Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 15.12.2011, Az. V ZB 302/10

V. Zivilsenat | REWIS RS 2011, 348

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V ZB 302/10

vom

15. Dezember 2011

in der Abschiebungshaftsache

-
2 -

Der V.
Zivilsenat des [X.] hat am 15. Dezember 2011
durch den Vorsitzenden Richter Prof.
Dr.
Krüger, den
Richter
Dr. [X.],
die Richterin Dr.
Stresemann, [X.] Czub
und die Richterin Weinland
beschlossen:
Auf die Rechtsmittel des Beteiligten zu 3 werden die Beschlüsse des [X.] vom 27.
Oktober 2010 und des [X.] vom 19. August 2010 im Kostenpunkt und
insoweit aufgehoben, als für den Zeitraum ab dem 5.
August 2010 zum Nachteil des Betroffenen entschieden worden ist.

Es wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts [X.] vom 18. Juni 2010 den Betroffenen seit dem 5. August 2010 in seinen Rechten verletzt hat.

Die weitergehende Rechtsbeschwerde wird als unzulässig zu-rückgewiesen.

Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Beteiligten zu
3 werden zu 46/100 der Stadt D.

auferlegt. Im Übrigen findet eine Auslagenerstattung nicht statt. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt

-
3 -

Gründe:
I.
Der
Betroffene, ein marokkanischer
St[X.]tsangehöriger,
reiste im [X.] in das [X.] ein und stellte im Dezember 2006 einen Asylantrag, der im Dezember 2008 durch Bescheid des [X.] Flüchtlinge
als offensichtlich unbegründet zurückgewiesen wurde. Der in dem bestandskräftigen
Bescheid enthaltenen Aufforderung, das [X.] binnen einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen, kam der Betroffene nicht nach, sondern tauchte
in der Folgezeit unter.
Am 19.
März 2010 wurde der Betroffene, der keine Identitätspapiere be-saß, aufgegriffen
und
festgenommen. Auf
Antrag der
Beteiligten zu 2 wurde gegen ihn Haft zur Sicherung seiner Abschiebung für die Dauer von drei Mona-ten angeordnet.
Auf einen weiteren Antrag der
Beteiligten zu 2
wurde die Siche-rungshaft mit Beschluss des Amtsgerichts vom 18.
Juni 2010
bis zum 18.
September 2010
verlängert.
Mit einem
am 5.
August 2010 bei
dem Amtsgericht eingegangenen Schriftsatz hat der Beteiligte zu 3 beantragt, ihn als Vertrauensperson des Be-troffenen zuzulassen, die Haft
aufzuheben und festzustellen, dass der [X.] des Amtsgerichts rechtswidrig gewesen sei.
Das Amtsgericht hat den
Beteiligten zu 3 als Vertrauensperson zugelas-sen, die [X.] jedoch zurückgewiesen.
Der Betroffene ist während des von dem Beteiligten zu 3
geführten
Beschwerdeverfahrens
am 14. September 2010 aus der Haft entlassen
worden. Das [X.] hat die Beschwerde des Beteiligten zu 3 gegen den Beschluss des Amtsgerichts zurückgewiesen.
Hiergegen wendet
sich der Beteiligte zu 3 mit der Rechtsbeschwerde, mit der er die Aufhebung der Entscheidung des [X.]s sowie die Feststellung 1
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4 -

einer
Rechtsverletzung des Betroffenen durch die Beschlüsse des Amtsgerichts über die Verlängerung der Haft und die Zurückweisung des Antrags auf Haftaufhebung beantragt.

[X.].
Das Beschwerdegericht ist der Auffassung, der Betroffene sei durch die Zurückweisung des [X.] nicht in seinen Rechten verletzt
worden. Die Sicherungshaft habe
nicht aufgehoben werden müssen, da der
Betroffene vollziehbar ausreisepflichtig
gewesen sei und die Haftgründe des §
62 Abs. 2 Nr. 2 und Nr. 5 [X.] vorgelegen
hätten. Die Haft habe auch über einen Zeitraum von drei Monaten hinaus aufrechterhalten werden dürfen, weil es nicht von Anfang an festgestanden
habe, dass eine Abschiebung binnen drei Monaten nicht möglich gewesen sei. Nach Aktenlage sei auch nicht ersicht-lich, dass die Behörden gegen das Beschleunigungsgebot verstoßen hätten.

