BT-Drucksache 16/10638

Aufnahme unbegleitet einreisender Minderjähriger

Vom 15. Oktober 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/10638
16. Wahlperiode 15. 10. 2008

Große Anfrage
der Abgeordneten Josef Philip Winkler, Ekin Deligöz, Volker Beck (Köln), Kai
Gehring, Monikar Lazar, Jerzy Montag, Claudia Roth (Augsburg), Irmingard
Schewe-Gerigk, Silke Stokar von Neuforn, Hans-Christian Ströbele, Wolfgang
Wieland und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Aufnahme unbegleitet einreisender Minderjähriger

A.

Die Situation und der Umgang deutscher Behörden mit unbegleitet einreisen-
den Minderjährigen war in dieser Wahlperiode bereits Gegenstand einer Reihe
Kleiner und Großer Anfragen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (vgl.
Bundestagsdrucksachen 16/2633, 16/8646, 16/9142, 16/9273, 16/9888 und zu-
letzt 16/9986).

Die Verbesserung der Lebensumstände unbegleiteter Minderjähriger ist auch
auf Länderebene ein wichtiges Anliegen grüner Politik. So haben sich z. B. erst
kürzlich die CDU in Hamburg und die Hamburger GAL erstmalig in einem Ko-
alitionsvertrag darauf verständigt, eine so genannte Clearingstelle einzurichten,
in der u. a. „minderjährige unbegleitete Flüchtlinge Betreuung, Hilfe und Lö-
sungsangebote finden sollen“.

B.

Am 1. Oktober 2005 ist das von der damaligen rot-grünen Koalition beschlos-
sene Kinder- und Jugendhilfeweiterentwicklungsgesetz (KICK) in Kraft getre-
ten. Damit wurde § 42 des Achten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VIII), der
die vorläufige Schutzmaßnahme der Inobhutnahme regelt, neu gefasst und die
unbegleitete Einreise eines ausländischen Minderjährigen in das Bundesgebiet
als eigenständiger Inobhutnahmegrund ausdrücklich gesetzlich festgeschrie-
ben.

● Für die jugendbehördliche Praxis, die mit dem Phänomen der unbegleiteten
Einreise ausländischer Minderjähriger konfrontiert ist, heißt es seither in § 42
Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB VIII: „Das Jugendamt ist berechtigt und verpflich-
tet, ein Kind oder einen Jugendlichen in seine Obhut zu nehmen, wenn […]

3. ein ausländisches Kind oder ein ausländischer Jugendlicher unbegleitet
nach Deutschland kommt und sich weder Personensorge- noch Erzie-
hungsberechtigte im Inland aufhalten.“
● Des Weiteren hat der Gesetzgeber eine auf die sorgerechtliche Situation dieser
Minderjährigen gerichtete Handlungspflicht des Jugendamtes normiert: „Im
Fall des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 3 ist unverzüglich die Bestellung eines Vor-
munds oder Pflegers zu veranlassen.“, so steht es nun in § 42 Abs. 3 Satz 4
SGB VIII.

Drucksache 16/10638 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Der Nationale Aktionsplan der deutschen Bundesregierung „Für ein kinder-
gerechtes Deutschland 2005–2010“ sieht unter Nummer 2.6.2 (Kinder als
Flüchtlinge) u. a. Folgendes vor:

● „Die Bundesregierung wird sich dafür einsetzen, dass für alle betroffenen
unbegleiteten schutzsuchenden Kinder und Jugendlichen ein so genanntes
Clearingverfahren eingerichtet wird. […]

● Sie wird darauf hinwirken, dass […] auch auf sich alleine gestellten 16–17- jäh-
rigen ausländischen Kindern so schnell wie möglich nach der Einreise ein Vor-
mund zur Seite gestellt wird. […]

● Die Bundesregierung wird sich für eine altersgerechte Unterbringung einset-
zen, einschließlich der Gruppe der 16–17- jährigen unbegleiteten Minderjäh-
rigen.“

C.

Auf Seiten der Fach- und Wohlfahrtsverbände wurden im Hinblick auf eine
sach- bzw. kindgerechte Umsetzung der neuen Rechtslage klare Vorgaben for-
muliert (vgl. u. a. Bundesfachverband Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge
e. V. (Hrsg.): „Standards für den Umgang mit unbegleiteten Minderjährigen“
(2005); Stellungnahme der National Coalition für die Umsetzung der UN-Kin-
derrechtskonvention in Deutschland zum Nationalen Aktionsplan der deut-
schen Bundesregierung „Für ein kindergerechtes Deutschland 2005–2010“ un-
ter Berücksichtigung der speziellen Situation von Flüchtlingskindern (2006);
Deutsche Koordination Kindersoldaten: „Schattenbericht Kindersoldaten“
(2007)):

1. Definition der Minderjährigkeit: Artikel 1 der UN-Kinderrechtskonvention
ist ebenso eindeutig wie § 7 Abs. 2 SGB VIII. Ein Kind (bzw. ein Jugend-
licher) ist demnach, wer „das achtzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet
hat“ bzw. „wer noch nicht 18 Jahre alt ist“.

2. Zugang zum Hoheitsgebiet, Zurückweisung, Inhaftierung in Transitzonen:
Unbegleiteten Minderjährigen sollte der Zugang zum Hoheitsgebiet nicht
verweigert werden. Sie sollten daher weder an den Hoheitsgrenzen eines
Landes zurückgewiesen noch in Transitzonen (wie im so genannten Flugha-
fenverfahren) inhaftiert werden.

