Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 11.10.2012, Az. V ZB 232/11

V. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 2385

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V ZB 232/11

vom

11. Oktober 2012

in der Abschiebungshaftsache

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Der V.
Zivilsenat des [X.] hat am
11. Oktober
2012 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann
und die Richter [X.], Prof.
Dr.
Schmidt-Räntsch, [X.] und Dr. Kazele

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 8. Zivilkammer des [X.] vom 21.
September
2011 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als für den [X.]raum vom 17. Juni 2011 an zum Nachteil des [X.] entschieden worden ist.
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird festgestellt, dass der Beschluss des [X.] vom 6. April 2011, soweit die Haft zur Sicherung der Abschiebung über den 16. Juni 2011 hinaus angedauert hat, und der Beschluss des Amtsgerichts Bin-gen vom 29. Juni 2011 über die weitere Verlängerung der [X.] den Betroffenen in seinen Rechten verletzt haben.
Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen im Beschwerdeverfahren werden zu 45 vom [X.] und diejenigen im Rechtsbeschwerdeverfahren in vollem [X.] der [X.] auferlegt. Im Übrigen findet eine [X.] nicht statt.
Der Gegenstandswert des [X.] beträgt

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Gründe:

I.
Der Betroffene, ein [X.] Staatsbürger, reiste im November 2010 mit dem Zug in das [X.] ein, ohne im Besitz eines Passes, eines Visums oder eines Aufenthaltstitels zu sein. Er wurde festgenommen und [X.] sich in der [X.] vom 16. November bis zum 21. Dezember 2010 in [X.]. Einen aus der Haft gestellten Asylantrag, in dem der Betroffene angab, algerischer Staatsbürger zu sein, lehnte das [X.] als offensichtlich unbegründet ab.
Der zwischenzeitlich freigelassene Betroffene wurde im Februar 2011 erneut festgenommen. Auf Antrag der
Beteiligten zu 2 (Ausländerbehörde) hat das [X.] Abschiebungshaft bis zum 9. April 2011 angeordnet. Nach Abgabe der Sache an das zuständige [X.] hat dieses mit Beschluss vom 6. April 2011 die Abschiebungshaft bis zum 9. Juli 2011 verlän-gert.
Ein Antrag des Betroffenen vom 17. Juni 2011, den Beschluss über die Haftverlängerung aufzuheben, ist nicht beschieden worden. Auf Antrag der [X.] zu 2 hat das Amtsgericht am 29. Juni 2011 eine zweite Verlängerung der Abschiebungshaft bis zum 9. Oktober 2011 beschlossen. In dem Anhö-rungstermin hatte der Betroffene angegeben, dass seine bisherigen Angaben zu seinem Namen, seiner Herkunft und seiner Nationalität ([X.]) falsch ge-wesen seien; er sei vielmehr [X.] und wolle jetzt in seine Heimat [X.].
Nach Ausstellung eines Passersatzpapieres durch das Generalkonsulat des [X.] ist der Betroffene am 28. Juli 2011 abgeschoben 1
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worden. Seine sofortige Beschwerde gegen die erneute Verlängerung der Haft hat er
mit dem Antrag aufrechterhalten, festzustellen, dass er durch die [X.] vom 6. April und vom 29. Juni 2011 in seinen Rechten verletzt worden ist.
Das [X.] hat die sofortige Beschwerde teils als unzulässig [X.], teils als unbegründet zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde will der Betroffene die Feststellung erreichen, dass er -
soweit es den [X.]raum nach Eingang des
[X.]
betrifft
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durch die Beschlüsse über die erste und die zweite Haftverlängerung in seinen Rechten verletzt worden ist.
II.
Das Beschwerdegericht meint, dass der die erste Verlängerung der [X.] betreffende Feststellungsantrag nach § 62 Abs. 1 FamFG unzu-lässig sei, weil der Betroffene diesen Beschluss nicht innerhalb der [X.] mit der sofortigen Beschwerde angefochten, sondern lediglich nach [X.] der Beschwerdefrist eine Haftaufhebung nach §
426 Abs. 2 FamFG [X.] habe. Der die zweite Verlängerung der Haft betreffende Feststellungsan-trag sei zwar zulässig, aber unbegründet. Daran ändere es nichts, dass der vo-rangegangene Beschluss nicht hätte ergehen dürfen, falls der Haftantrag dem Betroffenen nicht ausgehändigt worden und das rechtliche Gehör damit nicht gewahrt gewesen sein sollte. Die Verlängerung der Abschiebungshaft gründe sich allein auf das Vorliegen von [X.] zur
[X.] der Verlängerungsent-scheidung und setze die Rechtmäßigkeit der vorangegangenen Haftanordnung nicht voraus.
III.
Die gemäß §
70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz
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FamFG
i.[X.]. mit dem Fest-stellungsantrag nach § 62 FamFG statthafte (Senat, Beschluss vom 5
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25.
Februar 2010 -
V
ZB
172/09, [X.] 210, 150, 151 Rn. 9 f.)
und
auch im Übrigen zulässige (§ 71 FamFG) Rechtsbeschwerde ist begründet.
1. Das Rechtsmittel hat zum einen Erfolg,
soweit es gegen den [X.] vom 6. April 2011
gerichtet ist.
a) Das Beschwerdegericht hat den Feststellungsantrag nach § 62
FamFG zu Unrecht als insgesamt unzulässig verworfen.
