BT-Drucksache 16/10674

Bau von zusätzlichen Kampfdörfern und Panzerstraßen auf dem Truppenübungsplatz Senne in Nordrhein-Westfalen

Vom 17. Oktober 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/10674
16. Wahlperiode 17. 10. 2008

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ute Koczy, Britta Haßelmann, Winfried Nachtwei, Marieluise
Beck (Bremen), Volker Beck (Köln), Alexander Bonde, Dr. Uschi Eid, Thilo Hoppe,
Kerstin Müller (Köln), Omid Nouripour, Claudia Roth (Augsburg), Manuel Sarrazin,
Rainder Steenblock, Jürgen Trittin und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Bau von zusätzlichen Kampfdörfern und Panzerstraßen auf dem
Truppenübungsplatz Senne in Nordrhein-Westfalen

Der 116 km2 große Truppenübungsplatz (TÜP) Senne liegt nördlich von Pader-
born. Hier befinden sich fünf Standorte der britischen Rheinarmee. Er wird von
den britischen Streitkräften in der Bundesrepublik Deutschland in Paderborn
gemäß NATO-Truppenstatut betrieben. An diesen Standorten sind etwa 4 000
Soldaten stationiert.

Presseberichten vom August 2008 zufolge will die britische Armee in der Senne
einen zweistelligen Millionenbetrag investieren. Es sollen 39 Kilometer Sand-
pisten für Panzer in eine betonierte Panzerstraße umgewandelt und sechs wei-
tere Kampfdörfer gebaut werden. Die Genehmigung einer solchen Maßnahme,
wenn sie auf der Grundlage des NATO-Truppenstatuts und ihrer daraus folgen-
den Gesetze und Verordnungen beantragt worden ist, ist auf der Grundlage des
§ 37 Abs. 2 des Baugesetzbuchs (BauGB) durch deutsche Behörden zu erteilen
oder abzulehnen. Es handelt sich bei den beabsichtigten Baumaßnahmen teil-
weise um Maßnahmen, die nach dem Artikel 49 Abs. 2 des Zusatzabkommens
zu dem Abkommen zwischen den Parteien des Nordatlantikvertrages über die
Rechtsstellung ihrer Truppen hinsichtlich der in der Bundesrepublik Deutsch-
land stationierten ausländischen Truppen (ZA/NTS) vom 3. August 1959 zu
behandeln sind. Dort heißt es:

Baumaßnahmen werden nach Maßgabe der geltenden deutschen Rechts- und
Verwaltungsvorschriften und besonderer Verwaltungsabkommen durch die für
Bundesbauaufgaben zuständigen deutschen Behörden durchgeführt.

Da sich die Bundesbauverwaltung, zuständig für Bundesbauaufgaben, durch
Organleihe der Ländereinrichtungen bedient, ist es somit Aufgabe des Landes
Nordrhein-Westfalen diese Baumaßnahmen durchzuführen. Die rechtliche Prü-
fung der Baumaßnahmen im Bereich des Umwelt- und Immissionsrechts ist auf
der Grundlage der Verwaltungsvereinbarung zwischen dem Bundesminister der
Verteidigung der Bundesrepublik Deutschland und dem Oberbefehlshaber der

Britischen Rheinarmee über die Benutzung von Truppenübungsplätzen, die den
Britischen Streitkräften gemäß dem Zusatzabkommen zum NATO-Truppen-
statut zur ausschließlichen Benutzung überlassen sind, vorzunehmen. Am
15. September 2008 haben die Briten ihre Ausbaupläne den Anrainerkommu-
nen wie Paderborn, Hövelhof und Bad Lippspringe vorgestellt. Die Bauarbeiten
sollen 2009 beginnen und 2012 abgeschlossen werden.

Drucksache 16/10674 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Der geplante Ausbau des Truppenübungsplatzes würde voraussichtlich zu wei-
teren großflächigen Lärmstörungen führen, die vor allem die Randgemeinden
des Truppenübungsplatzes betreffen. Bei den Lärmimmissionen würde es sich
besonders um zusätzlichen Schießlärm Panzerbewegungen und Fluglärm han-
deln. Solche erhebliche Lärmimmissionen können zu krankmachenden Beein-
trächtigungen der Bevölkerung führen, angefangen von Schlafstörungen über
Tinnitus, Kreislaufbeschwerden, bis hin zu Bluthochdruckerkrankungen und
den daraus resultierenden Gefahren von Herzinfarkt und Schlaganfall. Beson-
ders durch nächtlichen Schießlärm können durch wiederholte Schlafunter-
brechungen Leistungseinschränkungen im Beruf und in der Schule entstehen.
Beschwerden über nächtlichen Schießlärm gibt es bereits insbesondere von
Kurgästen von Bad Lippspringe, das unmittelbar an den Truppenübungsplatz
grenzt.