3. Identifizierung: Die möglichst frühzeitige Identifizierung besonders schutz-
bedürftiger Flüchtlinge ist ein Kernelement zum bestmöglichen Schutz un-
begleiteter minderjähriger Flüchtlinge. Schon an den Grenzübertrittsstellen
sollten die Einwanderungsbehörden daher ein erstes Screeningverfahren
einrichten, um unbegleitete Kinder zu identifizieren und sie anschließend
dem Jugendamt zu melden und entsprechenden Jugendhilfeeinrichtungen
zuzuweisen.

4. Inobhutnahme: Nach § 42 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII sind unbegleitete minder-
jährige Flüchtlinge in einer geeigneten Einrichtung oder in einer sonstigen
Wohnform vorläufig unterzubringen. Das Jugendamt ist verpflichtet, die
Minderjährige bzw. den Minderjährigen zu beraten und Möglichkeiten der
Hilfe und Unterstützung aufzuzeigen. Im Zuge dessen ist eine intensive päd-
agogische Hilfestellung notwendig – zur Ursachenanalyse der gegenwär-
tigen Lebenssituation der Kinder und Jugendlichen und um Ansätze für eine
Problembewältigung zu entwickeln (wozu auch die Prüfung geeigneter An-
gebote des SGB VIII im Anschluss an die Inobhutnahme zählt).

5. Clearingstellen: Im Rahmen eines spezifischen Erstaufnahmeverfahrens
sollten unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in so genannten Clearingstel-

len – also in einer angstfreien Umgebung – untergebracht werden. Bewährt
haben sich stationäre Wohngruppen (mit ca. 10 bis 15 Plätzen) mit entspre-

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/10638

chend qualifiziertem Fachpersonal (und einer Betriebserlaubnis nach § 45
SGB VIII). Ziel dessen ist

● eine jugendgerechte Unterbringung und Betreuung (inklusive Vermittlung
in Deutsch-Sprachkurse/Beschulung, pädagogischer Angebote, ggf. psy-
chologischer Hilfen);

● eine medizinisch-psychologische Untersuchung sowie vorläufige Alters-
bestimmung;

● die Ermittlung der Umstände der Einreise und des Verbleibs der Eltern (ggf.
Kontaktaufnahme zu Angehörigen);

● die Einleitung und Begleitung des Verfahrens auf Feststellen des Ruhens
der elterlichen Sorge sowie die Bestellung eines Vormundes;

● die Einleitung eines Verfahrens zur Gewährung internationalen Schutzes
(Asyl, subsidiärer Schutz oder andere aufenthaltsrechtliche Gründe), ggf.
auch Rückkehrberatung;

● die Ermittlung des akuten Hilfebedarfs und der Antrag auf Hilfen zur Er-
ziehung sowie

● die Klärung der weiteren Unterbringung.

6. Meldung an das Jugendamt: Die Bundespolizei, das Bundesamt für Migra-
tion und Flüchtlinge (BAMF) bzw. die örtlichen Ausländerbehörden sollten
unbegleitete Minderjährige umgehend an das Jugendamt melden, damit
diese in Obhut genommen werden können.

7. Qualifizierte Vormundschaft: Das Jugendamt hat die Pflicht, unverzüglich
nach der Einreise eines unbegleiteten Minderjährigen in die Bundesrepublik
Deutschland die Bestellung eines Vormunds oder Pflegers zu veranlassen.
Dieser wiederum muss dafür Sorge tragen, dass alle Entscheidungen primär
dem Kindeswohl entsprechen. Er muss sicherstellen, dass ein unbegleitetes
Kind angemessene Betreuung, Unterbringung, Bildung, Sprachunterstüt-
zung und gesundheitliche Versorgung sowie eine angemessene rechtliche
Vertretung im Hinblick auf den Einwanderungsstatus und das Asylverfahren
erhält. Ein solcher Vormund sollte eine – auf die spezifischen Bedürfnisse
unbegleiteter minderjähriger Flüchtlingskinder ausgerichtete – interkultu-
relle Qualifikation besitzen.

8. Verteilung, Anschlussunterbringung: Unbegleitete Kinder und Jugendliche
sollten nicht ohne Betreuung durch einen Erwachsenen in unbetreuten Un-
terbringungseinrichtungen oder Aufnahmezentren untergebracht werden.
Sie sollten nur solchen Stadt- und Landkreisen zugewiesen werden, in denen
freie Träger über die notwendige Infrastruktur verfügen (wie z. B. von ent-
sprechend interkulturell qualifiziertem personal geführte Jugendwohnein-
richtungen, Therapiemöglichkeiten, geeignete schulische Angebote und
Ausbildungsstätten).

D.

Seitens der Fach- und Wohlfahrtsverbände wird von Problemen bei der Umset-
zung der im Jahr 2005 beschlossenen Änderungen im SGB VIII berichtet:

1. Dreh- und Angelpunkt vieler Probleme ist der Umstand, dass in der Bundes-
republik Deutschland – entgegen der unmissverständlichen Formulierungen
in Artikel 1 der UN-Kinderrechtskonvention sowie in § 7 Abs. 1 SGB VIII –
unbegleitete Jugendliche, die zwischen 16 und 18 Jahre alt sind, asyl- und auf-
enthaltsrechtlich wie Erwachsene behandelt werden. § 42 SGB VIII stellt
nämlich – nach Ansicht der Bundesregierung – angeblich „keine Ausnahme-

regelung zu asyl- und ausländerrechtlichen Regelungen dar“ (Antwort auf die

Drucksache 16/10638 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Kleine Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Bundestags-
drucksache 16/2633, S. 2). Die Bundesregierung suggeriert damit, als gäbe es
ein Hierarchieverhältnis zwischen einem niederrangigen SGB VIII und einem
höherrangigen Asyl- und Aufenthaltsrecht. Diese fragwürdige Rechtsauffas-
sung hat für die betroffenen Jugendlichen gravierende Folgen – praktisch sus-
pendiert das Aufenthalts- und das Asylverfahrensgesetz für sie nämlich die
Schutzbestimmungen des Jugendhilferechts:

a) Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (egal welchen Alters)

● werden gemäß § 15 des Aufenthaltsgesetzes bzw. § 18 Abs. 2 des Asyl-
verfahrensgesetzes an der Grenze zurückgewiesen;

● werden nach § 18a Abs. 3 des Asylverfahrensgesetzes dem so genann-
ten Flughafenverfahren unterworfen;

● sollen nach § 57 des Aufenthaltsgesetzes bzw. § 18 Abs. 3 des Asylver-
fahrensgesetzes innerhalb von sechs Monaten nach dem Grenzübertritt
zurückgeschoben werden bzw.

