BT-Drucksache 15/4942

Verkehrssicherheit in der Seeschifffahrt verbessern - Alkoholmissbrauch konsequent bekämpfen

Vom 23. Februar 2005


Deutscher Bundestag Drucksache 15/4942
15. Wahlperiode 23. 02. 2005

Antrag
der Abgeordneten Annette Faße, Uwe Beckmeyer, Gerd Andres, Dr. Hans-Peter
Bartels, SörenBartol, BernhardBrinkmann (Hildesheim), Hans-GünterBruckmann,
Edelgard Bulmahn, Dr. Michael Bürsch, Dr. Peter Danckert, Sebastian Edathy,
Karin Evers-Meyer, Rainer Fornahl, Monika Griefahn, Gabriele Groneberg,
Hans-Joachim Hacker, Bettina Hagedorn, Hubertus Heil, Monika Heubaum,
Gabriele Hiller-Ohm, Iris Hoffmann (Wismar), Johannes Kahrs, Hans-Ulrich Klose,
Rolf Kramer, Ernst Kranz, Volker Kröning, Ute Kumpf, Gabriele Lösekrug-Möller,
Götz-Peter Lohmann, Dr. Christine Lucyga, Dirk Manzewski, Caren Marks,
Ulrike Mehl, Angelika Mertens, Gesine Multhaupt, Volker Neumann (Bramsche),
Holger Ortel, Heinz Paula, Dr. Wilhelm Priesmeier, Karin Rehbock-Zureich,
Dr. Carola Reimann, Reinhold Robbe, Dr. Ernst Dieter Rossmann, Ortwin Runde,
Thomas Sauer, Siegfried Scheffler, Horst Schild, Wilhelm Schmidt (Salzgitter),
Olaf Scholz, Gerhard Schröder, Brigitte Schulte (Hameln), Dr. Martin Schwanholz,
Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast, Wolfgang Spanier, Ludwig Stiegler, Dr. Peter
Struck, Joachim Stünker, Franz Thönnes, Hans-Jürgen Uhl, Jörg Vogelsänger,
Hedi Wegener, Petra Weis, Reinhard Weis (Stendal), Inge Wettig-Danielmeier,
Dr. Margrit Wetzel, Dr. Wolfgang Wodarg, Heidi Wright, Franz Müntefering und
der Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Rainder Steenblock, Albert Schmidt (Ingolstadt), Volker
Beck (Köln), Franziska Eichstädt-Bohlig, Peter Hettlich, Katrin Göring-Eckardt,
Krista Sager und der Fraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Verkehrssicherheit in der Seeschifffahrt verbessern – Alkoholmissbrauch
konsequent bekämpfen

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Hohe Sicherheitsstandards sind für die Seeschifffahrt vor der deutschen Küste
von großer Bedeutung, da Schiffsunfälle häufig gravierende Folgen für Mensch
und Umwelt mit hohen Kosten bei der Schadensbeseitigung haben. Deshalb
gibt die Zunahme von Trunkenheitsfahrten in der Seeschifffahrt Anlass zur Be-
sorgnis. Die Havarie der „ENA 2“ am 28. Juni 2004 ist ein aktuelles Beispiel
dafür wie folgenreich Alkoholmissbrauch am Ruder sein kann. Damals liefen
960 Tonnen Schwefelsäure in die Elbe aus. In den Jahren 2001 bis 2003 sind
mit 126 festgestellten erhöhten Alkoholwerten bei unfallunabhängigen Kon-
trollen in der Seeschifffahrt fast dreimal so viele Fälle festgestellt worden, wie
in den drei Jahren zuvor (48 Fälle).