Die jetzt geplanten zusätzlichen Kampfdörfer und der Ausbau und Bau von
Panzerstraßen würden zu Beeinträchtigungen der einmaligen Naturlandschaft
Senne führen. Der Truppenübungsplatz gehört zum Flora-Fauna-Habitat (FFH)
der Europäischen Gemeinschaft. Ein FFH-Gebiet ist eine besonders schützens-
werte Landschaft mit vom Aussterben bedrohter Tier- und Pflanzenarten.
Ebenso ist das Gebiet als EU-Vogelschutzgebiet ausgewiesen. Es leben auf dem
Truppenübungsplatz Senne über 5 000 Tier- und Pflanzenarten, davon über
1 000 Arten der Roten Liste gefährdeter Pflanzen und Tiere in der Bundesrepu-
blik Deutschland.

Der geplante Ausbau von Sandpisten und Ausbau von 40 km Straßen mit Beton
oder Schotter auf dem Truppenübungsplatz wäre ein massiver Eingriff in den
Naturhaushalt der Senne. Bisher stellen die Sandpisten in der Senne eine rela-
tiv geringe Beeinträchtigung dar. Für viele Organismen sind sie keine Barriere,
da ihr Substrat wie das der sandigen Umgebung als natürlich wahrgenommen
wird. Sobald diese mit Schotter, Beton o. Ä. versiegelt werden, stellen sie eine
nicht überwindbare Barriere dar. Dieses wirkt bei dem Lebensraum aufgrund
der Vielzahl gefährdeter Arten zerstörend. Bei einer Versiegelung wird des
Weiteren im unmittelbaren Umfeld der Wasserhaushalt verändert. Bei der Ver-
wendung von Kalkschotter könnte es gar zu einer massiven Zerstörung auch
weiter entfernt liegender sensibler Bereiche wie Moore oder nährstoffarme
saure Sandmagerrasen kommen.

Eine starke Beeinträchtigung gilt auch bei der Versiegelung infolge des Baus
der Kampfdörfer für bodenbrütende Vögel. Da auch von einer Erhöhung der
Anzahl der Übungseinsätze ausgegangen wird, nehmen Unruhe und Lärm im
Gebiet für Tiere und Menschen zu.

Bei Realisierung der Planungen ist nicht auszuschließen, dass der Naturschutz
in der Senne allgemein, und der europäische FFH-Status der Landschaft sowie
die Nationalpark-Würdigkeit im Besonderen aufs Höchste gefährdet sind. Alle
Planungen, die ein FFH-Gebiet in seinen für die Schutzzwecke maßgeblichen
Bestandteilen erheblich nachhaltig beeinträchtigen können, unterliegen einer
besonderen Pflicht zur Verträglichkeitsprüfung.

Der Truppenübungsplatz wird zeitweilig auch durch Truppen anderer NATO-
Staaten genutzt. Der Platz dient hauptsächlich als Infanterie-Schießplatz, wobei
sich die Schießbahnen am Platzrand befinden und von dort nach innen geschos-
sen wird. Ebenso kommen auf dem Truppenübungsplatz schwere Panzerwaffen
zum Einsatz.

Durch den Ausbau des Platzes und damit verbunden einer Zunahme von
Schießübungen und Fahrbewegungen käme es zu einer weiteren Umweltbelas-
tung. Munition, Sprengstoffe und Treibstoffe sind alle als umweltschädlich ein-
zustufen. Letztendlich ist eine Gefährdung des Grundwassers und damit auch

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/10674

des Trinkwassers der angrenzenden Kommunen durch Gifte und Schwer-
metalle nicht auszuschließen.