● werden nach der so genannten Dublin-II-Verordnung an andere Mit-
gliedstaaten der EU rücküberstellt.

Über Einreiseverweigerungen von unbegleiteten Minderjährigen werden
die Jugendämter „nicht unterrichtet“ (Bundestagsdrucksache 16/2633,
S. 3). Und bei Zurückschiebungen (die ja immerhin sechs Monate nach
dem unerlaubten Grenzübertritt möglich sind) werden die Jugendbehörden
regelmäßig dann nicht unterrichtet, wenn die „aufenthaltsbeendende Maß-
nahmen zeitnah vollzogen wird“ (ebd. S. 4).

b) Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, die zwischen 16 und 18 Jahre alt
sind,

● müssen sich in asyl- und aufenthaltsrechtlichen Verfahren selbst vertre-
ten und

● werden – ohne Berücksichtigung ihrer persönlichen Lebensumstände –
gemeinsam mit erwachsenen Asylsuchenden auf Gemeinschaftsunter-
künfte verteilt;

● sind für eine altersgerechte sozialpädagogische Betreuung grundsätz-
lich nicht mehr vorgesehen.

2. Eine „systematische Suche“ nach besonders schutzbedürftigen Asylsuchen-
den im Sinne von Kapitel IV der so genannten Flüchtlingsaufnahmerichtlinie
der EU (wozu eben ausdrücklich auch unbegleitete Minderjährige gehören)
findet in Deutschland „nicht statt“ (Antwort der Bundesregierung auf die
Kleine Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Bundestags-
drucksache 16/9273, S. 5)

3. Die Einrichtung und Ausgestaltung von Clearingstellen (aber auch die so ge-
nannte Abschlussunterbringung dieser Kinder und Jugendlichen) „variiert“
zwischen den Bundesländern und Kommunen „erheblich“; darauf wies die
Deutsche Koordination Kindersoldaten in ihrem Schattenbericht hin.

4. Der Bundesfachverband Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge e. V. berich-
tet zudem in einer Pressemitteilung vom 3. April 2008, dass „in etlichen Kom-
munen“ die Inobhutnahme eines unbegleiteten Minderjährigen unter Hinweis
auf das Asylverfahrensgesetz nicht verfügt wird, wenn diese/dieser Minder-
jährige ein Asylgesuch gestellt hat.

5. Viele eigentlich bedürftige unbegleitete Kinder und Jugendliche – auch darauf
wies die Deutsche Koordination Kindersoldaten hin – bekommen keinen The-

rapieplatz – und dies nur, weil sie aufgrund der o. g. asylverfahrensrechtlichen
Vorschriften auf Städte oder Landkreise verteilt werden, wo es immer wieder

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5 – Drucksache 16/10638

an entsprechend qualifizierten Betreuerinnen und Betreuern sowie an einer
adäquaten Infrastruktur mangelt (insbesondere an Einrichtungen, die auf die
Behandlung etwaiger Traumata von Kindern und Jugendlichen spezialisiert
sind bzw. an entsprechend qualifizierten niedergelassenen Psychologinnen
und Psychologen).

E.

Hinweis: In dieser Großen Anfrage wird eine Reihe objektiver Sachverhalte ab-
gefragt, welche die Bundesregierung erkennbar nur im Zuge einer entsprechen-
den Abfrage bei den Bundesländern beantworten kann. Antworten, wie „Die
Bundesregierung kommentiert die Aufgabenwahrnehmung der Länder nicht“
(Bundestagsdrucksache 16/2633, S. 4) sind deswegen inakzeptabel. Der Deut-
sche Bundestag hat das Recht auf eine vollständige Beantwortung dieser
Fragen, denn es geht hierbei um die Umsetzung von Gesetzen, die u. a. auch
vom Deutschen Bundestag beschlossen worden sind.

Wir fragen die Bundesregierung:

Allgemeines

1. Wie viele Personen leben in Deutschland, die als unbegleitet eingereiste
nichtdeutsche Minderjährige anerkannt wurden?

2. Wie viele neu eingereiste unbegleitete Minderjährige wurden in den Jahren
2005 bis 2007 in Deutschland festgestellt?

3. Wie viele unbegleitete Minderjährige haben in den Jahren 2005 bis 2007 einen
Asylantrag bzw. ein Schutzersuchen nach § 25 Abs. 3 bis 5 des Aufenthalts-
gesetzes gestellt?

4. Wie vielen unbegleiteten Minderjährigen wurde in den Jahren 2005 bis 2007

a) eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 1 bzw. 2 des Aufenthaltsgesetzes,

b) ein Schutzstatus nach § 25 Abs. 3 des Aufenthaltsgesetzes,

c) ein Schutzstatus nach § 25 Abs. 4 oder 5 des Aufenthaltsgesetzes bzw.

d) eine Duldung nach § 60a des Aufenthaltsgesetzes

erteilt (bitte aufschlüsseln nach Alter, Geschlecht und Herkunftsländern)?

