BT-Drucksache 16/10341

Für eine zukunftstaugliche und menschenrechtlich fundierte Europäische Migrationspolitik

Vom 24. September 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/10341
16. Wahlperiode 24. 09. 2008

Antrag
der Abgeordneten Manuel Sarrazin, Josef Philip Winkler, Rainder Steenblock,
Jürgen Trittin, Omid Nouripour, Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln),
Alexander Bonde, Dr. Uschi Eid, Thilo Hoppe, Ute Koczy, Kerstin Müller (Köln),
Winfried Nachtwei, Claudia Roth (Augsburg) und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN

Für eine zukunftstaugliche und menschenrechtlich fundierte
Europäische Migrationspolitik

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die französische Regierung setzt im Rahmen ihrer Ratspräsidentschaft der
Europäischen Union (EU) einen Schwerpunkt auf die Europäische Migrations-
und Asylpolitik. Sie hat einen „Europäischen Pakt zu Einwanderung und Asyl“
ausgearbeitet, den die Staats- und Regierungschefs auf dem Europäischen Rat
im Oktober 2008 verabschieden (aktuelle Version: EU-Ratsdokument 12626/08).
Bestandteil des Paktes sind folgende Aktionsfelder:

1. die Gestaltung der legalen Einwanderung und Berücksichtigung der selbstbe-
stimmten Prioritäten, Bedürfnisse und Aufnahmekapazitäten jedes Mitglied-
staats und Förderung der Integration;

2. die Bekämpfung der illegalen Einwanderung, insbesondere durch die Sicher-
stellung der Rückkehr der illegal aufhältigen Ausländer in ihr Herkunftsland
oder in ein Transitland;

3. die Stärkung der Wirksamkeit der Grenzkontrollen;

4. die Schaffung eines Europas des Asyls sowie

5. die Schaffung einer umfassenden Partnerschaft mit den Herkunfts- und Tran-
sitländern, die die Synergien zwischen Migration und Entwicklung fördert.

Es ist zu begrüßen, dass die Staats- und Regierungschefs der EU derzeit ver-
stärkt über die Grundpfeiler einer gemeinsamen europäischen Migrations- und
Flüchtlingspolitik debattieren. Die humanitäre Lage an den EU-Außengrenzen,
die Lebenssituation vieler Migranten und Migrantinnen in den Mitgliedstaaten
sowie die Bedeutung der Migration für die wirtschaftliche und demographische
Entwicklung der EU verlangen europäisches Handeln. Die migrationspoliti-
schen Vorschläge der französischen Ratspräsidentschaft bilden jedoch keine
angemessene Reaktion auf diese Herausforderungen. Die Maßnahmen, wie im
Entwurf für den „Europäischen Migrations- und Asylpakt“ formuliert, sind
überwiegend restriktiv und setzen auf eine Politik der verstärkten Abschottung
und Abschiebepraxis. Es wird kein einziges in die Zukunft gerichtetes Projekt
in der Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik entwickelt. Dies ist angesichts

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aktueller Vorschläge der EU-Kommission und des Berichts der Hochrangigen
Gruppe zur Zukunft der europäischen Innenpolitik erstaunlich (vgl. EU-Rats-
dokument 11657/08).

