BT-Drucksache 16/10842

Stromübertragungsleitungen bedarfsgerecht ausbauen - Bürgerinnen- und Bürgerbeteiligung sowie Energiewende umfassend berücksichtigen

Vom 12. November 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/10842
16. Wahlperiode 12. 11. 2008

Antrag
der Abgeordneten Hans-Kurt Hill, Dr. Gesine Lötzsch, Dr. Dietmar Bartsch, Karin
Binder, Heidrun Bluhm, Eva Bulling-Schröter, Roland Claus, Dr. Dagmar Enkelmann,
Heike Hänsel, Lutz Heilmann, Katrin Kunert, Ulla Lötzer, Dorothee Menzner, Bodo
Ramelow, Dr. Ilja Seifert, Dr. Kirsten Tackmann und der Fraktion DIE LINKE.

Stromübertragungsleitungen bedarfsgerecht ausbauen – Bürgerinnen- und
Bürgerbeteiligung sowie Energiewende umfassend berücksichtigen

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

die Ertüchtigung und den Ausbau der Stromübertragungsleitungen gesetzlich so
zu regeln, dass dabei die Beteiligungsrechte betroffener Bürgerinnen und Bürger
und Gemeinden umfänglich gewahrt bleiben und den Anforderungen einer kli-
mafreundlichen und dezentralen Energieversorgung umfassend Rechnung ge-
tragen wird. Dazu sind folgende Bedingungen festzulegen:

1. Bestehende Stromtrassen müssen zügig dem neuesten Stand der Technik an-
gepasst werden, um ihre Leistungsfähigkeit zu erhöhen.

2. Ein Leitungs- bzw. Temperaturmonitoring für das Übertragungsnetz ist ge-
setzlich festzuschreiben, um eine hohe Leistungsaufnahme unter sicheren
Betriebsbedingungen zu gewährleisten.

3. Für den Verbundbetrieb mehrerer Erneuerbarer-Energien-Anlagen und neuer
innovativer Stromspeicher über das Leitungsnetz (virtuelle Kraftwerke) sol-
len die Netzgebühren entfallen, um eine intelligente und dezentrale Strom-
produktion zu fördern.

4. Zur weiteren Entlastung der Übertragungsnetze sind dezentrale Kraft-
Wärme-Kopplungsanlagen bei den Netzgebühren besserzustellen, um die
gleichzeitige Strom- und Wärmeerzeugung vor Ort sowie den stabilen Aus-
gleich schwankender Wind- und Solarstrommengen zu unterstützen.

5. Für fossile Großkraftwerke ist der Netzanschluss insoweit zu versagen, wie
andernfalls Netznutzungskonkurrenzen gegenüber Anlagen zur Stromerzeu-
gung aus erneuerbaren Energien entstehen können, die deren zeitweilige
Netztrennung zur Folge hätten.

6. Der Netzausbau auf 110-kV-Ebene ist ausschließlich als Erdkabel durchzu-
führen.
7. Dem Netzausbau auf 380-kV-Ebene muss eine Erforderlichkeitsprüfung vo-
rausgehen, bei der die unter den Nummern 1 bis 6 genannten Bedingungen
Vorrang haben.

8. Im Genehmigungsverfahren muss bei allen Trassen die Erdkabelvariante ver-
pflichtender Teil der Betrachtung sein. Hier müssen die geringeren Auswir-
kungen auf Mensch und Umwelt sowie die Kosten über die Lebensdauer der
Anlage umfänglich berücksichtigt werden.

Drucksache 16/10842 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
9. Pilotvorhaben für Erdkabeltrassen müssen ausschließlich nach fachlichen
Kriterien unter Einbeziehung aller betroffenen Regionen und unter besonde-
rer Berücksichtigung ökologisch sensibler und geschützter Naturräume aus-
gewählt werden und nicht nach politischen Interessen.

Berlin, den 11. November 2008

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

Begründung

Die Energiewirtschaft hat den zukunftsgerechten Ausbau der Stromübertragungs-
netze seit der Strommarktliberalisierung im Jahr 1998 zugunsten von privatwirt-
schaftlichen Profitinteressen zurückgestellt. Insbesondere das wachsende Poten-
tial erneuerbarer Energien wurde aufgrund einer fehlenden Netzplanung nicht
oder zu spät berücksichtigt. Netzinvestitionen fanden meist nur statt, wenn Stö-
rungen drohten oder bereits Schäden entstanden waren, wie im November 2005
im Münsterland, als eine Viertelmillion Menschen aufgrund des Einknickens
maroder Strommasten tagelang ohne Stromversorgung auskommen mussten.
Gleichzeitig führen die jetzt vorgesehenen Netzausbaupläne vorrangig zum An-
schluss neuer fossiler Großkraftwerke und zu einem verstärkten Stromexport.
Der erforderliche Ausbau erneuerbarer Energien und die Entwicklung einer
energieeffizienten und dezentralen Stromversorgung werden dadurch behindert.

Gerade in Ost- und Norddeutschland, wo der Anteil erneuerbarer Energien, ins-
besondere durch Windkraftanlagen, und durch geplante Offshore-Windparks im
Seegebiet stark zunimmt, stehen jetzt Ausbauplanungen auf Übertragungsnetz-
ebene auf der Tagesordnung. Es stellt sich jedoch heraus, dass vor allem an den
für den Ausbau vorgesehenen Trassen neue fossile Großkraftwerke entstehen
sollen. Der Ausbau der erneuerbaren Energien als Argument für den Leitungs-
ausbau scheint daher von Seiten der Übertragungsnetzbetreiber oft nur vorge-
schoben zu sein.

Vor Ort gibt es einen deutlichen und berechtigten Protest gegen die Dimension
und vorgesehene Genehmigungsform, mit der die Vorhaben zum Ausbau der
380-kV-Freileitungen vorangetrieben werden. Da der Bau der zum Teil über-
dimensionierten und viel zu spät begonnen Trassen nicht im Einklang mit den
gesamtgesellschaftlichen Erfordernissen, der technologischen Entwicklung und
den Bedürfnissen der Menschen vor Ort steht, verzögert sich der Netzausbau.

Um den Ausbau zu beschleunigen hat die Bundesregierung nun den Entwurf
eines Energieleitungsausbaugesetzes (Bundestagsdrucksache 16/10491) vorge-
legt. Für eine fest vorgeschriebene Liste von Vorhaben, sollen das Genehmi-
gungsverfahren erheblich verkürzt und die Beteiligungsrechte der Bürgerinnen
und Bürger und der Gemeinden deutlich eingeschränkt werden. Moderne Ver-
fahren zur Netzregelung bleiben unberücksichtigt. Neue Leitungstechnologien
sollen nur eingeschränkt und mit Versuchscharakter eingesetzt werden. Da die
betroffenen Regionen nicht umfassend in den Auswahlprozess für Erdkabel-
varianten einbezogen wurden, ist das Auswahlverfahren als fachlich unzurei-
chend anzuzweifeln.

Mit Blick auf eine klimafreundliche Energieversorgung, muss der erforderliche
Netzausbau vorrangig am Ausbau erneuerbarer Energien sowie an effizienten
und dezentralen Strukturen ausgerichtet werden. Auch bei bedeutenden Vorha-
ben darf das Beteiligungsrecht der Betroffenen nicht eingeschränkt werden. Ein-
zelne Stromübertragungstrassen dürfen nicht abgekoppelt von einer zukunfts-
gerichteten Energieversorgung stehen.

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