BT-Drucksache 14/5759

EU-Richtlinienvorschlag zu Mindestnormen in Asylverfahren überarbeiten

Vom 3. April 2001


Deutscher Bundestag Drucksache 14/5759
14. Wahlperiode 03. 04. 2001

Antrag
der Abgeordneten Wolfgang Bosbach, Erwin Marschewski (Recklinghausen),
Meinrad Belle, Wolfgang Zeitlmann, Günter Baumann, Dr. Joseph-Theodor Blank,
Sylvia Bonitz, Hartmut Büttner (Schönebeck), Norbert Geis, Hermann Gröhe,
Peter Hintze, Martin Hohmann, Hartmut Koschyk, Beatrix Philipp, Ronald Pofalla,
Hans-Peter Repnik, Dr. Klaus Rose, Dietmar Schlee, Thomas Strobl (Heilbronn),
Dr. Hans-Peter Uhl, Hans-Otto Wilhelm (Mainz) und der Fraktion der CDU/CSU

EU-Richtlinienvorschlag zu Mindestnormen in Asylverfahren überarbeiten

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

von der EU-Kommission eine der nachfolgenden Begründung entsprechende
Überarbeitung des Vorschlages für eine Richtlinie des Rates über Mindestnor-
men für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung oder Aberkennung
der Flüchtlingseigenschaft (KOM (2000) 578 endgültig vom 20. September
2000) einzufordern.

Berlin, den 3. April 2001

Wolfgang Bosbach
Erwin Marschewski (Recklinghausen)
Meinrad Belle
Wolfgang Zeitlmann
Günter Baumann
Dr. Joseph-Theodor Blank
Sylvia Bonitz
Hartmut Büttner (Schönebeck)
Norbert Geis
Hermann Gröhe
Peter Hintze

Martin Hohmann
Hartmut Koschyk
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Hans-Peter Repnik
Dr. Klaus Rose
Dietmar Schlee
Thomas Strobl (Heilbronn)
Dr. Hans-Peter Uhl
Hans-Otto Wilhelm (Mainz)
Friedrich Merz, Michael Glos und Fraktion

Drucksache 14/5759 – 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Begründung
1. Die Union stimmt mit den generellen Zielen des Richtlinienvorschlags, har-

monisierte Mindestnormen für effektive, gerechte und zügige Asylverfahren
festzulegen, überein. In seiner jetzigen Form wird der Vorschlag seinem An-
spruch an ein schlankes, zügiges Asylverfahren, das die rechtsstaatlich er-
forderlichen, aber auch ausreichenden Regelungen vorsieht, nicht gerecht
werden können, denn der Vorschlag macht alle wesentlichen Regelungen
der Asylrechtsreform des Jahres 1993 zur Zuzugssteuerung, Straffung und
Vereinfachung der Verfahren rückgängig. Dies betrifft namentlich die Dritt-
staaten-, Flughafen- und die Herkunftsstaatenregelung, die das Bundesver-
fassungsgericht 1996 für verfassungsgemäß erachtet und europatauglich er-
klärt hat. Dies betrifft aber auch die im Zuge der Asylrechtsreform 1993
erfolgte Straffung des Instanzenzuges sowie die zügigere Durchführung und
Beendigung von Folgeverfahren.

Vor diesem Hintergrund ist es erforderlich, dass die Bundesregierung in
Brüssel auf eine Modernisierung des Richtlinienentwurfs dringt, der den
heutigen Problemlagen der Hauptaufnahmestaaten entspricht. Dies ist offen-
sichtlich bislang noch nicht im ausreichenden Maße geschehen.

2. Folgende Punkte bedürfen der Überarbeitung:

Faktische Abschaffung der Drittstaatenregelung (Artikel 22, Anhang I,
Artikel 2 (e), Artikel 3 Abs. 1)

Der deutschen Drittstaatenregelung liegt die Vorstellung zugrunde, dass der
Gesetzgeber abstrakt-generell ohne Möglichkeit einer individuellen Wider-
legung feststellt, dass Asylsuchende in einem Drittstaat Schutz vor Rück-
führung in den mutmaßlichen Verfolgerstaat finden können (Konzept nor-
mativer Vergewisserung, BVerfGE 94, 49, 50). Der Richtlinienentwurf
wendet sich von diesem Konzept ab.