5. Wie viele unbegleitete Minderjährige wurden in den Jahren 2005 bis 2007
als Kindersoldaten anerkannt, und welchen Aufenthaltstatus haben diese
Kinder und Jugendlichen erhalten (bitte aufschlüsseln nach Alter und Her-
kunftsländern)?

Polizeilicher Aufgriff

6. Wie viele unbegleitete Minderjährige wurden in den Jahren 2005 bis 2007

a) an deutschen Grenzen (hier bitte aufschlüsseln nach Landgrenzen, See-
grenzen/Seehäfen sowie Flughäfen),

b) innerhalb des 30 km breiten Streifens diesseits der deutschen Hoheits-
grenze (bitte nach Bundesländern aufschlüsseln),

c) im Bundesgebiet jenseits des 30 km breiten Streifens entlang der deut-
schen Hoheitsgrenze (bitte nach Bundesländern aufschlüsseln)

durch die Bundespolizei bzw. durch die jeweilige Länderpolizei aufgegrif-
fen?
7. Wie viele dieser Minderjährigen waren jünger als 14 Jahre, wie viele waren
zwischen 14 und 16 Jahren, und wie viele waren zwischen 16 und 18 Jahren?

Drucksache 16/10638 – 6 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

8. Wie viele dieser Kinder und Jugendlichen waren Mädchen?

9. Wie viele von ihnen waren in Begleitung ihrer Geschwister bzw. minder-
jähriger Verwandter?

10. Aus welchen Herkunftsländern stammten diese Kinder und Jugendlichen?

11. Wie viele dieser Kinder und Jugendlichen wurden von der Polizei an die
zuständigen Jugendämter zur Inobhutnahme übergeben?

Nichtpolizeiliche Registrierung

12. Wie viele unbegleitete Minderjährige wurden in den Jahren 2005 bis 2007
ohne vorherigen Kontakt mit der Bundespolizei bzw. einer Länderpolizei in
welchen Bundesländern festgestellt (etwa, indem diese Kinder und Jugend-
lichen sich direkt an eine Erstaufnahmeeinrichtung für Asylsuchende, an
ein Jugendamt oder an eine andere staatliche oder nichtstaatliche Stelle
gewandt hatten)?

a) Wie viele melden sich direkt bei der Erstaufnahmeeinrichtung, wie viele
bei Jugendämtern oder anderen staatlichen Stellen an Orten ohne Erst-
aufnahmeeinrichtungen?

b) Wie viele wurden von Jugendämtern am Standort von Erstaufnahmeein-
richtungen in Obhut genommen, wie viele von anderen Jugendämtern?

Zurückweisung, Zurückschiebung, Verteilung nach der Dublin-II-Verord-
nung, Abschiebungen

13. Wie viele unbegleitete Minderjährige wurden in den Jahren 2005 bis 2007
an der deutschen Grenze in welche Länder zurückgewiesen (bitte auf-
schlüsseln nach Landgrenzen, Seegrenzen/Seehäfen sowie Flughäfen)?

14. Wie viele unbegleitete Minderjährige wurden in den Jahren 2005 bis 2007
innerhalb welcher Fristen nach ihrem Grenzübertritt in welche Länder zu-
rückgeschoben (bitte aufschlüsseln)?

15. Warum werden die eigentlich zuständigen Jugendbehörden vorab nicht
über die geplante Zurückschiebung eines unbegleiteten Minderjährigen un-
terrichtet, wenn diese „aufenthaltsbeendende Maßnahme zeitnah vollzogen
wird“ (vgl. Bundestagsdrucksache 16/2633, S. 4)?

a) Welche Frist gilt in diesem Zusammenhang als so „zeitnah“, dass bei der
geplanten Zurückschiebung eines unbegleiteten Minderjährigen die Ju-
gendbehörden seitens der Vollzugsbehörden nicht unterrichtet werden?

b) In wie vielen Fällen wurden in den Jahren 2005 bis 2007 die eigentlich
zuständigen Jugendbehörden vorab nicht über die geplante Zurückschie-
bung eines unbegleiteten Minderjährigen unterrichtet?

c) Welche Handlungsmöglichkeiten hätte die zuständige Jugendbehörde,
um die geplante Zurückschiebung eines unbegleiteten Minderjährigen zu
verhindern?

16. Wie viele unbegleitete Minderjährige wurden in den Jahren 2005 bis 2007
nach der so genannten Dublin-II-Verordnung an welche anderen Mitglied-
staaten der EU rücküberstellt (bitte aufschlüsseln)?

Bei wie vielen wurde auf eine Rücküberstellung verzichtet?

17. In wie vielen Fällen war es möglich, einen unbegleiteten Minderjährigen
im Zuge dieser Verteilung nach der Dublin-II-Verordnung bei einem in ei-
nem anderen Mitgliedstaat lebenden Verwandten unterzubringen?
In wie vielen Fällen geschah dies auf der Grundlage des Artikels 6 bzw. des
Artikels 15 der Dublin-II-Verordnung?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 7 – Drucksache 16/10638

18. Wie viele unbegleitete Minderjährige wurden in den Jahren 2005 bis 2007
in welche Länder abgeschoben (bitte aufschlüsseln)?

Flughafenverfahren

19. Wie viele unbegleitete Minderjährige wurden in den Jahren 2005 bis 2007
auf welchen deutschen Flughäfen nach dem so genannten Flughafenverfah-
ren untergebracht?

a) Wie viele hiervon waren jünger als 14 Jahre und wie viele waren zwi-
schen 16 und 18 Jahren?

b) Aus welchen Herkunftsländern stammten diese Kinder und Jugend-
lichen?

20. Wie lange befanden sich diese Kinder und Jugendlichen in diesem so ge-
nannten Flughafenverfahren (bitte aufschlüsseln nach Alter, Geschlecht
und Flughafen)?

