BT-Drucksache 16/10510

Energiekosten sozial ausrichten - Sozialtarife einführen, wirksame Strompreisaufsicht schaffen, Energiesparen ermöglichen

Vom 8. Oktober 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/10510
16. Wahlperiode 08. 10. 2008

Antrag
der Abgeordneten Hans-Kurt Hill, Eva Bulling-Schröter, Lutz Heilmann, Dr. Gesine
Lötzsch, Dr. Dietmar Bartsch, Karin Binder, Heidrun Bluhm, Roland Claus,
Dr. Dagmar Enkelmann, Heike Hänsel, Katrin Kunert, Michael Leutert, Ulla Lötzer,
Dorothee Menzner, Dr. Ilja Seifert, Dr. Kirsten Tackmann und der Fraktion
DIE LINKE.

Energiekosten sozial ausrichten – Sozialtarife einführen, wirksame
Strompreisaufsicht schaffen, Energiesparen ermöglichen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die rasant steigenden Energiepreise werden für private Haushalte zunehmend zu
einer existenziellen Belastungsprobe. Gerade für einkommensschwache Bevöl-
kerungsgruppen ist dadurch die faire Teilhabe an der Gesellschaft immer öfter
gefährdet. Während die Realeinkommen in den letzten Jahren sanken, stiegen
die Ausgaben der privaten Haushalte für Energie drastisch an. Gegenüber Januar
2004 war Strom Anfang 2008 25 Prozent teurer. Erdgas verteuerte sich in die-
sem Zeitraum um 40 Prozent und der Heizölpreis hat sich mehr als verdoppelt.
Der Begriff „Energie-Armut“ beschreibt damit ein immer deutlicher hervortreten-
des Phänomen: Immer mehr Menschen in Deutschland können sich eine ange-
messene Nutzung von Energie nicht mehr leisten, während die Energiekonzerne
Rekordprofite einstreichen.

Unstrittig ist, dass langfristig der einzig gangbare Weg zu einer sicheren, um-
weltfreundlichen und bezahlbaren Energieversorgung über Energieeinsparung,
Energieeffizienz und erneuerbare Energien führt. Um die erheblichen Einspar-
potenziale beim Energieverbrauch zu erschließen, ist eine zusätzliche Energie-
effizienzoffensive erforderlich. Dabei müsse insbesondere einkommensschwa-
chen Haushalten Förderangebote gemacht werden. Eine unmittelbar wirksame
Hilfe für Menschen mit geringem Einkommen, die bereits jetzt durch die rasan-
ten Energiepreisanstiege in Not geraten sind, ist dadurch aber kaum erreichbar.
Sie können die Energieteuerung nicht mehr durch Verhaltensänderungen auffan-
gen, indem sie Energie einsparen oder den Stromanbieter wechseln. In der Folge
trägt die massive Energieteuerung zur Überschuldung von einkommensschwa-
chen Haushalten bei. Darauf weist auch der dritte Armuts- und Reichtumsbe-

richt der Bundesregierung hin. Der Bericht stellt ebenfalls heraus, dass Sozial-
leistungen das Armutsrisiko erheblich verringern.

Um eine bezahlbare Energieversorgung zu fairen Bedingungen für alle Men-
schen in Deutschland zu gewährleisten, ist es daher erforderlich, den Strombe-
reich sozial gerecht, klimaschutzorientiert und zum Schutz vor Marktmiss-
brauch umzugestalten.

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II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. das Energiewirtschaftsgesetz sozial und ökologisch auszurichten. Dazu sol-
len die Energieversorgungsunternehmen verpflichtet werden,

– Stromsozialtarife anzubieten, die bezogen auf den jeweils kostengünstigs-
ten Tarif jedes Anbieters 50 Prozent vergünstigt sind, um einkommens-
schwachen Haushalten sofort zu helfen,

– regelmäßige kostenfreie Energieberatungen anzubieten, um machbare
Einsparpotentiale bei Verbraucherinnen und Verbrauchern auszuschöpfen,

