Bundesgerichtshof, Beschluss vom 02.11.2022, Az. XII ZB 339/22

12. Zivilsenat | REWIS RS 2022, 6711

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Gegenstand

Betreuungssache: Aufklärungspflicht des Gerichts hinsichtlich der Frage der Geschäftsunfähigkeit eines Betroffenen im Zeitpunkt einer Vollmachterteilung


Leitsatz

Die Frage, ob der Betroffene im Zeitpunkt der Vollmachterteilung nach § 104 Nr. 2 BGB geschäftsunfähig war, hat das Gericht nach § 26 FamFG von Amts wegen aufzuklären. Unklarheiten, Zweifeln oder Widersprüchen hat es von Amts wegen nachzugehen (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 22. Juni 2022 - XII ZB 544/21, FamRZ 2022, 1556).

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerden der weiteren Beteiligten zu 3, 4 und 5 wird der Beschluss der 6. Zivilkammer des [X.] vom 11. Juli 2022 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die außergerichtlichen Kosten des [X.], an das [X.] zurückverwiesen.

Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtskostenfrei.

Eine Festsetzung des [X.] (§ 36 Abs. 3 GNotKG) ist nicht veranlasst.

Gründe

I.

1

Die 85-jährige Betroffene leidet an einer demenziellen Erkrankung, wegen derer sie ihre Angelegenheiten nicht mehr selbst besorgen kann. Sie hatte ihrem [X.] und zwei Töchtern, den Beteiligten zu 3 bis 5, im Mai 2012 eine notarielle Vorsorgevollmacht erteilt. Die Betroffene wurde im Haushalt ihres [X.]s versorgt, bis eine weitere Tochter, die Beteiligte zu 1, sie Ende des Jahres 2021 ohne Absprache in ihren eigenen Haushalt verbrachte und bei sich aufnahm.

2

Unter dem 17. Dezember 2021 erteilte die Betroffene eine Vorsorgevollmacht zugunsten der Beteiligten zu 1 und widerrief mit notarieller Urkunde vom 22. Februar 2022 die im Mai 2012 erteilte [X.].

3

Das Amtsgericht hat eine Betreuung für den Aufgabenkreis der Prüfung und Geltendmachung von Rechten der Betreuten gegenüber der Bevollmächtigten eingerichtet und den Beteiligten zu 2 als Betreuer bestimmt. Das [X.] hat die Beschwerden der Beteiligten zu 3, 4 und 5 zurückgewiesen; hiergegen richten sich deren Rechtsbeschwerden.

II.

4

Die Rechtsbeschwerden sind begründet.

5

1. Das [X.] hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, die Voraussetzungen der Einrichtung einer [X.] lägen vor. Die am 17. Dezember 2021 erteilte [X.] und der [X.]widerruf vom 22. Februar 2022 seien wirksam, da eine Geschäftsunfähigkeit jeweils zu diesen Zeitpunkten nicht nachgewiesen sei. Die Echtheit der Unterschrift unter der am 17. Dezember 2021 erteilten [X.] ergebe sich daraus, dass sie vom Ortsbürgermeister beglaubigt sei. Aufgrund ihrer psychischen Verfassung sei die Betroffene außerstande, die Ausübung der bestehenden [X.] zu überwachen. Besondere Umstände, die eine [X.] erforderlich machten, ergäben sich hier daraus, dass zwischen den Geschwistern Streit darüber bestehe, ob die Betroffene ausreichend gepflegt und versorgt werde. Die Einrichtung der [X.] sei daher erforderlich, um die Interessen der Betroffenen durch eine neutrale Instanz zu wahren.

6

2. Dies hält einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

7

a) Nach § 1896 Abs. 3 BGB kann ein Betreuer auch zur Geltendmachung von Rechten des Betreuten gegenüber seinem Bevollmächtigten bestellt werden. Mit dieser so genannten [X.] kann im Falle einer wirksam erteilten Vorsorgevollmacht für eine Kontrolle des Bevollmächtigten gesorgt werden, wenn der [X.]geber aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung nicht mehr in der Lage ist, den Bevollmächtigten zu überwachen und gegebenenfalls die [X.] zu widerrufen ([X.]sbeschluss vom 8. Januar 2020 - [X.] 368/19 - FamRZ 2020, 629 Rn. 9 mwN).