21. Mussten unbegleitete Minderjährige in den Jahren 2005 bis 2007 im so ge-
nannten Flughafenverfahren aufgrund psychischer Beschwerden oder auf-
grund von Traumatisierungen betreut werden?

Wenn ja, wie viele Personen und nach welcher Aufenthaltsdauer im so ge-
nannten Flughafenverfahren?

22. Was wurde aus diesen Kindern und Jugendlichen?

a) Wie vielen wurde die Einreise gestattet?

b) Wie viele wurden im Rahmen des Dublin-II-Verfahrens an andere Mit-
gliedstaaten überstellt?

c) Wie viele wurden zurückgeführt?

23. Haben unbegleitete Minderjährige in den Jahren 2005 bis 2007 im so ge-
nannten Flughafenverfahren sich selbst verstümmelt oder sogar versucht,
sich das Leben zu nehmen?

Wenn ja, wie viele Personen und nach welcher Aufenthaltsdauer im so ge-
nannten Flughafenverfahren?

24. Hat die Bundesregierung Erkenntnisse über das weitere Schicksal dieser
Kinder und Jugendlichen?

Identifizierung

25. Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung ergriffen bzw. gedenkt sie frei-
willig zu ergreifen, um eine möglichst frühzeitige Identifizierung zu beför-
dern bzw. sicherzustellen, vor dem Hintergrund, dass zwar die Flüchtlings-
aufnahmerichtlinie kein vorgeschaltetes Verfahren für die Identifizierung
besonders schutzbedürftiger Asylsuchender (wie z. B. von unbegleiteten
Minderjährigen) zwingend vorschreibt, die Bundesregierung jedoch die Auf-
fassung z. B. der EU-Kommission teilt, dass eine möglichst frühzeitige Iden-
tifizierung das „Kernelement“ einer möglichst effektiven Schutzgewährung
für diese Flüchtlingsgruppe darstellt (Bundestagsdrucksache 16/9273, S. 5)?

Meldepflichten

26. Wie ist sichergestellt, dass die örtlich zuständigen Jugendämter Kenntnis
von der Neuankunft eines unbegleiteten Minderjährigen erhalten, um ihre
Verpflichtung nach § 42 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB VIII erfüllen zu können?

27. Sind Bundesbehörden (Bundespolizei, Bundesamt für Migration und

Flüchtlinge) verpflichtet, dem örtlich zuständigen Jugendamt den Aufent-
halt eines unbegleiteten Minderjährigen zu melden?

Drucksache 16/10638 – 8 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Wenn ja, welche Regelungen (Dienstanweisungen) existieren diesbezüglich?

Wenn nein, warum nicht?

Schulungsangebote

28. In welchem Ausmaß und durch welche ggf. interkulturell angelegten An-
gebote wurden/werden Beamtinnen und Beamte des Bundesamtes für Mi-
gration und Flüchtlinge seit wann im Hinblick auf einen professionellen
Umgang mit unbegleiteten Minderjährigen geschult und fortgebildet?

a) Wie viele dieser Schulungen fanden seit dem Jahr 2005 statt?

b) Wie viele Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeiter für die Angelegenhei-
ten des Asylrechts nahmen an den jeweiligen Schulungen teil?

c) Welche Schulungsangebote sind für die Jahre 2009 und 2010 geplant?

29. In welchen Bundesländern gibt es seit wann ggf. interkulturell angelegte
Angebote zur fachlichen Schulung, Weiterbildung und Qualifizierung z. B.
von

a) in Asylerstaufnahmeeinrichtungen bzw. Clearingstellen Beschäftigten,

b) Polizistinnen und Polizisten bzw. von Justizbeamtinnen und -beamten,

c) Beamtinnen und Beamten in Jugendämtern und Ausländerbehörden
bzw.

d) Vormündern

im professionellen Umgang und in der Betreuung von unbegleiteten Min-
derjährigen (bitte nach den Ländern sowie den hierbei entstandenen Kosten
aufschlüsseln)?

30. Werden derartige Fortbildungsangebote durch den Bund zumindest kofi-
nanziert (nicht zuletzt im Hinblick auf Beamtinnen und Beamte des Bun-
des, die an solchen Weiterbildungsmaßnahmen teilnehmen sollten bzw.
möchten), und wenn nein, warum nicht?

Altersfestsetzung

31. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die Altersfestsetzung eines
unbegleiteten Minderjährigen erst im geschützten Rahmen eines so genann-
ten Clearingverfahrens erfolgen sollte, wenn ja, dass eine solche Altersfest-
setzung geradezu eine der eigentlichen Aufgaben solcher Clearingverfah-
ren ist, und wenn nein, warum nicht?

32. Hält es die Bundesregierung für sachgerecht, wenn die Altersfestsetzung
bei einem unbegleiteten Minderjährigen (wenn dieser z. B. sein Alter nicht
durch geeignete Dokumente des Herkunftsstaates belegen kann bzw. Zwei-
fel an der Altersangabe der/des Jugendlichen bestehen) durch das zustän-
dige Vormundschafts- bzw. Familiengericht durchgeführt werden sollte
(welches die Voraussetzungen für das Ruhen der elterlichen Sorge und ggf.
die Bestellung eines Vormundes von Amts wegen zu prüfen hat), und wenn
nein, warum nicht?

33. In welchen Bundesländern wird die Altersfestsetzung bei unbegleiteten Min-
derjährigen bereits durch Vormundschafts- bzw. Familiengerichte durch-
geführt?