– eine Sockelversorgung mit Strom kostenfrei zu stellen, so dass Stromver-
bräuche unterhalb des Durchschnittverbrauchs deutlich kostengünstiger
sind und so Anreize für einen sparsamen Umgang mit Energie gesetzt wer-
den;

2. eine wirksame Strompreisaufsicht mit Zuständigkeit bei den Ländern einzu-
führen, der gegenüber die Energieversorgungsunternehmen die Zusammen-
setzung aller Tarife offenlegen müssen. Der Preisaufsicht soll in jedem Bun-
desland ein Verbraucherbeirat mit dem Rang eines anerkannten Verbraucher-
schutzverbandes zur Seite gestellt werden;

3. einen Energiesparfonds mit einem jährlichen Volumen von 1,5 Mrd. Euro
einzuführen, über den Förder-, Weiterbildungs- und Beratungsprogramme
finanziert werden, die das Energiesparen für private Haushalte, Unternehmen
und die öffentliche Verwaltung erleichtern. Spezielle Förderprogramme rich-
ten sich dabei insbesondere an einkommensschwache Haushalte. So sollen
beispielsweise „Klimaschecks“ in Höhe von 250 Euro ausgegeben werden,
die beim Kauf von Haushaltsgeräten der jeweils höchsten Energieeffizienz-
klasse einlösbar sind.

Berlin, den 7. Oktober 2008

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

Begründung

Über fünf Millionen Privathaushalte in Deutschland müssen mit einem monat-
lichen Nettoeinkommen von nur 900 Euro und weniger auskommen. Die not-
wendigen Ausgaben liegen in diesen Haushalten fast immer höher als das
Einkommen. Selbst bei der Nettoeinkommensgruppe bis 1 500 Euro müssen fast
100 Prozent des Einkommens für den erforderlichen Konsum ausgegeben wer-
den. Energiepreisanstiege führen hier sofort zu finanziellen Problemen, obwohl
einkommensschwache Haushalte bei schlechten Voraussetzungen bereits einen
unterdurchschnittlichen Energieverbrauch haben. So liegt der Stromverbrauch
der genannten Haushaltsgruppen im Mittel zwischen 2 500 und 3 300 kWh pro
Jahr. Bei einem deutlich höheren Nettoeinkommen von 3 600 Euro im Monat
liegt der durchschnittliche Verbrauch bei 5 000 kWh. Das bedeutet: Initiativen
zum Energiesparen müssen für alle Verbraucherinnen und Verbraucher gleicher-
maßen gelten und insbesondere für Haushalte mit höheren Einkommen.

Unmittelbar betroffen von Energiearmut ist eine bedrückend große Anzahl von
mindestens sieben Millionen Menschen in Deutschland. Sie sollen daher zusätz-
lich von Stromsozialtarifen und Fördermaßnahmen profitieren. Da die bestehen-
den sozialen Leistungen die massive Energieteuerung nicht berücksichtigen, um

einkommensschwachen Haushalten eine faire Teilhabe an der Gesellschaft zu

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garantieren, ist die Einführung von rechtsverbindlichen Sozialtarifen für Strom
erforderlich.

Das Wohngeldgesetz zeigt, dass die bisherigen Regelungen nicht ausreichen. Es
umfasst jetzt zwar auch die Heizkosten. Allerdings bleibt der Strom weiter
außen vor. Oft ist aber die kostenintensive Warmwasserbereitung in Wohnungen
mit niedriger Miete elektrisch ausgelegt, so dass diese Belastung nicht vom
Wohngeld erfasst wird. Auch bei Hartz-IV-Bezieherinnen und -Beziehern sind
die Aufwendungen für Strom unzureichend bemessen. Der Satz berücksichtigt
nicht einmal die Hälfte der tatsächlichen Kosten elektrischer Energie. Empfän-
gerinnen und Empfängern von Arbeitslosengeld II, Sozialhilfe, Grundsicherung
im Alter, Renten bei Erwerbsminderung und BAföG sowie Asylbewerberinnen
und -bewerbern, die einen Haushalt führen, soll deshalb zusätzlich ein Sozial-
tarif einschließlich besonderer Förderangebote zustehen. Dabei darf es in kei-
nem Fall Kürzungen bei bereits anerkannten Leistungen geben.

