BT-Drucksache 16/10654

Programm für ein selbstbestimmtes Leben ohne Armut - Eine Neuformulierung des Dritten Armuts- und Reichtumsberichtes

Vom 15. Oktober 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/10654
16. Wahlperiode 15. 10. 2008

Antrag
der Abgeordneten Markus Kurth, Brigitte Pothmer, Irmingard Schewe-Gerigk,
Kerstin Andreae, Birgitt Bender, Alexander Bonde, Ekin Deligöz, Kai Gehring,
Katrin Göring-Eckardt, Priska Hinz (Herborn), Christine Scheel, Dr. Gerhard
Schick, Dr. Harald Terpe, Josef Philip Winkler und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Programm für ein selbstbestimmtes Leben ohne Armut –
Eine Neuformulierung des Dritten Armuts- und Reichtumsberichtes

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Der nunmehr vorliegende Dritte Armuts- und Reichtumsbericht der Bundes-
regierung stellt einen echten Rückschritt in Sachen Datenqualität und Aus-
sagekraft dar. Durch willkürliche Datenauswahl und gezielte Präsentation
fragwürdiger Ergebnisse hat die Bundesregierung das Instrumentarium des
Armuts- und Reichtumsberichts insgesamt in Misskredit gebracht.

Der von der Bundesregierung unter dem Motto „Der Sozialstaat wirkt“ vor-
gelegte Bericht enthält geschönte Ergebnisse, die nicht nur in sich wider-
sprüchlich sind, sondern auch jeglicher Realitätserfahrung zuwiderlaufen.
Drastisch sinkende Kinderarmut, sinkende Armutsschwellen und -risiko-
quoten entsprechen weder den wissenschaftlichen Erkenntnissen noch den
Alltagserfahrungen der Menschen in diesem Land, die seit Jahren mit Infla-
tion und sinkenden Real- und Transfereinkommen zu kämpfen haben.

Keinen Anlass zur Entwarnung gibt der durch das Deutsche Institut für Wirt-
schafsforschung für das Jahr 2006 festgestellte Rückgang der Einkommens-
armut um 1,5 Prozentpunkte. Diese – im Bericht nicht berücksichtigte – Ent-
wicklung trägt den bitteren Beigeschmack, dass trotz des Aufschwungs auch
zwischen 2006 und 2007 die durchschnittlichen Reallöhne gesunken, mehr
als 20 Prozent der Beschäftigten im Niedriglohnsektor tätig sind und die Zahl
derjenigen, die ergänzend Arbeitslosengeld II (ALG II) beziehen, stetig ge-
stiegen ist. Absehbar ist, dass sich die Chancen auf dem Arbeitsmarkt weiter
verschlechtern werden; so prognostiziert es unter anderem das Institut für
Arbeitsmarkt- und Berufsforschung vor dem Hintergrund der sich abschwä-
chenden Konjunktur.
Auch die Darstellung der Entwicklung des Reichtums kann nur als oberfläch-
lich bezeichnet werden. Wichtige Veränderungen im Einkommensgefüge,
wie das Schrumpfen der Mittelschicht, bleiben unerwähnt. Die Bundesregie-
rung verspielt bei der sensiblen Frage der Einkommens- und Vermögensver-
teilung leichtfertig das Vertrauen der Bürger in die Politik.

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2. Den Herausforderungen der fortschreitenden Spaltung unserer Gesellschaft
in Arm und Reich und die zunehmende Verfestigung von Armut begegnet die
Bundesregierung mit Untätigkeit. Zentrale Problemlagen wie die soziale
Selektion im Bildungswesen, die Zunahme atypischer Beschäftigung mit
unzureichender sozialer Absicherung und der wachsende Niedriglohnsektor
bleiben unbeantwortet.

