BT-Drucksache 14/3516

Gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeinlichkeit, Antisemitismus und Gewalt

Vom 7. Juni 2000


Deutscher Bundestag

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14. Wahlperiode

07. 06. 2000

Antrag

der Abgeordneten Ute Vogt (Pforzheim), Ernst Bahr, Eckhardt Barthel (Berlin),
Hans-Werner Bertl, Dr. Michael Bürsch, Dr. Peter Eckardt, Sebastian Edathy,
Peter Enders, Gabriele Fograscher, Hans Forster, Lilo Friedrich (Mettmann),
Harald Friese, Iris Follak, Iris Gleicke, Renate Gradistanac, Günter Graf
(Friesoythe), Klaus Hagemann, Christel Hanewinckel, Hubertus Heil, Frank
Hofmann (Volkach), Hans-Peter Kemper, Helga Kühn-Mengel, Dr. Uwe Küster,
Christian Lange (Backnang), Christine Lehder, Christa Lörcher, Erika Lotz,
Dr. Christine Lucyga, Ursula Mogg, Günter Oesinghaus, Renate Rennebach,
Bernd Reuter, Dagmar Schmidt (Meschede), Wilhelm Schmidt (Salzgitter),
Gisela Schröter, Wieland Sorge, Uta Titze-Stecher, Adelheid Tröscher, Rüdiger
Veit, Matthias Weisheit, Jochen Welt, Dieter Wiefelspütz, Barbara Wittig, Dr. Peter
Struck und der Fraktion der SPD,
sowie der Abgeordneten Annelie Buntenbach, Cem Özdemir, Marieluise Beck
(Bremen), Volker Beck (Köln), Ekin Deligöz, Hans-Christian Ströbele, Helmut
Wilhelm (Amberg), Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Gewalt

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Im Jahr 1999 sind nach amtlichen Erkenntnissen die Zahl der Mitglieder
rechtsextremistischer Parteien und Organisationen sowie die Zahl der Neonazis
im Vergleich zum Vorjahr leicht gesunken. Demgegenüber musste im gleichen
Zeitraum ein Anstieg der Zahl rechtsextremistischer Skinheads und sonstiger
gewaltbereiter Rechtsextremisten um 10 % verzeichnet werden. Die Zahl der
rechtsextremistisch motivierten Gewalttaten und antisemitischen Straftaten,
wie zum Beispiel die Schändung jüdischer Friedhöfe, ist immer noch auf einem
erschreckend hohen Niveau. Im vergangenen Jahr wurden 279 rechtsextremis-
tische, 451 fremdenfeindliche und 16 antisemitische Gewalttaten registriert, die
Gesamtzahl der entsprechenden Straftaten lag insgesamt bei 10 037. In der
Bundesrepublik Deutschland werden in bestimmten Regionen von rechtsextre-
men und fremdenfeindlichen Personen oder Gruppen Plätze und Orte verein-
nahmt, an denen ausländische Mitbürgerinnen und Mitbürger und Andersden-
kende nicht geduldet werden.

Diese Gewalttaten, das Maß an Ablehnung von Minderheiten und Menschen
anderer Herkunft und die Wahlergebnisse rechtsextremer Parteien nicht nur in
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Ostdeutschland sind Besorgnis erregend und erfordern entschlossenes politi-
sches Handeln.

Der Deutsche Bundestag verurteilt Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit,
Antisemitismus und Gewalt und wird zusammen mit der Bundesregierung und
der gesamten Gesellschaft in einem parteiübergreifenden Konsens die Ausein-
andersetzung kontinuierlich und offensiv führen.

Niemand darf wegen seiner Behinderung, Herkunft, Hautfarbe, Sprache, seines
Glaubens, seiner ethnischen Zugehörigkeit oder sexuellen Orientierung diskri-
miniert werden. Diese Diskriminierung von Minderheiten, ob offen oder ver-
deckt, muss entschieden bekämpft werden.

Der Deutsche Bundestag will Zivilcourage stärken und appelliert vor allem an
die Städte und Gemeinden, sich für Gemeinsinn, ein solidarisches Gemeinleben
aller Menschen und für Demokratie und Toleranz zu engagieren. Vorurteilen
oder Ausschreitungen von Personen oder Personengruppen kann gerade vor Ort
durch ein couragiertes Auftreten aller Bürgerinnen und Bürger besonders wirk-
sam begegnet werden.

Der Deutsche Bundestag steht auf der Seite der Opfer von rechtsextremisti-
schen, fremdenfeindlichen und antisemitischen Straf- und Gewalttaten und
wird ihren Schutz verbessern.