34. Welche anderen Institutionen legen in den anderen Bundesländern das Al-
ter eines unbegleiteten Minderjährigen fest (bitte aufschlüsseln)?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 9 – Drucksache 16/10638

35. Welche Methoden zur Altersfestsetzung werden in den Bundesländern
angewandt bzw. vorrangig praktiziert (bitte nach den in den jeweiligen
Bundesländern angewandten Methoden aufschlüsseln)?

36. Hält die Bundesregierung eine Altersfestsetzung durch Inaugenschein-
nahme (z. B. durch Bedienstete einer Ausländerbehörde) für eine wissen-
schaftlich tragfähige Methode, und wenn ja, warum?

37. Hält die Bundesregierung sachverständige Gutachten von Pädagoginnen
und Pädagogen, Psychloginnen und Psychlogen, Kinderärztinnen und Kin-
derärzten oder auch von Ethnologinnen und Ethnologen fachlich nicht für
besser qualifiziert, das fragliche Alter eines Jugendlichen zu bestimmen,
und wenn nein, warum nicht?

38. Hält die Bundesregierung es für erforderlich, dass einem Jugendlichen im
Zuge einer ggf. sogar gerichtlichen Altersfestsetzung ein Dolmetscher bzw.
eine geeignete Verfahrenspflegerin bzw. ein geeigneter Verfahrenspfleger
beigeordnet werden soll?

Wenn nein, warum nicht?

Wie wird dann im Rahmen der Altersfestsetzung die Informationspflicht
(nach Artikel 17 der so genannten Asylverfahrensrichtlinie) umgesetzt?

Information und Beratung

39. Gibt es in den Bundesländern bzw. in den Asylerstaufnahmeeinrichtungen
über § 47 Abs. 4 des Asylverfahrensgesetzes hinausgehende, spezifische
Informationsangebote für unbegleitete Minderjährige (z. B. über Bera-
tungsstellen, Betreuungsangebote etc.)?

Wenn ja, welche (bitte nach Bundesländern aufschlüsseln)?

Wenn nein, warum nicht?

40. Ist aus Sicht der Bundesregierung – zur Vermeidung offenkundig aussichts-
loser Asylverfahren – eine frühzeitige umfassende am Interesse des Kin-
deswohls orientierte Beratung sinnvoll, so dass unbegleitete Minderjährige
evtl. erst einmal keinen (offenkundig aussichtslosen) Asylantrag, sondern
vielleicht besser ein aufenthaltsrechtlich aussichtsreicheres Schutzersuchen
nach § 25 Abs. 3 bis 5 des Aufenthaltsgesetzes stellen, und wenn nein,
warum nicht?

41. Sind die Beamtinnen und Beamten des Bundesamtes für Migration und
Flüchtlinge bzw. die der Bundespolizei bzw. die der jeweiligen Ausländer-
behörden gehalten, den betroffenen unbegleiteten Minderjährigen derartige
– am Interesse des Kindeswohls orientierte – Hinweise zu geben?

Wenn ja, bestehen beim Bund bzw. in den Ländern hierfür entsprechende
Dienstvorschriften?

Wenn nein, warum nicht?

Inobhutnahme

42. Kann die Bundesregierung bzw. können die Bundesländer bestätigen, dass
– wie vom Bundesfachverband Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge
e. V. festgestellt wurde – Kommunen in Deutschland nicht nur in wenigen
Einzelfällen die Inobhutnahme eines unbegleiteten Minderjährigen unter
Hinweis auf das Asylverfahrensgesetz abgelehnt haben, wenn diese/dieser
Minderjährige einen Asylantrag gestellt hat?

Wenn ja, inwiefern ist für welche Fallkonstellation eine solche Ablehnung

der Inobhutnahme rechtlich zulässig?

Drucksache 16/10638 – 10 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

43. Wer trägt die behördliche Verantwortung für Gefahren für das Kindeswohl
(§ 8a SGB VIII) im Falle einer unrechtmäßig verweigerten Inobhutnahme
oder einer nicht gesetzeskonform erfolgten Unterbringung?

Besteht eine haftungsrelevante Garantenstellung der zuständigen Behörde
und/oder des zuständigen Behördenbediensteten?

44. Gibt es einen bundesweit einheitlichen Leitfaden zur Umsetzung der Neu-
regelung über die Inobhutnahme unbegleiteter Minderjähriger?

Wenn ja, wie ist dieser inhaltlich gestaltet?

Wenn nein, warum nicht (wird derzeit evtl. noch daran gearbeitet, wenn ja,
seit wann und durch wen, und wann ist mit der Vereinbarung mit den Län-
dern über einen solchen Leitfaden zu rechnen)?

45. Welche staatlichen Institutionen sind für die bundesweit flächendeckende
Inobhutnahme unbegleiteter Minderjähriger verantwortlich?

46. Sind Landesbehörden (Ausländerbehörden) verpflichtet, dem örtlich zu-
ständigen Jugendamt den Aufenthalt eines unbegleiteten Minderjährigen zu
melden?

Wenn ja, welche Regelungen (Dienstanweisungen) existieren diesbezüg-
lich?

Wenn nein, warum nicht?

Clearingstellen

47. Kann die Bundesregierung bzw. können die Bundesländer bestätigen, dass
– wie von der Deutsche Koordination Kindersoldaten festgestellt wurde –
die Einrichtung und Ausgestaltung von Clearingstellen für unbegleitete
Minderjährige zwischen den Bundesländern und Kommunen „erheblich va-
riiert“, und wenn ja, wie stellt sich diese „erhebliche Varianz“ in der Praxis
dar?

