Bundessozialgericht, Beschluss vom 12.07.2012, Az. B 14 AS 157/11 B

14. Senat | REWIS RS 2012, 4748

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Gegenstand

Revision - Verfahrensmangel - Gehörsverletzung - Wiederaufnahmeantrag - Verwerfung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung - fehlende schriftliche Anhörung


Tenor

Der Antrag des [X.] auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Beschwerdefrist gegen den Beschluss des [X.] vom 12. April 2011 wird abgelehnt.

Die Beschwerde des [X.] gegen den Beschluss des [X.] vom 12. April 2011 wird als unzulässig verworfen.

Dem Kläger wird wegen der Versäumung der Beschwerdefrist gegen den Beschluss des [X.] vom 16. Mai 2011 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.

Auf die Beschwerde des [X.] wird der Beschluss des [X.] vom 16. Mai 2011 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

Gründe

1

I. Zwischen den Beteiligten ist in der Sache die Aufforderung des [X.] zur Mitwirkung durch den Beklagten streitig. Die Klage zum Sozialgericht ([X.]) [X.] hat das [X.] als unzulässig abgewiesen (Urteil des [X.] vom [X.]). Ein gegen dieses Urteil gerichtetes, innerhalb der Berufungsfrist [X.], als "Wiederaufnahme" bezeichnetes Schreiben vom 29.10.2010 hat das [X.] (L[X.]) [X.] als Berufung angesehen. Nach Anhörung der Beteiligten hat es die Berufung mit Beschluss vom [X.] zurückgewiesen und mit Beschluss vom selben Tag einen für dieses Verfahren gestellten Prozesskostenhilfeantrag zurückgewiesen.

2

Gegen beide Beschlüsse, die dem Kläger am 13.4.2011 zugestellt worden sind, hat er sich mit einem an das L[X.] gerichteten Schreiben vom 15.4.2011 gewandt, das erneut als "Wiederaufnahme" des Verfahrens wegen grober Verfahrensfehler bezeichnet ist. Das L[X.] hat das in diesem Schreiben enthaltene Ablehnungsgesuch gegen einen der beteiligten [X.] zurückgewiesen (Beschluss vom [X.]), ein weiteres Schreiben des [X.] vom 8.5.2011 unbeantwortet gelassen und sodann den Antrag auf Wiederaufnahme des Berufungsverfahrens mit Beschluss vom 16.5.2011 als unzulässig abgelehnt. Mit Schreiben vom 17.5.2011 (Eingang beim L[X.] am 18.5.2011) hat sich der Kläger gegen den Beschluss vom [X.] gewandt und einen Antrag auf Prozesskostenhilfe (PKH) gestellt. Am selben Tag hat der Vorsitzende die Zustellung des Beschlusses verfügt.

3

Hiergegen hat sich der Kläger privatschriftlich mit seiner "Beschwerde" an das [X.] (B[X.]) gewandt und zugleich einen Antrag auf PKH gestellt. Nach Bewilligung von PKH und Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten hat er Beschwerden gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss vom [X.] und im Beschluss vom 16.5.2011 eingelegt und einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand wegen der Versäumung der Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde und deren Begründung bezüglich beider Beschlüsse gestellt. Sowohl der Beschluss vom 16.5.2011 als auch der Beschluss vom [X.] beruhten auf Verfahrensmängeln.

4

II. 1. Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss vom [X.] ist un-zulässig. Sie ist nicht innerhalb der gesetzlich vorgesehenen Frist von einem Monat nach Zu-stellung des Beschlusses (am 13.4.2011) wirksam eingelegt worden. Dem Kläger konnte insoweit keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden.

5

Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Versäumung der Frist für die Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde gegen den Beschluss vom [X.] scheidet aus. Der Kläger war, selbst wenn er die Kosten für seine Prozessvertretung vor dem B[X.] nicht aufbringen konnte, nicht aus diesem Grund gehindert, die Beschwerde - durch einen zugelassenen Prozessbevollmächtigten wirksam vertreten - rechtzeitig einzulegen, weil er nicht innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Beschlusses unter Vorlage der erforderlichen Belege beim B[X.] für ein Beschwerdeverfahren PKH beantragt hat.