Der Entwurf gestaltet die Drittstaatenregelung als widerlegliche Vermutung
aus und erfordert eine obligatorische Einzelfallprüfung mit Anhörung und
rechtsmittelfähiger Entscheidung. Abweisung an der Grenze durch die
Grenzbehörden ist nicht vorgesehen. Der Rückkehr zur Einzelfallprüfung
(Artikel 22 (c) und Anhang I.B.2) hat zur Folge, dass die Wirkungen der
Drittstaatenregelungen rückgängig gemacht werden.

Der Entwurf trifft keine sachgerechten Regelungen hinsichtlich der Frage,
wann ein Staat als sicherer Drittstaat angesehen werden kann. Er geht erheb-
lich über die Anforderungen des Artikels 16a Abs. 2 bis 4 GG hinaus. Zum
einen ist nach der Regelung des Artikels 22 (a) nicht mehr sichergestellt,
dass schon der bloße Gebietskontakt mit einem sicheren Drittstaat für die
Anwendung der Drittstaatenregelung ausreicht (BVerwGE 105, 194). Zum
anderen gehen aber auch die Anforderungen an Asylverfahren im Drittstaat
im Sinne von Anhang I.1 zu Artikel 22 weit über das verfassungsrechtlich
Gebotene (BVerfGE 49, 92 f.) hinaus.

Faktische Abschaffung der Flughafenregelung (Artikel 2 (I), 11 Abs. 1 (d),
Artikel 3 Abs. 2)

Das Flughafenverfahren ist nach dem Vorschlag in seiner jetzigen Form
nicht mehr aufrecht zu erhalten, weil für den Aufenthalt eines Asylbewer-
bers in einer Transitzone eines Flughafens eine Gewahrsamsanordnung ver-
langt wird (Artikel 2 [I], Artikel 11). Daher könnte das Flughafenverfahren
nur noch auf richterliche Anordnung einer Freiheitsentziehung im Einzelfall
durchgeführt werden. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 94, 166
(198 f.)) hatte zum Aufenthalt von Asylbewerbern in Transitzonen ausge-
führt: „Die Begrenzung des Aufenthaltes von Asylsuchenden während des
Verfahrens nach § 18a AsylVfG auf die für ihre Unterbringung vorgesehe-

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/5759

nen Räumlichkeiten im Transitbereich des Flughafens stellt keine Freiheits-
entziehung oder Freiheitsbeschränkung (Artikel 104 GG i. V. m. Artikel 2
Abs. 2 Satz 2 GG) dar.“

Neben der Erhaltung der Flughafenregelung sollte die Bundesregierung auf
eine Regelung zur Ausgestaltung der Unterbringung der Asylsuchenden
dringen, die die Menschenwürdigkeit der Unterbringung garantiert.

Herkunftsstaatenregelung (Artikel 28 Abs. 1 (e), Artikel 30, 31 Anhang I)

Der Richtlinienvorschlag verlangt weit über die Voraussetzungen des
Artikel 16a Abs. 3 Satz 1 GG hinaus zusätzliche Anforderungen, die die
Einstufung von Staaten als sichere Herkunftsstaaten erschweren werden.
Verfassungsmäßig und praktikabel ist die derzeitige Rechtslage, wonach
aufgrund der Rechtslage, der Rechtsanwendung und der allgemeinen Ver-
hältnisse in dem betroffenen Staat gewährleistet scheint, dass dort weder po-
litische Verfolgung noch unmenschliche noch erniedrigende Behandlung
stattfindet.

Einführung neuer Standards zu Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft

Die Richtlinie legt neue, andere materielle Maßstäbe für die Zuerkennung
der Flüchtlingseigenschaft fest, in dem sie die Anwendung und Auslegung
bislang nicht zum EU-Recht gehörender Bestimmungen des Völkervertrags-
rechts zum Bestandteil des gemeinschaftsrechtlichen Mindeststandards für
Flüchtlingsverfahren macht.