48. In welchen Bundesländern gibt es auf die Inobhutnahme unbegleiteter Min-
derjähriger spezialisierte Clearinghäuser?

49. Warum existieren in den anderen Bundesländern keine Clearinghäuser?

50. Wann ist mit einem bundesweit flächendeckenden Angebot entsprechender
Clearinghäuser zu rechnen?

51. In welcher Form hat die Bundesregierung versucht, ihre Selbstverpflich-
tung aus dem Nationalen Aktionsplan „Für ein kindergerechtes Deutsch-
land 2005–2010“ einzulösen, sich nämlich „dafür ein[zu]setzen, dass für
alle betroffenen unbegleiteten schutzsuchenden Kinder und Jugendlichen
ein so genanntes Clearingverfahren eingerichtet wird“?

52. Wie viele Minderjährige wurden in den Jahren 2005 bis 2007 aus dem An-
lass ihrer unbegleiteten Einreise in Clearinghäusern in Obhut genommen
(bitte nach Bundesland, Jahr, Geschlecht, Herkunftsland und Alter auf-
schlüsseln)?

53. Wie viele Minderjährige wurden – aus welchen Gründen – in den Jahren
2005 bis 2007 nicht in diesen Einrichtungen aufgenommen (bitte nach
Bundesland, Jahr, Geschlecht, Herkunftsland und Alter aufschlüsseln)?

Unterbringung, Verteilung

54. Kann die Bundesregierung bzw. können die Bundesländer bestätigen, dass
– wie von der Deutsche Koordination Kindersoldaten festgestellt wurde –

die so genannte Anschlussunterbringung von unbegleiteten Minderjährigen

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 11 – Drucksache 16/10638

zwischen den Bundesländern und Kommunen „erheblich variiert“, und
wenn ja, wie stellt sich diese „erhebliche Varianz“ in der Praxis dar?

55. Was hat die Bundesregierung unternommen, um ihre Selbstverpflichtung
aus dem Nationalen Aktionsplan „Für ein kindergerechtes Deutschland
2005–2010“ einzulösen, sich „für eine altersgerechte Unterbringung
ein[zu]setzen, einschließlich der Gruppe der 16–17- jährigen unbegleiteten
Minderjährigen“?

Inwiefern waren die diesbezüglichen Bemühungen der Bundesregierung
erfolgreich?

56. Ist es zutreffend, dass Artikel 19 Abs. 2 der Aufnahmerichtlinie der Euro-
päischen Union (2003/9/EG) vorschreibt, dass asylsuchende unbegleitete
Minderjährige nach folgender Rangordnung aufgenommen und unterge-
bracht werden sollten:

– primär bei erwachsenen Verwandten,

– wenn dies nicht möglich ist, dann in einer Pflegefamilie (gemäß § 33
SGB VIII),

und dass diese die Kinder und Jugendlichen erst dann, wenn eine Unter-
bringung in einer Pflegefamilie nicht möglich, in Aufnahmezentren unter-
gebracht werden sollen, die jedoch im Hinblick auf die Aufnahme und
Betreuung von Minderjährigen spezialisiert sein müssen (§ 34 SGB VIII),
bzw. in anderen für Minderjährige geeigneten, dem Wohl des Kindes ent-
sprechenden Unterkünften, in denen jeweils im Sinne von Artikel 19 Abs. 4
der Aufnahmerichtlinie eine Betreuung des Kindes durch ausgebildetes
Personal gewährleistet ist?

57. Ist es zutreffend, dass die Bundesregierung selbst davon ausgeht, dass von
dieser Rangfolge „nur zugunsten des Betroffenen“ bzw. „im Hinblick auf das
Kindeswohl“ abgewichen werden darf (vgl. Bundestagsdrucksache 16/9273,
S. 9 f.)?

58. Besteht in Fällen asylsuchender unbegleiteter Minderjähriger ein Vorrang der
Unterbringung in einer Jugendhilfeeinrichtung i. S. d. § 42 Abs. 1 Satz 2
SGB VIII vor der Unterbringung in einer Asylerstaufnahmeeinrichtung
i. S. d. § 47 des Asylverfahrensgesetzes?

Wenn ja, wie drückt sich dieser Vorrang aus?

59. Wenn nein, wie begründet die Bundesregierung diese Rechtsauffassung vor
dem Hintergrund, dass doch die Bundesregierung – wie oben dargelegt –
selbst davon ausgeht, dass von der Unterbringungsrangfolge aus Artikel 19
Abs. 2 der Aufnahmerichtlinie „nur zugunsten des Betroffenen“ bzw. „im
Hinblick auf das Kindeswohl“ abgewichen werden darf?

Wie kann die regelmäßig vorrangige Unterbringung in einer Asylerstauf-
nahmeeinrichtung anstelle der Unterbringung in einer Jugendhilfeeinrich-
tung eine Maßnahme „zugunsten“ des betroffenen Minderjährigen darstel-
len bzw. dem Wohle dieses Kindes dienen?

In welchem Verhältnis steht diese Auffassung der Bundesregierung zu ihrer
Selbstverpflichtung im Nationalen Aktionsplan, sich für eine altersgerechte
Unterbringung auch der „Gruppe der 16–17- jährigen unbegleiteten Minder-
jährigen“ einzusetzen?

60. Wie viele unbegleitete Minderjährige wurden in den Jahren 2005 bis 2007

a) bei in Deutschland lebenden Verwandten,
b) in einer Pflegefamilie,

c) in einer Jugendhilfeeinrichtung,

Drucksache 16/10638 – 12 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

d) in Asylerstaufnahmeeinrichtungen im Sinne des § 47 des Asylverfah-
rensgesetzes bzw.

e) zusammen mit etwaigen Geschwistern

untergebracht (bitte aufschlüsseln nach Alter, Geschlecht und Bundeslän-
dern)?

