BT-Drucksache 16/10928

Erwerbsgeminderte und Arbeitsmarktrentnerinnen und -rentner im Hartz-IV-Bezug

Vom 11. November 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/10928
16. Wahlperiode 11. 11. 2008

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Klaus Ernst, Dr. Lothar Bisky, Dr. Barbara Höll, Katja Kipping,
Volker Schneider (Saarbrücken), Dr. Ilja Seifert, Frank Spieth, Jörn Wunderlich
und der Fraktion DIE LINKE.

Erwerbsgeminderte und Arbeitsmarktrentnerinnen und -rentner
im Hartz-IV-Bezug

Vor der Einführung der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten
Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) erhielten Personen, die nach Auslaufen ihres
Krankengeldanspruchs Antrag auf Erwerbsunfähigkeits- bzw. Erwerbsminde-
rungsrente gestellt hatten, in Anwendung des § 125 des Dritten Buches Sozial-
gesetzbuch (SGB III) unbefristet Arbeitslosengeld, bis ihr Status geklärt wer-
den konnte. Heute werden diese Personen nach Auslaufen ihres regulären
Arbeitslosengeldanspruchs auf Arbeitslosengeld II (Hartz IV) verwiesen. Dies
bringt eine Reihe von Problemen für die Betroffenen mit sich.

Zum einen haben die Betroffenen dadurch nur noch die geringen Leistungen
der Grundsicherung zur Verfügung und unterliegen der Bedürftigkeitsprüfung
hinsichtlich der Anrechnung von Partnereinkommen und Vermögen. Zum an-
deren werden diese, nach Ansicht des medizinischen Dienstes der Kranken-
kasse dauerhaft erwerbsunfähigen Personen, von den Grundsicherungsträgern
in der Regel nicht betreut und es wird nichts unternommen, um ihren Status zu
klären. Die Entscheidung des Rentenversicherungsträger hinsichtlich der Er-
werbsfähigkeit des/der Betroffenen wird vom Grundsicherungsträger i. d. R.
ungeprüft übernommen. Erwerbsgeminderte werden damit in einem unge-
sicherten Status gehalten. Insgesamt erscheint es zweifelhaft, Menschen, die
lediglich auf die Bewilligung ihrer Erwerbsminderungsrente warten, auf ein
System zu verweisen, dass dezidiert auf die Arbeitsmarktintegration von Er-
werbsfähigen ausgerichtet ist.

Ein besonderes Problem ergibt sich für gehbehinderte Arbeitsmarktrentnerinnen
und -rentner im Hartz-IV-Bezug: Durch die Neuformulierung der Dienst-
anweisung der Bundesagentur für Arbeit im Frühjahr 2008 wurden Arbeits-
marktrentnerinnen und -rentner entgegen früherer Auffassungen als erwerbs-
fähig i. S. d. § 8 SGB II definiert. Dies hat in Verbindung mit den Hinweisen
zum § 28 SGB II zur Folge, dass behinderte Arbeitsmarktrentnerinnen und
-rentner mit dem Merkzeichen „G“ keinen Anspruch auf Mehrbedarfe für Be-
hinderte nach § 28 SGB II mehr haben. Dies verletzt den Gleichbehandlungs-

grundsatz und führt zu sozialen Härten.

Drucksache 16/10928 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie bewertet die Bundesregierung den Umstand, dass Versicherte, die
nach zumeist 72-wöchigem Krankengeldbezug von ihrer Krankenkasse
„ausgesteuert“ und als dauerhaft erwerbsunfähig eingestuft wurden und
beim zuständigen Rentenversicherungsträger einen Antrag auf Erwerbs-
minderungsrente gestellt und somit Anspruch auf unbefristete Leistungen
der Bundesagentur für Arbeit im Sinne § 125 SGB III haben müssten, nach
Auslaufen ihres Regelanspruchs auf Arbeitslosengeld auf Hartz IV und da-
mit auf ein System verwiesen sind, das dezidiert auf die Arbeitsmarkt-
integration von Erwerbsfähigen ausgerichtet ist?

