BT-Drucksache 16/11762

Besitz und Anbau von Cannabis zum Eigengebrauch entkriminalisieren - Glaubwürdige und am Menschen orientierte Cannabisprävention umsetzen

Vom 28. Januar 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/11762

16. Wahlperiode 28. 01. 2009

Antrag
der Abgeordneten Dr. Harald Terpe, Birgitt Bender, Elisabeth Scharfenberg,
Hans-Christian Ströbele, Kai Gehring, Dr. Uschi Eid, Markus Kurth, Monika Lazar,
Kerstin Müller (Köln), Claudia Roth (Augsburg), Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn,
Josef Philip Winkler und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Besitz und Anbau von Cannabis zum Eigengebrauch entkriminalisieren –
Glaubwürdige und am Menschen orientierte Cannabisprävention umsetzen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der Ansatz, mit Hilfe des Strafrechts den Konsum von Cannabis zu verhindern,
ist den Nachweis seiner Wirksamkeit bislang schuldig geblieben und ist fak-
tisch gescheitert.

Trotzdem überwiegen bislang immer noch die ordnungspolitischen bzw. repres-
siven Instrumente gegenüber den gesundheitspolitischen. Dieser Umstand be-
hindert eine glaubwürdige Cannabisprävention mit dem Ziel der Reduzierung
des riskanten Gebrauchs.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. einen Gesetzentwurf zur Änderung des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG)
vorzulegen, der den Wegfall der Strafbarkeit vorsieht, wenn der Täter oder
die Täterin das Cannabiskraut (Marihuana) oder das Cannabisharz (Ha-
schisch) lediglich zum Eigengebrauch anbaut, herstellt, einführt, ausführt,
durchführt, erwirbt, sich in sonstiger Weise verschafft oder besitzt;

2. gemeinsam mit Suchtexperten und den Ländern ein nationales Aktionspro-
gramm zur Cannabisprävention zu entwickeln, das ein differenziertes Maß-
nahmenpaket zur Verhaltens- und Verhältnisprävention riskanten Cannabis-
gebrauchs insbesondere bei Jugendlichen, zur Schadensminderung sowie
zur Therapie von Abhängigkeitserkrankungen enthält;

3. ein wissenschaftlich begleitetes und regional begrenztes Modellprojekt auf-
zulegen, mit dem die generalpräventiven Effekte einer kontrollierten Abgabe
von Cannabisprodukten in geeigneten Einrichtungen untersucht werden;

4. auf eine Fortentwicklung völkerrechtlicher Verträge wie insbesondere der

internationalen Suchtstoffübereinkommen sowie europarechtlicher Bestim-
mungen mit dem Ziel hinzuwirken, das in ihnen enthaltene Prohibitions-
dogma zu evaluieren und zugunsten einer glaubwürdigen und am Selbstbe-
stimmungsrecht des Menschen orientierten Politik zur Prävention riskanter

Drucksache 16/11762 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Konsumformen und zur gesundheitlich orientierten Schadensminderung ab-
zulösen.

Berlin, den 28. Januar 2009

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

Begründung

Cannabisprodukte sind die in Deutschland am weitesten verbreiteten illegalen
Drogen. Erhebliche Teile der Bevölkerung, nämlich zwischen zwei und vier
Millionen Menschen, haben Erfahrungen mit dem Gebrauch von Cannabis. Da-
bei handelt es sich überwiegend um Menschen, die Cannabis einmalig probie-
ren oder gelegentlich gebrauchen. Hochfrequenter Gebrauch von Cannabis ist
dagegen eher selten. Zwei Prozent der 18- bis 29-Jährigen geben an, fast täglich
Cannabis zu konsumieren.

Das erhebliche Übergewicht der ordnungspolitischen bzw. repressiven Instru-
mente zur Prävention des schädlichen Cannabiskonsums gegenüber den ge-
sundheitspolitischen zeigt sich schon durch die gravierenden Unterschiede bei
der Verteilung von Steuermitteln für die Repression auf der einen Seite und
Maßnahmen der Prävention auf der anderen Seite. Der Bundesregierung liegen
nach eigenen Angaben keine genauen Zahlen für die Kosten der Repression
vor; Schätzungen des Deutschen Hanf Verbandes sprechen von bis zu 1 Mrd.
Euro Repressionskosten pro Jahr. Dem stehen deutlich geringere Ausgaben für
die Prävention gegenüber.