6

Sein Schreiben vom 15.4.2011 war nicht als privatschriftlich erhobene Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss vom [X.] anzusehen, sodass unerheblich ist, ob das L[X.] dieses Schreiben innerhalb der Frist an das B[X.] hätte weiterleiten müssen und ob der Kläger ggf nach nochmaliger Belehrung einen [X.] für eine solche Beschwerde innerhalb der Frist hätte nachreichen können. Das Schreiben ist nicht allein deshalb als Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision auszulegen, weil der Kläger sämtliche Schriftsätze nach Erlass des erstinstanzlichen Urteils mit dem Betreff "Wiederaufnahme der Verfahren" überschrieben hat. Aus dem an das L[X.] gerichteten Schreiben vom 15.4.2011 geht nicht mit ausreichender Deutlichkeit hervor, dass der Kläger zu diesem Zeitpunkt eine Befassung der Sache durch das B[X.] anstrebte. Insbesondere seinen Ablehnungsantrag wollte er ausdrücklich durch das L[X.] beschieden wissen. Dies wiederum ergibt sich aus dem Schreiben vom 17.5.2011, in dem er ausführt, in diesem Verfahren gehe "es um die Ablehnung des [X.]s. Erst danach gibt es Verfahren zur Wiederaufnahme".

7

Im Übrigen hat er auf die Belehrung im Beschluss vom 16.5.2011 hin, die mit der Belehrung im Beschluss vom [X.] identisch ist, am 8.6.2011 unmittelbar beim B[X.] einen (vollständigen) Antrag auf PKH eingereicht. Er hat so - wenn auch unter erneuter Verwendung des Betreffs "Wiederaufnahme" - zum Ausdruck gebracht, dass er nunmehr eine Überprüfung durch das B[X.] anstrebte. Es kann damit nicht davon ausgegangen werden, dass er trotz der zutreffenden Rechtsmittelbelehrung im Beschluss vom [X.] ohne Verschulden nicht in der Lage war, sich innerhalb der Frist auch insoweit an das B[X.] zu wenden.

8

2. Dem Kläger ist gemäß § 67 Sozialgerichtsgesetz ([X.]G) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Versäumung der Frist für die Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde gegen den Beschluss vom 16.5.2011 zu gewähren, weil er ohne Verschulden gehindert war, die Frist einzuhalten. Vor der Bewilligung von PKH durch den Senat auf seinen (insoweit fristgerechten) Antrag vom 8.6.2011 hin war er ohne Verschulden daran gehindert, die Beschwerde rechtzeitig einzulegen, weil er die Kosten für seine Prozessvertretung vor dem B[X.] nicht aufbringen konnte.

9

Auf die zulässige Beschwerde des [X.] war gemäß § 160a Abs 5 [X.]G der angefochtene Beschluss des L[X.] aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückzuverweisen. Der Kläger hat zu Recht gerügt, das L[X.] habe § 62 [X.]G iVm § 158 [X.]G verletzt, weil es nicht ohne Anberaumung einer mündlichen Verhandlung über den Antrag des [X.] hätte entscheiden dürfen.