Eine liberale und humane europäische Migrations- und Flüchtlingspolitik zeich-
net sich dadurch aus, dass sie den Interessen der betroffenen Migranten und
Migrantinnen gerecht wird, auf die Bedürfnisse der EU-Mitgliedstaaten und der
Herkunftsländer der Migranten und Migrantinnen eingeht. Davon ist die EU
heute allerdings weit entfernt. Europa braucht neue, innovative Wege für eine
legale und dauerhafte Einwanderung, nicht nur für hochqualifizierte Zuwan-
derinnen und Zuwanderer. Auch die Vereinfachung der rechtlichen Grundlagen
für Pendelmigration würde einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung
darstellen. Eine zukunftstaugliche europäische Integrationspolitik lernt aus den
Fehlern der „Gastarbeiterpolitik“ des 20. Jahrhunderts und stärkt die Rechte und
Teilhabemöglichkeiten von Migranten und Migrantinnen am gesellschaftlichen
Leben in der EU. Hierfür ist es wichtig, dass alle Einwanderinnen und Einwan-
derer, deren Aufenthalt nicht spezifisch auf einen kurzen Aufenthalt begrenzt ist
(wie z. B. bei Saisonarbeitskräften), Zugang zu Integrationsmaßnahmen haben.
Maßstab für eine humane europäische Migrations- und Flüchtlingspolitik ist ein
lückenloser Schutz der Menschenrechte sowohl bei Außengrenzkontrollen als
auch bei Abschiebungen. Dazu gehört auch, die parlamentarische Kontrolle der
EU-Grenzschutzagentur Frontex. Auch die europäische Asylpolitik müsste sich
noch stärker am internationalen Flüchtlingsrecht orientieren und gleichzeitig
eine faire Lastenteilung zwischen den Mitgliedstaaten der EU gewährleisten.
Überbelastete Staaten brauchen eine angemessene Unterstützung. Die Bezie-
hung zwischen der EU und den Herkunfts- und Transitländern bedarf einer wirk-
lich solidarischen Partnerschaft, die die Bekämpfung von Fluchtursachen ernst
nimmt. Rückführungsabkommen mit Drittstaaten, mit denen die EU bisher die
Verantwortung alleine auf die Herkunfts- oder Transitstaaten abwälzt, sind kein
angemessenes Instrument.

Der Bundesminister des Innern, Dr. Wolfgang Schäuble, hat auf dem informel-
len Treffen der Innen- und Justizminister der EU am 7. Juli 2008 den Migra-
tionspakt bedauerlicherweise begrüßt. Für eine zukunftstaugliche und menschen-
rechtlich fundierte Ausrichtung der Europäischen Migrationspolitik sind jedoch
Nachbesserungen dringend geboten, für die sich die Bundesregierung in weite-
ren Beratungen einsetzen sollte.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

Arbeitsmigration

1. dafür Sorge zu tragen, dass der Rat endlich ein kohärentes Konzept zur Ein-
wanderung entwickelt, welches im Stande ist, die Folgen des demographi-
schen Alterungsprozess innerhalb der EU abzumildern. Hier stellen nationale
Modelle zur sogenannten Punktemigration, die auf europäischer Ebene koor-
diniert werden, eine Möglichkeit dar. Es ist darauf zu achten, dass solche Ein-
wanderungssysteme nicht Frauen bzw. Menschen mit Familienpflichten oder
Menschen mit Behinderungen benachteiligen;

2. sich dafür einzusetzen, dass Arbeitskräfte, die in die EU einwandern, grund-
sätzlich immer die Möglichkeit haben sollen, ihren zunächst regelmäßig
arbeits- und aufenthaltsrechtlich temporären Aufenthalt zu verlängern bzw.
perspektivisch auch zu verfestigen. In diesem Sinne sollen auch künftig alle
Einwanderinnen und Einwanderer Zugang zu Integrationsmaßnahmen
haben. Hiervon ausgenommen werden sollten nur solche Personen, deren
Aufenthalt (wie z. B. bei Saisonarbeitskräften) aufgrund der spezifischen
Form dieses Arbeitsverhältnisses – von vorneherein zeitlich begrenzt ist;

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3. dafür zu sorgen, dass die Verhandlungen im Rat über den Richtlinienvor-
schlag der EU-Kommission zur Europäischen Bluecard (KOM(2007) 637)
schnellstmöglich abgeschlossen werden, mit dem Ergebnis, dass hochqua-
lifizierte Arbeitskräfte auf möglichst unbürokratischem Weg attraktive Ein-
reise- und Aufenthaltsrechte in der EU erhalten;