Um eine spürbar entlastende Wirkung für arme Privathaushalte zu erzielen,
muss die Vergünstigung deutlich unter den generellen Tarifen der Stromversor-
ger liegen. Hier ist zu berücksichtigen, dass neben den auch in Zukunft noch
steigenden Energiepreisen vor allem die unteren Einkommen weiter sinken und
auch andere Konsumgüter energiepreisgetrieben deutlich teurer werden. Eine
Halbierung der Energiekosten im Sozialtarif ist daher angemessen.

Die Inanspruchnahme eines Sozialtarifs soll an eine gezielte Energieberatung
gekoppelt sein, die in Anspruch genommen werden muss. Dieser Punkt ist un-
abhängig von der sozialen Situation nicht zu unterschätzen, da die zahlreichen
und leicht umsetzbaren Möglichkeiten zum Energiesparen oft nicht bekannt sind
und schon einfache Maßnahmen zu Kostensenkungen führen können. Insgesamt
ist aber festzustellen, dass dieses Lenkungsinstrument allein nicht geeignet ist,
eine sozial gerechte Ausrichtung der Energiepreise zu erreichen. Verwirklichte
Einsparungen werden in der Praxis meist innerhalb eines Jahres durch weiter
steigende Energiepreise wieder überdeckt.

Um Missbrauch und willkürliche Festlegungen durch Energieversorger zu ver-
meiden, muss der Bund festlegen, unter welchen Bedingungen Anspruch auf
vergünstigte Energie besteht. Entscheidend ist dabei eine unbürokratische
Lösung ohne zusätzlichen Antragsaufwand. Das heißt: wer bereits Leistungen
bezieht, sollte ohne weiteres Zutun von der zuständigen Behörde einen „Sozial-
tarifgutschein“ erhalten, den er gegenüber dem Stromversorger einlösen kann.
Das Gutscheinprinzip stellt sicher, dass Energieunternehmen nicht an detail-
lierte Daten über die finanzielle und soziale Situation von Kundinnen und Kun-
den gelangen. Darüber hinaus bleibt die Wahlfreiheit des Stromanbieters ge-
währleistet, um beispielsweise Atomstrom ausschließen oder Ökostrom wählen
zu können. Zu finanzieren sind die Sozialtarife aus der Abschöpfung überhöhter
Gewinne bei den großen Energiekonzernen.

Um eine nachhaltige Ausrichtung des Energiewirtschaftsgesetzes zu erreichen,
ist parallel zur Einführung von Stromsozialtarifen für einkommensschwache
Haushalte den Energieversorgungsunternehmen vorzugeben, allen Kundinnen
und Kunden regelmäßig kostenfreie Energieberatungen anzubieten. Um den
sparsamen und klimafreundlichen Umgang mit Energie zu belohnen, sollen
darüber hinaus die Stromtarife ökologisch ausgerichtet werden. Dazu wird je
Haushalt eine Sockelversorgung bei Strom kostenfrei gestellt. Die Einnahme-
ausfälle, die den Energieversorgern dabei entstehen, verlagern sich auf den
darüberliegenden Stromverbrauch. Dadurch wird für Kundinnen und Kunden,
die unter dem Durchschnittsverbrauch aller Verbraucherinnen und Verbraucher
liegen, Energie günstiger.

Bei Energieberatungen und einer kostenfreien Sockelversorgung allein findet

jedoch keine soziale Abwägung statt. Es handelt sich um ökologische Instru-

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mente, da die Energiemenge Bemessungsgrundlage ist und nicht die Einkom-
menssituation der privaten Haushalte. Generell ist zwar bei knapper Kassenlage
auch der Stromverbrauch niedriger. Die Maßnahmen können Menschen mit ge-
ringem Einkommen aber nur bedingt entlasten, weil die Haushaltsart und die
strukturellen Rahmenbedingungen außer Acht bleiben. Es ist deshalb erforder-
lich, diese ökologischen Lenkungsinstrumente mit Sozialtarifen und speziellen
Förderprogrammen zu koppeln. Nur so können auch die unteren Einkommens-
gruppen von einer nachhaltigen Energieversorgung profitieren.

