Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 13.02.2020, Az. 6 AZR 172/19

6. Senat | REWIS RS 2020, 375

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Tenor

1. Auf die Revision des [X.] wird das Urteil des [X.] vom 10. Januar 2019 - 13 [X.]/18 - aufgehoben.

2. Auf die Berufung des [X.] wird das Urteil des [X.] vom 16. April 2018 - 9 Ca 7000/17 - abgeändert.

3. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der [X.] vom 28. November 2017 nicht aufgelöst worden ist.

4. Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen betriebsbedingten Kündigung.

2

Der Kläger war seit Juli 1996 bei der [X.] (Schuldnerin) bzw. deren Rechtsvorgängerin als Pilot beschäftigt. Sein Einsatzort war [X.].

3

Die Schuldnerin war eine Fluggesellschaft und bediente mit mehr als 6.000 Beschäftigten im [X.] inner- und außereuropäische Ziele. Hierfür unterhielt sie [X.]. Stationen an den Flughäfen [X.] und [X.]. In [X.] war der Leiter des Flugbetriebs („[X.]“) ansässig. Diesem oblag die Leitung und Führung des [X.] im operativen Geschäft. Die [X.] und Dienstplanung erfolgte für den gesamten Flugbetrieb zentral von [X.] aus. Für das [X.] waren vier Area Manager tätig, die jeweils für mehrere Stationen zuständig und dem Flottenmanagement unterstellt waren. Das Kabinenpersonal wurde [X.]. durch zwei Regional Manager betreut. Der [X.] war für die Station [X.] zuständig.

4

Für das [X.] war gemäß § 117 Abs. 2 BetrVG durch Abschluss des „Tarifvertrags Personalvertretung ([X.]) für das [X.] der [X.]“ eine Personalvertretung ([X.]) gebildet. Für das Kabinenpersonal wurde durch den „Tarifvertrag Personalvertretung ([X.]) für das Kabinenpersonal der [X.]“ die Personalvertretung Kabine (PV Kabine) errichtet. Beide Gremien hatten ihren Sitz in [X.]. Das Bodenpersonal vertraten die regional zuständigen Betriebsräte (Boden Nord, [X.] und Süd) und der Gesamtbetriebsrat.

5

Am 15. August 2017 beantragte die Schuldnerin beim zuständigen Insolvenzgericht die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen bei Eigenverwaltung. Das Gericht ordnete zunächst die vorläufige Eigenverwaltung an und bestellte den Beklagten am 16. August 2017 zum vorläufigen Sachwalter. Danach leitete die Schuldnerin eine Investorensuche ein, die eine Fortführung des Geschäftsbetriebs im Rahmen einer übertragenden Sanierung ermöglichen sollte. Nach Ablauf der Angebotsfrist am 15. September 2017 lag kein annahmefähiges Angebot vor.

6

Am 12. Oktober 2017 unterzeichneten der Executive Director der persönlich haftenden Gesellschafterin der Schuldnerin, der Generalbevollmächtigte der Schuldnerin und der Beklagte für die Schuldnerin eine Erklärung. Demnach war beabsichtigt, den Betrieb bis spätestens 31. Jan[X.]r 2018 stillzulegen.

7

Mit Schreiben vom 12. Oktober 2017 wandte sich die Schuldnerin an die [X.]. Es sei beabsichtigt, die durch die Betriebsstilllegung bedingten Kündigungen nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Laufe des Monats Oktober 2017, voraussichtlich ab 26. Oktober 2017, unter Wahrung der ggf. durch § 113 [X.] begrenzten Kündigungsfrist zu erklären. Wegen der Beendigung aller Arbeitsverhältnisse sei eine Sozialauswahl nicht erforderlich. Da es sich um eine anzeigepflichtige Massenentlassung iSd. § 17 Abs. 1 KSchG handle, werde hiermit das [X.] gemäß § 17 Abs. 2 KSchG eingeleitet.

8

Mit Beschluss vom 1. November 2017 eröffnete das Insolvenzgericht das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin. Es ordnete Eigenverwaltung an und bestellte den Beklagten zum Sachwalter. Dieser zeigte noch am gleichen Tage gegenüber dem Insolvenzgericht eine drohende Masseunzulänglichkeit an. Zudem stellte er nicht mehr einzusetzende Piloten und Kabinenpersonal von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung frei.