4. die in Vorbereitung befindlichen Richtlinienvorschläge über die Bedingun-
gen für die Einreise und den Aufenthalt von Saisonarbeitskräften und Aus-
zubildenden sowie zur Regelung der Einreise, des befristeten Aufenthaltes
und der Wohnsitznahme von innerbetrieblich versetzen Arbeitskräften im
Rat zu unterstützen;

5. im Rat das Rechtssetzungsvorhaben der so genannten zirkulären Migration
(vgl. KOM(2007) 248) zu fördern und zu unterstützen unter der Maßgabe,
dass insbesondere

a) verbesserte Möglichkeiten für Migrantinnen und Migranten zur Geld-
überweisung in die Herkunftsländer,

b) aufenthaltsrechtliche Erleichterungen (z. B. in Form einer Rückkehrop-
tion) für Migrantinnen und Migranten, die dauerhaft in der EU leben,

c) für ein eng umrissenes Segment der Arbeitsmigration (v. a. für Saison-
arbeitskräfte, postgraduierte Studierende, Berufspraktikantinnen und
-praktikanten, Teilnehmende an Forschungsprojekten bzw. Freiwilligen-
diensten) die Möglichkeit einer „privilegierten Mobilität zwischen ihrem
Herkunftsland und einem EU-Mitgliedstaat“ (vgl. KOM(2007) 248),
z. B. in Form von vereinfachten Zulassungsverfahren und Verfahren für
eine mehrfache Einreise,

geschaffen werden;

Integrationspolitik

6. sich dafür einzusetzen, dass die EU ihre Anstrengungen intensiviert und
ihre Mittel noch zielgerichteter dafür einsetzt, die hier lebenden Migrantin-
nen und Migranten bei einer umfassenden und gleichberechtigten Einglie-
derung in den Arbeitsmarkt zu unterstützen;

7. im Rat für eine signifikante Liberalisierung von Aufenthaltsregelungen ein-
zutreten, denn ein sicheres Aufenthaltsrecht ist eine grundlegende Voraus-
setzung für eine erfolgreiche Integration;

8. sich im Rat für eine Umsetzung der Empfehlungen des Grünbuchs der EU-
Kommission „Migration & Mobilität“ (KOM(2008) 423) einzusetzen. Ein
koordinierter Austausch von Erfahrungen und bewährten Praktiken zur
bestmöglichen Nutzung der Chancen sowie zur Bewältigung der Herausfor-
derungen für die EU-Bildungssysteme in einer Einwanderungsgesellschaft
sollte mit dem Ziel begonnen werden, die Bildungssysteme in den Mitglied-
staaten – gerade auch für Personen mit einem Migrationshintergrund –
durchlässiger zu gestalten;

9. im Rat auf eine Klarstellung zu drängen, dass Sprachnachweise im Her-
kunftsland als Voraussetzung des Ehegattennachzugs unvereinbar sind mit
der Familiennachzugs-Richtlinie der EU (2003/86/EG);

10. im Rat für einen Ausbau des europäischen Gleichstellungs- und Antidiskri-
minierungsrechts, insbesondere für Maßnahmen zum Schutz von Migran-
tinnen und Migranten, einzutreten;

11. gemäß den Forderungen des Europäischen Parlaments vom 6. Juli 2006
(P6_TA-PROV(2006)0318) mit den anderen Mitgliedstaaten zu verein-
baren, dass in allen Staaten der EU

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a) die jeweiligen Staatsangehörigkeitsrechte so liberalisiert werden, dass
die Zahl von Einbürgerungen steigt;

b) das Familiennachzugsrecht so reformiert wird, dass nachgezogenen
Ehegattinnen und ihren Kindern so früh wie möglich ein eigenständiger
Aufenthaltsstatus und ein Zugang zum Arbeitsmarkt ermöglicht wird;

c) die integrationsbezogenen Maßnahmen der Mitgliedstaaten nicht nur für
Flüchtlinge, sondern auch für Asylsuchende zu intensivieren;

12. sich im Rat dafür einzusetzen, dass auf europäischer Ebene rechtliche
Grundlagen langaufhältigen Drittstaatsangehörigen ein aktives und passi-
ves Wahlrecht ermöglichen;

