BT-Drucksache 16/115

Verhalten deutscher Sicherheitsbehörden im Zusammenhang mit Vernehmungen von Gefangenen im Ausland und dem Folterverbot

Vom 28. November 2005


Deutscher Bundestag Drucksache 16/115
16. Wahlperiode 28. 11. 2005

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Wolfgang Wieland, Volker Beck (Köln), Silke Stokar von Neuforn,
MarieluiseBeck (Bremen),Jerzy Montag,KerstinMüller (Köln),RainderSteenblock,
Hans-Christian Ströbele, Jürgen Trittin, Josef Philip Winkler und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Verhalten deutscher Sicherheitsbehörden im Zusammenhang mit Vernehmungen
von Gefangenen im Ausland und dem Folterverbot

Nach einem Bericht des Nachrichtenmagazins DER SPIEGEL (47/2005) reiste
eine Delegation von je zwei Beamten des Bundeskriminalamtes (BKA), des
Bundesamtes für Verfassungsschutz und des Bundesnachrichtendienstes (BND)
am 20. November 2002 nach Damaskus. Dem Bericht zufolge vernahmen sie
ausführlich, teilweise unter Vorhalt von Dokumenten und Fotos, den von der
CIA nach Syrien im Rahmen des Programmes „Extraordinary Renditions“
(außergewöhnliche Überstellungen) verschleppten deutschen Staatsangehörigen
M. H. Z. Dieser war zuvor in dem berüchtigten Far-Filastin-Gefängnis nach An-
gaben von Mitgefangenen – so DER SPIEGEL – der dort üblichen systema-
tischen und äußerst brutalen Folter unterworfen worden.

Nach Informationen des SPIEGEL sprechen zahlreiche Anhaltspunkte dafür,
dass diese gemischte Visite von Strafverfolgern und Nachrichtendienstlern bei
einem hochrangigen Staatsbesuch verabredet worden war. Im Juli 2002 sei der
Schwager des syrischen Staatspräsidenten Al-Assad, der General Assif Schau-
kat, im Bundeskanzleramt eingetroffen. Man habe im Beisein der Präsidenten
von BKA und BND mit ihm, einem der späteren Hauptverdächtigen im Mordfall
Hariri, einen höchst ungewöhnlichen Pakt abgeschlossen. Gegen die Einstellung
von drei bei der Generalbundesanwaltschaft anhängigen Ermittlungsverfahren
gegen syrische Staatsbürger sei der Zugang zu M. H. Z. erkauft worden.

Nach einem Beitrag der Zeitschrift CICERO (April 2005) finden sich im Aus-
wertungsbericht des BKA vom 6. September 2004 in den 392 Fußnoten dieses
Berichtes Angaben zu Reisen von Mitarbeitern des BKA nach Rabat in Marokko
und nach Amman in Jordanien. Der Artikel äußert unverholen den Verdacht,
auch hier sei es zu Vernehmungen von Gefangenen gekommen, die zuvor gefol-
tert wurden.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Hat es die oben angesprochene Besprechung mit dem syrischen General
Assif Schaukat im Bundeskanzleramt im Juli 2002 gegeben, und wenn ja,
wer nahm an dieser Runde teil?

Wenn nein, ist General Assif Schaukat möglicherweise zu einem anderen
Zeitpunkt im Bundeskanzleramt empfangen worden?

Drucksache 16/115 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

2. Auf welcher Ebene wurde auf deutscher Seite der Gesprächstermin mit Ge-
neral Assif Schaukat vorbereitet bzw. koordiniert und wer hat auf deutscher
Seite die Gesprächsführung übernommen?

3. a) Wurden der Bundeskanzler, der Staatssekretär im Kanzleramt und der
Koordinator für die Geheimdienste vorher oder nachträglich über das
oben erwähnte Treffen unterrichtet und wenn nein, warum nicht?

b) Wurden der Bundesminister des Innern, die Bundesministerin für Justiz
oder ein anderes Kabinettsmitglied vorher oder nachträglich über das
Treffen unterrichtet und wenn nein, warum wurde auf solche Informati-
onen verzichtet?

4. a) Wurde auf deutscher Seite vorher die Problematik des Ausnutzens der
„Früchte“ durch Folter erpresster Aussagen erörtert und zu welchem Er-
gebnis kam man?

b) Auf Grund welcher gesetzlichen Befugnisse wurden die Beamten der
drei Dienststellen jeweils in Damaskus tätig?

c) Mit welcher Begründung hat der Generalbundesanwalt die drei von der
syrischen Seite genannten Strafverfahren eingestellt und war die Bundes-
ministerin für Justiz über die Einstellungen sowie die Hintergründe in-
formiert?

5. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die Artikel 1 Abs.1 und Ar-
tikel 104 Abs.1 Satz 2 des Grundgesetzes ein absolutes Verbot staatlicher
Folter aussprechen?

6. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die Allgemeine Erklärung
der Menschrechte der Vereinten Nationen von 1948, der Pakt über bürgerli-
che und politische Rechte von 1966 sowie die Anti-Folter-Konvention der
Vereinten Nationen von 1984 die Folter auch völkerrechtlich ächten und für
Verstöße u. a. der Internationale Strafgerichtshof zuständig ist?

7. Wie ist mit diesen internationalen Abkommen vereinbar, eine Person zu ver-
nehmen, deren Aussagebereitschaft auf Grund von Folter erzwungen wur-
de?

8. Hat die Bundesregierung bei dem Gespräch im Bundeskanzleramt oder bei
anderer Gelegenheit von der syrischen Seite eine Beendigung des Folterns
verlangt und wenn ja, mit welchem Erfolg?

9. Wurde die Überstellung des deutschen Staatsbürgers Z. in die Bundesrepu-
blik Deutschland gefordert und wenn ja, mit welchem Ergebnis?

10. Fand eine Betreuung des Gefangenen Z. durch die deutsche Auslandsvertre-
tung in Syrien statt und wenn ja, in welcher Form?

Wenn nein, warum wurde auf eine Betreuung verzichtet?

11. In welchen anderen Fällen haben deutsche Sicherheitsbehörden durch ihre
Mitarbeiter Vernehmungen von Personen durchführen lassen, die im Rah-
men des „Krieges gegen den Terror“ im Ausland inhaftiert waren, insbeson-
dere im Nahen Osten?

12. a) Führt die Bundesregierung mit den USA einen Dialog, insbesondere über

– die Zulässigkeit von Folter

– die Unzulässigkeit des Verschwindenlassens von Gefangenen an un-
bekannten Orten im Ausland

– das Vorenthalten jeglichen Beistandes
– den Ausschluss jeglicher gerichtlicher Kontrolle?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/115

b) Wo, zwischen wem und bei welcher Gelegenheit wurden derartige Fra-
gen erörtert?

Berlin, den 24. November 2005

Wolfgang Wieland
Volker Beck (Köln)
Silke Stokar von Neuforn
Marieluise Beck (Bremen)
Jerzy Montag
Kerstin Müller (Köln)
Rainder Steenblock
Hans-Christian Ströbele
Jürgen Trittin
Josef Philip Winkler
Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

Kleine Anfrage
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