Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 06.12.2012, Az. V ZB 224/11

V. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 623

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V [X.]

vom

6. Dezember 2012

in der Abschiebungshaftsache

Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
FamFG § 425 Abs. 3, § 417 Abs. 2; GG Art. 103 Abs. 1
Ein in dem Antrag auf Verlängerung der Abschiebungshaft in Bezug genommener Haftantrag muss dem Betroffenen vor seiner Anhörung ausgehändigt werden. [X.] dies, wird die darin liegende Verletzung des Anspruchs des Betroffenen auf rechtliches Gehör bei der Entscheidung über die Haftverlängerung nicht dadurch behoben, dass dem Betroffenen die richterliche Haftanordnung ausge-händigt worden ist, auch wenn in jenem Beschluss der von der Ausländerbehörde vorgetragene Sachverhalt dargestellt ist (Fortführung von Senat, Beschluss vom 3. November 2011

V
[X.], Rn.
6, juris).
BGH, Beschluss vom 6. Dezember 2012 -
V [X.] -
LG [X.]

[X.]

-
2 -

Der V.
Zivilsenat des [X.] hat am 6. Dezember 2012 durch die Vorsitzende Richterin [X.] und [X.] [X.], Prof.
Dr.
Schmidt-Räntsch, [X.] und Dr. Kazele
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 8. Zivilkammer des [X.] vom 23. [X.] 2011 aufgehoben. Es wird festgestellt, dass der Beschluss des [X.] vom 8. August 2011 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat.
Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in allen Instanzen werden dem [X.] auferlegt.
Der Gegenstandswert des [X.] beträgt

Gründe:
I.
Der Betroffene ist ein in [X.] geborener [X.] St[X.]ts-angehöriger. Er wurde nach Begehung von Straftaten 1994 aus der Bundes-republik [X.] ausgewiesen und in die [X.] abgeschoben.
Spätestens im November 2010 reiste der Betroffene illegal und ohne Ausweispapiere in das [X.] ein. Er hielt sich danach im [X.] 1
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bei seiner Lebensgefährtin auf, einer mit [X.] verheirateten Mutter von drei Kindern. Die Lebensgefährtin erwartete von dem Betroffenen ein Kind. Den Antrag des Betroffenen, ihm eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, lehnte die Beteiligte zu 2 (Ausländerbehörde) ab und forderte ihn auf, binnen sieben Tagen auszureisen. Danach war der Betroffene zunächst nicht auffind-bar. Die Beteiligte zu 2 beantragte im März 2011 bei dem [X.] einen Haftbeschluss zur Sicherung der Abschiebung des Betroffenen, erließ gegen ihn im Mai 2011 eine Ausweisungsverfügung und begründete ergänzend ihren Haftantrag gegenüber dem Amtsgericht im Juni 2011. Nach dem Aufgrei-fen des Betroffenen am 15. Juli 2011 ordnete das [X.] auf den Antrag der Beteiligten zu 2 Haft zur Sicherung der Abschiebung für sechs [X.] an.
Nach der Inhaftierung beantragte der Betroffene unter Hinweis auf die Schwangerschaft seiner Lebensgefährtin erneut erfolglos eine [X.]. Seinen Eilantrag auf Aussetzung der Abschiebung wies das [X.] zurück; die dagegen erhobene Beschwerde
an das Ober-verwaltungsgericht blieb ohne Erfolg.

Im Hinblick auf das damals noch schwebende Verfahren vor den [X.]en und den Umstand, dass eine Vorführung des Betroffenen bei
dem [X.] Generalkonsulat erst Anfang September 2011 erfolgen konnte, hat das [X.] auf Antrag der Beteiligten zu 2 am 8. August 2011 die Verlängerung der Haft bis einschließlich 15. September 2011 [X.]. Den Antrag des Betroffenen auf Feststellung der Rechtsverletzung durch die Haftverlängerung hat das [X.] zurückgewiesen. Gegen diese Entscheidung wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbe-schwerde.
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4 -