Drucksache 15/4942 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Vor diesem Hintergrund und dem potentiell hohen Schadensrisiko infolge von
Seeunfällen besteht Handlungsbedarf, um schon das Risiko von alkoholbeding-
ten Seeunfällen deutlich zu vermindern und damit die Verkehrssicherheit auf
See zu erhöhen.
Wegen des hohen Schadensrisikos durch Trunkenheitsfahrten auf See ist es
zwingend erforderlich, dem Alkoholmissbrauch beim Führen von Seeschiffen
bereits präventiv zu begegnen. Durch Änderung des Fahrerlaubnisrechts für die
Berufsschifffahrt sollten die Kriterien für die Erteilung und Entziehung von Be-
fähigungszeugnissen konkretisiert werden. „Zuverlässigkeit“ und „persönliche
Eignung“ sollten für die Erteilung und Fortdauer der Befähigungszeugnisse
stärker berücksichtigt werden. Dies sollte insbesondere gelten für das Verhalten
des Inhabers der Erlaubnis im Verkehr und bei so genannten Eignungszweifeln
wegen Alkoholmissbrauchs, die bei den regelmäßigen Gesundheitsuntersu-
chungen zur Seediensttauglichkeit und bei Kontrollen – sofern ein konkreter
Verdacht besteht – festgestellt werden (z. B. Anzeigen bei Trunkenheit, trun-
kenheitsbedingte Auffälligkeiten).
Derzeit gilt für das Befahren deutscher Seeschifffahrtsstraßen eine Grenze von
0,8 Promille (Blutalkoholkonzentration). Demgegenüber liegt die Alkohol-
grenze in der Binnenschifffahrt bei 0,5 Promille. Die Beeinträchtigung der
Fahrtauglichkeit durch Alkoholgenuss ist in der Seeschifffahrt nicht anders zu
beurteilen als im Straßenverkehr und in der Binnenschifffahrt. Die Herabset-
zung der Promillegrenze für die Seeschifffahrt auf 0,5 ist daher geboten. Um
dies zu erreichen, ist die Seeschifffahrtsstraßenordnung, die Verordnung zur
Einführung der Schifffahrtsordnung Emsmündung und die Verordnung zu den
Internationalen Regeln von 1972 zur Verhütung von Zusammenstößen auf See
zu ändern.
Mit Rücksicht auf das gesteigerte Gefahrenpotential, das nicht nur im Fall
ENA 2, sondern auch bei zahlreichen anderen Tankerhavarien deutlich gewor-
den ist, ist insbesondere bei Tankschiffen, die besonders gefährliche Gefahr-
güter befördern, eine Verschärfung auf 0,0 Promille geboten. In der Praxis
haben viele Tankschiffreedereien (und auch andere Reedereien) diesen Schritt
längst durch arbeitsvertragliche Regelungen und Betriebsanordnungen voll-
zogen. Aber der Fall ENA 2 hat gezeigt, dass die betrieblichen Kontrollmecha-
nismen nicht immer ausreichend sind. Die besondere Verantwortung, die mit
dem Transport von Gefahrguten verbunden ist, rechtfertigt auch die Zumut-
barkeit für das betroffene Betriebspersonal.
Das absolute Alkoholverbot sollte für Gefahrguttransporte mit hohem Risiko-
potential gelten, die bereits jetzt verkehrsrechtlichen Fahrbeschränkungen und
Fahrverboten oder Auflagen nach Maßgabe der Seeschifffahrtsstraßen-Ord-
nung (§ 30) und der Anlaufbedingungsverordnung unterliegen. Im Einzelnen
sind dies:
l Tankschiffe, die verflüssigte Gase, flüssige Chemikalien nach Maßgabe

Internationaler IMO-Codes sowie umweltschädliche Güter nach den An-
lagen I und II des MARPOL-Übereinkommens als Massengut befördern:

l Schiffe, die radioaktive Stoffe oder Abfälle nach Maßgabe des INF-Codes
befördern.

Im geltenden Recht sind vorläufige Anordnungen, insbesondere die zeitlich bis
zu einer endgültigen Entscheidung befristeten Fahrverbote bei Trunkenheits-
fahrten, nicht ausdrücklich geregelt. Dies kann bedeuten, dass ein Kapitän nach
einer Ausnüchterung sein Schiff weiter führen darf, obwohl z. B. hohe festge-
stellte Alkoholwerte oft auf eine Alkoholabhängigkeit hindeuten.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/4942