13. im Rat darauf zu drängen, dass die elf integrationspolitischen Grundprin-
zipien des Rates (vgl. EU-Ratsdokument 14615/04) endlich durch die von
der EU-Kommission (KOM(2005) 389) angekündigten Vorhaben umge-
setzt werden und dass auch die Verteilung der Mittel des „Europäischen
Fonds für die Integration von Drittstaatsangehörigen“ (EIF) auf den elf
integrationspolitischen Grundprinzipien beruht. Auch sollte der EIF nicht
mehr nur primär die Integration von Neuzuwanderinnen und Neuzuwan-
derern unterstützen, sondern künftig auch die der bereits hier lebenden
Migrantinnen und Migranten;

14. die Empfehlungen des Berichts der von der EU-Kommission eingesetzten
„Hochrangigen Expertengruppe“ vom Dezember 2007 („Ethnic Minorities
in the Labour Market – An Urgent Call for Better Social Inclusion“) aufzu-
greifen und hierüber dem Bundestag zu berichten;

Außengrenzpolitik

15. sich bei den auf EU-Ebene derzeit laufenden Verhandlungen um die so
genannten praktischen Leitlinien zum Umgang mit sogenannten Boots-
flüchtlingen durch den europäischen Grenzschutz dafür einzusetzen, dass
sichergestellt ist, dass auf hoher See gerettete bzw. bei grenzpolizeilichen
Kontrollen aufgegriffene Schiffbrüchige Zurückweisungsschutz entspre-
chend der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) bzw. der
Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) erhalten, so dass sie zunächst auf das
Territorium entweder des flaggeführenden bzw. des nächst gelegenen Mit-
gliedstaates verbracht werden, um dort festzustellen, wer schutzbedürftig
ist und wer rückgeführt werden soll (vgl. Bundestagsdrucksache 16/9204);

16. in der Beratung über die Umsetzung der Vorschläge der EU-Kommission
zur Reform des Außengrenzschutzes (KOM(2008) 67, 68 und 69) sicherzu-
stellen, dass es zu keiner Aufgabenüberschneidung zwischen Grenzschutz
und Militär oder zu Verquickungen von ziviler und militärischer Infrastruk-
tur kommt;

17. im Rat durchzusetzen, dass Angehörige von europäischen und Grenz-
schutzbehörden eine intensive Schulung hinsichtlich internationalen Men-
schenrechts- und Flüchtlingsschutzes erhalten;

18. im Rat einen Beschluss nach Artikel 208 EGV vorzuschlagen, der die Kom-
mission auffordert, eine Klarstellung in Artikel 1 Abs. 2 der Richtlinie
2002/90/EG vorzuschlagen, so dass künftig niemand mehr – auch keine Ka-
pitäne, die Menschen aus Seenot retten und diese im Hafen eines Mitglieds-
landes absetzen – strafrechtlich wegen angeblicher Beihilfe zur unerlaubten
Einreise bzw. zum unerlaubten Aufenthalt verfolgt wird, wenn das Ziel der
Handlungen „die humanitäre Unterstützung der betroffenen Person ist“;

19. gegenüber den anderen Mitgliedstaaten einzufordern, dass die im Juli 2006
in Kraft getretenen Änderungen der Internationalen Konventionen „Safety

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5 – Drucksache 16/10341

of Life at Sea“ von 1974 sowie „Maritime Search and Rescue“ von 1979
eingehalten werden, wonach die Unterzeichnerstaaten Schiffen ein un-
verzügliches Anlegen und Absetzen von aus Seenot geretteten Personen
ermöglichen müssen;

20. eine parlamentarische Kontrolle der Grenzschutzagentur FRONTEX
sicherzustellen und eine bessere Zusammenarbeit von Frontex mit dem
UNHCR einzufordern. Frontex muss seiner Dokumentations- und Infor-
mationspflicht gegenüber dem Europäischen Parlament und den nationalen
Parlamenten verantwortungsvoller nachkommen. Bisher arbeitet die Agen-
tur intransparent und unkontrolliert und erhebt die erforderlichen Daten
über operative Einsätze an den Seegrenzen nicht in einer Weise, in der sie
aussagekräftig sind;