Diese Entwicklung bedroht besonders die Hauptrisikogruppen der Armut. Es
sind Menschen mit Migrationshintergrund, Alleinerziehende, Geringqualifi-
zierte, prekär Beschäftigte und Menschen mit Behinderung. Diese sind oft-
mals mehrfach von der Teilhabe an unserer Gesellschaft ausgeschlossen: Die
Zugänge zu Arbeit, Bildung, Gesundheit, Kultur und angemessenem Wohn-
raum sind ihnen gleichermaßen versperrt. Für keine der Risikogruppen legt
die Bundesregierung in sich geschlossene Konzepte und abgestimmte Maß-
nahmen vor. Vor allem ist sie nicht bereit, Geld in die Hand zu nehmen, um
die Zugänge für arme Menschen zu Bildung und Gesundheit zu eröffnen und
die materielle Sicherung armer Menschen auf ein Existenz und Teilhabe
sicherndes Niveau zu heben. Ihre Lebenssituation wird auf Jahrzehnte hin ze-
mentiert und auf die nächste Generation übertragen. Diese ungeheure Ver-
schwendung von Ressourcen und Potentialen kann sich unsere alternde
Wissensökonomie nicht leisten. Die zunehmende Verfestigung von Armut
wird zum Sprengstoff für unsere Demokratie.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. den Dritten Armuts- und Reichtumsbericht insgesamt zu überarbeiten und
auf eine aktuelle wie solide Datenbasis zu stellen;

2. ein Programm für ein selbstbestimmtes Leben ohne Armut aufzulegen, mit
dem

a) die Regelleistungen für Sozialleistungen nach dem Zweiten und Zwölften
Buch Sozialgesetzbuch (SGB II, SGB XII) und dem Asylbewerberleis-
tungsgesetz so angepasst werden, dass sie dem sozialstaatlichen Gebot der
Deckung des soziokulturellen Existenzminimums für alle Menschen ge-
nügen. Die Regelleistung für Erwachsene muss dafür auf mindestens
420 Euro erhöht werden. Der Anpassungsmechanismus ist künftig an die
Preisentwicklung zu koppeln;

b) bedarfsgerechte und altersspezifische Regelleistungen für Kinder und
Jugendliche auf der Basis der Ergebnisse einer unverzüglich einzuberu-
fenden Expertenkommission in einem transparenten, demokratisch legiti-
mierten Verfahren festgelegt werden;

c) der Kreis der Anspruchsberechtigten durch eine erneute Reform des Kin-
derzuschlags deutlich ausgeweitet wird;

d) die finanzielle Situation von Geringverdienern durch Mindestlöhne und
progressiv gestaffelte Sozialabgaben verbessert wird;

e) gezielte Maßnahmen zur Förderung der Integration von Menschen mit
Migrationshintergrund und von Menschen mit Behinderung in Arbeit auf
den Weg gebracht werden;

f) die Hilfebedürftigen und ihre Angehörigen im SGB II in ihren Rechten ge-
stärkt werden, um in Zukunft eine echte Balance zwischen Fördern und
Fordern zu gewährleisten. Neben der Einführung von Wunsch- und Wahl-
rechten, unabhängigen Ombudsstellen bei den Trägern, sind auch die jetzt
geltenden Sanktionsregeln aufzugeben. Wird den Fähigkeiten, Wünschen
und Vorschlägen der Einzelnen nicht Rechnung getragen und besteht

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keine Wahl zwischen verschiedenen Förderangeboten, dürfen keine Sank-
tionen verhängt werden;

g) der Druck auf die Löhne durch eine andere Zumutbarkeitsregelung im
SGB II vermindert wird. ALG II-Empfänger müssen das Recht erhalten,
die Aufnahme von Arbeit zu verweigern, die unterhalb des maßgeblichen
tariflichen oder – wenn keine tarifliche Regelung vorhanden ist – des orts-
üblichen Entgelts entlohnt wird;

3. gemeinsam mit den Bundesländern ein Programm gegen die soziale Selek-
tion in Bildung, Gesundheit und Kultur sowie gezielte Konzepte für Armuts-
risikogruppen mit folgenden Inhalten aufzulegen:

a) ein Rechtsanspruch auf einen ganztägigen Betreuungsplatz vom ersten bis
zum dritten Lebensjahr,

b) die flächendeckende Etablierung von Eltern-Kind-Zentren,

c) gemeinsam mit den Bundesländern ein neues Ganztagsschulprogramm
auf den Weg zu bringen, das den flächendeckenden Ausbau von voll ge-
bundenen Ganztagsschulen mit individueller Förderung bis 2020 sicher-
stellt,

d) die Stärkung der schul- und berufsbezogenen Jugendsozialarbeit, insbe-
sondere für die genannten Risikogruppen,

e) den Ausbau von zielgruppenorientierten Beratungs- und Hilfsangeboten
zur Stärkung der Gesundheitskompetenz von Kindern und Eltern in sozial
benachteiligten Familien.

