Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 13.02.2020, Az. 6 AZR 211/19

6. Senat | REWIS RS 2020, 384

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Tenor

I. Auf die Revision des [X.] wird das Urteil des [X.] vom 15. Januar 2019 - 3 [X.]/18 - im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als es die Berufung des [X.] gegen das Urteil des [X.] vom 6. Juni 2018 - 8 Ca 6866/17 - zurückgewiesen hat.

II. Auf die Berufung des [X.] wird das Urteil des [X.] vom 6. Juni 2018 - 8 Ca 6866/17 - insgesamt abgeändert und wie folgt gefasst:

Es wird festgestellt, dass das zwischen dem Kläger und dem [X.] zu 1. bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung der [X.] vom 28. November 2017 zum 28. Februar 2018 aufgelöst worden ist.

III. Die Kosten der ersten Instanz tragen der Kläger zu 54 % und der Revisionsbeklagte zu 1. zu 46 %.

Die Gerichtskosten der zweiten Instanz sowie des Revisionsverfahrens tragen der Kläger und der Revisionsbeklagte zu 1. je zur Hälfte. Die außergerichtlichen Kosten des [X.] in zweiter Instanz sowie im Revisionsverfahren trägt der Revisionsbeklagte zu 1. zur Hälfte, diejenigen der [X.] zu 2. trägt der Kläger in vollem Umfang. Im Übrigen findet eine Kostenerstattung nicht statt.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten noch über die Wirksamkeit einer ordentlichen betriebsbedingten Kündigung.

2

Der Kläger war seit dem 31. März 2004 bei der [X.] (Schuldnerin) bzw. deren Rechtsvorgängerin als Co-Pilot beschäftigt. Sein Einsatzort war die Station der Schuldnerin in [X.].

3

Die Schuldnerin war eine [X.]luggesellschaft und bediente mit mehr als 6.000 Beschäftigten im [X.] inner- und außereuropäische Ziele. Hierfür unterhielt sie [X.]. Stationen an den [X.]lughäfen [X.] und [X.]. In [X.] war der Leiter des [X.]lugbetriebs („[X.]“) ansässig. Diesem oblag die Leitung und [X.]ührung des [X.] im operativen Geschäft. Die [X.] und Dienstplanung erfolgte für den gesamten [X.]lugbetrieb zentral von [X.] aus. [X.]ür das [X.] waren vier Area Manager tätig, die jeweils für mehrere Stationen zuständig und dem [X.]lottenmanagement unterstellt waren. Das Kabinenpersonal wurde [X.]. durch zwei Regional Manager betreut. Der [X.] war für die Station [X.] zuständig.

4

[X.]ür das [X.] war gemäß § 117 Abs. 2 BetrVG durch Abschluss des „Tarifvertrags Personalvertretung ([X.]) für das [X.] der [X.]“ eine Personalvertretung ([X.]) gebildet. [X.]ür das Kabinenpersonal wurde durch den „Tarifvertrag Personalvertretung ([X.]) für das Kabinenpersonal der [X.]“ die Personalvertretung Kabine (PV Kabine) errichtet. Beide Gremien hatten ihren Sitz in [X.]. Das Bodenpersonal vertraten die regional zuständigen Betriebsräte (Boden Nord, [X.] und Süd) und der Gesamtbetriebsrat.

5

Am 15. August 2017 beantragte die Schuldnerin beim zuständigen Insolvenzgericht die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen bei Eigenverwaltung. Das Gericht ordnete zunächst die vorläufige Eigenverwaltung an und bestellte den Beklagten am 16. August 2017 zum vorläufigen Sachwalter. Danach leitete die Schuldnerin eine Investorensuche ein, die eine [X.]ortführung des Geschäftsbetriebs im Rahmen einer übertragenden Sanierung ermöglichen sollte. Nach Ablauf der Angebotsfrist am 15. September 2017 lag kein annahmefähiges Angebot vor.