61. Wie ist die praktizierte Umverteilung unbegleiteter Minderjähriger nach dem
Asylverfahrensgesetz (§ 46 ff. des Asylverfahrensgesetzes) mit der Vorgabe
aus Artikel 19 Abs. 2 Satz 4 der Flüchtlingsaufnahmerichtlinie in Einklang
zu bringen, wonach der Wechsel des Aufenthaltsorts bei unbegleiteten Min-
derjährigen auf ein Mindestmaß zu beschränkten ist?

62. Wie ist eine länderübergreifende Umverteilung eines unbegleiteten minder-
jährigen Mündels zu vereinbaren mit der Führung einer am Einreiseort ein-
gerichteten Einzel- oder Vereinsvormundschaft?

63. Wer trägt die Verantwortung, falls ein unbegleiteter Minderjähriger wäh-
rend der landesweiten Verteilung (EASY oder VILA) zu Schaden kommt?

Medizinische Versorgung, therapeutische Betreuung

64. Für wie viele unbegleitete Minderjährige wurde in den Jahren 2005 bis
2007 eine medizinische bzw. psychologische Betreuung zur Bewältigung
ihres Verfolgungsschicksals bzw. entsprechender Traumata beantragt?

Wie viele dieser Anträge wurden bewilligt?

Wie viele antragstellende unbegleitete Kinder und Jugendliche haben in
den Jahren 2005 bis 2007 eine entsprechende medizinische Behandlung
bzw. psychologische Betreuung auch tatsächlich erhalten (bitte nach Bun-
desländern aufschlüsseln)?

65. Welche Städte und Landkreise verfügen über keine auf die spezifischen
Bedürfnisse von unbegleiteten Minderjährigen ausgerichteten, qualifizierten
medizinischen Behandlungs- bzw. psychologischen Betreuungsangebote?

66. Kann die Bundesregierung bzw. können die Bundesländer bestätigen, dass
– wie von der Deutsche Koordination Kindersoldaten festgestellt wurde –
unbegleitete Minderjährige trotz einer entsprechenden Indikation die not-
wenige medizinische Behandlung bzw. psychologische Betreuung des-
wegen nicht erhalten, weil es in einer diesen Kindern und Jugendlichen
zumutbaren räumlichen Umgebung der ihnen zugewiesenen Stadt bzw. des
zugewiesenen ländlichen Wohnortes an qualifizierten Betreuerinnen und
Betreuern sowie an einer adäquaten Infrastruktur mangelt (insbesondere an
Einrichtungen, die auf die Behandlung etwaiger Traumata von Kindern und
Jugendlichen spezialisiert sind bzw. an entsprechend qualifizierten nieder-
gelassenen Psychologinnen und Psychologen)?

Wenn ja, hält die Bundesregierung bzw. halten die Bundesländer vor die-
sem Hintergrund Änderungen im Hinblick auf die bundes- bzw. landes-
weite Verteilung entsprechend bedürftiger Kinder und Jugendlicher für
sinnvoll bzw. für notwendig, und wenn nein, warum nicht?

Vormundschaft

67. Was hat die Bundesregierung unternommen, um ihre Selbstverpflichtung
aus dem Nationalen Aktionsplan „Für ein kindergerechtes Deutschland
2005–2010“ einzulösen, nämlich „darauf hin[zu]wirken, dass […] auch auf

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 13 – Drucksache 16/10638

sich alleine gestellten 16–17- jährigen ausländischen Kindern so schnell wie
möglich nach der Einreise ein Vormund zur Seite gestellt wird“?

Inwiefern waren die diesbezüglichen Bemühungen der Bundesregierung
erfolgreich?

68. Wie lange dauert das gerichtliche Verfahren zur Bestellung eines Vor-
munds?

69. Welche Institutionen bzw. Personen übernehmen in den verschiedenen
Regionen die Vormundschaft für unbegleitete Minderjährige?

70. Gibt es für die Kindesgruppe der unbegleiteten Minderjährigen speziali-
sierte Vormundschaftsvereine, und wenn ja, welche?

71. Werden diese aus öffentlichen Mitteln (Bund, Länder, Kommunen) geför-
dert?

Wenn ja, aus welchen?

Wenn nein, warum nicht?

72. Welche Bemühungen unternimmt die Bundesregierung zur Förderung von
Projekten zur Gewinnung und Betreuung von ehrenamtlichen Vormündern?

Handlungsfähigkeit von Minderjährigen

73. Hält die Bundesregierung unbegleitete Minderjährige, die das 16. Lebens-
jahr vollendet haben, für hinreichend einsichtsfähig, ohne eine Vertreterin/
einen Vertreter oder Beistand ein Asylverfahren zu betreiben und ggf.
Rechtsmittel gegen behördliche Entscheidungen in diesem Verfahren zu er-
greifen?

74. Wie ist sichergestellt, dass ein unbegleiteter Minderjähriger im Verfahren
zur Anordnung seiner Abschiebehaft ohne einen Vertreter oder Beistand
seine Rechte geltend machen kann?

75. Gibt es Überlegungen, die Handlungsfähigkeit im Asylverfahren (§ 12 des
Asylverfahrensgesetzes) sowie im aufenthaltsrechtlichen Verfahren (§ 80
des Aufenthaltsgesetzes) auf die Vollendung des 18. Lebensjahres festzuset-
zen?

Wenn ja, welche?

Wenn nein, warum nicht?

76. Wie wird sichergestellt, dass die Anhörung unbegleiteter Minderjähriger,
wie in Artikel 17 Abs. 4 der Asylverfahrensrichtlinie (2005/85/EG) vor-
geschrieben ist, ausschließlich von besonders geschultem Personal durch-
geführt wird?

77. Wie ist die Handlungsfähigkeit im Asylverfahren in anderen Mitgliedstaaten
der Europäischen Union geregelt (bitte nach Mitgliedstaaten und Regelung
aufschlüsseln)?

Berlin, den 15. Oktober 2008

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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