Die gesundheitlichen Risiken des Cannabisgebrauchs sind abhängig davon, auf
welche Weise und in welcher Frequenz Cannabis genutzt wird. Grundsätzlich ist
bei inhalativer Einnahmeform das Risiko von Atemwegserkrankungen und
Krebs bei Cannabisrauchern – ähnlich wie Zigarettenrauchern – deutlich erhöht.
Neuere Überblicksstudien (Thomasius, 2007) zeigen auch, dass starker und dau-
erhafter Konsum bei bestimmten Menschen den Ausbruch von Psychosen be-
günstigen kann. Nach langzeitigem starkem Gebrauch können Entzugssymp-
tome wie Schlafstörungen auftreten. Insbesondere bei Jugendlichen kann starker
Cannabisgebrauch bei manchen Konsumentinnen oder Konsumenten ungüns-
tige Auswirkungen auf die Persönlichkeitsentwicklung sowie schulische und
berufliche Leistungen haben. Etwa 12,6 Prozent der wegen ihres Substanz-
gebrauches ambulant behandelten Patientinnen und Patienten wiesen 2006 eine
Cannabisabhängigkeit als Hauptdiagnose nach ICD-10 (International Classifica-
tion of Diseases – 10. Revision) auf. Damit steht Cannabis nach Alkohol und
Opioiden an dritter Stelle der problematischen Substanzen. Der Bedarf nach ent-
sprechenden Behandlungsangeboten auch gemessen an den absoluten Zahlen ist
somit seit 2002 erheblich angestiegen.

Die derzeitige Cannabisprohibition beruht auf inzwischen widerlegten Annah-
men wie der aus der pharmakologischen Wirkung resultierenden Schrittmacher-
funktion von Cannabis für den Gebrauch härterer illegaler Drogen und einer er-
heblichen Gesundheitsgefährdung durch den gelegentlichen oder regelmäßigen
Konsum von Cannabis. Die mit ihr intendierten Zielstellungen wie der Verhin-
derung des Cannabiskonsums und der erheblichen Verteuerung von Cannabis-
produkten sind ganz offensichtlich nicht eingetreten. Ein erheblicher Teil insbe-
sondere der jüngeren Bevölkerung gebraucht Cannabis einmalig, gelegentlich

oder in regelmäßigen Abständen. Die überwiegende Mehrzahl der Konsumen-
tinnen und Konsumenten praktiziert dabei einen verantwortungsvollen Ge-

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/11762

brauch. Gleichwohl behindern die einschlägigen Vorschriften des Betäubungs-
mittelgesetzes eine glaubwürdige Prävention. Darauf wies 2002 unter anderem
die Drogen- und Suchtkommission beim Bundesministerium für Gesundheit
hin. Auch die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) e. V. kam 2004 zu
ganz ähnlichen Einschätzungen.

Die geltende Rechtslage führt in der Konsequenz bei Cannabis zu einer unver-
hältnismäßigen Kriminalisierung der Eigenverbraucherin bzw. des Eigenver-
brauchers und damit möglicherweise zu sozialer Ausgrenzung wie dem Verlust
des Arbeitsplatzes oder des Führerscheins vor allem bei jungen Konsumentin-
nen und Konsumenten. So verzeichnete die polizeiliche Kriminalstatistik allein
2007 etwa 100 000 konsumnahe Delikte im Zusammenhang mit Cannabis. Zu-
dem ist der durch die Illegalisierung von Cannabis entstehende Schwarzmarkt
mit erheblichen zusätzlichen gesundheitlichen Risiken für die betroffenen Be-
nutzerinnen und Benutzer von Cannabis verbunden. Beispielsweise wurden
und werden auf dem Schwarzmarkt angebotenen Cannabisprodukten gesund-
heitsschädliche Stoffe wie Blei und Glas zugesetzt, um das Gewicht zu erhö-
hen.

Die Kriminalisierung vor allem junger Konsumentinnen und Konsumenten wie
auch der durch die Illegalisierung des Besitzes und des Anbaus von Cannabis
zum Eigenkonsum entstehende Schwarzmarkt verhindert nicht nur wirksame
Ansätze zur Schadensminderung wie Drug-Checking-Programme, sondern be-
hindert vor allem eine glaubwürdige Cannabisprävention mit dem Ziel der Re-
duzierung des riskanten Cannabisgebrauchs. Auf dieses gravierende Problem
zielte 2002 auch die Stellungnahme zur Verbesserung der Suchtprävention der
Drogen- und Suchtkommission beim Bundesministerium für Gesundheit: „Das
Betäubungsmittelgesetz und teilweise auch das Strafgesetzbuch bedrohen bis-
weilen Präventionsmaßnahmen mit Strafe, anstelle Präventionsmaßnahmen zu
fördern und eine Rechtsgrundlage zu bieten.“

Zu II.1.