II.
Das Beschwerdegericht meint, dass der Betroffene durch die am
8. [X.] 2011 angeordnete Verlängerung der Abschiebungshaft nicht in seinen Rechten verletzt worden sei. Dem stehe nicht entgegen, dass der [X.] nicht die gemäß § 417 Abs. 2 FamFG erforderlichen Angaben zur Ausreisepflicht, zu den Abschiebungsvoraussetzungen und zur Durchführbar-keit der Abschiebung
enthalten habe und dass der erste Haftantrag dem Be-troffenen nicht ausgehändigt worden sei. Die für die Entscheidung über die Haftanordnung erforderlichen Informationen der Ausländerbehörde seien im Beschluss des Amtsgerichts über die Haftanordnung wiedergegeben; diesen habe
der Betroffene erhalten. Damit sei dessen Anspruch auf rechtliches Gehör hinreichend gewahrt worden.
III.
Das
gemäß §
70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz
2 i.V.m. mit dem [X.] nach § 62 FamFG statthafte
(Senat, Beschluss vom 25.
Februar 2010
-
V
ZB
172/09, [X.] 210, 150, 151 Rn. 9 f.)
und auch im Übrigen zu-lässige
(§ 71 FamFG)
Rechtsmittel
ist begründet, da die Anordnung über die Haftverlängerung den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat.
1. Der Haftverlängerungsantrag entsprach allerdings den [X.] des § 417 Abs. 2 FamFG.
a) Für Abschiebungshaftanträge werden nach § 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 FamFG Darlegungen zu der zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den [X.], zu der Erforderlichkeit der Haft, zu der Durchführbar-keit der Abschiebung und zu der notwendigen Haftdauer verlangt (Senat, [X.] vom 29. April 2010 -
V [X.], [X.] 2010, 210 und vom 22. Juli 2010 -
V [X.], [X.] 2010, 316, 317). In gleicher Weise zu begründen ist 5
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der Antrag der Behörde auf Verlängerung einer bereits angeordneten und voll-zogenen Sicherungshaft, weil nach § 425 Abs. 3 FamFG für die Verlängerung der Freiheitsentziehung die Vorschriften über die erstmalige Anordnung ent-sprechend gelten (Senat, Beschluss vom 28. April 2011 -
V [X.] Rn. 12,
juris).
b) Der Antrag auf Haftverlängerung vom 2. August 2011 genügte für sich genommen diesen Anforderungen nicht, da er sich nur zu den von der Behörde nach der Inhaftierung vorgenommenen Maßnahmen verhielt. Eine
verkürzte Begründung des Verlängerungsantrags durch Bezugnahme auf den in der Ge-richtsakte befindlichen Haftantrag ist allerdings zulässig, wenn sich bei den nach § 417 Abs. 2 Satz 2 Nr.
5 FamFG
darzulegenden Umständen im Vergleich zu dem Haftantrag nichts geändert hat, und der in Bezug genommene Haftan-trag dem Betroffenen ausgehändigt worden ist
(Senat, Beschluss vom 14. Juli 2011 -
V [X.], Rn. 9, juris).
2. Der angefochtene Beschluss beruht jedoch auf einer Verletzung des Verfahrensgrundrechts des Betroffenen auf rechtliches Gehör
(Art.
103 Abs.
1 GG).
a) Der in dem Verlängerungsantrag in Bezug genommene Haftantrag ist dem Betroffenen nicht ausgehändigt worden. Zur Wahrung des Grundrechts des Betroffenen auf rechtliches Gehör ist es
jedoch grundsätzlich erforderlich, dass ihm der Haftantrag vor seiner Anhörung ausgehändigt und (mündlich)
übersetzt wird (Senat, Beschlüsse vom 4. März 2010 -
V [X.], [X.], 323, 331
Rn. 16
f. und
vom 21. Juli 2011
-
V [X.], [X.] 2011, 257, 258
Rn. 8 f.). Diesen
Anforderungen ist hier nicht genügt
worden, da der Haftantrag ausweislich des Vermerks über den Anhörungstermin zur Haftanordnung (§