Wir fragen die Bundesregierung:

I. Zum geplanten Ausbau des Truppenübungsplatzes

1. Wer stellt die Anträge für zusätzliche Kampfdörfer und Panzerstraßen auf
dem Truppenübungsplatz Senne?

2. Welche oberste Bundesbehörde ist für das Verfahren zuständig?

3. Welche weiteren Behörden sind beteiligt?

4. Wer führt die Baumaßnahmen durch?

5. Auf welchen Rechtsgrundlagen werden die Baumaßnahmen durchgeführt?

6. Welche Bundesministerien sind an dem Verfahren beteiligt, und mit wel-
cher obersten Landesbehörde hat sich das zuständige Bundesministerium
ins Benehmen zu setzen?

7. Werden Baumaßnahmen genehmigungs- oder zustimmungsfähig, wenn die
Grundlage der Baumaßnahme auf fiskalischen Gründen beruht?

8. Werden zur Berücksichtigung der Belange der betroffenen Gemeinden und
Anwohnerinnen/Anwohner im Rahmen der umweltbezogenen Planungen
kontinuierlich die Bürgermeisterinnen/Bürgermeister und Gemeindevertre-
terinnen/Gemeindevertreter der betroffenen Gemeinden informiert?

Wenn ja, wie?

9. Ist der Bundesregierung bekannt, welche Übungsmaßnahmen in den
Kampfdörfern durchgeführt werden, und wenn ja, um welche handelt es
sich, und welchen Einsatzszenarien dienen diese?

10. Inwieweit und für welche Übungsszenarien wird der Truppenübungsplatz
Senne auch von den in Augustdorf stationierten Bundeswehreinheiten, die
derzeit die Quick Reaction Force (QRF) in Afghanistan und wesentliche
Teile des ISAF-Kontingentes (ISAF – International Security Assistance
Force) stellen, mitgenutzt bzw. ist dies geplant?

II. Zum Zustand des FFH- und EU-Vogelschutzgebietes auf dem TÜP Senne
und zu Auswirkungen der geplanten Baumaßnahmen auf die Einhaltung
der FFH-Richtlinie

11. Welche jeweiligen Erhaltungs- und Entwicklungsziele wurden für die
NATURA 2000-Gebiete (FFH- und EU-Vogelschutzgebiete) auf dem
Truppenübungsplatz Senne festgelegt?

12. Wurde bzw. wird in den FFH- und EU-Vogelschutzgebieten der Zustand
der schützenswerten Arten und Naturbestände durch ein Monitoring er-
fasst?

a) Wenn nein, warum nicht, bzw. ist es geplant, ein solches Monitoring
aufzunehmen?

b) Wenn ja, sind die Ergebnisse öffentlich zugänglich, bzw. aus welchen
Gründen sind sie nicht öffentlich zugänglich?

13. Welche Auswirkungen sind durch die geplanten Baumaßnahmen auf die
natürlichen Lebensräume, Habitate und Arten der FFH-Schutzgebiete und
des EU-Vogelschutzgebietes zu erwarten, und wie schätzt die Bundesregie-

Drucksache 16/10674 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

rung insbesondere mögliche Auswirkungen der Baumaßnahmen im Hin-
blick auf jene Verpflichtungen ein, die sich aus Artikel 6 Abs. 3 und 4 und
Artikel 7 der FFH-Richtlinie ergeben?

14. Wie ist sichergestellt, dass es durch die Baumaßnahmen zu keiner Beein-
trächtigung der NATURA 2000-Gebiete auf dem TÜP Senne kommt?

15. Welche konkreten Schutzmaßnahmen und Maßnahmen zur Schadens-
begrenzung sollen ergriffen werden, um die Störung bzw. die Beeinträchti-
gung der NATURA 2000-Schutzgebiete durch die Baumaßnahmen zu ver-
hindern bzw. zu mindern?

16. Wer überwacht die Einhaltung der FFH- und EU-Vogelschutzrichtlinien
während der Bauvorhaben?

17. Sind die Träger öffentlicher Belange (u. a. Naturschutzverbände) am Ver-
fahren beteiligt bzw. ist dies beabsichtigt, und wenn nein, warum nicht?

18. Soll es nach Kenntnis der Bundesregierung Ausgleichsmaßnahmen für die
Eingriffe geben, und wenn ja, welche, und wann sollen diese durchgeführt
werden?

19. Gibt es eine Prüfung von alternativen Standorten ohne FFH- und EU-
Schutzstatus?

Wenn ja, welche, und an welchen Orten?

Wenn nein, aus welchen Gründen nicht?

