BT-Drucksache 16/1069

EU-Strukturfonds zur nachhaltigen Entwicklung einsetzen

Vom 28. März 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/1069
16. Wahlperiode 28. 03. 2006

Antrag
der Abgeordneten Rainder Steenblock, Kerstin Andreae, Marieluise Beck (Bremen),
Cornelia Behm, Dr. Thea Dückert, Hans Josef Fell, Winfried Hermann, Peter Hettlich,
Priska Hinz (Herborn), Ulrike Höfken, Dr. Anton Hofreiter, Bärbel Höhn, Thilo Hoppe,
Ute Koczy, Sylvia Kotting-Uhl, Undine Kurth (Quedlinburg), Dr. Reinhard Loske,
Kerstin Müller (Köln), Winfried Nachtwei, Brigitte Pothmer, Claudia Roth
(Augsburg), Elisabeth Scharfenberg, Christine Scheel, Irmingard Schewe-Gerigk,
Dr. Gerhard Schick, Jürgen Trittin und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

EU-Strukturfonds zur nachhaltigen Entwicklung einsetzen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung des Weiteren auf,

die Mittel der EU-Strukturfonds für eine nachhaltige Entwicklung einzusetzen
und sich bei den Verhandlungen im Ministerrat für mehr Nachhaltigkeit und
Umweltschutz in der EU-Strukturpolitik einzusetzen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung des Weiteren auf,

1. sich im Rat dafür einzusetzen, dass die EU-Strukturpolitik gemäß Artikel 6
des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV), nach
dem die nachhaltige Entwicklung das allen Gemeinschaftspolitiken und
- maßnahmen übergeordnete Ziel ist, auf eine nachhaltige Entwicklung aus-
gerichtet wird;

2. sich im Rat dafür einzusetzen, dass die Wirtschafts-, Sozial- und Umweltpart-
nerinnen und -partner gleichermaßen in die Planung, Durchführung und
Nachbereitung der Strukturfondsprojekte einbezogen werden;

3. die strategischen Leitlinien der Gemeinschaft als das strategische Konzept
für die Europäische Kohäsionspolitik auf nationaler Ebene, um die dritte
Dimension der Lissabon-Strategie zur wirtschaftlichen, sozialen und ökolo-
gischen Erneuerung, d. h. um „nachhaltige Entwicklung“ und „schonenden
Umgang mit den natürlichen Ressourcen“ zu ergänzen;

4. auf EU-Ebene, im nationalen strategischen Rahmenplan sowie in den Opera-
tionellen Programmen sicherzustellen, dass alle drei Ziele der Lissabon-
Strategie zur wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Erneuerung der EU

gleichwertig berücksichtigt werden müssen;

5. einen eigenen Förderschwerpunkt „Umwelt/ökologische Nachhaltigkeit“, im
nationalen strategischen Rahmenplan für die Förderperiode 2007 bis 2013 zu
verankern;

6. den nationalen strategischen Rahmenplan einer strategischen Umweltver-
träglichkeitsüberprüfung zu unterziehen;

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7. gemäß Artikel 6 EGV die Mittel der EU-Strukturfonds zur nachhaltigen
Entwicklung einzusetzen;

8. die Mittel der EU-Strukturfonds auch dafür zu verwenden, Forschungsein-
richtungen und Unternehmen beim Aufbau von Forschungsinfrastrukturen
zu unterstützen. Dazu gehört sowohl der Aufbau neuer Forschungseinrich-
tungen als auch der Aufbau von Institutionen, die kleine und mittlere Unter-
nehmen (KMU) und kleine Forschungsinstitute beim Zugang zu EU-For-
schungsmitteln unterstützen;

9. die in den drei neuen Zielen der Kohäsionspolitik (Konvergenz, regionale
Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung sowie territoriale Zusammen-
arbeit) genannten Punkte: Finanzierung des NATURA-2000-Netzwerks,
Maßnahmen für mehr Energieeffizienz oder Technologien für erneuerbare
Energien für eine bessere Verknüpfung von Wachstum und Beschäftigung
mit dem Ziel der nachhaltigen Entwicklung zu nutzen;

10. sich dafür einzusetzen, dass in den Bundesländern ausreichend Mittel für
wichtige Anliegen zur Umsetzung des Gemeinschaftsrechts im Naturschutz
(insbesondere NATURA 2000 und Wasserrahmenrichtlinie (WRRL)) im
Rahmen der Operationellen Programme zur Verfügung gestellt werden;

11. sicherzustellen, dass Nachhaltigkeitspolitik Bestandteil von Struktur-, Re-
gional- und Raumplanungspolitiken und -programmen ist;