Derzeit hat die Staatsanwaltschaft einen Ermessensspielraum, ob sie von einem
betäubungsmittelrechtlichen Strafverfahren absieht, wenn die Konsumentin
oder der Konsument Cannabis in geringer Menge zum Eigenverbrauch besitzt.

Mit der angestrebten Änderung des BtMG soll eine neue Regelung als § 29
Abs. 4a BtMG eingeführt werden, die dem Bestimmtheitsgebot aus Artikel 103
Abs. 2 des Grundgesetzes entsprechend den Wegfall der Strafbarkeit vorsieht,
wenn die Konsumentin oder der Konsument Cannabis lediglich zum Eigenver-
brauch anbaut, herstellt, einführt, ausführt, durchführt, erwirbt oder sich in
sonstiger Weise verschafft oder besitzt. Ein Anstieg des Cannabisgebrauchs ist
nicht zu erwarten, wie Erfahrungen in anderen europäischen Ländern mit ähnli-
chen Entpönalisierungs- oder Entkriminalisierungsregeln zeigen. So liegt bei-
spielsweise der Anstieg des Cannabiskonsums in den Niederlanden mit einer
strafprozessualen Entkriminalisierung vergleichsweise weit unter dem von
Deutschland. In den Niederlanden setzten die „Richtlijen voor het Opsporings
en Strafvorcringsbcleid Inzake strafbar Feiten van den Opiumwet“ von 1980
hinsichtlich Haschischprodukten eine Grenze von 30 Gramm als typische Kon-
summenge fest. Dies entspricht bei einem angenommenen durchschnittlichen
THC-Gehalt (THC: Tetrahydrocannabinol) von 9 Prozent etwa einer THC-
Wirkstoffmenge von 2,7 Gramm. Nach neueren toxikologischen Auswertungen
durch das Bundeskriminalamt wiesen knapp 83 Prozent aller untersuchten Pro-
ben einen THC-Wirkstoffwert von 0 bis 12 Prozent auf.

Drucksache 16/11762 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
Zu II.2.

Angelehnt an die Vorschläge für nationale Aktionsprogramme zur Tabak- und
Alkoholprävention wird die Bundesregierung beauftragt, gemeinsam mit den
Ländern und Suchtexperten ein nationales Aktionsprogramm zur Cannabisprä-
vention vorzulegen, in welchem differenzierte Instrumente der Verhaltens- wie
der Verhältnisprävention enthalten sind. Dem Jugendschutz ist hierbei ein
besonderes Gewicht zu geben. Langfristig ist die Weiterentwicklung dieses
Aktionsprogramms für Cannabis zu einer integrierten Präventionspolitik für
alle illegalen und legalen psychoaktiven Substanzen nötig.

Zu II.3.

In Anlehnung an die 1997 vom Land Schleswig-Holstein beim Bundesinstitut
für Arzneimittel und Medizinprodukte im Rahmen eines Modellprojektes bean-
tragte Erlaubnis zur Veräußerung von Cannabis durch ausgewählte Apotheken
soll ein wissenschaftlich begleitetes Modellprojekt aufgelegt werden, mit dem
überprüft wird, inwieweit die generalpräventiven Effekte eines umfassenden
Verbotes des Verkehrs mit Cannabis nicht genauso gut oder besser durch eine
kontrollierte Abgabe von Cannabis in geeigneten Einrichtungen und eine da-
durch zu erwartende Trennung der Drogenmärkte erreicht werden können.

Zu II.4.

Einschlägige internationale und europäische Vorschriften sind derzeit insbeson-
dere das Einheitsübereinkommen von 1961 über Suchtstoffe in der durch das
Protokoll zur Änderung des Einheitsabkommens von 1972 geänderten Fassung,
das Übereinkommen von 1971 über psychotrope Stoffe, das Übereinkommen
der UN gegen den unerlaubten Verkehr mit Suchtstoffen und psychotropen
Stoffen von 1988, die Schengener Durchführungsübereinkommen sowie der
Vertrag von Amsterdam (EUV). Diese Verträge und Bestimmungen – insbeson-
dere das Abkommen von 1988 – basieren auf einer schlichten Prohibitionslogik
und einer Dominanz repressiver Elemente, die in vielen Staaten einen „War on
Drug“ zur Folge haben, im Hinblick auf das mit ihnen angestrebte Ziel jedoch
ihre weitgehende Wirkungslosigkeit seit langem offenbart haben. Eine zeit-
gemäße und vor allem glaubwürdige Prävention riskanter Konsumformen, die
auch das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen achtet, ist auf ihrer Grundlage
nicht möglich.

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