BT-Drucksache 14/3514

Europäischer Rat in Feira - Europa entschlossen voranbringen

Vom 7. Juni 2000


Deutscher Bundestag

Drucksache

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3514

14. Wahlperiode

07. 06. 2000

Antrag

der Abgeordneten Günter Gloser, Hermann Bachmaier, Hans-Werner Bertl,
Bernhard Brinkmann (Hildesheim), Hans Büttner (Ingolstadt),
Marion Caspers-Merk, Gernot Erler, Rainer Fornahl, Lilo Friedrich (Mettmann),
Hans-Joachim Hacker, Alfred Hartenbach, Rolf Hempelmann, Monika Heubaum,
Gerd Höfer, Lothar Ibrügger, Anette Kramme, Helga Kühn-Mengel,
Christine Lambrecht, Detlev von Larcher, Winfried Mante, Dirk Manzewski,
Markus Meckel, Dr. Jürgen Meyer (Ulm), Dietmar Nietan, Günter Oesinghaus,
Eckhard Ohl, Holger Ortel, Joachim Poß, Karin Rehbock-Zureich,
Margot von Renesse, Gudrun Roos, Michael Roth (Heringen), Dr. Hermann Scheer,
Dieter Schloten, Wilhelm Schmidt (Salzgitter), Ottmar Schreiner,
Richard Schuhmann (Delitzsch), Reinhard Schultz (Everswinkel),
Dr. R. Werner Schuster, Dr. Angelica Schwall-Düren, Erika Simm, Wieland Sorge,
Joachim Stünker, Hedi Wegener, Gert Weisskirchen (Wiesloch), Lydia Westrich,
Dr. Norbert Wieczorek, Dr. Wolfgang Wodarg, Dr. Peter Struck
und der Fraktion der SPD,
sowie der Abgeordneten Christian Sterzing, Ulrike Höfken, Claudia Roth
(Augsburg), Dr. Helmut Lippelt, Monika Knoche, Kerstin Müller (Köln),
Rezzo Schlauch und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN

Europäischer Rat in Feira – Europa entschlossen voranbringen

Der Bundestag wolle beschließen:

Die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union werden sich auf dem
Europäischen Rat in Feira am 19./20. Juni 2000 mit zentralen Fragen der Wei-
terentwicklung der europäischen Integration befassen. Dabei werden die Bera-
tungen über die institutionellen Reformen im Rahmen der Regierungskonfe-
renz einen zentralen Schwerpunkt bilden. Die Regierungskonferenz und die
Erweiterung der Europäischen Union stehen in einem engen inhaltlichen Zu-
sammenhang. Nur eine reformierte Europäische Union ist in der Lage, neue
Mitgliedstaaten aufzunehmen. Der Deutsche Bundestag bekräftigt erneut seine
Forderung, die Regierungskonferenz bis Ende dieses Jahres erfolgreich abzu-
schließen. Nur so kann die Europäische Union ihr Versprechen einhalten, ab
2003 für die Aufnahme neuer Mitglieder bereit zu sein.

Der Erweiterungsprozess stellt die Europäische Union vor große Herausforde-
rungen. Sie muss in diesem Jahr nicht nur die Regierungskonferenz erfolgreich
beenden, sondern auch Fortschritte bei der Vertiefung der europäischen Integra-
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tion erreichen und damit einen wichtigen Schritt auf dem Weg zu einer politi-
schen Union zurücklegen.

Der Deutsche Bundestag begrüßt, dass der deutsche Außenminister eine De-
batte über die langfristigen Perspektiven der europäischen Integration angesto-
ßen hat.

I. Regierungskonferenz

Ein erfolgreicher Abschluss der Regierungskonferenz erfordert dringend Fort-
schritte in jenen Bereichen, in denen auf dem Gipfel in Amsterdam 1997 keine
Einigung erzielt werden konnte. Die portugiesische Präsidentschaft hat dazu
einen spürbaren Beitrag geleistet, die Verhandlungen treten jedoch erst in der
französischen Präsidentschaft in die entscheidende Phase. Für die Verhandlun-
gen hält der Deutsche Bundestag folgende Ziele für besonders wichtig:



Die Beschlüsse, die im Ministerrat heute noch einstimmig gefasst werden
müssen, sollten grundsätzlich in die Abstimmung mit qualifizierter Mehrheit
überführt werden. Ausnahmen sollten künftig nur noch für Beschlüsse zuge-
lassen werden, die einer Ratifikation durch die Mitgliedstaaten unterliegen,
konstitutioneller Natur sind, die Sicherheits- und Verteidigungspolitik be-
treffen oder die einen Rückschritt für die europäische Integration bedeuten
würden. Beim Übergang zu Mehrheitsentscheidungen sind darüber hinaus
grundsätzlich auch differenzierte Lösungen denkbar. Der Deutsche Bundes-
tag hält den für diesen Teil der Verhandlungen von der Bundesregierung vor-
geschlagenen Ansatz des Ausnahme-Regelprinzips für erfolgversprechender
als die Einzelfallprüfung der in die Abstimmung mit qualifizierter Mehrheit
zu überführenden Vertragsbestimmungen.



Darüber hinaus muss das Europäische Parlament bei künftig allen legislati-
ven

Beschlüssen, die im Rat mit qualifizierter Mehrheit gefasst werden, im
Rahmen des Mitentscheidungsverfahrens beteiligt werden. Dies gebietet das
Demokratieprinzip und stärkt die Legitimation europäischer Politik.



Der Deutsche Bundestag hat Verständnis für den Wunsch gerade kleiner
Mitgliedstaaten, jeweils ein Mitglied für die Europäische Kommission vor-
schlagen zu können. Oberste Priorität muss aber dem Ziel zukommen, die
Arbeits- und Entscheidungsfähigkeit der Europäischen Kommission auch in
einer erweiterten Europäischen Union sicherzustellen. Der Deutsche Bun-
destag hält daher die Festlegung einer Obergrenze für die Anzahl der Kom-
missare für ein geeignetes Instrument, um dieses Ziel zu erreichen. In jedem
Fall muss sich aber die Regierungskonferenz auf Reformen für die innere
Struktur der EU-Kommission verständigen, um deren künftige Arbeits- und
Entscheidungsfähigkeit zu gewährleisten. Dazu gehört, die Stellung des
Kommissionspräsidenten sowie die politische Verantwortlichkeit und Re-
chenschaftspflicht der Mitglieder der Kommission zu stärken.



Durch die Aufnahme neuer Mitgliedstaaten haben sich in den vergangenen
Jahrzehnten die Stimmengewichte im Rat allmählich zuungunsten der be-
völkerungsreichen Mitgliedstaaten verschoben. Wenn die bisherige Stim-
mengewichtung weiter fortgeschrieben wird, würde mit dem Beitritt weite-
rer Länder dieses Ungleichgewicht noch zunehmen. Die Bevölkerungszahl
der Mitgliedstaaten muss aber auch in einer erweiterten Union bei der Ge-
wichtung der Stimmen im Rat angemessen berücksichtigt sein. Eine ange-
messene Berücksichtigung des unterschiedlichen Bevölkerungsumfangs der
Mitgliedstaaten im Rat kann sowohl mit einer Neugewichtung der Stimmen
wie auch durch die Einführung einer „doppelten Mehrheit“ erreicht werden.
In besonderem Interesse der Bundesrepublik Deutschland liegt dabei, dass
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die Verteilung der Stimmengewichte künftig den unterschiedlichen Bevöl-
kerungsumfang der Mitgliedstaaten besser widerspiegelt.



In diesem Zusammenhang begrüßt der Deutsche Bundestag Vorschläge, das
Proportionalitätsprinzip im Europäischen Parlament stärker zur Geltung zu
bringen, ohne deshalb die Obergrenze von 700 Mitgliedern dauerhaft in
Frage zu stellen.



Der Deutsche Bundestag ist sich bewusst, dass die Bundesländer spezifische
Anliegen mit der Regierungskonferenz verbinden. Er teilt die Auffassung
der Länder, dass im Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge grundsätzlich
Handlungsbedarf besteht. Ziel muss es dabei sein, die Vereinbarkeit der öf-
fentlichen Daseinsvorsorge mit dem europäischen Wettbewerbs- und Bei-
hilfenrecht langfristig sicherzustellen. Dazu hält der Deutsche Bundestag
zunächst eine Regelung unterhalb der Ebene einer Änderung der europäi-
schen Verträge für sinnvoll, z. B. durch eine Überarbeitung der Mitteilung
der Europäischen Kommission über ihre Anwendungspraxis der diesbezüg-
lichen Rechtsvorschriften.