Die Grenzen zwischen einem Beinaheunfall oder einem leichten Unfall einer-
seits und einer reinen Trunkenheitsfahrt andererseits sind oft fließend. Reine
Trunkenheitsfahrten – auch ohne konkrete Gefährdung der Schiffsicherheit
oder der Meeresumwelt – sollten künftig ebenfalls mit einem Fahrverbot sank-
tioniert werden können. Bei Trunkenheitsfahrten ohne konkreten Unfall oder
Beinaheunfall mangelt es an geeigneten Rechtsgrundlagen. Die Schiffsoffiziers-
ausbildungsverordnung deckt in bestimmten Fällen das präventive Sicherheits-
bedürfnis nicht hinreichend ab oder geht andererseits z. T. auch zu weit, da sie
kein zeitlich befristetes Fahrverbot bei Erfüllung von Auflagen zulässt.
Da eine vorläufige Maßnahme durch eine Verwaltungsbehörde – z. B. durch
Beschlagnahme des Führerscheins oder des Berufspatents – unmittelbar nach
der Trunkenheitsfahrt in den Schutzbereich der Berufsausübungsfreiheit (Ar-
tikel 12 GG) eingreift, sollte sie nur getroffen werden, wenn das Schiff trotz
alkoholbedingter Fahrunsicherheit geführt wird oder zu einer konkreten Ge-
fährdung Dritter geführt hat. Sonstige nautische Verstöße sollten weiterhin erst
im Hauptsacheverfahren entweder durch das Seeamt oder durch die Bußgeld-
behörde (bei einem noch zu regelndem Fahrverbot als Nebenfolge einer Buß-
geldentscheidung) verfolgt bzw. durch die Erlaubnisbehörden als Kriterium der
Nichteignung berücksichtigt werden.
Über eine vorläufige Anordnung des Ruhens der Erlaubnis oder des Patents
zwecks Klärung von Eignungszweifeln sollte die Erlaubnisbehörde entschei-
den. Die patentausstellende Behörde (WSD Nord) sollte diese Aufgabe künftig
übernehmen. Eignungszweifel ergeben sich bei einer Trunkenheitsfahrt im Zu-
stand der Fahrunsicherheit unabhängig davon, ob eine Beteiligung an einem
konkreten „schaden- oder gefahrverursachenden Vorkommnis“ im Sinne des
Seesicherheits-Untersuchungs-Gesetzes (SUG) festgestellt wird oder eine rein
abstrakte Gefährdung vorliegt. Nur die Erlaubnisbehörde ist zu einer umfassen-
den und differenzierten Prüfung über das Ruhen des Befähigungszeugnisses
(Fahrerlaubnis) und unabhängig vom Eintritt eines Seeunfalles in der Lage. Es
ist erforderlich, die vorläufige Maßnahme – mit der Möglichkeit einer Verlän-
gerung – zu befristen.
Die endgültige Entscheidung über die Entziehung der Erlaubnis richtet sich
nach den jeweiligen Spezialnormen und den unterschiedlichen Verwaltungs-
verfahren des Seesicherheits-Untersuchungs-Gesetzes (SUG) oder der Sportboot-
Führerscheinverordnung-See/Schiffsoffizierausbildungsverordnung (bei festge-
stellter Ungeeignetheit auch außerhalb einer Unfallbeteiligung).
Da eine wirksame Bekämpfung des Alkoholmissbrauchs keine rein nationale
Aufgabe ist, erscheint es darüber hinaus sinnvoll, auch auf der Ebene der Inter-
nationalen Seeschifffahrts-Organisation (IMO) dafür einzutreten, dass die
daraus entstehenden Gefahren für die Sicherheit der Seeschifffahrt minimiert
werden. Nach einer gründlichen Bestandsaufnahme und Ursachenanalyse soll-
ten von der Bundesregierung Initiativen in den Gremien von EU und IMO mit
dem Ziel ergriffen werden, weltweit geltende einheitliche Bestimmungen für
den Alkoholkonsum auf See festzulegen.

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
eine Initiative zur Bekämpfung von Trunkenheitsfahrten in der Seeschifffahrt
zu starten, die u. a. folgende Maßnahmen umsetzt:
l Verbesserung der präventiven Maßnahmen durch Kontrollen in den Häfen

sowie Prüfung der Möglichkeit, bei den regelmäßigen Gesundheitsunter-
suchungen zur Seediensttauglichkeit auch Untersuchungen hinsichtlich einer
möglichen Alkoholabhängigkeit durchzuführen und ggfs. in diesen Fällen
die erforderlichen Rechtsgrundlagen für erweiterte Maßnahmen der Erlaub-
nisbehörde zu schaffen.

Drucksache 15/4942 – 4 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode
l Herabsetzung der Promillegrenze für das Befahren deutscher Seeschiff-
fahrtsstraßen – unabhängig von der Fahrzeugart – von derzeit 0,8 Promille
auf den für die Binnenschifffahrt bereits geltenden Wert von 0,5 Promille
BAK bzw. einer Atemalkoholkonzentration von 0,25 mg/l und damit Er-
fassung aller Verkehrsteilnehmer der Berufs- und Sportschifffahrt auf deut-
schen Seeschifffahrtsstraßen unabhängig von der Flagge.

l Weitergehende Herabsetzung der Promillegrenze für die Beförderung von
gefährlichen Gütern auf Seeschifffahrtsstraßen auf 0,0 Promille. Dieses ab-
solute Alkoholverbot hat für Gefahrguttransporte mit hohem Risikopotential
zu gelten, insbesondere für Tankschiffe und Seeschiffe, die radioaktive
Stoffe befördern.

l Schaffung der rechtlichen Voraussetzungen für die vorläufige Anordnung
des Ruhens von Befähigungszeugnissen (Fahrerlaubnisse) durch die Erlaub-
nisbehörden zur Klärung von Eignungszweifeln, wie dies bereits der Praxis
in der Binnenschifffahrt entspricht. Die vorläufigen Maßnahmen sind unmit-
telbar nach einer Trunkenheitsfahrt oder nach einem alkoholbedingten See-
unfall zu treffen.

Berlin, den 23. Februar 2005
Franz Müntefering und Fraktion
Katrin Göring-Eckardt, Krista Sager und Fraktion

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