Der Deutsche Bundestag tritt Vorurteilen und rechtsextremer, ausländerfeind-
licher, antisemitischer und gewaltbereiter Propaganda entschlossen entgegen.

Der Deutsche Bundestag wird alles daran setzen, Rechtsextremismus, Frem-
denfeindlichkeit, Antisemitismus und Gewalt zu bekämpfen.

Der Deutsche Bundestag will besonders Jugendlichen Zukunftschancen eröff-
nen. Es ist unverzichtbar, jedem Jugendlichen eine Ausbildung zu ermöglichen.
Die Bundesregierung hat insbesondere durch Initiierung des Bündnisses für
Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit, in dem ein Ausbildungskonsens
vereinbart wurde, den ersten wichtigen Schritt getan. Mit dem „Sofort-
programm zum Abbau der Jugendarbeitslosigkeit“ haben im Jahr 1999 163 000
Jugendliche die Chance auf Ausbildung, Arbeit und Qualifizierung erhalten.

Der Deutsche Bundestag appelliert an Bund und Länder, ihre Aufgaben in Bil-
dung und Erziehung verstärkt wahrzunehmen. Die Schule als Lebensraum
prägt junge Menschen nach der Familie unmittelbar und unterstützt oder zer-
stört gewachsene Wertüberzeugungen der Gesellschaft.

Der Deutsche Bundestag unterstützt daher die Bundesregierung bei der Be-
kämpfung des Rechtsextremismus durch ein breites gesellschaftliches Bündnis
„Für Demokratie und Toleranz – gegen Extremismus und Gewalt“, das dieser
Querschnittsaufgabe gerecht wird. In diesem Bündnis sollen neben den Bun-
desministerien, der Ausländerbeauftragen und dem Aussiedlerbeauftragten der
Bundesregierung, den Ländern und den Kommunen, Wohlfahrtsverbänden,
Kirchen, Gewerkschaften, Parteien, Medien, Sportverbänden, der Wissen-
schaft, den Initiativen und den Stiftungen auch alle demokratisch orientierten
gesellschaftlichen Gruppen und besonders auch die Organisationen der von
rechtsextremer Gewalt betroffenen Gruppen und Initiativen, die sich gegen
Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Gewalt enga-
gieren, zusammengeführt werden.

1. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, sich gemeinsam
mit dem Deutschen Bundestag weiterhin für die Integration der hier leben-
den Migrantinnen und Migranten einzusetzen. Nach der Schaffung eines
modernen Staatsangehörigkeitsrechts ist die Vorlage eines Antidiskriminie-
rungsgesetzes und des Gesetzes zur Schaffung des Instituts der eingetrage-
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nen Lebenspartnerschaft die nächste Stufe. Für Asylbewerberinnen und
Asylbewerber muss die gegenwärtige Praxis des Arbeitserlaubnisrechts neu
gestaltet werden.

2. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, den Schutz
potentieller Opfer rechtsextremer Straf- und Gewalttaten zu verbessern.
Dazu sollen unter anderen Maßnahmen in Zusammenarbeit mit den Ländern
und Kommunen weitere Anlaufstellen modellhaft entwickelt und erprobt
werden, die konkrete rechtliche und soziale Unterstützung bieten und die
Öffentlichkeit über das Ausmaß von Diskriminierung und rechtsextremer
Gewalt informieren können. Die Bundesregierung wird aufgefordert zu prü-
fen, ob neben den bereits bestehenden zahlreichen Rechtsschutzmöglich-
keiten in der Bundesrepublik Deutschland die Abgabe einer Erklärung nach
Artikel 14 des Internationalen Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form
von Rassendiskriminierung von 1966 empfehlenswert ist, um das dort
vorgesehene Individualbeschwerdeverfahren auch für die Bundesrepublik
Deutschland verbindlich zu machen.

3. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, die sozialen, poli-
tischen und gesellschaftlichen Bedingungen, die Rechtsextremismus, Frem-
denfeindlichkeit, Antisemitismus und Gewalt begünstigen, zu verändern.
Der Deutsche Bundestag begrüßt in diesem Zusammenhang

– die Fortführung des „Sofortprogramms zum Abbau der Jugendarbeits-
losigkeit“ und fordert die Bundesregierung auf, sich auch weiterhin im
Rahmen des Bündnisses für Arbeit für die Erschließung neuer Beschäfti-
gungsfelder und Ausbildungsmöglichkeiten für gering qualifizierte Ar-
beitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie die Bekämpfung von Jugend-
und Langzeitarbeitslosigkeit, insbesondere durch die Verbesserung von
Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten, einzusetzen.