6

Am 12. Oktober 2017 unterzeichneten der Executive Director der persönlich haftenden Gesellschafterin der Schuldnerin, der Generalbevollmächtigte der Schuldnerin und der Beklagte für die Schuldnerin eine Erklärung. Demnach war beabsichtigt, den Betrieb bis spätestens 31. Jan[X.]r 2018 stillzulegen.

7

Mit Schreiben vom 12. Oktober 2017 wandte sich die Schuldnerin an die [X.]. Es sei beabsichtigt, die durch die Betriebsstilllegung bedingten Kündigungen nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Laufe des Monats Oktober 2017, voraussichtlich ab 26. Oktober 2017, unter Wahrung der ggf. durch § 113 [X.] begrenzten Kündigungsfrist zu erklären. Wegen der Beendigung aller Arbeitsverhältnisse sei eine Sozialauswahl nicht erforderlich. Da es sich um eine anzeigepflichtige Massenentlassung iSd. § 17 Abs. 1 KSchG handle, werde hiermit das [X.] gemäß § 17 Abs. 2 KSchG eingeleitet.

8

Mit Beschluss vom 1. November 2017 eröffnete das Insolvenzgericht das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin. Es ordnete Eigenverwaltung an und bestellte den Beklagten zum Sachwalter. Dieser zeigte noch am gleichen Tage gegenüber dem Insolvenzgericht eine drohende Masseunzulänglichkeit an.

9

Mit [X.]ormular und Begleitschreiben vom 24. November 2017 erstattete die Schuldnerin bei der [X.] [X.] Nord eine Massenentlassungsanzeige bzgl. des [X.]. In dem hierfür vorgesehenen [X.]ormularfeld wurde angegeben, die Anzeige beziehe sich auf den „Hauptsitz der [X.]“. Dort seien in der Regel 1.301 Arbeitnehmer/innen beschäftigt, welche voraussichtlich alle im Zeitraum vom 27. November 2017 bis zum 26. Dezember 2017 entlassen werden sollten. Hinsichtlich der in der Regel Beschäftigten wird auf Anlagen verwiesen. In diesen wird bei den „Angaben zu Entlassungen Cockpit“ die Zahl von 1.301 Beschäftigten des [X.] nach Stationen und Berufsgruppen aufgeschlüsselt. Das Begleitschreiben erläutert den Kündigungsgrund bzgl. dieser Beschäftigtengruppe. Die Personalleitung für diese Beschäftigten erfolge in sämtlichen Angelegenheiten von [X.] aus. Dort habe auch die auf tariflicher Grundlage gebildete PV Cockpit ihren Sitz. Das [X.] nach § 17 Abs. 2 KSchG sei mit Schreiben vom 13. Oktober 2017 eingeleitet und ausweislich des der Massenentlassungsanzeige beigefügten Interessenausgleichs vom 17. November 2017 abgeschlossen worden.

Mit Schreiben vom 28. November 2017 kündigte die Schuldnerin mit Zustimmung des Beklagten gegenüber dem Kläger das Arbeitsverhältnis zum 28. [X.]ebr[X.]r 2018.

Mit Beschluss vom 17. Jan[X.]r 2018 hob das Insolvenzgericht die Eigenverwaltung auf und bestellte den Beklagten zum Insolvenzverwalter.

Mit seiner fristgerecht erhobenen Klage hat sich der Kläger [X.]. gegen die erklärte Kündigung gewandt. Er hat die Ansicht vertreten, die Kündigung vom 28. November 2017 sei unwirksam. Eine Betriebsstilllegung sei zum Zeitpunkt ihres Zugangs nicht beschlossen gewesen, die Schuldnerin habe vielmehr noch mit möglichen Betriebserwerbern verhandelt. Die [X.] sei nicht ordnungsgemäß beteiligt worden. Die Massenentlassungsanzeige sei fehlerhaft.

Der Kläger hat zuletzt nur noch beantragt

        

festzustellen, dass das zwischen dem Kläger und dem Beklagten bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung der Schuldnerin vom 28. November 2017 zum 28. [X.]ebr[X.]r 2018 aufgelöst wurde.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat die Ansicht vertreten, die Kündigung sei wegen der beabsichtigten und tatsächlich erfolgten Stilllegung des [X.]lugbetriebs sozial gerechtfertigt. Ein Betriebs(teil)übergang sei nicht geplant gewesen und habe auch nicht stattgefunden. Die Rechte der [X.] seien gewahrt. Die Massenentlassung sei ordnungsgemäß gegenüber der zuständigen [X.] angezeigt worden.

