BT-Drucksache 14/1334

"Jahr-2000-Problem" in der Informationstechnik ernst nehmen

Vom 29. Juni 1999


Deutscher Bundestag Drucksache 14/1334
14. Wahlperiode
29. 06. 99
Antrag
derAbgeordneten Gunnar Uldall, Dr. Bernd Protzner, Karl-Heinz Scherhag, Wolfgang Börnsen (Bönstrup), Hansjürgen Doss, Erich G. Fritz, Ulrich Klinkert, Elmar Müller(Kirchheim), Friedhelm Ost, Dr. Heinz Riesenhuber, Hartmut Schauerte, Max Straubinger, Matthias Wissmann, DagmarWöhrl, Günter Baumann, Meinrad Belle, Dr. Joseph-Theodor Blank, Sylvia Bonitz, Wolfgang Bosbach, Hartmut Büttner (Schönebeck), Martin Hohmann, Hartmut Koschyk, Erwin Marschewski, Beatrix Philipp, Dr. Klaus Rose, Dietmar Schlee, Dr. Hans-Peter Uhl, Hans-Otto Wilhelm (Mainz), Wolfgang Zeitlmann und der Fraktion der CDU/CSU
„Jahr-2000-Problem" in der Informationstechnik ernst nehmen
Der Bundestag wolle beschließen:
I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Am Ende dieses Jahrhunderts stehen Gewerbebetriebe, öffentliche Verwaltungen und nahezu jeder Bürger vor dem Problem, daß viele Systeme der Informationstechnik (IT) nicht in der Lage sind, mit Daten nach dem 31. Dezember 1999 korrekt zu rechnen. Das „Jahr-2000-Problem" (kurz: Y2K) oder der „millennium bug" („Jahrtausendfehler") besteht darin, daß die meisten derzeit in Betrieb befindlichen Computersysteme nur mit zweistelligen Datumsfeldern für die Jahresangabe arbeiten. Ohne eine Umprogrammierung werden viele bestehende Systeme „00" nicht als „2000" erkennen. Wenn die Änderung der Jahrhundertangabe nicht erkannt wird, kann es zu Systemfehlern, zur Korrumpierung von Daten oder zum Abbruch von Rechenoperationen kommen.
Gleichzeitig stellen sich zwei weitere Herausforderungen im Bereich der IT: der Übergang zur einheitlichen europäischen Währung und die Schaffung der Infrastruktur für elektronischen Geschäftsverkehr. Zusammengenommen bedeutet die gleichzeitige Durchführung dreier Vorhaben von solcher Tragweite eine bespiellose Herausforderung für den IT-Sektor, ein wichtiges geschäftliches Thema für Unternehmen jeder Größe in allen Sektoren und eine Herausforderung für die öffentliche Verwaltung.
Das „Jahr-2000-Problem" beschäftigt die Öffentlichkeit in zunehmendem Maße. Nicht nur, weil auf allen Ebenen von Wirtschaft, Verwaltung und Gesellschaft ernsthaft an dem Problem selbst gearbeitet wird, wobei der günstige Ausgang der Bemühungen in vielerlei Hinsicht auch nach Expertenauffassung noch ungewiß ist. Angesichts der schwachen politischen Führung ist es nicht verwunderlich, daß sich in der Öffentlichkeit immer mehr der Eindruck verfestigt, Deutschland könne das Problem nicht bewältigen.
Auch der „Fortschrittsbericht der Bundesregierung" vom April 1999 trägt nicht dazu bei, die Bevölkerung und das interessierte Ausland zu beruhigen, daß Deutschland „seine Hausaufgaben machen" wird. Im Gegenteil: schon der Blick auf den US-Bericht des „President's council on Year 2000 conversion - 2nd summany of Assessment Information" vom 21. April 1999 läßt erkennen, daß zumindest in 17 Einzelpunkten der deutsche Bericht entweder keinerlei oder nur marginale Feststellungen trifft. Dies fängt an bei möglichen Gefahren, die von Sicherheitsmängeln bei Nuklearanlagen in Osteuropa ausgehen können, und geht bis hin zu den Auswirkungen auf die Güterund Dienstleistungsversorgung aus nicht Y2K-vorbereiteten Ländern der Dritten Welt auf unsere Wirtschaft. Der deutsche Bericht spiegelt weder den tatsächlichen Vorbereitungsstand des Landes in seinen Einzelsektoren adäquat wider, noch diskutiert er befriedigend die noch ungelösten Y2K-Probleme, die sich beispielsweise aus dem starken Abhängigkeitsgeflecht Deutschlands in der international globalisierten Wirtschaft ergeben könnten.
So werden z. B. die Risiken in chemieindustriellen Produktionskomplexen im Bericht in knapp 10 Zeilen abgehandelt, die in dem Satz gipfeln: „Spezielle, auf die Chemiebranche beschränkte Problemlagen bestehen nicht." Vor dem Hintergrund dessen, daß in der Y2K-Debatte der USA dort inzwischen freimütig über die hohen Y2K-Gefahrenpotentiale in der Chemieindustrie debattiert wird, zeigt diese Einschätzung der Bundesregierung ein hohes Maß an Ignoranz gegenüber den akuten Gefahrenlagen.
Leben, Gesundheit und Versorgungssicherheit der Menschen sind wichtige Güter, die gewährleistet sein müssen. Wenn die Menschen den Eindruck gewinnen, daß Gefahren bestehen, denen nicht entschlossen begegnet wird, dann ist nicht auszuschließen, daß dies bei Näherrücken des Jahrtausendwechsels in der Bevölkerung zu Panikreaktionen führt. Dagegen hilft nur umfassende und frühzeitige Aufklärung und Diskussion, die auch und gerade im Deutschen Bundestag geführt werden sollte.
