem berechtigten Personenkreis eine Förderung zur Errei-
chung eines Bildungsabschlusses versagt werden soll (bei der Antwort bitte
auch berücksichtigen, dass trotz des Verweises in den Elternhaushalt wei-
terhin Hilfebedürftigkeit des Schülers vorliegen könnte, wenn die Eltern
bereits hilfebedürftig sind oder durch den Einzug des Kindes hilfebedürftig
würden)?

18. Wie bewertet die Bundesregierung den Umstand, dass Bezieherinnen und
Bezieher von Kinderzuschlag bei einem oder mehreren Kindern keinen
Anspruch auf das Schulbedarfspaket haben, auch wenn der Betrag des Kin-
derzuschlages unter dem Betrag des Schulbedarfspakets liegt, da der Bezug
von Kinderzuschlag den Bezug von Grundsicherungsleistungen ausschließt
(bitte auch unter der Berücksichtigung beantworten, dass bei einer anstei-
genden Anzahl von Kindern in einer Bedarfsgemeinschaft ein größerer Ge-
samtanspruch auf die Schulbedarfspakete nicht realisiert wird)?

19. Kann die Bundesregierung bestätigen, dass Bezieherinnen und Bezieher
von Kinderzuschlag, die Kinderzuschlag freiwillig unter Ausübung des
kleinen Wahlrechts in Anspruch nehmen (durch Verzicht auf Mehrbedarfe
z. B. wegen Alleinerziehung) und so bereits auf höhere staatliche Fürsorge-
leistungen verzichten und auch auf anderweitige Vergünstigungen wie die
Befreiung von Rundfunkgebühren, das Schulbedarfspaket ebenfalls nicht
erhalten?

Drucksache 16/12010 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

20. Ist beabsichtigt den o. g. Personenkreis (hier sind vor allem die Bestand-
fälle gemeint) hierüber gezielt zu informieren, da diese Personen ggf. unter
Berücksichtigung dieser weiteren Zusatzleistung von dem kleinen Wahl-
recht Abstand nehmen könnten (wenn nein, bitte begründen)?

21. Stimmt die Bundesregierung zu, dass Kinder hilfebedürftiger Eltern, die
unter bestimmten Voraussetzungen für ihre Kinder Wohngeld nach dem
Wohngeldgesetz (WoGG) beziehen, mit dem Wohngeldbezug kein Anrecht
auf das Schulbedarfspaket haben, da sie ihren Lebensunterhalt durch eige-
nes Vermögen und Einkommen (hierzu gehört auch das Wohngeld) sichern
können und somit nicht mehr hilfebedürftig sind?

22. Wie würdigt die Bundesregierung den Umstand und ist es darüber hinaus
seitens der Bundesregierung gewollt, dass nicht hilfebedürftige Kinder das
Schulbedarfspaket erhalten, während hilfebedürftige Schulkinder von z. B.
nach § 7 Absatz 5 SGB II ausgeschlossenen auszubildenden Eltern oder El-
ternteilen, das Schulbedarfspaket nicht erhalten?

23. Trifft die Feststellung zu, dass das Schulbedarfspaket nicht zur Beschaf-
fung von Schulbüchern dient, sondern nach der Gesetzentwurfsbegründung
(Bundesratsdrucksache 753/08) ausschließlich der Beschaffung von Aus-
stattungsgegenständen sowie Schreib-, Rechen- und Zeichenmaterialien?

24. Ist das Schulbedarfspaket in Höhe von 100 Euro zu erstatten, wenn z. B.
aufgrund einer geänderten Einkommenssituation der Leistungsanspruch für
den Monat Oktober eines Jahres rückwirkend entfällt, auch wenn das über-
steigerte Einkommen einen Betrag von 100 Euro nicht übersteigt?

25. Stimmt es, dass im SGB-II-Bereich das Schulbedarfspaket zum 1. August
eines Jahres erbracht wird, während im SGB-XII-Bereich es alleine auf den
Schuljahresbeginn ankommt, und welche Gründe kann die Bundesregie-
rung benennen, weshalb Sozialgesetzbuch übergreifend keine bundesein-
heitliche Regelung getroffen wird?

26. Wie bewertet die Bundesregierung den Umstand, dass in der Grundsiche-
rung für Arbeitsuchende bei einer Antragsstellung zum 2. August eines
Jahres das Schulbedarfspaket trotz einer zukünftigen und fortlaufenden
Hilfebedürftigkeit nicht bewilligt wird und es hier im Vergleich zu Bedarfs-
gemeinschaften, die Leistungen zum 1. August erbracht bekommen, zu ei-
ner Ungleichbehandlung kommt (bitte auch im Zusammenhang mit § 41
SGB II sehen, wonach Monatsleistungen mit 30 Tagen berechnet werden
und somit beantragte Leistungen sowohl zum 1. August als auch zum
2. August den gleichen Leistungsumfang in Geldeswert mit sich bringen)?

27. Um wie viel Euro profitieren nach Informationen der Bundesregierung
Haushalte mit Kindern in der Grundsicherung von der Kindergeld-
erhöhung, wenn, wie in der Antwort zu Frage 1 auf Bundestagdrucksache
16/11154 von der Bundesregierung ausgeführt wurde, es nicht zutreffe,
dass Kinder in der Grundsicherung nach dem SGB II bzw. dem SGB XII
von der Kindergelderhöhung nicht profitieren würden, da sie in geringerem
Umfang auf staatliche Fürsorgeleistungen angewiesen sind?

28. Kann die Bundesregierung bestätigen, dass, da Kindergeld auf Leistungen
nach dem Unterhaltsvorschussgesetz (UVG) angerechnet wird, sich die
UVG-Leistung, welche wie Kindergeld Einkommen des Kindes darstellt,
für ein 6 bis 11 Jahre altes Kind um 10 Euro von 168 Euro auf 158 Euro
mindert und bei einer gleichzeitigen Kindergelderhöhung um 10 Euro die-
ses Kind in demselben Leistungsumfang auf Transferleistungen angewie-
sen ist wie vor der Kindergelderhöhung?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5 – Drucksache 16/12010

29. Inwieweit profitiert dieser Personenkreis von Kindern von einer Kinder-
gelderhöhung, wenn bei der oben aufgeführten Fallgestaltung sich beim
gleichen Leistungsumfang des Kindes lediglich die Zahlungsverpflichtung
des Unterhaltsverpflichteten mindert?

30. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung, und was hält sie von Über-
legungen und Konzepten im Bundesministerium der Finanzen zu einem
Kindergrundfreibetrag, der dort bereits „geprüft“ worden ist, wie der
Bundesminister der Finanzen, Peer Steinbrück, im Deutschen Bundestag
sagte (siehe Plenarprotokoll 16/174, S. 18547)?

31. Auf welchen Zahlen und Berechnungen beruhen Prognosen der Bundes-
ministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Dr. Ursula von der
Leyen, wonach ein gleich hoher Betrag für jedes Kind „15 Mrd. Euro
kosten“ würde (Plenarprotokoll 16/176, S. 18780)?

32. Welche Modelle einer bedarfsorientierten Kindergrundsicherung sind der
Bundesregierung bekannt, und welche hält die Bundesregierung für erstre-
benswert und realistisch?

Berlin, den 16. Februar 2009

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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