BT-Drucksache 16/12008

Ruhen der Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung bei säumigen Beitragszahlern und deren mitversicherten Angehörigen

Vom 17. Februar 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/12008
16. Wahlperiode 17. 02. 2009

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Frank Spieth, Klaus Ernst, Dr. Martina Bunge,
Dr. Dagmar Enkelmann, Diana Golze, Dr. Barbara Höll, Katja Kipping, Elke Reinke,
Volker Schneider (Saarbrücken), Dr. Ilja Seifert, Jörn Wunderlich und der Fraktion
DIE LINKE.

Ruhen der Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung bei
säumigen Beitragszahlern und deren mitversicherten Angehörigen

Zum 1. April 2007 wurde die Versicherungspflicht in der gesetzlichen Kran-
kenversicherung (GKV) eingeführt und mit vollmundigen steuerfinanzierten
Werbeversprechen („Ganz Deutschland wird krankenversichert“) begleitet. Mit
einem Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD zum GKV-
Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-WSG) wurde eine „Folgeänderung“ zu der
Versicherungspflicht geschaffen. Diese Regelung (§ 16 Absatz 3a des Fünften
Buches Sozialgesetzbuch – SGB V) besagt, dass „Versicherte […], die mit ei-
nem Betrag in Höhe von Beitragsanteilen für zwei Monate im Rückstand sind
und trotz Mahnung nicht zahlen“ nur einen eingeschränkten Leistungsanspruch
haben, den man als Ruhen der Leistungen bezeichnet. Gezahlt werden dann nur
noch „Leistungen, die zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzu-
stände, sowie bei Schwangerschaft und Mutterschaft erforderlich sind.“ Die
Spitzenverbände der Krankenkassen haben bereits am 13. März 2007, also vor
Inkrafttreten der Regelung beim Bundesministerium für Gesundheit (BMG)
nachgefragt, wie diese Regelung zu verstehen sei und ob auch die mitversicher-
ten Angehörigen des Mitglieds nur eingeschränkte Leistungen erhalten sollten.
Am 11. April 2007 antwortete das BMG, dass „sich die Ruhenswirkung bei ei-
nem Beitragsverzug des Mitglieds auch auf die familienversicherten Angehöri-
gen erstreckt.“

Die Krankenkassen haben – zumindest zum Teil – daraus die Konsequenz ge-
zogen und beispielsweise mitversicherten Kindern nicht die Vorsorgeuntersu-
chungen (U1 bis U11 und J1) finanziert. Nachdem Medien diese vom Minis-
terium getragene Praxis Anfang 2009 kritisierten und einzelne Bundestagsab-
geordnete bei der Bundesregierung nachfragten, änderte diese ihre Rechtsauf-
fassung: „Bezüglich der angesprochenen Präventionsuntersuchungen (U1 bis
U11 und J1) ist klargestellt, dass diese durch die Krankenkassen zu finanzieren
sind“ (Antwort der Bundesregierung vom 21. Januar 2009 auf eine schriftliche
Frage von Frank Spieth). Es wurde nicht aufgeführt, weshalb und wodurch dies

klargestellt ist. In der Begründung des o. g. Änderungsantrags zum GKV-Wett-
bewerbsstärkungsgesetz wird der Leistungsumfang für säumige Versicherte be-
schrieben. Dabei wird auf § 4 des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG)
Bezug genommen, jedoch nur auf Absatz 1 (akute Erkrankungen und Schmerz-
zustände) und Absatz 2 (Schwangerschaft und Mutterschaft), jedoch nicht auf
Absatz 3 (Prävention und Vorsorgeuntersuchungen). Am 2. Februar 2009 teilte
die Bundesministerin für Gesundheit, Ulla Schmidt, den Abgeordneten der

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CDU/CSU und der SPD mit: „Seither habe ich mich weiter bemüht, das Thema
zum Wohle der Kinder zu lösen“. Gemeinsam mit dem Bundesministerium für
Justiz sei der Fall erneut geprüft worden und man sei nun „abschließend“ zu ei-
nem anderen Ergebnis gekommen: „Eine Einschränkung der Leistungen be-
schränkt sich allein auf den Beitragszahler, seine mitversicherten Angehörigen
sind ausgenommen.“ Diese neue Rechtsauffassung hat die Bundesregierung
mittlerweile auch an den Spitzenverband Bund der Krankenkassen (GKV-Spit-
zenverband) mitgeteilt.