Berlin, den 15. Oktober 2008

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

Begründung

1. Im Dritten Armuts- und Reichtumsbericht legt die Bundesregierung für die
Armutsentwicklung eine neue Datenbasis zugrunde: die erstmals für die Jahre
2004/2005 vom Statistischen Bundesamt erhobene LEBEN IN EUROPA
(EU-SILC). In den vorherigen Berichten wurden Daten der ebenfalls
amtlichen Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) verwendet. Die
auf der neuen Datenbasis berechnete Armutsrisikogrenze liegt bei 781 Euro
und fällt deutlich niedriger aus als im Zweiten Armuts- und Reichtumsbericht.
Hier betrug die auf der Basis der EVS 2003 ermittelte Armutsrisikoschwelle
938 Euro. Die Armutsrisikoquote ist nach den Berechnungen der Bundesre-
gierung ebenfalls mit 13 Prozent geringer als im Jahr 2003 (13,5 Prozent).
Legt man dagegen die Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) zu-
grunde, so ist das Armutsrisiko zwischen 2003 und 2005 um 2 Prozent gestie-
gen: die Armutsrisikoquote liegt im Jahre 2005 bei 18 Prozent und die
Armutsrisikogrenze beträgt 880 Euro. Diese gegenläufigen Ergebnisse wer-
den in der Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung jedoch nicht kommuni-
ziert. Ausführlichere Hinweise auf die wahren Trends der Armuts- und Reich-
tumsentwicklung sind allenfalls im Anhang des Berichts zu finden. Der Be-
richt entspricht auch nicht den Gutachten, die ihm angeblich zugrunde liegen.
So stellt z. B. das Gutachten „Integrierte Analyse der Einkommens- und Ver-
mögensverteilung“, das vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung

(DIW Berlin), dem Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung GmbH

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(ZEW Mannheim) unter der Leitung von Prof. Dr. Richard Hauser erstellt
wurde, einen „dramatischen“ Anstieg der Armut von 2000 bis 2005 fest. Der
Bundesminister für Arbeit und Soziales Olaf Scholz suggeriert hingegen, dass
die Armutsquoten konstant geblieben, ja sogar leicht gesunken sind. Tat-
sächlich ist der Umfang der Armutspopulation nach den Kriterien der EU von
10 auf 15 Millionen Menschen angestiegen.

Die im Bericht herangezogene EU-SILC-Erhebung des Statistischen Bundes-
amtes befindet sich quasi in einer Testphase. Von sozialwissenschaftlicher
Seite wird kritisiert, dass Kinder, Migranten und Migrantinnen und weniger
gebildete Schichten nur unzureichend in der EU-Datenbasis repräsentiert
werden, während die ältere Generation überzeichnet wird. Nicht berücksich-
tigt werden außerdem fiktive Mieten als Einkommen im Falle von Haus- und
Wohneigentum. Diese, die Einkommenssituation erheblich verändernden
Einkommensdaten, werden dagegen in der EVS und in den Daten des SOEP
berücksichtigt. Die Erhebungen des SOEP ermöglichen Zeitreihen und sind
für die ärmere und jüngere Bevölkerung repräsentativer als die Daten des
EU-SILC.