Das Arbeitsgericht hat nach teilweiser Klagerücknahme und Abschluss eines Teilvergleichs alle verbliebenen Anträge des [X.] abgewiesen. Mit seiner Berufung hat der Kläger ausschließlich den Kündigungsschutzantrag sowie hilfsweise für den [X.]all des Obsiegens zwei Auskunftsanträge - teilweise im Wege der [X.] - weiterverfolgt. Darüber hinaus hat der Kläger erstmals gegenüber der [X.] (Berufungs- und Revisionsbeklagte zu 2.) die [X.]eststellung des ([X.]ort-)Bestehens seines Arbeitsverhältnisses aufgrund eines Betriebsübergangs geltend gemacht. Das [X.] hat den Kündigungsschutz- und den [X.]eststellungsantrag abgewiesen und beschränkt auf ersteren die Revision zugelassen. Der Kläger hat hiergegen mit Ausnahme der [X.] unbeschränkt Revision eingelegt und, soweit das [X.] die Revision nicht zugelassen hat, daneben Nichtzulassungsbeschwerde erhoben. Nachdem das [X.] mit Beschluss vom 23. Oktober 2019 (- 8 [X.] 633/19 -) die Nichtzulassungsbeschwerde des [X.] verworfen und die diesbezügliche Anhörungsrüge mit Beschluss vom 15. Jan[X.]r 2020 (- 8 [X.] 1366/19 ([X.]) -) zurückgewiesen hatte, hat der Kläger die Revision gegen die Revisionsbeklagte zu 2. zurückgenommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision ist begründet. Der in der Revision zuletzt nur noch anhängige Kündigungsschutzantrag ist zulässig und begründet. Insoweit war das Berufungsurteil aufzuheben und antragsgemäß zu entscheiden.

I. Die streitgegenständliche Kündigung ist wegen einer fehlerhaften Massenentlassungsanzeige gemäß § 17 Abs. 1, Abs. 3 KSchG iVm. § 134 BGB unwirksam. Entgegen der Auffassung des [X.] erstattete die Schuldnerin die nach § 17 Abs. 1 Satz 1 KSchG erforderliche Massenentlassungsanzeige wegen Verkennung des unionsrechtlich determinierten Betriebsbegriffs nicht ordnungsgemäß iSd. § 17 Abs. 3 KSchG. Dies hat der Senat in einem Parallelverfahren bereits entschieden und nimmt auf die Begründung dieses Urteils Bezug ([X.] 13. Februar 2020 - 6 [X.] - Rn. 70 ff.). Es wurde eine inhaltlich nicht ordnungsgemäße Massenentlassungsanzeige bei der unzuständigen [X.] erstattet. Eine Anzeige bei der zuständigen [X.] erfolgte hingegen vor Zugang der Kündigung beim Kläger nicht.

II. Die Kosten der Vorinstanzen sowie des Revisionsverfahrens sind zwischen den Parteien unter Berücksichtigung der erstinstanzlichen teilweisen Klagerücknahme sowie des erstinstanzlichen [X.] gemäß § 92 Abs. 1 Satz 1, §§ 98, 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO zu verteilen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Kläger im Prozessrechtsverhältnis zur Berufungs- und Revisionsbeklagten zu 2. nach der diesbezüglichen Revisionsrücknahme zur vollständigen Kostentragung verpflichtet ist.

        

    Spelge    

        

    Krumbiegel    

        

    Heinkel    

        

        

        

    Steinbrück    

        

    [X.]    

                 

Meta

6 AZR 211/19

13.02.2020

Bundesarbeitsgericht 6. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Düsseldorf, 6. Juni 2018, Az: 8 Ca 6866/17, Urteil

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 13.02.2020, Az. 6 AZR 211/19 (REWIS RS 2020, 384)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 384

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