Für viele Bundesländer ist auch die Kompetenzabgrenzung zwischen der
Europäischen Union und den Mitgliedstaaten eine Frage von besonderer eu-
ropapolitischer Bedeutung. Der Deutsche Bundestag hat zwar grundsätzlich
Verständnis für dieses Anliegen, lehnt aber eine Erweiterung des Mandats
der Regierungskonferenz um die Fragestellung ab, weil die Agenda der Re-
gierungskonferenz ansonsten überfrachtet und dadurch ein erfolgreicher Ab-
schluss der Regierungskonferenz auf dem Europäischen Rat in Nizza ge-
fährdet würde. Die Frage der Kompetenzabgrenzung sollte deshalb in die
Beschlussfassung des Europäischen Rates von Nizza als verbindlicher Ar-
beitsauftrag für die nächste Regierungskonferenz aufgenommen werden.



Die Bewältigung der in Amsterdam ungelösten institutionellen Fragen muss
im Mittelpunkt der laufenden Regierungskonferenz stehen. Unter der Vor-
aussetzung, dass der Abschluss der Regierungskonferenz auf dem Europäi-
schen Rat in Nizza nicht gefährdet wird, sollten in Feira weitere Themen im
Rahmen der Regierungskonferenz behandelt werden. Von besonderer Be-
deutung ist dabei die verstärkte Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten. Sie
kann ein Instrument sein, weitere Integrationsschritte zu erzielen, wenn im
Rahmen der üblichen Verfahren keine Fortschritte mit allen Mitgliedstaaten
erzielt werden können. Es muss künftig möglich sein, dass eine Gruppe von
Staaten weitere Integrationsschritte vollziehen kann, ohne durch das Veto
einzelner Mitgliedstaaten daran gehindert zu werden. Die verstärkte Zusam-
menarbeit muss jederzeit für alle Mitgliedstaaten offen sein. Sie darf aber
nicht zu einer Fragmentierung des gemeinsamen Besitzstandes im Binnen-
markt führen.

II. Erweiterungsverhandlungen

Mit einem erfolgreichen Abschluss der Regierungskonferenz in Nizza werden
die institutionellen Grundlagen für einen Beitritt neuer Mitgliedstaaten ab 2003
gelegt. Voraussetzung für die Erweiterung ist aber auch, dass die schwierigen
Themen der Beitrittsverhandlungen entschlossen in Angriff genommen und da-
bei Fortschritte erzielt werden. Auch die Beitrittskandidaten müssen weiterhin
ihren Beitrag für einen schnellen Abschluss der Beitrittsverhandlungen leisten.
Ohne Übergangsregelungen wird die Erweiterung nicht zu bewerkstelligen
sein. Die dadurch bedingten Anpassungslasten dürfen aber nicht allein den
Kandidatenländern aufgebürdet, sondern müssen solidarisch getragen werden.
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III. Grundrechtecharta

Die EU-Grundrechtecharta ist ein wichtiger Baustein für die Weiterentwicklung
der europäischen Integration. Der mit ihrer Ausarbeitung beauftragte Konvent
hat die erforderlichen Arbeiten energisch vorangetrieben. Sein Vorsitzender
wird in Feira über den Stand der Arbeit berichten. Der Deutsche Bundestag be-
grüßt im Grundsatz die bisher erzielten Ergebnisse und ermutigt die Bundesre-
gierung, sich auch im Rahmen der Regierungskonferenz für die Übernahme der
Grundrechtscharta in die europäischen Verträge auszusprechen.

IV. Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP)

Die Europäische Union muss sich im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und
Sicherheitspolitik (GASP) mit dem Krisenmanagement befassen und eine ge-
meinsame Handlungsperspektive entwickeln. Für eine „Kultur der Prävention“
ist die zivile Konfliktprävention von besonderer Bedeutung. Dem Gedanken
einer präventiven Friedenspolitik muss nicht nur institutionell, sondern auch
materiell Rechnung getragen werden. Im Rahmen der ESVP verfügt die Euro-
päische Union über die notwendigen Instrumente für eine sowohl militärische
wie auch zivile Komponenten umfassende Krisenbewältigung. Im Rahmen der
Petersberger Aufgaben kommt dem zivilen Krisenmanagement ein besonderer
Stellenwert zu. Der Deutsche Bundestag begrüßt daher insbesondere die Ein-
richtung eines Ausschusses für zivile Aspekte des Krisenmanagements.