Aufgrund der veränderten und unzureichenden Datenbasis ist der Dritte
Armuts- und Reichtumsbericht mit den vorhergehenden beiden Berichten
nicht mehr vergleichbar. Doch nicht nur die allgemeine Armutsentwicklung
wird geschönt. Auch die Ergebnisse in Bezug auf bestimmte Armutsrisiko-
gruppen entsprechen nicht der Realität:

a) Im Vergleich zum Zweiten Armuts- und Reichtumsbericht geht die Kin-
derarmutsquote von 15 Prozent auf 12 Prozent zurück, die Armutsquote
der Rentner steigt von 12 Prozent auf 13 Prozent. Diese Relationen stim-
men nicht mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen und den Statistiken
der Personen im ALG II-Bezug überein. Seit Jahren wird der Trend wach-
sender Kinderarmut diskutiert. So ist die Zahl der Kinder unter 15 Jahren,
deren Eltern im ALG II-Bezug sind, von 1,4 Millionen im Januar 2005 auf
rund 1,8 Millionen im Dezember 2007 gestiegen. Am 26. Mai 2008, also
eine Woche nach der Veröffentlichung des Entwurfs des Dritten Armuts-
und Reichtumsberichtes, legte Bundesministerin für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend Ursula von der Leyen eine Studie zur Kinderarmut
des Prognos-Instituts vor, welches eine Armutsquote für Kinder von
17,34 Prozent berechnete und den unter Armutsforschern unumstrittenen
Trend wachsender Kinderarmut noch einmal bestätigte.

b) Der Anstieg der Armutsrisikoquote für Rentner und Rentnerinnen von
12 Prozent (EVS 2003, Zweiter Armuts- und Reichtumsbericht) auf
13 Prozent entspricht nicht der Grundsicherungsstatistik, wonach nur
2,3 Prozent der Menschen im Alter von über 65 Jahren eine Grundsiche-
rung im Alter beziehen. Nach den Daten des SOEP ist die Armutsquote für
Rentner unverändert bei 13 Prozent seit 2002.

c) Die Armutsrisikoquote in Ostdeutschland soll zwischen 2003 (Zweiter
Armuts- und Reichtumsbericht) und 2005 von 19 Prozent auf 15 Prozent
(Basis EU-SILC) zurückgegangen sein. Dieses Ergebnis ist ebenfalls sehr
erklärungsbedürftig, da es in keiner Weise mit der Arbeitslosenstatistik
und der wirtschaftlichen Entwicklung in den neuen Bundesländern im
Einklang steht.

Außerdem verzichtet die Bundesregierung auf eine aktuelle Armutsbericht-
erstattung. Ihr war bekannt, dass bereits im September 2008 das DIW Daten
über die Einkommensentwicklung in 2006 zur Verfügung stellen konnte. Den
jüngst veröffentlichten Erhebungen des DIW zufolge ist die Armutsrisiko-
quote in 2006 aufgrund der konjunkturellen Entwicklung um 1,5 Prozent ge-

sunken. Ein Grund zur Entwarnung besteht indes nicht. Zum einen bestätigen

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5 – Drucksache 16/10654

die Daten, dass trotz des Aufschwungs die Reallöhne und die preisbereinig-
ten Markteinkommen stagnieren. Zum anderen bleiben Geringverdiener
ohne den Schutz von Mindestlöhnen weiterhin von Armut trotz Arbeit be-
droht. Die Tendenz der dramatischen Zunahme von Armut seit 2000 droht
sich zu verstetigen.

Für die Ermittlung der Reichtumsschwellenwerte greift die Bundesregierung
auf die veralteten Daten der EVS 2003 zurück. Hätte die Bundesregierung die
EU-SILC-Daten nicht nur für die Berechnung des Armutsrisikos, sondern
auch konsequenter Weise für die Berechnung der Reichtumsschwelle ver-
wendet, so wäre ein unrealistischer Reichtumsschwellenwert von 2 603 Euro
im Monat zu veröffentlichen gewesen, was wiederum ein schlechtes Licht
auf die Datenqualität der EU-SILC wirft. So sind die Reichtumsquoten auf
der Basis der EU-SILC und des SOEP lediglich im Anhang zu finden.

Die Betrachtung der Reichtumsentwicklung ist nicht nur wenig aktuell. Der
Bericht weist zu wenig Tiefenschärfe auf. Auch das Volumen der oberen Ein-
kommen im gesamten Einkommensgefüge bleibt unterbelichtet. Dabei liegen
bereits aufschlussreiche Untersuchungen zur Vermögensentwicklung vor,
wie die Untersuchung von Dr. Stefan Bach und Prof. Dr. Viktor Steiner aus
dem Jahre 2007. In der DIW-Studie wird auch die Vermögensentwicklung
der sehr Reichen, das oberste Hunderttausendstel der Einkommensskala ana-
lysiert.