28 Abs. 4 Satz 1 FamFG) nur seinem wesentlichen Inhalt nach bekanntgegeben und auch danach dem Betroffenen nicht ausgehändigt wurde.
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b)
Die darin liegende Verletzung des Anspruchs auf rechtliches
Gehör ist nicht behoben worden.
[X.]) Sie wurde nicht -
wie das Beschwerdegericht meint -
schon durch die Bekanntgabe der gerichtlichen Haftanordnung mit der Folge geheilt, dass es einer Aushändigung des in dem Verlängerungsantrag in Bezug genommenen [X.] nicht mehr bedurft hätte. Die
Aushändigung des [X.]
soll sicherstellen, dass sich der Betroffene zu sämtlichen (tatsächlichen und rechtli-chen) Angaben der die Haft beantragenden Behörde äußern kann (Senat, [X.] vom 21. Juli 2011 -
V [X.], [X.] 2011, 257 Rn. 8 und vom 27. September 2012 -
V [X.], Rn. 7, juris). Mit der Bekanntgabe des [X.] Beschlusses gemäß § 41 FamFG wird der Betroffene über die für die Entscheidung des Gerichts
maßgeblichen Gesichtspunkte, aber nicht über das gesamte Vorbingen der Behörde zur Begründung ihres [X.] informiert.
Die
Aushändigung der
gerichtlichen Haftanordnung an den Betroffenen
vermag die erforderliche Aushändigung des [X.] der Behörde auch dann nicht zu ersetzen, wenn in dem Beschluss
der
von den Beteiligten vorge-tragene Sachverhalt wiedergegeben worden ist.
Dies gilt selbst dann, wenn
-
was hier nicht der Fall war -
der Beschluss den Haftantrag in seinem Wortlaut wiedergibt, solange der Betroffene dies dem Beschluss nicht entnehmen kann (Senat, Beschluss vom 3. November 2011 -
V [X.], Rn. 6, juris).
bb) Der Verfahrensmangel ist auch nicht dadurch geheilt worden,
dass der Betroffene mit der
seinem neuen Verfahrensbevollmächtigten am 5. Sep-tember 2011 gewährten Akteneinsicht Kenntnis von dem Inhalt des [X.] erlangt hat.
Eine Heilung des Verstoßes
(mit Wirkung für die Zukunft) ist näm-lich erst in einer Anhörung möglich, in der sich der Betroffene zu dem ihm nun-mehr bekannten Haftantrag äußern kann (vgl. Senatsbeschluss vom 20. März 2012 -
V [X.], Rn. 12, juris). Diese
konnte hier nicht eintreten, weil
die An-hörung des Betroffenen durch das Beschwerdegericht
am 21. September 2011 12
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und somit erst nach dem Ablauf der mit Beschluss des Amtsgerichts vom 8.
August 2011 bis zum 15. September 2011 verlängerten Haft stattfand.
3. Die den Feststellungsantrag nach § 62 Abs. 1 FamFG zurückweisende Entscheidung des Beschwerdegerichts
ist daher aufzuheben und gemäß
§
74 Abs.
6 Satz 1 FamG auszusprechen, dass der Betroffene durch den Beschluss über die Verlängerung der Abschiebungshaft in seinen Rechten verletzt worden ist.
IV.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 81 Abs. 1, § 83 Abs. 2, § 430
FamFG, §
128c Abs. 3 Satz 2 [X.], Art. 5 EMRK.
Der Gegenstandswert be-stimmt sich nach §
128c Abs. 3 Satz 2, § 30 Abs. 2 [X.].
Stresemann
[X.]
Schmidt-Räntsch

Czub
Kazele
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 08.08.2011 -
43 [X.] -

LG [X.], Entscheidung vom 23.09.2011 -
8 [X.]/11 -

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Meta

V ZB 224/11

06.12.2012

Bundesgerichtshof V. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 06.12.2012, Az. V ZB 224/11 (REWIS RS 2012, 623)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 623

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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