– die verstärkte Förderung und Qualitätssicherung der nationalen Freiwilli-
genprogramme und die gezielte Ausweitung des Kreises der Freiwilligen
besonders um benachteiligte Jugendliche, Migrantinnen und Migranten,
Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler und Projekte mit Jugendlichen
zweier Staaten sowie ein Freiwilligenentsendegesetz, das besonders so-
zialversicherungsrechtliche Hemmnisse des freiwilligen Engagements
abbauen wird. Darüber hinaus sollen die Hemmnisse für Freiwillige aus
dem europäischen und nichteuropäischen Ausland abgebaut werden.

– das Programm des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen
und Jugend „Entwicklung und Chancen junger Menschen in sozialen
Brennpunkten“, das der Tatsache Rechnung trägt, dass Kinder und Ju-
gendliche in sozialen Brennpunkten stärkeren Gefährdungen ausgesetzt
sind als in anderen Sozialräumen. Erstmals werden damit Maßnahmen
des Kinder- und Jugendplanes des Bundes in Zusammenarbeit mit Län-
dern, Kommunen sowie Trägern aus allen Bereichen vernetzt und umge-
setzt.

– den von der Regierungskoalition eingebrachten Gesetzentwurf, der Kin-
dern ein Recht auf gewaltfreie Erziehung einräumt und körperliche Be-
strafung, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen
für unzulässig erklärt. Die zu dem Gesetzentwurf geplanten flankieren-
den Maßnahmen werden begrüßt. Im Rahmen eines Aktionsprogramms
sollen Eltern und Gesellschaft auf den Paradigmenwechsel in der Erzie-
hung hingewiesen und sensibilisiert werden sowie Hilfen zur Verbesse-
rung der Erziehungskompetenz hin zur gewaltfreien Konfliktbewältigung
gegeben werden.
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– den Aktionsplan der Bundesregierung zur Bekämpfung von Gewalt
gegen Frauen und die Absicht des Bundesministeriums der Justiz, das
Gesetzgebungsverfahren zum Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung
des zivilrechtlichen Schutzes bei Gewalttaten sowie zur Erleichterung der
Überlassung der Ehewohnung bei Trennung zügig voranzutreiben.

4. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, in Zusammen-
arbeit mit den Ländern und Trägern der Jugendsozialarbeit zum Beispiel
durch Modellprojekte dafür zu sorgen, dass insbesondere in Gebieten, in de-
nen Rechtsextremisten so genannte „national befreite“ oder „ausländerfreie
Zonen“ schaffen wollen und bei denen die Gefahr besteht, dass diese Bestre-
bungen erfolgreich sind, in der Jugendarbeit geschützte Räume geschaffen
werden können, in denen sich demokratisch orientierte Jugendliche aufhal-
ten können, ohne der Gefahr einer Bedrohung von Rechtsextremen ausge-
setzt zu sein. Ziel muss sein, in diesen Gebieten die volle Bewegungsfreiheit
auch für Minderheiten oder Gegner der Rechtsextremen wiederherzustellen.
In Zusammenarbeit mit den Ländern und freien Trägern sollen auch die bis-
herigen Konzepte der Sozialarbeit, besonders der akzeptierenden Jugendar-
beit mit rechtsgerichteten Jugendlichen und Jugendgruppen, die in Zusam-
menarbeit mit den Ländern und den öffentlichen und privaten Trägern der
Jugendarbeit entwickelt wurden, einer kritischen Prüfung unterzogen werden.
Entscheidend ist eine aktive Jugendarbeit für alle Jugendlichen. Dazu müssen
zunächst präventiv der Schutz und die Betreuung von demokratisch orientier-
ten Jugendlichen gewährleistet sein. Zudem ist eine gezielte Betreuung von
Jugendlichen sicherzustellen, die durch rechtsextreme, fremdenfeindliche,
antisemitische oder gewaltsame Tätigkeiten aufgefallen sind oder bei denen
eine Sympathisierung mit dieser Szene droht. Mit Jugendlichen, die entspre-
chend auffällig geworden sind, ist eine besonders intensive Jugendarbeit
erforderlich, um ihnen die Reintegration in die Gesellschaft zu ermöglichen.
Insbesondere ist im Rahmen der Gesetze darauf hinzuwirken, dass Rechts-
extremen und Neonazis in öffentlich finanzierten Einrichtungen keine
Räume und Infrastruktur für ihre Tätigkeit zur Verfügung gestellt werden,
und zu prüfen, wie Jugendeinrichtungen gezielt betreut werden können, die
von rechtsextremen Gruppen dominiert werden.
Im Rahmen der Maßnahmen der Jugendpolitik sind besonders präventive
Formen der Jugendarbeit, wie sie beispielsweise in vielen Fußball-Fanpro-
jekten und in Sportvereinen, die eine intensive Jugendarbeit betreiben,
durchgeführt werden, zu fördern. Der Deutsche Bundestag tritt dafür ein,
diese Ansätze der präventiven Jugendarbeit mit ausreichenden finanziellen
und personellen Mitteln zu unterstützen.

5. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, die Aufklärung,
Ausbildung und Beratung der mit Rechtsextremismus befassten Stellen zu
verbessern. Der Deutsche Bundestag setzt sich zusammen mit der Bundes-
regierung im Rahmen des Bündnisses „Für Demokratie und Toleranz –
gegen Extremismus und Gewalt“ dafür ein, in Zusammenarbeit mit den
Ländern Modelle dezentraler Beratungsstellen, ähnlich den mobilen Bera-
tungsteams Brandenburg, zu entwickeln und zu fördern. Aufgabe dieser
Stellen sollen insbesondere die Beratung und Ausbildung kommunaler oder
schulischer Stellen und die Unterstützung von Initiativen, die sich bei der
Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus engagieren, sein.

6. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, bei der Entwick-
lung wirksamer Strategien gegen Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und
Rechtsextremismus bei Kindern und Jugendlichen auch die Sozialisations-
instanzen Familie und Schule stärker als bisher zu berücksichtigen. Große
Verantwortung trägt neben den Eltern die Schule, die ihre Erziehungsfunk-
tion weit über die Vermittlung von bloßem Sachwissen stellen muss.
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7. Der Deutsche Bundestag setzt sich dafür ein, dass Bildung, Weiterbildung
und Aufklärung über Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemi-
tismus und Gewalt intensiviert werden. Hierzu ist die demokratische und
staatsbürgerliche politische Bildung in Schulen, Hochschulen und sonsti-
gen Bildungseinrichtungen des Bundes und der Länder zu fördern und aus-
zubauen. Die Fortbildung und Sensibilisierung von Lehrern, Polizei und
Verwaltung im Umgang mit Rechtsextremismus sind ebenfalls auszu-
bauen. Vor allem die Bundeszentrale für politische Bildung soll nach der
Neuausrichtung ihrer Arbeit die Aktivitäten vor allem in den neuen Bun-
desländern verstärken sowie insbesondere ihre Materialien und Angebote
zielgruppenspezifischer für die junge Generation gestalten. Inhaltlich soll
sie sich stärker an den konkreten Erfordernissen politischer und gesell-
schaftlicher Verhältnisse orientieren, wobei Rechtsextremismus, Fremden-
feindlichkeit, Antisemitismus und Gewaltphänomene in unserer Gesell-
schaft in besonderem Maße zu berücksichtigen sind. Der Deutsche
Bundestag unterstützt das Bundesministerium des Innern und die Bundes-
zentrale für politische Bildung bei diesen Bemühungen und wird sich für
ausreichende finanzielle Mittel einsetzen.

8. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, wissenschaftli-
che Forschungsvorhaben im Bereich der Bekämpfung von Rechtsextremis-
mus, Fremdenfeindlichkeit und Gewalt zu unterstützen.

Die Bundesregierung wird aufgefordert, eine empirische Studie zur Verbrei-
tung rechtsextremen Denkens in der Bundesrepublik Deutschland durch-
zuführen, die der in den Jahren 1979/80 für das Bundeskanzleramt ange-
fertigten „1. Empirische Grundlagenstudie zur Verbreitung rechtsextremen
Denkens in der Bundesrepublik Deutschland“ vergleichbar ist.

Auf Antrag der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat der
Deutsche Bundestag am 24. März 2000 beschlossen, die steuerlichen Rah-
menbedingungen für Stiftungen zu verbessern. Die erweiterten Möglich-
keiten solcher Stiftungen können zum Beispiel zur Förderung von Wissen-
schaft und Forschung, Bildung und Erziehung, Kunst und Kultur, Reli-
gion, Völkerverständigung, Jugendhilfe, Altenhilfe und des demokratischen
Staatswesens eingesetzt werden und damit eine bedeutsame Rolle in der
Auseinandersetzung und dem Eintreten gegen Rechtsextremismus, Frem-
denfeindlichkeit, Antisemitismus und Gewalt übernehmen.