III. Zu den Auswirkungen der geplanten Baumaßnahmen hinsichtlich Lärm
und Umwelt

20. Welche zusätzlichen Lärmbelastungen kommen nach Kenntnis der Bundes-
regierung auf die Anwohnerinnen/Anwohner durch die geplanten Ausbau-
maßnahmen zu, und welche Maßnahmen sollen ergriffen werden, um diese
zu mindern?

21. Welche Auswirkungen auf Pflanzen und Tiere sind durch den geplanten zu-
sätzlichen Übungsbetrieb durch Lärm und zusätzliche Störungen durch
Bewegungen von Menschen und Fahrzeugen zu erwarten?

Gibt es hierzu Gutachten bzw. Stellungnahmen, und wenn ja, mit welchen
Ergebnissen?

22. Welche zusätzlichen Belastungen von Boden, Luft und Wasser sind durch
die Baumaßnahmen zu erwarten, und welche durch den daraus folgenden
vermehrten Schieß- und Übungsbetrieb?

Sind hierzu Gutachten bzw. Stellungnahmen angefertigt worden, und wenn
ja, mit welchen Ergebnissen bzw. sind solche geplant?

23. Welche Schallschutzmaßnahmen existieren bereits, und sind anlässlich der
Ausweitung des Übungsbetriebes zusätzliche geplant?

24. Wer trägt die Kosten für zusätzliche Schallschutzmaßnahmen?

25. Liegen der Bundesregierung Untersuchungen über die Auswirkungen des
jetzigen Übungsbetriebes auf den Natur- und Landschaftsschutz sowie den
Lärmschutz vor, bzw. hat die Bundesregierung eigene Untersuchungen
durchgeführt?

a) Wenn ja, mit welchen Ergebnissen?

b) Sind nach Ansicht der Bundesregierung in den Untersuchungen bzw.
Stellungnahmen die Besonderheiten des Natur- und Landschaftscharak-

ters ausreichend berücksichtigt?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5 – Drucksache 16/10674

c) Sind weitere Untersuchungen bzw. Stellungnahmen geplant?

Wenn ja, zu welchen Aspekten, und aus welchen Gründen?

Wenn nein, aus welchen Gründen nicht?

26. Welche militärischen Altlasten befinden sich nach Kenntnis der Bundes-
regierung auf dem Gelände des Truppenübungsplatzes Senne?

27. Welche Untersuchungen über die Art und Gefährlichkeit von Umwelt-
altlasten auf dem Truppenübungsplatz sind der Bundesregierung bekannt,
und haben die britischen Streitkräfte eine solche Untersuchung durch-
geführt, die Umweltaltlasten kartiert und den deutschen Behörden über-
geben?

28. Welche Luft-, Boden- und Grundwasserbelastungen entstehen nach Kennt-
nis der Bundesregierung durch den bisherigen Übungsbetrieb auf dem
Truppenübungsplatz Senne, und sind nach den geplanten Ausbaumaßnah-
men zusätzliche Belastungen zu erwarten, und wenn ja, welche?

29. Wie und in welcher Form ist die Schadensbeseitigung und Sanierung des
Übungsgeländes im Falle eines Abzuges der britischen Streitkräfte ge-
regelt?

30. Wie beurteilt die Bundesregierung die gesundheitliche Belastung der An-
wohnerinnen/Anwohner im Umfeld des Truppenübungsplatzes Senne, und
inwiefern wird sich diese nach Einschätzung der Bundesregierung nach
den Ausbaumaßnahmen verändern?

31. Welche Regelung ist für die Begrenzung der Schießlärmbelastung der Be-
völkerung getroffen, und inwiefern werden sich diese nach den Ausbau-
maßnahmen verändern?

32. Welche Beschwerdemöglichkeiten haben die Anwohnerinnen/Anwohner
bei Lärmbelastungen?

33. Wie sind die Schießzeiten in der Verwaltungsvereinbarung von 1993 im
Einzelnen geregelt?

34. Wie viele Ausnahmen von den in der Verwaltungsvereinbarung verein-
barten Schießzeiten hat der Bundesminister der Verteidigung, Dr. Franz
Josef Jung, seit 2001 genehmigt, und mit welcher Begründung, aufge-
schlüsselt nach Anzahl, Zeitraum und Grund der Ausnahme?

35. Wie wird sichergestellt, dass die Anwohnerinnen/Anwohner rechtzeitig
über geänderte Schießzeiten informiert werden?

Berlin, den 17. Oktober 2008

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.