aa) Richtig ist allerdings, dass dem Feststellungsantrag nicht bereits für die [X.] von dem Wirksamwerden der Haftverlängerung an (10. April 2010) [X.] werden konnte, weil der Betroffene eine Beschwerde gegen diesen Beschluss nicht eingelegt hatte und die Entscheidung damit rechtskräftig ge-worden war. Allein das rechtliche Interesse des Betroffenen an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Entscheidung erlaubt nicht die Stellung eines [X.] losgelöst von dem jeweiligen Rechtsschutzsystem, sofern es dem Betroffenen
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wie hier
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zumutbar und möglich war, eine von der [X.] bereitgestellte Rechtsschutzmöglichkeit zu ergreifen
(vgl. Senat, [X.] vom 20. Januar
2011 -
V [X.], [X.] 2011, 143, 144 Rn. 8 und vom 28. April 2011 -
V [X.], [X.] 2011, 200, 201 Rn. 15).
bb) Anders ist es jedoch für die [X.] vom Eingang eines Antrags auf Haftaufhebung gemäß
§ 426 Satz 1 FamFG an bei dem Gericht, da sich dieser nicht nur auf neue Umstände, sondern auch auf Einwände gegen die Anord-nung der Haft stützen kann (vgl. Senat, Beschlüsse vom 28. April 2011 -
V [X.], [X.] 2011, 200, 201 Rn. 17 und vom 26. Mai 2011 -
V [X.], Rn. 16, juris). Hat sich der Antrag auf Haftaufhebung danach (hier durch den Ablauf des [X.]raums, für den die Haftverlängerung angeordnet worden war) erledigt, so kann das Verfahren in der Beschwerdeinstanz mit dem Antrag fort-gesetzt werden, die Rechtsverletzung des Betroffenen festzustellen (Senat, Be-8
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schlüsse vom 28. April 2011 -
V [X.], [X.] 2011, 200, 201 Rn. 18, vom 26. Mai 2011 -
V [X.], Rn. 16, juris und vom 15. Dezember 2011 -
V
ZB 302/10, Rn 12, juris).
b) Der Feststellungsantrag vom 6.
April 2011 ist begründet.
Der [X.]
hat
den Betroffenen ab dem Eingang des [X.] bei dem Amtsgericht am 17. Juni 2011
in seinen Rechten verletzt.
aa) Der Betroffene rügt zu Recht eine Verletzung des Verfahrensgrund-rechts auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG), weil der Antrag der [X.] zu 2 auf Haftverlängerung ihm nicht vor seiner Anhörung ausgehändigt worden ist. Der Betroffene kann sich zur Begründung seines Vorbringens [X.] stützen, dass sich aus den Gerichtsakten für eine Aushändigung des [X.] an ihn nichts ergibt und in dem Protokoll über die Anhörung durch das Amtsgericht lediglich die Bekanntgabe des Antrags der Beteiligten zu 2 vermerkt worden ist.
bb) Die mündliche Bekanntgabe des Inhalts des [X.] genügt den Anforderungen
für eine ordnungsgemäße Gewährung rechtlichen Gehörs nicht. Zwar kann der Haftantrag dem Betroffenen bei einfachen, überschaubaren Sa-chen erst unmittelbar vor dessen Anhörung eröffnet werden (vgl. Senat, [X.] vom 4. März 2010 -
V [X.], [X.] 184,
323, 330 Rn. 16). [X.] ist aber auch in diesen Fällen stets, dass ein schriftlicher Haftantrag der Behörde dem Betroffenen vor seiner Anhörung in vollständiger Abschrift ausge-händigt wird (vgl. Senat, Beschlüsse vom 21. Juli 2011 -
V [X.], [X.] 2011, 257, 258 Rn. 8 und vom 14. Juni 2012 -
V [X.], Rn. 9, juris). [X.] kann nämlich nicht ausgeschlossen werden, dass der Betroffene nicht in der Lage war, zu sämtlichen Angaben der Behörde Stellung zu nehmen (vgl. Senat, Beschlüsse vom 21.
Juli 2011 -
V [X.], aaO und vom 14. Juni 2012 -
V [X.], Rn. 9 aaO). Das hat zur Folge, dass in dem Rechtsbe-12
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schwerdeverfahren von einer Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG ausgegangen werden muss.
2. Ebenfalls Erfolg hat die Rechtsbeschwerde, soweit sie gegen den [X.] des Amtsgerichts vom 29. Juni 2011 über eine weitere Verlängerung der Abschiebungshaft gerichtet ist.
Den nach der Abschiebung von dem Be-troffenen gestellten Feststellungsantrag hat das Beschwerdegericht zu Unrecht als unbegründet angesehen.
Die
zweite Anordnung über die Haftverlängerung leidet an demselben Mangel wie die erste, weil dem Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen mit der Ladung zum Termin nicht die in dem Haftverlängerungsantrag in Bezug ge-nommenen früheren [X.] üb[X.]telt worden
sind.
Das ist entgegen der Ansicht des [X.] nicht unerheblich. Der Antrag auf eine Haftverlängerung ist nach § 425 Abs. 3 FamFG in gleicher Weise zu begründen wie der erste Haftantrag (Senat, Beschluss vom 28.
April 2011 -
V [X.], Rn. 12, juris). Dabei kann die Behörde zwar zur Vermei-dung von Wiederholungen -
wie es die Beteiligte zu 2 getan hat -
in dem Antrag auf Haftverlängerung wegen der nach § 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 FamFG von ihr [X.] Tatsachen auf ihre Angaben in dem Haftantrag Bezug nehmen, wenn sich an diesen Umständen nichts geändert hat (vgl. Senat, Beschluss vom 14. Juli 2011 -
V [X.], Rn. 9, juris). Der frühere Antrag muss dem Be-troffenen dann aber auch üb[X.]telt worden sein, woran es hier jedoch fehlt.
Enthält der Haftverlängerungsantrag eine Bezugnahme auf die Begrün-dung des [X.], so ist -