Mittel- und langfristig kann neben den erneuerbaren Energien insbesondere die
effiziente Energienutzung einen entscheidenden Beitrag zur Energiekostensen-
kung leisten und dabei positive Nettoeffekte für Wirtschaft und Beschäftigung
bewirken. Um dieses Potenzial zu erschließen, bedarf es einer „Energieeffi-
zienzoffensive“. Neben ordnungsrechtlichen Maßnahmen, wie „Top-Runner“-
Programmen und dem Verbot von Stand-by-Schaltungen mit einem Verbrauch
von mehr als 1 Watt, müssen insbesondere Investitionszuschüsse bereitgestellt,
aber auch Informationskampagnen und Handwerkerschulungen durchgeführt
werden. Nur durch die Verknüpfung verschiedener Maßnahmen und Instru-
mente kann die nötige Breitenwirkung erzielt und neuen Technologien zum
Durchbruch verholfen werden. Für die Koordinierung und Steuerung dieser
Aufgaben soll ein „Energiesparfonds“ als unabhängige Einrichtung des Bundes
eingerichtet werden. Der Energiesparfonds schreibt Energiesparprogramme aus,
wie z. B. die Förderung energieeffizienter Kühl- und Gefriergeräte, die das
Energiesparen für private Haushalte, Unternehmen und die öffentliche Verwal-
tung erleichtern. Durch diese Programme sollen insbesondere auch einkom-
mensschwache Haushalte in die Lage versetzt werden, besonders energiespa-
rende Haushaltsgeräte anzuschaffen oder sich mit Energiesparleuchten und
abschaltbaren Steckdosen auszurüsten. Jedem Haushalt, der Anspruch auf einen
Sozialtarif hat, soll deshalb auch ein „Klimascheck“ in jährlicher Höhe von
250 Euro zustehen. Der Bedarf wird über die fachliche Energieberatung fest-
gestellt.

Grundsätzlich muss es auch eine Versorgungspflicht und damit ein Verbot von
Stromsperren geben. Zunehmend geraten Haushalte aufgrund hoher Energie-
rechnungen in finanzielle Not und werden zahlungsunfähig. Der Bund der
Energieverbraucher berichtet mittlerweile von über 800 000 Stromsperrungen.
Auch die Schuldnerberatungsstellen mahnen deshalb die Einführung von Sozial-
tarifen an. Jede Bürgerin und jeder Bürger muss einen angemessenen Zugang zu
Energie haben. Da privatwirtschaftliche Interessen in der Praxis die Versor-
gungspflicht beschneiden können, bedarf es hier einer Klarstellung im Gesetz.

Hauptkostentreiber beim Strom sind die vier großen Energiekonzerne RWE,
E.ON, Vattenfall Europe und EnBW, deren Gewinn 2007 rund 18 Mrd. Euro
betrug. Sie verfügen über 80 Prozent der Kraftwerksleistung, kontrollieren die
großen Stromnetze sowie alle Stromimporte und -exporte. Damit haben diese
privaten Energieunternehmen eine Markt beherrschende Stellung inne, die sich
der demokratischen Kontrolle in weiten Teilen entzieht. Als Folge davon sehen
Experten Anzeichen dafür, dass die Konzerne die Leipziger Strombörse EEX zu
Lasten vieler Stadtwerke und der Verbraucherinnen und Verbraucher manipulie-
ren. Die Einführung einer wirksamen Strompreisaufsicht auf Länderebene bei
gleichzeitiger Einsetzung von Verbraucherbeiräten, so genannten Watchdogs,
die den Stromkundinnen und Stromkunden einen Einblick und ein Mitsprache-
recht bei der Preisgestaltung garantieren, ist erforderlich, um die Rechtmäßig-
keit der Preisbildung und Tarifgestaltung im Interesse eines fairen Wettbewerbs
und bezahlbarer Energie zu überwachen.

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