8

b) Zu Recht rügen die Rechtsbeschwerden, dass das [X.] die Frage der Geschäftsfähigkeit der Betroffenen im Zeitpunkt der [X.]erteilung nicht hinreichend ausermittelt habe.

9

aa) Die Frage, ob der Betroffene im Zeitpunkt der [X.]erteilung nach § 104 Nr. 2 BGB geschäftsunfähig war, hat das Gericht nach § 26 FamFG von Amts wegen aufzuklären. Unklarheiten, Zweifeln oder Widersprüchen hat es von Amts wegen nachzugehen ([X.]sbeschluss vom 22. Juni 2022 - [X.] 544/21 - FamRZ 2022, 1556 Rn. 18 mwN).

Dabei entscheidet der Tatrichter über Art und Umfang seiner Ermittlungen grundsätzlich nach pflichtgemäßem Ermessen. Dem Rechtsbeschwerdegericht obliegt lediglich die Kontrolle auf Rechtsfehler, insbesondere die Prüfung, ob die Tatsachengerichte alle maßgeblichen Gesichtspunkte in Betracht gezogen haben und die Würdigung auf einer ausreichenden Sachaufklärung beruht ([X.]sbeschluss vom 22. Juni 2022 - [X.] 544/21 - FamRZ 2022, 1556 Rn. 19 mwN).

bb) Nach diesen Maßstäben hat das [X.] die Frage der Geschäftsfähigkeit der Betroffenen zum Zeitpunkt der [X.]erteilung i.S.v. §§ 26, 30 FamFG nicht hinreichend ausermittelt. Das eingeholte Sachverständigengutachten leidet darunter, dass der Sachverständige nicht ergänzend zur persönlichen Untersuchung der Betroffenen auch noch Erkenntnisse aus einem am 25. November 2021 erstatteten [X.] des medizinischen Dienstes zur Pflegebedürftigkeit einbezogen hat. In diesem Gutachten sind unter anderem kognitive Einschränkungen beschrieben, die gegebenenfalls sachverständige Rückschlüsse auf die Geschäftsfähigkeit ermöglichen.

3. Der angefochtene Beschluss kann daher keinen Bestand haben. Der [X.] kann in der Sache nicht abschließend entscheiden, da er die noch erforderlichen Feststellungen nicht selbst treffen kann.

Für das weitere Verfahren weist der [X.] darauf hin, dass, falls das [X.] nach ergänzender sachverständiger Begutachtung erneut zur Wirksamkeit der am 17. Dezember 2021 erteilten [X.] kommen sollte, es bisher auch an tragfähigen Feststellungen zu den Voraussetzungen für die Einrichtung einer [X.] fehlt. Notwendig ist der konkrete, das heißt durch hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte untermauerte Verdacht, dass mit der [X.] dem Betreuungsbedarf nicht Genüge getan wird ([X.]sbeschluss vom 8. Januar 2020 - [X.] 368/19 - FamRZ 2020, 629 Rn. 10 mwN). Allein, dass die Beteiligten zu 3 bis 5 der Beteiligten zu 1 vorwerfen, nicht ausreichend für die Betroffene zu sorgen, ersetzt nicht die für die Einrichtung einer [X.] notwendigen tatsächlichen Anhaltspunkte, mit denen der Verdacht untermauert sein muss, dass mit der [X.] dem Betreuungsbedarf nicht Genüge getan wird. Ebenso führt ein Geschwisterstreit für sich genommen nicht zur Ungeeignetheit eines Bevollmächtigten, sondern nur dann, wenn er sich zum Nachteil des Wohls der Betroffenen auswirkt (vgl. [X.]sbeschluss vom 10. Oktober 2018 - [X.] 230/18 - FamRZ 2019, 140 Rn. 11 mwN), wozu ebenfalls keine Feststellungen getroffen sind.

Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).

[X.]     

      

Schilling     

      

Günter

      

Nedden-Boeger     

      

Pernice     

      

Meta

XII ZB 339/22

02.11.2022

Bundesgerichtshof 12. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Trier, 11. Juli 2022, Az: 6 T 62/22

§ 104 Nr 2 BGB, § 1896 Abs 3 BGB, § 26 FamFG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 02.11.2022, Az. XII ZB 339/22 (REWIS RS 2022, 6711)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 6711 NJW 2023, 365 REWIS RS 2022, 6711

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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XII ZB 368/19

XII ZB 544/21

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