wenn dieser dem Betroffenen nicht ausgehändigt wurde -
die Entscheidung über die Haftverlängerung (ebenfalls) ohne eine ord-nungsgemäße Anhörung des Betroffenen (§ 420 Abs. 1 Satz 1 FamG) ergan-gen. Für diese ist es erforderlich, dass der Betroffene vor ihrem Beginn alle 15
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schriftlichen Anträge und Stellungnahmen der Behörde in Abschrift erhalten hat, damit er in diese einsehen und die von der Behörde für seine Inhaftierung vor-gebrachten Gründe -
gegebenenfalls unter Hinzuziehung eines Rechtsanwalts
-
in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht überprüfen kann (Senat, Beschluss vom 14. Juni 2012 -
V [X.], Rn.
9).
3. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird nach § 74 Abs.
7 FamFG abgesehen.
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IV.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 81 Abs. 1, § 83 Abs. 2, § 430
FamFG, §
128c Abs. 3 Satz 2 [X.], Art. 5 EMRK.

Stresemann
Lemke
Schmidt-Räntsch

Czub
Kazele

Vorinstanzen:
[X.], Entscheidungen
vom 06.04.2011 und 29.06.2011

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110 [X.] B -

LG Mainz, Entscheidung vom 21.09.2011 -
8 [X.]/11 -

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Meta

V ZB 232/11

11.10.2012

Bundesgerichtshof V. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 11.10.2012, Az. V ZB 232/11 (REWIS RS 2012, 2385)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 2385

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