Es kann dahinstehen, ob das L[X.] über den als [X.] iS des § 179 [X.]G verstandenen klägerischen Antrag mit Beschluss entsprechend § 158 [X.]G und also ohne vorherige mündliche Verhandlung entscheiden durfte. Das B[X.] hat diese Frage in seiner bisherigen Rechtsprechung abschließend nicht entschieden, wobei der [X.] dazu neigt, diese Vorgehensweise als unzulässig anzusehen, weil es sich bei der [X.] um ein Klage- und kein Berufungsverfahren handele (Beschluss vom [X.] - [X.] [X.] 26/02 R - juris RdNr 22; ebenso [X.] in [X.]/Fichte, [X.]G, 1. Aufl 2009, § 158 RdNr 5). Demgegenüber neigt der 9. Senat der Auffassung zu, dass wegen der Verweisung in § 179 Abs 1 [X.]G auf die Vorschriften des [X.] der Zivilprozessordnung (ZPO) und dabei insbesondere auf § 585 ZPO für das weitere Verfahren grundsätzlich die allgemeinen Vorschriften (und damit auch § 158 [X.]G) entsprechend gelten (Beschluss vom 24.4.2008 - B 9 S[X.]8/07 B - [X.] 4-1500 § 158 [X.] RdNr 6; vgl auch [X.] in [X.]/[X.]/[X.], [X.]G, 10. Aufl 2012, § 158 RdNr 6a; Meßling in [X.], [X.]G, Stand April 2012, § 158 RdNr 7). Auch im vorliegenden Fall kommt es auf eine abschließende Entscheidung zu dieser Rechtsfrage nicht an.

Ein Verstoß gegen § 62 [X.]G liegt schon aus anderen Gründen vor. Soweit der Kläger in seiner Beschwerdebegründung die Verletzung des § 62 [X.]G iVm § 158 [X.]G rügt, weil das L[X.] keine mündliche Verhandlung anberaumt und so sein Recht auf Gehör in einer mündlichen Verhandlung verletzt habe, hat er damit zugleich alle wesentlichen Umstände schlüssig vorgetragen, welche die Verletzung der Pflicht des L[X.] zur Anhörung der Beteiligten vor einer Entscheidung durch Beschluss nach § 158 [X.]G im schriftlichen Wege begründen. Mit dem Vortrag, ihm sei vom L[X.] die Möglichkeit genommen worden, sich vor einer Entscheidung in einer mündlichen Verhandlung zu den entscheidungserheblichen Tatsachen zu äußern, rügt er zugleich, dass ihm auch schriftlich das beabsichtigte Vorgehen durch das L[X.] nicht angekündigt und damit die Möglichkeit zur Äußerung genommen worden ist.

Der von ihm geltend gemachte Gehörsverstoß besteht damit unabhängig davon, ob rechtliches Gehör in mündlicher Verhandlung oder schriftlich hätte gewährt werden müssen. Der Senat hat sich der bereits zitierten Rechtsprechung des 9. Senats (aaO Rd[X.]0) angeschlossen, wonach vor einer Verwerfung nach § 158 [X.]G durch Beschluss das L[X.] die Beteiligten zu hören hat. Anderenfalls verletzt es seine Pflicht aus § 62 [X.]G und darf nicht ohne mündliche Verhandlung entscheiden. Dies hat zugleich die unvorschriftsmäßige Besetzung des Berufungsgerichts nur mit den Berufsrichtern und damit das Vorliegen eines absoluten Revisionsgrundes gemäß § 202 [X.]G iVm § 547 [X.] ZPO zur Folge (vgl Beschluss des Senats vom [X.] - B 14 [X.]/08 B - juris Rd[X.]1). Es sind keine Gesichtspunkte erkennbar, die - eine entsprechende Anwendbarkeit des § 158 [X.]G im Bereich eines Verfahrens nach § 179 [X.]G unterstellt - insoweit eine abweichende Entscheidung rechtfertigen.

Das L[X.] wird nach Wiedereröffnung des [X.] auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.

Meta

B 14 AS 157/11 B

12.07.2012

Bundessozialgericht 14. Senat

Beschluss

Sachgebiet: AS

vorgehend SG Heilbronn, 30. September 2010, Az: S 7 AS 1319/10, Urteil

§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 62 SGG, § 158 SGG, § 179 SGG, § 202 SGG, § 547 Nr 1 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 12.07.2012, Az. B 14 AS 157/11 B (REWIS RS 2012, 4748)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 4748

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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