Das bedeutet, dass künftig jede drohende Verletzung von (u. a.) Artikel 3
EMRK, wonach niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigen-
der Strafe oder Behandlung unterworfen werden darf, zur Zuerkennung der
Flüchtlingseigenschaft führen kann. Nach nationaler Rechtslage sind diese
Völkervertragsrechtsnormen Teil des ausländerrechtlichen Abschiebungs-
schutzes und nicht der Asylzuerkennung. Dagegen ist eine Verbesserung des
derzeitigen ausländerrechtlichen Aufenthaltsstatus zu erwägen.

Der Entwurf enthält auch eine weitere generelle Kehrtwende bezüglich Be-
deutung und Inhalt der Genfer Flüchtlingskonvention. Erstmals werden
hieraus subjektive Ansprüche auf Asyl und ein vorläufiges Bleiberecht bis
zur Entscheidung über den Asylantrag hergeleitet. Bislang ergaben sich auf
nationaler Ebene subjektive Rechte auf Nichtzurückweisung von Asylbe-
werbern an der Grenze sowie vorläufige Aufenthaltsrechte in Deutschland
lediglich als Vorwirkungen des Asylgrundrechts, nicht aber aus der Genfer
Konvention, die kein Recht auf Asyl, sondern nur Rechte im Asyl gewährt
(BVerfGE 94, 166 [199]; BVerwGE 104, 265 [272]). Ein individueller (völ-
kerrechtlicher) Rechtsanspruch einschließlich gerichtlicher Kontrolle nach
dem Vorbild des deutschen Asylrechts ist bislang weltweit abgelehnt wor-
den. Das bedeutet nicht, dass man außerhalb von Deutschland dem Schick-
sal von Flüchtlingen mit mangelnder Sensibilität begegnet, nur lehnt man es
dort bislang ab, die Koppelung von staatlicher Asylgewähr und Asylan-
spruch als zwingend anzusehen. Grund hierfür mag sein, dass außerhalb
Deutschlands nicht vorwiegend der humanitäre Aspekt Beachtung findet,
sondern auch der mit einem subjektiven Grundrechtsanspruch verbundenen
Einschränkung der politischen Handlungsfähigkeit erhebliches Gewicht zu-
kommt. Die Verankerung individueller Rechtsansprüche auf Asyl auf der
völkerrechtlichen Ebene wird die migrationspolitische Handlungsfähigkeit
der EU-Mitgliedstaaten erheblich einschränken, was die Anziehungskraft
des deutschen Asylrechts nach Artikel 16 Abs. 2 Satz 2 a. F. GG in der Zeit
bis 1993 bewiesen hat.

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Aufhebung des Beschleunigungseffektes bei Folgeanträgen

Mit dem Entwurf werden die jetzigen Beschleunigungsmöglichkeiten bei
Folgeanträgen (Abschiebung ohne Durchführung eines neuen Asylverfah-
rens aufgrund einer Mitteilung des Bundesamtes für die Anerkennung aus-
ländischer Flüchtlinge) rückgängig gemacht. Jeder Asylbewerber wird da-
durch die Möglichkeit erhalten, durch immer neue Folgeanträge seinen
weiteren Aufenthalt zu sichern. Da in Deutschland mittlerweile jeder dritte
Antrag ein Folgeantrag ist und noch nicht einmal 2 % der Anträge zum Er-
folg führen, ist dies nicht hinnehmbar. Nach dem Entwurf werden
grundsätzlich alle Folgeanträge wie Erstanträge mit vollen Verfahrengaran-
tien einschließlich eines vorläufigen Bleiberechts behandelt (Artikel 28
Abs. 2f). Nur der ersichtlich kleinere Teil, die Folgeanträge, „die keine
neuen Fakten“ enthalten (Artikel 28 Abs. 1f), dürften überhaupt als offen-
sichtlich unbegründet im beschleunigten Verfahren behandelt werden. In
diesen Fällen kann zwar der Suspensiveffekt einer Klage gegen eine ableh-
nende Entscheidung aufgehoben werden, solange die zuständige Behörde
aber noch nicht entschieden hat, ist die Abschiebung verboten. Damit wird
der im Asylverfahrensgesetz in § 71 vorgesehene Beschleunigungseffekt
nicht mehr eintreten können.