Diese im Sinne der Betroffenen zu begrüßende Rechtsauffassung der Bundesre-
gierung steht aber auf tönernen Füßen. Das Gesetz ist in § 16 Absatz 3a Satz 2
SGB V unklar formuliert. Im Sinne der Rechtssicherheit für die Betroffenen
wäre eine gesetzliche Klarstellung deshalb angezeigt und recht einfach zu be-
werkstelligen, indem „Versicherte“ gestrichen und durch „Mitglieder“ ersetzt
wird. Unklar ist weiterhin der Leistungsumfang für die säumigen Beitragszah-
ler. Die Bundesregierung hat bereits vor ihrer Feststellung, dass bei den mitver-
sicherten Kindern die Leistungen nicht ruhen, diesen dennoch die Präventions-
untersuchungen zugestanden. Wenn die mitversicherten Kinder trotz des Ru-
hens der Leistungen nach bisheriger Rechtsauffassung jedoch Präventionsleis-
tungen erhalten, legt dies nahe, dass dies auch während des Ruhens der
Leistungen für die säumigen Beitragszahler selbst gilt. Würde dies nicht gelten,
erhielten diese eine noch schlechtere Gesundheitsversorgung als Asylbewerber.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Auf welcher Rechtsgrundlage kommt die Bundesregierung zu dem be-
schriebenen Sinneswandel, dass sich eine Einschränkung des Leistungsan-
spruchs alleine auf säumige Beitragszahler, nicht aber auf mitversicherte
Angehörige erstreckt?

2. Ist die aktuelle Interpretation der Bundesregierung rechtsverbindlich für
alle Krankenkassen, und in welchem Gesetz ist dies geregelt?

3. Gilt die neue Regelung gleichermaßen für mitversicherte Kinder und
Ehepartner?

4. Wie viele säumige Beitragszahler gibt es?

Wie viele betroffene Angehörige gibt es?

5. Was war die Grundlage der Gesetzesinterpretation der Bundesregierung
vom 11. April 2007?

6. Welche Krankenkassen haben sich an diese Interpretation der Bundesregie-
rung vom 11. April 2007 gehalten und die Leistungen für Kinder und
Eheleute eingeschränkt, und welche Kassen haben sich nicht daran gehal-
ten?

7. Ist nach Auffassung der Bundesregierung eine Gesetzesänderung nötig und
sinnvoll, und sollte es in § 16 Absatz 3a SGB V statt „Versicherte“ „Mit-
glieder“ heißen?

8. Haben säumige Beitragszahler/Mitglieder selbst Anspruch auf Präven-
tionsuntersuchungen entsprechend § 4 Absatz 3 AsylbLG?

Wo ist dies geregelt?

9. Werden säumige Beitragszahler/Mitglieder durch die geltende Gesetzes-
lage in ihrer Gesundheitsversorgung schlechter gestellt als Asylbewerber,
da Asylbewerber Präventionsleistungen nach § 4 Absatz 3 AsylbLG erhal-
ten, säumige Beitragszahler jedoch nicht?
10. Werden tatsächlich, wie von der Bundesregierung in der Antwort zu der
schriftlichen Frage von Frank Spieth vom 21. Januar 2009 angegeben, Kin-

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/12008

dern säumiger Beitragszahler die Vorsorgeuntersuchungen U10 und U11
und damit umfangreichere Leistungen gewährt als üblicherweise den Versi-
cherten der Gesetzlichen Krankenkassen, es sei denn die Kassen sehen U10
und U11 als Satzungsleistung vor?

11. Was genau ist der Inhalt des jüngsten Schreibens der Bundesregierung an
den Spitzenverband Bund der Krankenkassen zu dieser Thematik?

Berlin, den 16. Februar 2009

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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