Außerdem lässt die Bundesregierung in ihrem Bericht die binnenstrukturellen
Verwerfungen im Einkommensgefüge unberücksichtigt. Keine Beachtung
findet die öffentlich breit diskutierte Studie der DIW-Wissenschaftler
Dr. Markus M. Grabka und Dr. Joachim R. Frick über das Schrumpfen der
Mittelschicht vom März 2008. Das DIW stellt einen Rückgang des Mittel-
schichtanteils an der gesamten Bevölkerung von 62 Prozent im Jahr 2000 auf
54 Prozent im Jahr 2006 fest. Die Abwärtsmobilität der Einkommen war
dabei stärker ausgeprägt als der Aufstieg in höhere Einkommensklassen.
Entsprechend wächst der Anteil armer Einkommen bei gleichzeitigem
Schrumpfen der Mittelschicht.

2. Die Bundesregierung eröffnet in ihrem Dritten Armuts- und Reichtums-
bericht keine Wege für ein selbstbestimmtes Leben ohne Armut. Trotz dra-
matischer Preissteigerungen für Nahrungsmittel und Energie weigert sich
die Bundesregierung die Regelsätze anzupassen. Hierunter leiden auch rd.
2,5 Millionen Kinder und Jugendliche, deren Eltern Sozialleistungen bezie-
hen. Hinzu kommen die Kinder in „verdeckter Armut“, deren Eltern zwar
einen Anspruch auf Sozialleistungen haben, diesen jedoch aus Scham nicht
in Anspruch nehmen. In diesen Familien sind die Eltern vielfach nicht in der
Lage, ihren Kindern das Schulmaterial oder die Fahrkarte zur Schule zu
kaufen.

Die Ausweitung des Niedriglohnsektors bleibt ungebremst. Nur wenige Ar-
beitnehmer sind durch einen Mindestlohn vor Lohndumping geschützt. Von
einer Balance zwischen Fördern und Fordern kann in der Mehrzahl der Job-
center nicht gesprochen werden. Statt Perspektiven aufzuzeigen und die Qua-
lifizierung von Langzeitarbeitslosen auszubauen, hat die große Koalition die
Sanktionsregelungen im Arbeitslosengeld II verschärft und verschwendet
über 1 Mrd. Euro in vielfach sinnlosen Ein-Euro-Jobs. Individuelle und pass-
genaue Arbeitsmarktstrategien der engagierten Jobcenter werden hingegen
behindert und eingeschränkt.

Dem wachsenden Niedriglohnsektor muss mit einer Strategie zur Stärkung
geringer Einkommen – wie sie die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in
ihrem Antrag auf Bundestagsdrucksache 16/7751 vorgelegt hat – begegnet

werden.

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Zur Beseitigung von Armut bedarf es eines umfassenden Programms, das Zu-
gänge zu Bildung, Qualifizierung und Gesundheit sowie eine ausreichende
Existenzsicherung von Familien sicherstellt. Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN hat ein umfassendes Konzept gegen Kinderarmut mit ihrem An-
trag „Kein Kind zurücklassen – Programm gegen Kinderarmut auf den Weg
bringen“ (Bundestagsdrucksache 16/9028) erarbeitet, auf das an dieser Stelle
verweisen wird.

Das Gros der jungen Menschen mit Migrationshintergrund bleibt auch in Zu-
kunft ohne Perspektive auf einen Bildungsabschluss, einen Arbeitsplatz oder
gar einen gesicherten Aufenthaltsstatus in unserem Land. Der Nationale
Integrationsplan der Bundesregierung ist in weiten Teilen ein Papiertiger. Um
auch die Potentiale dieser Menschen zu fördern, bedarf es noch mehr An-
strengungen gezielter Förderung in Schulen und Kindertagesstätten und spe-
zieller Programme zur Integration in den Arbeitsmarkt.

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