2. Warum wird der § 125 SGB III nicht mehr wie früher in dem Sinne ange-
wendet, dass Versicherte, die auf die Bewilligung ihrer Erwerbsminde-
rungsrente warten, unbefristet Arbeitslosengeld nach dem SGB III bezie-
hen können, bis ihr Status geklärt ist?

3. Welche rechtlichen Veränderungen bzw. welche Veränderungen in der prak-
tischen Umsetzung von Gesetzen stehen hinter diesem Systemwechsel?

4. Wie steht dieser Systemwechsel im Verhältnis zum Urteil des Bundessozial-
gerichts vom 9. September 1999 (B 11 AL 13/99 R), demnach Arbeits-
losengeld nach § 125 SGB III solange gezahlt werden muss, bis die Renten-
versicherung die Erwerbsminderung positiv festgestellt hat?

5. Wie bewertet die Bundesregierung die Praxis der Grundsicherungsträger,
die Auffassung des Rentenversicherungsträgers bezüglich des Bestehens
einer Erwerbsminderung einfach zu übernehmen statt die Erwerbsfähigkeit
der Antragssteller selbst zu ermitteln bzw. in Zusammenarbeit mit dem
Rentenversicherungsträger zu einem Urteil zu kommen?

6. Sieht die Bundesregierung eine Pflicht auf Seiten der Grundsicherungsträ-
ger, die Erwerbstätigkeit der Hilfebedürftigen selbst zu ermitteln, und
wenn ja, wie trägt sie dafür Sorge, dass dieser in der Praxis auch nachge-
kommen wird?

7. Was spricht aus Sicht der Bundesregierung dagegen, dass die Grundsiche-
rungsträger selbst oder in einem geregelten Verfahren in Zusammenarbeit
mit dem Rentenversicherungsträger zu einem Urteil über die Erwerbsfähig-
keit der Leistungsbeziehenden kommen?

8. Welche Überlegungen und welche Zielsetzung stehen hinter der Neufas-
sung der Dienstanweisung der Bundesagentur für Arbeit im Sinne, dass Ar-
beitsmarktrentnerinnen und -rentner entgegen früherer Auffassungen nun
als erwerbsfähig i. S. d. § 8 SGB II gelten?

9. Welche leistungsrechtlichen Konsequenzen ergeben sich durch die be-
schriebene Neufassung für Arbeitsmarktrentnerinnen und -rentner mit dem
Merkzeichen „G“ in Verbindung mit der Dienstanweisung der Bundes-
agentur für Arbeit zum § 28 SGB II?

10. Wie viele Menschen sind von diesen Konsequenzen betroffen?

11. Wie wirkt sich die veränderte Definition von Arbeitsmarktrentnerinnen
und -rentnern als erwerbsfähig auf die Arbeitslosenstatistik aus?

12. Wie bewertet die Bundesregierung vor dem Hintergrund des Allgemeinen
Gleichbehandlungsgesetzes (AGG), des Grundgesetzes (GG) sowie der
Länderverfassungen die Ungleichbehandlung, die durch die Neufassung der
Dienstanweisungen zwischen gehbehinderten Arbeitsmarktrentnerinnen
bzw. -rentnern und erwerbsunfähigen gehbehinderten Rentnerinnen und
Rentnern, die ihre Erwerbsminderungsrente durch Grundsicherungsleistun-

gen aufstocken müssen, entsteht?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/10928

13. Welchen Handlungsbedarf sieht die Bundesregierung bezüglich der oben
beschriebenen Problematik, dass durch die Neudefinition von Arbeits-
marktrentnerinnen und -rentnern als erwerbsfähig, Arbeitsmarktrentnerin-
nen und -rentner mit dem Merkzeichen „G“ den Anspruch auf Mehrbedarf
für Behinderte nach § 28 SGB II verlieren?

14. Sieht die Bundesregierung Bedarf, dafür zu sorgen, dass Menschen, deren
Krankengeldanspruch ausgelaufen ist und die auf die Bewilligung einer Er-
werbsminderungsrente warten, wieder Arbeitslosengeld nach dem SGB III
beziehen können, bis ihr Status gesichert ist, und wenn ja, wie, und wann
will sie diesen umsetzen?

Berlin, den 10. November 2008

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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