12. Wirtschafts-, Sozial- und Umweltpartnerinnen und -partner gleichermaßen
in die Planung, Durchführung und Nachbereitung der Strukturfondsprojekte
einzubeziehen;

13. Verstöße gegen Umweltschutzbestimmungen bei der Verwirklichung von
Vorhaben, die durch die Gemeinschaftsfonds mitfinanziert werden, z. B.
Bau von Straßen und Dämmen in NATURA-2000-Schutzgebieten, zu ver-
hindern;

14. alle beteiligten Parteien für eine nachhaltige Entwicklung und Umwelt-
schutz zu sensibilisieren;

15. die Grundsätze der nachhaltigen Entwicklung bei der praktischen Anwen-
dung zu beachten und bei der Planung und Durchführung auf regionaler und
lokaler Ebene zu fördern.

Berlin, den 28. März 2006

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

Begründung

Nach Artikel 6 des EG-Vertrags ist die nachhaltige Entwicklung das allen Ge-
meinschaftspolitiken und -maßnahmen übergeordnete Ziel. Auch der Vertrag für
eine Verfassung für Europa verfügt in einer Querschnittsklausel (Artikel III-119
EVV), dass alle Erfordernisse des Umweltschutzes insbesondere zur Förderung
einer nachhaltigen Entwicklung bei der Festlegung und Durchführung der Poli-
tik und der Maßnahmen in den internen Politikbereichen, in der Wirtschafts- und
Währungspolitik, bei der Politik in anderen Bereichen, beim Raum der Freiheit,
der Sicherheit und des Rechts und in den Bereichen, in denen die EU beschlie-
ßen kann Unterstützungs-, Koordinierungs- oder Ergänzungsmaßnahme durch-

zuführen, einbezogen werden müssen. Dies gilt insbesondere auch für die euro-
päischen Strukturfonds (europäischer Sozialfonds, europäischer Fonds für regi-

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/1069

onale Entwicklung und Kohäsionsfonds) als wesentliche Instrumente europäi-
scher Regionalpolitik.

Auf ihrer Tagung in Göteborg im Jahr 2001 ergänzten die EU-Staats- und Regie-
rungschefs die im Jahr 2000 verabschiedete Lissabon-Strategie um eine dritte
gleichberechtigte Säule: künftig dient die Lissabon-Strategie zur wirtschaft-
lichen, sozialen und ökologischen Erneuerung der EU. Diese Ergänzung ist die
Antwort auf die Herausforderung, eine Dynamik aufrechtzuerhalten, in der sich
wirtschaftliches Wachstum, soziale Sicherheit und Umweltschutz wechselseitig
verstärken. Bereits 1998 beschlossen die Staats- und Regierungschefs mit dem
so genannten Cardiff-Grundsatz, dass Umweltbelange in alle Politikbereiche
einbezogen werden müssen.

Die Europäische Kommission unter Präsident José Manuel Barroso will demge-
genüber alle Gemeinschaftspolitiken, inklusive der EU-Strukturpolitik auf
Wachstum und Beschäftigung konzentrieren. Die Strukturfonds werden von der
Europäischen Kommission als der wichtigste finanzielle Hebel im Gemein-
schaftshaushalt gesehen, um diese Agenda umzusetzen. Die Ausrichtung der
EU-Strukturpolitik auf Wachstum und Beschäftigung wird insbesondere deut-
lich in der Mitteilung der Kommission „Die Kohäsionspolitik im Dienste von
Wachstum und Beschäftigung: Strategische Leitlinien der Gemeinschaft für den
Zeitraum 2007–2013“. Denn in den Leitlinien knüpft die Europäische Kommis-
sion vor allem an den Wachstumsgedanken der Lissabon-Strategie an. Die Ziel-
setzungen „nachhaltige Entwicklung“ oder „schonender Umgang mit den natür-
lichen Ressourcen“ wie sie in der dritten Säule der Lissabon-Strategie vorgese-
hen sind, spielen in den Leitlinien nur eine untergeordnete Rolle. Mit den Stra-
tegischen Leitlinien sollen inhaltliche Schwerpunkte für den Einsatz der
Strukturfonds gesetzt werden. Sie bilden das strategische Konzept für die euro-
päische Kohäsionspolitik. Laut EU-Vertrag liegt die Umsetzung der Struktur-
fonds jedoch in den Händen der Mitgliedstaaten. Die Leitlinien haben somit nur
indikativen Charakter.