II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
1. dem Deutschen Bundestag bis zum Oktober 1999 einen umfassenden Bericht zu den bislang ergriffenen Maßnahmen und noch bis Jahresende geplanten Aktivitäten der Bundesregierung vorzulegen. Dabei ist insbesondere und im einzelnen quantifiziert auf nachstehende, im „Fortschrittsbericht der Bundesregierung zum Jahr-2000-Problem" vom April 1999 nur andeutungsweise oder ungenügend benannten Problemfelder einzugehen, und zwar unter detaillierter Darlegung
- des jeweiligen Y2K-Vorbereitungsstandes,
- der feststellbaren Defizite,
- der möglichen Gefahrenpotentiale im Versagensfalle sowie
- der jeweils geplanten Notfallmaßnahmen.
Es sind dabei auch Angaben über jene Aufgabenbereiche zu machen, die originär in die Zuständigkeit der Bundesländer fallen.
Es handelt sich um die Bereiche
- Post, Fernmeldewesen, Internetdienstleistungen,
- Rundfunk, TV, Kabel, Satelliten,
- öffentliche Sicherheit und Ordnung, Notrufsysteme,
- Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung,
- Sicherheitslage in besonders sensiblen Einrichtungen wie Kernkraftwerken, Forschungsreaktoren und in der Chemieindustrie einschließlich der Gefahren, die von möglichen Störfällen im Ausland ausgehen könnten,
- detaillierte Flughafen-, Hafen- und Flugsicherheitsanalyse,
- Energieversorgung,
- Trinkwasser, Klärwerke,
- Gesundheitswesen: Vorbereitungsstand der Krankenhäuser, Phar-mabereich/Medizinprodukte (Problem möglicher Versorgungsengpässe, u. a. durch Ausbleiben von ausländischen Rohstoffen),
- Nahrungsmittelindustrie, Agrarindustrie, Landwirtschaft (u. a. Problem möglicher Versorgungsengpässe, z. B. durch Ausbleiben von ausländischen Importen),
- Unterrichtswesen, Schulen, Universitäten,
- Einzeldarstellung des Fortschritts bzw. des Vorbereitungsstandes aller Bundesbehörden und -ministerien einschließlich Bundeswehr,
- Übersicht über den Vorbereitungsstand in Städten und Gemeinden,
- Notfallplanungsstand des Bundes und der einzelnen Bundesländer.
Wenn im Bericht aufSelbstauskünfte der vorgenannten Bereiche zurückgegriffen wird, sind sie jeweils als solche kenntlich zu machen.
2. den Nachweis der Vorsorge neuralgischer Punkte der Wirtschaft zu verlangen, die zur Sicherstellung der Grundversorgung in Deutschland notwendig sind (z. B. Güterumschlagplätze, kommunale Versorger, Luft-, Bahn- und Schiffstransport, Energie, Gesundheitsversorgung, soziale Dienstleistungen).
3. in den Medien flächendeckend in Erscheinung zu treten, um die notwendige Aufmerksamkeit in Wirtschaft, Gesellschaft und Kommunen zu erwirken. Die überwiegend bereits von der vorherigen Bundesregierung eingerichteten Instrumente zur Informationsversorgung von Wirtschaft, Verwaltung und Bevölkerung sind angesichts des näherrückenden Jahreswechsels auffällig und dauerhaft in den Medien zu bewerben.
4. umgehend einen hochrangigen Jahr-2000-Verantwortlichen der Bundesregierung zu benennen, der unter Rückgriff auf bereits vorhandene Strukturen einen zentralen Informations- und Koordinierungsstab bildet, diesem vorsteht und alle diesbezüglichen Aktivitäten und Daten bei Bundesregierung und Bundesbehörden, bei Ländern, Gemeinden und in der privaten Wirtschaft registriert, in Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Zivilschutz, dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnologie (BSI) und den zuständigen Länderbehörden Maßnahmen der nationalen und der individuellen Notfallplanung koordiniert, diese mit der Öffentlichkeit einschließlich der privaten Wirtschaft kommuniziert und dabei die unter Punkt 3 genannten Aufgaben initiiert, berät und überwacht.
Bonn, den 29. Juni 1999
Gunnar Uldall Dr. Bernd Protzner Karl-Heinz Scherhag Wolfgang Börnsen (Bönstrup)
Hansjürgen Doss
Erich G. Fritz
Ulrich Klinkert
Elmar Müller (Kirchheim)
Friedhelm Ost
Dr. Heinz Riesenhuber
Hartmut Schauerte
Max Straubinger
Matthias Wissmann
Dagmar Wöhrl
Günter Baumann
Meinrad Belle
Dr. Joseph-Theodor Blank
Sylvia Bonitz
Wolfgang Bosbach
Hartmut Büttner (Schönebeck) Martin Hohmann Hartmut Koschyk Erwin Marschewski Beatrix Philipp Dr. Klaus Rose Dietmar Schlee Dr. Hans-Peter Uhl Hans-Otto Wilhelm (Mainz) Wolfgang Zeitlmann
Dr. Wolfgang Schäuble, Michael Glos und Fraktion

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