Flüchtlingspolitik

21. sich endlich an einer solidarischen innereuropäischen Verteilung von
asylsuchenden Personen aktiv zu beteiligen und auf eine verbesserte und
faire Aufteilung der finanziellen Kosten zwischen den Mitgliedstaaten
hinzuwirken;

22. im Rat zu fordern, dass in allen Mitgliedstaaten der EU zumindest die Min-
deststandards aus der Flüchtlingsaufnahme-Richtlinie (2003/9/EG) der
Qualifikations-Richtlinie (2004/83/EG); und der Asylverfahrens-Richtlinie
(2005/85/EG) gelten, damit Asylsuchenden ein vergleichbares Schutz-
niveau und ein faires Asylverfahren garantiert wird;

23. im Rat auf eine Änderung der sogenannten Qualifikations-Richtlinie (2004/
83/EG) hinzuwirken, so dass Personen mit menschrechtlichem Abschiebe-
schutz vollständig einbezogen sind;

24. im Rat auf eine Änderung der Flüchtlingsaufnahme-Richtlinie (2003/9/EG)
hinzuwirken, die folgende Verbesserungen erreicht:

a) die Einbeziehung von Personen mit menschenrechtlichem Abschiebe-
schutz;

b) die Erhöhung der sozialen Aufnahmestandards;

c) die Verbesserung des Arbeitsmarktzugangs;

d) die Reduzierung der Inhaftierungsmöglichkeiten;

e) die Verbesserung der Leistungsgarantien für schutzbedürftige Personen;

25. im Rat auf eine Änderung der Asylverfahrens-Richtlinie (2005/85/EG) hin-
zuwirken, mit der folgende Maßnahmen umgesetzt werden:

a) die Verbesserung der Qualität, Effizienz und Fairness von Asylverfah-
ren;

b) die Einführung eines einheitlichen Verfahrens für GFK-Flüchtlinge und
Personen mit menschenrechtlichem Abschiebeschutz;

c) die Verbesserung des Umgangs mit sogenannten „mixed arrivals“ (von
Flüchtlingen und Migranten) sowie

d) eine bessere Berücksichtigung geschlechtsspezifischer Aspekte;

26. sich bei der anstehenden Überarbeitung der Dublin-II-Verordnung für die
Festschreibung folgender Kriterien einzusetzen:

a) Personen, die in das Erstasylland zurückgeführt werden, müssen dort
vollständige und faire Asylverfahren garantiert bekommen;

b) das Selbsteintrittsrecht sollte großzügiger als bisher angewandt werden.
Hierbei sollte es auch einheitliche Regelungen zur Familienzusammen-

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führung geben – auch, um integrationspolitisch unsinnige Weiterwande-
rungen der Betroffenen zu vermeiden;

c) es darf keine Überstellung in einen Staat durchgeführt werden, in dem
die Gefahr der Nichteinhaltung internationaler Flüchtlings- und Men-
schenrechtsstandards besteht. In diesen Fällen sollte vom Selbsteintritts-
recht Gebrauch gemacht werden und die Rücküberstellungen sind aus-
zusetzen;

d) Antragstellerinnen und -steller, bei denen ein Verfahren nach der Dublin-
II-Verordnung durchgeführt wird, haben ein Recht auf dieselben Auf-
nahmebedingungen wie andere Asylsuchende. Inhaftierung während des
Asylverfahrens sollte nur in extremen Ausnahmefällen möglich sein;

e) Asylsuchenden sollte ein effektiver Rechtsschutz gegen Überstellungs-
entscheidungen nach der Dublin-II-Verordnung offen stehen;

27. im Rat für den Start eines europäischen Neuansiedlungs- bzw. Resettle-
ment-Programm zu streiten (vgl. EU-Ratsdokument 13588/1/04, S. 15).
Nagelprobe hierfür sollte eine baldige Neuansieldung irakischer Flücht-
linge in der EU sein;