[X.]I.
1. [X.]
ist gemäß §
70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz
2
FamFG
statthaft und auch im Übrigen zulässig (§ 71 FamFG). Der Beteiligte zu 3 ist beschwerdeberechtigt, weil er als von dem Betroffenen benannte [X.] bereits im ersten Rechtszug an dem Verfahren beteiligt worden ist (§
429 Abs. 2 Nr.
2 i.V.m. §
418 Abs. 3 Nr. 2 FamFG).
2. [X.] hat nur teilweise
Erfolg.
a) Ohne Erfolg bleibt das Rechtsmittel, soweit der Beteiligte zu 3 die Feststellung einer Verletzung der Rechte des Betroffenen durch die [X.] Sicherungshaft
beantragt. Der Feststellungsantrag nach §
62 FamFG 6
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5 -

ist für den Zeitraum von dem Beginn der verlängerten Haft bis zum Eingang des Antrags auf deren Aufhebung als unzulässig zurückzuweisen, weil
ihm die for-melle Rechtskraft der Entscheidung
des Amtsgerichts über die Haftverlänge-rung entgegensteht.
Das rechtliche Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit einer freiheitsentziehenden Maßnahme erlaubt nicht die Stellung eines Feststel-lungsantrages losgelöst von dem jeweils bestehenden Rechtsschutzsystem. War es dem Betroffenen zumutbar und möglich, eine von der [X.] zu ergreifen, so kann von ihm erwartet werden, dass er diese auch wahrnimmt (Senatsbeschlüsse vom 20.
Januar 2011 -
V
ZB 116/10, [X.] 2011, 143, 144 Rn.
8 und vom 28. April 2011 -
V
ZB 292/10, [X.] 2011, 200, 211 Rn.
15). Versäumt der Betroffene die Rechtsmittelfrist, kann die formelle Rechtskraft der Entscheidungen
über die Haftanordnung oder die Haftverlängerung durch das Verfahren auf Aufhebung der Haft nicht durchbrochen werden (Senatsbeschluss vom 28. April 2011 -
V
ZB 292/10, [X.] 2011, 200, 211 Rn.
17).
So ist es hier. Bei Eingang des
Haftaufhebungsantrags des Beteiligten zu 3 am 5. August 2010 war die einmo-natige Beschwerdefrist (§ 63 Abs. 1 FamFG) gegen den Beschluss
vom 18.
Juni 2010, der am 1. Juli 2010 dem
Rechtsanwalt des Betroffenen zugestellt worden ist, verstrichen.
b) Das Rechtsmittel ist dagegen begründet, soweit der [X.] auch für den Zeitraum nach dem Eingang des Antrages des Beteiligten zu 3 auf Haftaufhebung (§
426 Satz 3 FamFG)
bis zur Haftentlassung des Be-troffenen zurückgewiesen worden ist.
[X.]) Der Eintritt der formellen
Rechtskraft der Anordnung über die Haft-verlängerung ändert nichts daran, dass während des [X.] jederzeit ein Antrag auf Haftaufhebung gestellt werden kann. Die Beschwerde gegen die Zurückweisung des Antrags auf Haftaufhebung kann nach einer Erledigung 10
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durch die Entlassung des Betroffenen aus der Haft mit dem Antrag nach §
62 Abs.
1 FamFG weiter verfolgt werden, die Rechtsverletzung des Betroffenen festzustellen (Senat, Beschluss vom 28. April 2011
-
V
ZB 292/10, [X.] 2011, 201, 211 Rn.
7, 8).
bb) Die Zurückweisung eines Aufhebungsantrags
nach §
426 Abs.
2 Satz
1 FamFG verletzt den Betroffenen auch dann in seinen Rechten, wenn seit der Haftanordnung zwar keine neuen Umstände eingetreten sind, die Haft oder deren Verlängerung aber nicht hätten angeordnet werden dürfen (vgl. Senat, Beschluss vom 26. Mai 2011 -
V
ZB 318/10, Rn.
16, juris).

So ist es hier. Die Haft gegen den Betroffenen hätte schon deshalb auf-gehoben werden müssen, weil es mangels einer §
417 Abs. 2 FamFG entspre-chenden Begründung an einem zulässigen Antrag fehlte. § 417 Abs. 2 FamFG ist auf den Antrag auf Haftverlängerung sinngemäß anzuwenden, weil diese
ebenfalls eines Antrags der Behörde
bedarf, für den nach § 425 Abs. 3 FamFG die
Vorschriften für die erstmalige Beantragung der Haft entsprechend gelten.
Das Vorliegen eines zulässigen Antrags der Behörde ist [X.] und daher in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen ([X.], Beschlüsse vom 30. März 2010 -
V
ZB 79/10, [X.] 2010, 158 und 15.
September 2011 -
V
ZB 123/11, Rn.
8, juris).
Ein Haftantrag der beteiligten Behörde ist nur dann zulässig, wenn er den gesetzlichen
Anforderungen an seine
Begründung entspricht (Senat, Beschlüsse vom 29. April 2010 -
V
ZB 218/09, [X.] 2010, 210, 211 Rn.
14 und vom 22. Juli 2010 -
V
ZB 28/10, NVwZ 2010, 1511, 1512 Rn.
8).
(1) Der Haftantrag muss sich zu den in §
417 Abs. 2 Satz 1
Nr. 1 bis 5 FamFG genannten Umständen verhalten. Die Angaben der Behörde in ihrem
Antrag müssen für das Gericht eine hinreichende Tatsachengrundlage für die Einleitung weiterer Ermittlungen oder dessen Entscheidung und für den Be-troffenen eine Grundlage
für seine Verteidigung
darstellen. Die für die richterli-13
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-
7 -