Auch die drei neuen Ziele der Kohäsionspolitik (Konvergenz, regionale Wettbe-
werbsfähigkeit und Beschäftigung sowie territoriale Zusammenarbeit) sind ins-
besondere auf wirtschaftliches Wachstum ausgerichtet. Zu begrüßen ist aber,
dass Umweltschutz und nachhaltige Entwicklung als zentrale Prioritäten der Ge-
meinschaft aufgeführt werden. Erstmals wird speziell Bezug genommen auf die
Finanzierung des NATURA-2000-Netzwerkes sowie auf Maßnahmen für mehr
Energieeffizienz oder auf Technologien für erneuerbare Energien. Diese An-
sätze bieten die Möglichkeit, die Ziele Wachstum und Beschäftigung besser mit
dem Ziel der nachhaltigen Entwicklung zu verbinden. Die konkrete Umsetzung
dieser Möglichkeiten liegt allerdings bei den Mitgliedstaaten, die erfahrungs-
gemäß selten EU-Gelder für die Umsetzung der dritten Säule der Lissabon-Stra-
tegie nutzen. Zudem werden Verstöße gegen Umweltschutzbestimmungen bei
der Verwirklichung von Vorhaben, die durch die Gemeinschaftsfonds mitfinan-
ziert werden, von den Mitgliedstaaten in Kauf genommen. Der World Wide
Fund For Nature (WWF) berichtet von hoch subventionierten Straßen und Däm-
men, die gebaut werden, obwohl sie mitten in NATURA-2000-Schutzgebieten
liegen (Conflicting EU-funds: Pitting conservation against unsustainable
development, WWF, 2006). Deshalb ist es außerordentlich wichtig, dass die
nachhaltige Entwicklung eine zentrale Priorität im nationalen strategischen Rah-
menplan und in den operationellen Programmen ist. Dafür sprach sich auch die
65. Umweltministerkonferenz vom November 2005 aus. Sie fordert eine Veran-
kerung eines eigenen Förderschwerpunktes „Umwelt/ökologische Nachhaltig-
keit“ im nationalen strategischen Rahmenplan.

Auch auf EU-Ebene muss sichergestellt sein, dass die dritte Dimension der Lis-

sabon-Strategie in den Verordnungen, Strategien und Planungsdokumenten als
integraler Teil behandelt, und nicht nur zu den Zielen Wachstum und Beschäfti-

Drucksache 16/1069 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
gung hinzu addiert wird. Wachstum und Beschäftigung müssen in einer breiten
und langfristigen Perspektive gesehen werden, denn beides hängt von der nach-
haltigen Nutzung natürlicher Ressourcen ab. Dabei geht es beim Begriff „nach-
haltige Entwicklung“ nicht nur um Umweltschutz, sondern um ein Regionalent-
wicklungskonzept, das gleichzeitig auf wirtschaftliches Wachstum, soziale Ge-
rechtigkeit sowie auf den Schutz und die Verbesserung der Umwelt abzielt.
Denn die natürlichen Ressourcen (Wasser, Luft, Boden usw.) sind als entschei-
dende Grundlagen für Mensch und Ökosysteme von großer ökologischer und
sozioökonomischer Bedeutung. Die Qualität der Umwelt entscheidet über die
Anziehungskraft einer Region und ist als solche Standortfaktor für Investitio-
nen. Eine übermäßige Ausbeutung und Belastung der natürlichen Versorgungs-
quellen kann nicht nur für die Umwelt, sondern auch für das Wirtschaftsleben
ernste Folgen haben. Die Förderung produktiver Tätigkeiten, für die eine intakte
Umwelt direkte Voraussetzung ist, wie etwa Forschung- und Entwicklung
(FuE)-Dienste, Gesundheit und „Ökotourismus“, ökologischer Landbau und
Naturschutz, bietet vor allem ländlichen Gebieten die Möglichkeit, aus der Na-
tur Kapital zu schlagen und sie gleichzeitig zu schützen.

Umweltschutz und andere grüne Innovationsfelder haben sich zu einem bedeu-
tenden und dynamischen Wirtschafts- und Beschäftigungsfaktor entwickelt.
Eine gesunde Umwelt und der schonende Umgang mit natürlichen Ressourcen
sind Voraussetzung für eine langfristig stabile wirtschaftliche und soziale Ent-
wicklung. Die globale Nachfrage nach Technologien und Verfahren zur Einspa-
rung von Materialien, Ressourcen und Emissionen wird stark wachsen – aus
ökologischen, aber auch aus ökonomischen Gründen. Deswegen ist Forschung
für Nachhaltigkeit ein wichtiger Baustein für eine umfassende Nachhaltigkeits-
strategie. Umweltschutz ist ein stabiler, zuverlässiger Faktor für den Arbeits-
markt: In den vergangenen zwei Jahrzehnten hat sich der Umweltschutz in
Deutschland zu einem bedeutenden Wirtschafts- und Standortfaktor entwickelt.
2002 gab es fast 1,5 Millionen Beschäftigte im Umweltschutz (Umweltbundes-
amt/DIW 2004), 3,8 Prozent aller Beschäftigten.

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