28. die Verbesserung der Aufnahmebedingungen besonders schutzbedürftiger
Personen (wie z. B. minderjährige unbegleitete Flüchtlinge und Trauma-
tisierte) auf die Tagesordnung zu bringen und im Rat eine europäische Auf-
nahmeregelung für minderjährige unbegleitete Flüchtlinge einzusetzen zu
beschließen;

29. sicherzustellen, dass ein Missbrauch der biometrischen Daten von Asyl-
bewerbern, die in der Datenbank Eurodac gespeichert werden, um die
Anwendung der Dublin-II-Verordnung zu erleichtern, verhindert wird.
Dazu sollte die Bundesregierung in einem ersten Schritt klarstellen, welche
Behörden zu welchem Zweck Zugriff auf die Datenbank haben;

Wahrung der Menschenrechte

30. sich auf EU-Ebene dafür einzusetzen, dass bei Abschiebungen menschen-
rechtliche Standards vollumfänglich gewährleistet werden;

31. sich dafür einzusetzen, dass die Gemeinsamen Leitlinien der EU für Sicher-
heitsvorschriften bei gemeinsamen Rückführungen auf dem Luftweg
(2004/573/EG) um die Schutzvorschriften ergänzt werden, die in den
20 Leitlinien des Europarates aus dem Jahr 2005 zu Fragen der obligatori-
schen Rückkehr (KOM(2005) 40) enthalten sind;

32. sich für eine Korrektur der Rückführungsrichtlinie einzusetzen – insbe-
sondere im Hinblick auf die Bestimmungen zur Ingewahrsamnahme von
Minderjährigen;

33. sich dafür einzusetzen, dass Menschen ohne Aufenthaltsrecht in allen EU-
Mitgliedstaaten – ohne Behinderung durch Meldepflichten an die jeweili-
gen Ausländerbehörden – Zugang zu einer medizinischen Grund- bzw. Not-
fallversorgung erhalten und dass ihre Kinder ungehindert Kindergärten und
Schulen besuchen können (vgl. Bundestagsdrucksache 16/445);

34. bei den Verhandlungen über den Richtlinienvorschlag über „Sanktionen
gegen Personen, die Drittstaatsangehörige ohne legalen Aufenthalt beschäf-
tigen“ (KOM(2007) 249), darauf hinzuwirken, dass Menschen ohne Auf-
enthaltsrecht, die von Schwarzarbeitgebern ausgebeutet wurden,

a) effektive Möglichkeiten erhalten, ihre Ansprüche auf Lohnzahlung vor
Gericht einklagen zu können,

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b) einen befristeten Aufenthaltstitel erhalten, wenn sie mit Strafverfol-
gungsbehörden zusammenarbeiten,

c) nicht ohne Rückzahlung des Lohns abgeschoben werden dürfen bzw.
dass Lohnrückzahlung notfalls auch nach einer Abschiebung erfolgen
muss, und weiterhin darauf hinzuwirken, dass niemand strafrechtlich
verfolgt wird, der Menschen ohne Aufenthaltsrecht hilft, in den oben ge-
nannten Fällen Klage zu erheben;

35. sich bei den Verhandlungen um Rückübernahmeabkommen in den EU-
Gremien dafür einzusetzen, dass die Zustimmung von Drittstaaten zu so
genannten Rückübernahmeabkommen nicht zur Voraussetzung für die
Gewährung von Entwicklungshilfe gemacht wird. Hauptkriterien müssen
sein, dass in den Drittstaaten die Menschenrechte eingehalten werden und
eine demokratische Regierungsführung praktiziert wird;

36. endlich das Internationale Übereinkommen zum Schutz der Rechte aller
Wanderarbeiter und ihrer Familienangehörigen (UN-Wanderarbeiterkon-
vention) zu unterzeichnen und dem Bundestag zur Ratifikation vorzulegen.

Berlin, den 24. September 2008

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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