che Prüfung des Antrags wesentlichen Punkte müssen dazu in der Antragsbe-gründung angesprochen werden (Senat, Beschluss vom 15. September 2011 -
V
ZB 123/11, Rn.
9, juris).
(2) Diesen Anforderungen genügte
der Haftverlängerungsantrag der [X.] zu 2 schon deshalb nicht, weil er keine Angaben zur Erforderlichkeit der Dauer der beantragten
Haftverlängerung (§ 417 Abs. 2 Nr. 4 FamFG)
ent-hielt. Diesem Begründungsgebot wird
nicht entsprochen, wenn
die Behörde -
ohne jede
Erläuterung
-
Abschiebungshaft bis zur jeweils höchstzulässigen Dauer beantragt
(Senat, Beschluss vom 15. September 2011 -
V
ZB 123/11, Rn.
14, juris). Wird eine Haftverlängerung beantragt, ist dazu anzugeben, wann mit der Behebung
des
Hindernisses
gerechnet werden kann, das einer Ab-schiebung des Betroffenen in
den ersten drei Monaten des Vollzugs der Haft entgegenstand (im konkreten Fall: das Fehlen des für eine Rückführung des Betroffenen nach [X.] notwendigen Heimreisedokuments nach Art. 3 des Protokolls zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland
und der Regierung des Königreichs [X.] über die Identifizierung und die [X.] von [X.] vom 22. April 1998 -
BGBl. [X.] 1998, 1148).
Aus den Hinweisen der Beteiligten zu 2, dass der Betroffene seinen
Mit-wirkungspflichten im Verfahren
(durch sich widersprechende Angaben zu
sei-nem
Geburtsort und die fehlende Bereitschaft, von sich aus mit dem zustän-digen Generalkonsulat zwecks Ausstellung eines Heimreisedokuments Kontakt aufzunehmen) nicht nachgekommen sei, ergab sich nicht, dass die [X.] um weitere drei Monate
verlängert werden musste. Da die [X.] nur zur
Sicherung der Abschiebung zulässig ist, aber nicht als Beu-gehaft angeordnet
oder aufrechterhalten werden darf (vgl. Senat, Beschluss vom 10. Juni 2010
-
V
ZB 204/09, NVwZ 2010, 1172, 1173 Rn.
22), kommt es allein darauf an, welche Zeit
bis zum Eingang des Heimreisedokuments, um dessen Beschaffung sich die Ausländerbehörde bemühen
muss, und für die 16
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-
8 -

Abwicklung einer Rückführung nach Art. 4 des o.g. Protokolls voraussichtlich noch benötigt wird. Dazu fehlen hier jegliche Angaben.
cc) [X.] ist entscheidungsreif.
Der Feststellungsantrag ist in dem genannten Umfang begründet, weil der Verstoß gegen Art. 104 Abs. 1 GG nach einer Inhaftierung auf Grund eines unzulässigen Haftantrags nicht mehr rück-wirkend geheilt werden kann (Senat, Beschlüsse vom 29. April 2010 -
V
ZB 218/09, [X.] 2010, 210, 211 Rn.
19; vom 7. April 2011 -
V
ZB 133/10, Rn.
7, juris und vom 15. September 2011 -
V
ZB 136/11 Rn.
8, juris).

[X.]I.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
81 Abs.
1, §
83 Abs.
2, §
430
FamFG, §
128c Abs. 3 Satz 2 KostO. Unter Berücksichtigung der Regelung in Art. 5 [X.] entspricht es billigem Ermessen, die
Stadt D.

, der die [X.] Behörde angehört, zur Erstattung eines Teils der notwendigen Auslagen der Vertrauensperson des Betroffenen zu verpflichten. Die Kostenquote ent-spricht dem Verhältnis des gesamten Zeitraums
der Haft
nach der angeordne-

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9 -

ten Verlängerung zu dem Zeitraum, für den die Rechtsmittel Erfolg haben.
Krüger
[X.]
Stresemann

Czub
Weinland
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 19.08.2010 -
11 [X.] B -

LG Paderborn, Entscheidung vom 27.10.2010 -
9 [X.] -

Meta

V ZB 302/10

15.12.2011

Bundesgerichtshof V. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 15.12.2011, Az. V ZB 302/10 (REWIS RS 2011, 348)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 348

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