V. Beitritt Griechenlands zur Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion

Der Deutsche Bundestag begrüßt, dass mit Griechenland ein weiteres Land an
der Währungsunion teilnehmen wird. Mit größten Anstrengungen hat Grie-
chenland in den vergangenen Jahren daran gearbeitet, alle im EG-Vertrag fest-
gelegten Kriterien zu erfüllen. Die Voraussetzungen für die Einführung der ein-
heitlichen Währung sind nun erfüllt. Der Deutsche Bundestag sieht sich damit
auch in seiner Haltung bestätigt, dass der Euro kein exklusiver Währungsraum
ist, sondern allen Mitgliedstaaten offen steht, die die in Maastricht vereinbarten
Kriterien erfüllen.

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

beim Europäischen Rat in Feira

1. mit Blick auf die Regierungskonferenz



mit gutem Beispiel voranzugehen und einen möglichst umfassenden
Übergang zur Abstimmung mit qualifizierter Mehrheit vorzuschlagen
und sich dabei vom Ausnahme-Regelprinzip leiten zu lassen;



darauf hinzuwirken, dass alle legislativen

Entscheidungen, die im Rat mit
qualifizierter Mehrheit getroffen werden, auch der Mitentscheidung
durch das Europäische Parlament unterliegen;



zur Reform der Europäischen Kommission nur Vorschläge zu unterstüt-
zen, die die Arbeits- und Entscheidungsfähigkeit der Europäischen Kom-
mission in einer erweiterten Union garantieren;



sich dafür einzusetzen, dass der Bevölkerungsumfang der Mitgliedstaa-
ten angemessen bei der Stimmengewichtung im Rat berücksichtigt wird;



im Rahmen der verstärkten Zusammenarbeit die Möglichkeit einer Ver-
tiefung der Integration nach der Erweiterung zu gewährleisten;

2. alle Bemühungen zu unterstützen, dass in den Erweiterungsverhandlungen
auch die schwierigen Kapitel zügig verhandelt werden;
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3. die Übernahme der Grundrechtecharta in die europäischen Verträge zu unter-
stützen;

4. sich im Rahmen der GASP für weitere Integrationsfortschritte einzusetzen
und dabei insbesondere der zivilen Krisenprävention einen hohen Stellen-
wert einzuräumen;

5. die Ergebnisse des entschlossenen Konvergenzkurses von Griechenland an-
zuerkennen und die Aufnahme in die Wirtschafts- und Währungsunion zu
unterstützen.

Berlin, den 7. Juni 2000

Günter Gloser
Hermann Bachmaier
Hans-Werner Bertl
Bernhard Brinkmann (Hildesheim)
Hans Büttner (Ingolstadt)
Marion Caspers-Merk
Gernot Erler
Rainer Fornahl
Lilo Friedrich (Mettmann)
Hans-Joachim Hacker
Alfred Hartenbach
Rolf Hempelmann
Monika Heubaum
Gerd Höfer
Lothar Ibrügger
Anette Kramme
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Detlev von Larcher
Winfried Mante
Dirk Manzewski
Markus Meckel
Dr. Jürgen Meyer (Ulm)
Dietmar Nietan
Günter Oesinghaus

Eckhard Ohl
Holger Ortel
Joachim Poß
Karin Rehbock-Zureich
Margot von Renesse
Gudrun Roos
Michael Roth (Heringen)
Dr. Hermann Scheer
Dieter Schloten
Wilhelm Schmidt (Salzgitter)
Ottmar Schreiner
Richard Schuhmann (Delitzsch)
Reinhard Schultz (Everswinkel)
Dr. R. Werner Schuster
Dr. Angelica Schwall-Düren
Erika Simm
Wieland Sorge
Joachim Stünker
Hedi Wegener
Gert Weisskirchen (Wiesloch)
Lydia Westrich
Dr. Norbert Wieczorek
Dr. Wolfgang Wodarg
Dr. Peter Struck
und der Fraktion der SPD

sowie der Abgeordneten Christian Sterzing
Ulrike Höfken
Claudia Roth (Augsburg)
Dr. Helmut Lippelt

Monika Knoche
Kerstin Müller (Köln)
Rezzo Schlauch und der
Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN

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