Dreistufiger Aufbau des behördlichen und gerichtlichen Instanzenzuges

Der Richtlinienvorschlag geht von einem dreistufigen Verfahren mit zwei
Überprüfungsinstanzen aus („Asylbehörde“, „Überprüfungsinstanz“, „Beru-
fungsgericht“), von denen jedenfalls die zweite ein Gericht sein muss. Dies
wird zu einer erheblichen Verlängerung der Asylverfahren führen. Regelun-
gen wie Zulassungsberufung, Unanfechtbarkeit von Entscheidungen des
Verwaltungsgerichts bei offensichtlicher Unbegründetheit und offensichtli-
cher Unzulässigkeit, Ausschluss der aufschiebenden Wirkung von Rechts-
behelfen in beschleunigten Verfahren, Rechtsmittelausschluss bei Drittstaa-
tenregelung sind in Frage gestellt.

Erschwerung der Ablehnung als offensichtlich unbegründet (Artikel 28)

Der Vorschlag wird zu einer weitgehenden Erschwerung der Beschleuni-
gung der Verfahren in Fällen offensichtlich aussichtsloser Asylanträge füh-
ren. Die Bundesregierung muss darauf hinwirken, dass die Ablehnung von
Asylanträgen im beschleunigten Verfahren als offensichtlich unbegründet
im bisherigen Maße möglich bleibt. Der (abschließende) Katalog des
Artikels 28 enthält wesentliche Fallkonstellationen, die auch weiterhin als
offensichtlich unbegründet angesehen werden sollten, nicht und wird daher
Asylantragsablehnungen als offensichtlich unbegründet im bisherigen Um-
fang unmöglich machen. Als offensichtlich unbegründet mit der Möglich-
keit, die aufschiebende Wirkung von Rechtsmitteln auszuschließen, könnte
ein Asylantrag nicht mehr abgelehnt werden, wenn der Ausländer Schwer-
verbrecher ist (§ 30 Abs. 4 AsylVfG i . V. m. § 51 Abs. 3 AuslG), eine ein-
deutige inländische Fluchtalternative gegeben ist, Fälle der Mehrfachantrag-
stellung und der groben Verletzung von Mitwirkungsrechten (§ 30 Abs. 3
Nr. 3 und 5 AsylVfG) vorliegen, in Fällen der Generalklausel des § 30
Abs. 1 AsylVfG, und wenn sich der Ausländer auf die Schutzgründe nach
Artikel 3 EMRK beruft (Artikel 28 Abs. 1d).

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 5 – Drucksache 14/5759

Weitreichende und verfahrensverlängernde Verfahrengarantien

Die vorgesehenen Verfahrengarantien gehen weit über das bereits sehr hohe
Niveau des deutschen Verfahrensrechts hinaus und werden in Teilen zu Ver-
fahrenverzögerungen führen. Dies gilt z. B. für den Anspruch auf kostenlose
Rechtsberatung (Artikel 9 Abs. 4). Da der Anspruch außer an die Mittello-
sigkeit an keine weiteren Voraussetzungen gekoppelt wird, wird er zu einer
erheblichen Belastungen der öffentlichen Haushalte und einer verstärkten
Inanspruchnahme von Rechtsmitteln führen. Es muss, parallel dem deut-
schen Prozesskostenhilferecht (§ 114 ZPO), darauf hingewirkt werden, dass
der Anspruch auf kostenlose Rechtsberatung daran gekoppelt wird, dass die
beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und
nicht mutwillig erscheint.

Beanstandungsklage bei positiven Asylentscheidungen; Institution des Bun-
desbeauftragten für Asylangelegenheiten (Artikel 32, 36, 40)

Die Aufhebung der Beanstandungsklage gegen anerkennende Entscheidun-
gen (Artikel 32, 36) und die aus Artikel 40 folgende Abschaffung des Bun-
desbeauftragten sind der Rechtskultur in Asylverfahren abträglich. Die
Beanstandungsbefugnis ist als Korrektiv zur Weisungsfreiheit der Einzel-
entscheider des Bundesamtes (§ 5 AsylVfG) eingeführt worden und daher
auch verfassungsrechtlich bedeutsam. Keine Alternative ist die Abschaffung
der Weisungsungebundenheit der Einzelentscheider, weil diese ihren Grund
darin hat, die Asylentscheidungen von jeglicher politischen Einflussnahme
frei zu halten.

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