9

Mit Formular und Begleitschreiben vom 24. November 2017 erstattete die Schuldnerin bei der [X.] [X.] Nord eine Massenentlassungsanzeige bzgl. des [X.]. In dem hierfür vorgesehenen Formularfeld wurde angegeben, die Anzeige beziehe sich auf den „Hauptsitz der [X.]“. Dort seien in der Regel 1.301 Arbeitnehmer/innen beschäftigt, welche voraussichtlich alle im Zeitraum vom 27. November 2017 bis zum 26. Dezember 2017 entlassen werden sollten. Hinsichtlich der in der Regel Beschäftigten wird auf Anlagen verwiesen. In diesen wird bei den „Angaben zu Entlassungen Cockpit“ die Zahl von 1.301 Beschäftigten des [X.] nach Stationen und Berufsgruppen aufgeschlüsselt. Das Begleitschreiben erläutert den Kündigungsgrund bzgl. dieser Beschäftigtengruppe. Die Personalleitung für diese Beschäftigten erfolge in sämtlichen Angelegenheiten von [X.] aus. Dort habe auch die auf tariflicher Grundlage gebildete PV Cockpit ihren Sitz.

Mit Schreiben vom 28. November 2017 kündigte die Schuldnerin mit Zustimmung des Beklagten gegenüber dem Kläger das Arbeitsverhältnis zum 28. Febr[X.]r 2018.

Mit Beschluss vom 17. Jan[X.]r 2018 hob das Insolvenzgericht die Eigenverwaltung auf und bestellte den Beklagten zum Insolvenzverwalter.

Mit seiner fristgerecht erhobenen Klage hat sich der Kläger gegen die Kündigung vom 28. November 2017 gewandt. Sie sei unwirksam. Es habe keine Betriebsstilllegung, sondern ein Betriebsteilübergang auf eine andere Fluggesellschaft stattgefunden. Die [X.] sei nicht ordnungsgemäß beteiligt worden. Die Massenentlassungsanzeige sei fehlerhaft.

Der Kläger hat daher beantragt

        

        

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 28. November 2017 nicht aufgelöst worden ist.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat die Ansicht vertreten, die Kündigung sei wegen der beabsichtigten und tatsächlich erfolgten Stilllegung des Flugbetriebs sozial gerechtfertigt. Ein Betriebs(teil)übergang sei nicht geplant gewesen und sei auch nicht erfolgt. Die Rechte der [X.] seien gewahrt. Die Massenentlassung sei ordnungsgemäß gegenüber der zuständigen [X.] angezeigt worden.

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Das [X.] hat die Revision zugelassen. Mit dieser verfolgt der Kläger sein Klageziel weiter.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet.

1. Die streitgegenständliche Kündigung ist wegen einer fehlerhaften Massenentlassungsanzeige gemäß § 17 Abs. 1, Abs. 3 KSchG iVm. § 134 BGB unwirksam. Entgegen der Auffassung des [X.] erstattete die Schuldnerin die nach § 17 Abs. 1 Satz 1 KSchG erforderliche Massenentlassungsanzeige wegen Verkennung des unionsrechtlich determinierten Betriebsbegriffs nicht ordnungsgemäß iSd. § 17 Abs. 3 KSchG. Dies hat der Senat in einem Parallelverfahren entschieden und nimmt auf die Begründung dieses Urteils Bezug ([X.] 13. Februar 2020 - 6 [X.] - Rn. 70 ff.). Es wurde eine inhaltlich nicht ordnungsgemäße Massenentlassungsanzeige bei der unzuständigen [X.] erstattet. Eine Anzeige bei der zuständigen [X.] erfolgte vor Zugang der Kündigung beim Kläger hingegen nicht.

2. Der Beklagte hat gemäß § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

        

    Spelge    

        

    Heinkel     

        

    Krumbiegel    

        

        

        

    Steinbrück    

        

    [X.]     

                 

Meta

6 AZR 172/19

13.02.2020

Bundesarbeitsgericht 6. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Düsseldorf, 16. April 2018, Az: 9 Ca 7000/17, Urteil

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 13.02.2020, Az. 6 AZR 172/19 (REWIS RS 2020, 375)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 375

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