9. Der Deutsche Bundestag würdigt die Ergebnisse des Europäischen Rates
von Tampere am 15./16. Oktober 1999 als wichtigen Schritt auf dem Weg
zu einer verstärkten gemeinsamen Bekämpfung von Rassismus und Frem-
denfeindlichkeit in Europa. Er begrüßt insbesondere die nachhaltigen Be-
mühungen der Bundesregierung zur weiteren Umsetzung der durch den
Amsterdamer Vertrag eingeführten Antidiskriminierungsklausel in Arti-
kel 13 EGV. Er unterstützt die Zielsetzung des von der Kommission für die
Jahre 2001 bis 2006 vorgeschlagenen „Aktionsprogramms der Gemein-
schaft zur Bekämpfung von Diskriminierungen“. Der Deutsche Bundestag
fordert die Bundesregierung auf, gemeinsam mit dem Parlament alle Be-
mühungen auf europäischer Ebene zu unterstützen und voranzutreiben, um
Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Gewalt zu
bekämpfen. Er unterstützt das vom Europäischen Parlament vorgeschla-
gene Aktionsprogramm zur wirksamen Ahndung entsprechender Hand-
lungen oder Straftaten. Der Deutsche Bundestag wird sich für eine weitere
Rechtsangleichung der Mitgliedstaaten der Europäischen Union einsetzen,
die mit den gesetzlichen Mitteln des demokratischen Rechtsstaates deutlich
macht, dass die Gesellschaft Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit,
Rassenhass und Verbrechen gegen die Menschlichkeit nicht hinnimmt.
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Darüber hinaus unterstützt der Deutsche Bundestag auch die weiteren Initi-
ativen auf europäischer Ebene, wie zum Beispiel die Europäische Beob-
achtungsstelle für Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, bei ihrem Bemü-
hen um Datenvergleiche sowie der Erarbeitung und Evaluation von
spezifischen Strategien im Kampf gegen Rassismus.

10. Der Deutsche Bundestag tritt dafür ein, die Bekämpfung von Rechtsextre-
mismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Gewalt auch in der
Medienpolitik voranzutreiben. Er begrüßt in diesem Zusammenhang das
Engagement der Verbände der Medien- und Werbeindustrie, ihre Möglich-
keiten zu nutzen, um ein differenziertes und realistisches Bild von Minder-
heiten und Migrantinnen und Migranten in Fernseh- und Hörfunksendun-
gen wiederzugeben. Zudem appelliert der Deutsche Bundestag an die
Verleger- und Journalistenverbände, Fernseh- und Radiosender und die
Arbeitgeber der Medienindustrie, für Angehörige von Minderheiten den
Zugang zu Medienberufen noch weiter zu verbessern.

11. Der Deutsche Bundestag unterstützt die Bemühungen des Bundesministeri-
ums des Innern und des Bundesministeriums der Justiz sowie der Innen-
und Justizministerien der Länder, rassistische Straftaten im Zusammen-
hang mit dem Medium Internet zu verfolgen und zu verhindern und tritt
vor allem für eine Stärkung der Strafverfolgung auf europäischer und inter-
nationaler Ebene ein, da nur so ein gezielter Erfolg gewährleistet werden
kann. Zudem fordert der Deutsche Bundestag auch Personen des öffentli-
chen Lebens auf, das Internet ebenso wie Funk- und Printmedien als Platt-
form für Initiativen gegen Rassismus intensiv zu nutzen.

12. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, der „inneren
Wehrhaftigkeit“ der Bundeswehr eine besondere Unterstützung und För-
derung zu gewähren, vor allem durch eine offene, nicht hierarchisch
angelegte Kommunikation, die eingebettet sein muss in ein attraktives
Programm zur politischen Bildung innerhalb der Bundeswehr. Eine demo-
kratisch legitimierte Institution wie die Bundeswehr darf keine attraktive
Einrichtung für Personen mit rechtsextremer Gesinnung sein. Aus diesem
Grund unterstützen wir den Bundesverteidigungsminister ausdrücklich in
seinem Bemühen, die Bundeswehr für demokratische Diskussions- und
Entscheidungsprozesse weiter zu öffnen. In der Bundeswehr ist kein Platz
für ausländerfeindliche Gewalt befürwortende und intolerante Grundhal-
tungen. Der Deutsche Bundestag unterstützt sowohl die politische wie auch
die militärische Führung, die hierfür Vorsorge trifft und Verantwortung
trägt.

13. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, den organisier-
ten Rechtsextremismus und die so genannte „Neue Rechte“ mit allen Mit-
teln des demokratischen Rechtstaates zu bekämpfen. Erforderlich dafür ist
insbesondere:

– die Gewährleistung, dass keine Zuschüsse von Bundesbehörden und
-institutionen an Einrichtungen, Stiftungen und Verlage gewährt wer-
den, die rechtsextremes Gedankengut fördern oder verbreiten;

– die Sicherstellung, dass Wissenschaftler, die bereits im Ausland rechts-
extreme Vorstellungen publiziert haben, nicht an akademischen Aus-
tauschprogrammen des Bundes teilnehmen dürfen.

14. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, das weitere Vor-
dringen rechtsextremistischer Ideologien durch gezielte Aufklärungsarbeit
über rechtsextremistische, fremdenfeindliche und antisemitische Agitation
auch in kultischen, heidnischen und esoterischen Bereichen zu verhindern.
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15. Ebenso muss die Finanzierung von rechtsextremistischen Organisationen,
Institutionen, Vereinen und Verbänden überprüft werden. Hierunter fallen
die Prüfung des Finanzgebarens und die Überprüfung der Gemeinnützig-
keit bei den örtlichen Finanzbehörden.

16. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf zu prüfen, ob
und gegebenenfalls wie die Europäische Beobachtungsstelle für Rassismus
und Fremdenfeindlichkeit zur frühzeitigen Erkennung von Problemlagen
und der Sensibilisierung der Öffentlichkeit durch eine Stelle in der Bundes-
republik Deutschland unterstützt werden könnte. Deren mögliche Auf-
gaben wären unter anderem die Dokumentation und Analyse rechtsextre-
mer Tendenzen, die Information der Öffentlichkeit, die Durchführung einer
Dunkelfeldanalyse, um das tatsächliche Ausmaß rechtsextremer Gewalt zu
erfassen, eine Zusammenarbeit mit der Europäischen Beobachtungsstelle
und die regelmäßige Berichterstattung im Deutschen Bundestag über ihre
Arbeit, Ergebnisse und Erfahrungen sowie Erkenntnisse im Hinblick auf
Ursachen und Gegenstrategien.

17. Der Deutsche Bundestag tritt dafür ein, dass die Bekämpfung von Gewalt-
straftaten ein Schwerpunkt der Strafverfolgung wird. Er bittet die insoweit
zuständigen Länder, dieses Anliegen zu unterstützen und hierzu Konzepte
zu entwickeln, die im Rahmen des geltenden Rechts vermehrt Schwer-
punktermittlungen und auch präventive Bestreifungen von bekannten
Treffpunkten rechtsextremer Gewalttäter ermöglichen. Bei Gewaltstraf-
taten sollte eine möglichst zeitnahe Reaktion auf die Straftaten erfolgen.
Bei der Organisation der Justiz sollte daher für einen zeitnahen Beginn ei-
nes Gerichtsverfahrens Sorge getragen werden.

18. Der Deutsche Bundestag fordert alle Bürgerinnen und Bürger auf, Vorurtei-
len und rechtsextremer Propaganda zu widersprechen, Zivilcourage zu
zeigen und sich in Vereinen und Initiativen zu engagieren, die Integrations-
arbeit oder Aufklärungsarbeit über Rechtsextremismus, Fremdenfeindlich-
keit, Antisemitismus oder Gewalt leisten. Darüber hinaus unterstützt der
Deutsche Bundestag die Bundesregierung, die Länder und Gemeinden bei
der Entwicklung und Förderung von Integrationskonzepten und deren
Umsetzung. Die soziale Integration bleibt eine der zentralen politischen
Aufgaben der nächsten Jahre. Migrationspolitik beinhaltet nicht allein die
Regelung der Zuwanderung, sondern die nachhaltige Integration des
bereits eingewanderten Bevölkerungsteils. Die Teilnahme am gesellschaft-
lichen und politischen Leben spielt dabei eine entscheidende Rolle.

19. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, im Deutschen
Bundestag Bericht über die aktuellen und geplanten Maßnahmen und
Aktivitäten der Bundesregierung gegen Rechtsextremismus, Fremden-
feindlichkeit, Antisemitismus und Gewalt zu erstatten.

Berlin, den 7. Juni 2000

Dr. Peter Struck und Fraktion

Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und Fraktion

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