Bundesfinanzhof, Urteil vom 11.10.2023, Az. I R 37/20

1. Senat | REWIS RS 2023, 9779

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Gegenstand

Fiktive unbeschränkte Steuerpflicht bei Bezug einer Sozialversicherungsrente und Wohnsitz in Norwegen


Leitsatz

NV: § 1 Abs. 3 Satz 3 des Einkommensteuergesetzes ist nicht einschränkend dahingehend auszulegen, dass nur solche inländischen Einkünfte als nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegende Einkünfte gelten, bei denen das deutsche Besteuerungsrecht nach konkreter Berechnung im Einzelfall der Höhe nach beschränkt wurde. Vielmehr bezieht sich die Regelung auf eine abstrakte Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts aufgrund der Regelungen eines Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung; dem steht bei einem Wohnsitz des Einkünftebeziehers in einem Staat des Europäischen Wirtschaftsraums (hier: Norwegen) ein Diskriminierungsschutz aus den Grundsätzen der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.04.2004 --sogenannte Freizügigkeitsrichtlinie-- (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften 2004, Nr. L 158, 77) nicht entgegen.

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 10.09.2020 - 2 K 380/19 aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des gesamten Verfahrens hat der Kläger zu tragen.

Tatbestand

I.

1

Streitig ist, ob die Voraussetzungen der unbeschränkten Einkommensteuerpflicht erfüllt sind.

2

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger), geboren am ….1937, ist [X.] Staatsbürger und seit 1974 mit einer [X.] Staatsbürgerin verheiratet. Das Ehepaar verzog im Jahr 2008 aus der [X.] ([X.]) in das [X.] ([X.]). Seit dem 01.11.2002 bezieht der Kläger Leistungen von der [X.] ([X.]), im Jahr 2017 (Streitjahr) ausweislich seiner Rentenbezugsmitteilung [X.] (brutto; darin enthalten ein sogenannter [X.] von [X.]).

3

Unter dem 12.06.2018 reichte der Kläger für das Streitjahr seine Einkommensteuererklärung ein. Darin beantragte er, als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig gemäß § 1 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes in der für das Streitjahr geltenden Fassung (EStG) behandelt zu werden, wobei er die Einzelveranlagung wählte. Zum Nachweis der Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 EStG reichte er einen [X.] Steuer-Vorauszahlungsbescheid ("[X.] skatter og avgifter 2017" = "Vorläufige Berechnung der Steuern und Gebühren 2017") ein und erklärte zudem, neben seiner [X.] Rente lediglich geringfügige Einnahmen in [X.] (Sparzinsen [X.]) zu erzielen. Aus dem endgültigen [X.] Steuerbescheid (vom 15.08.2018) ergibt sich, dass die Zahlungen der [X.] dort der Besteuerung zu Grunde gelegt wurden ("Pension fra EØS-stat [X.] tilsvarer alderspensjon, [X.]" = "Rente aus einem [X.] entsprechend der ([X.]) Altersrente, hier: [X.]"). Unter Berücksichtigung der Kapitaleinkünfte ("Renter på bankinnskudd" = "Zinsen auf Bankeinlagen") und unter Abzug eines Freibetrages ("Minstefradrag i egen inntekt" = "[X.]") wurden diese Besteuerungsgrundlagen der Einkommensteuer ("[X.]") unterworfen. Von dem ermittelten Steuerbetrag wurde sodann ein Steuerfreibetrag ("Skattefradrag for pensjonsinntekt" = "Steuerabzug für Renteneinkommen") in Höhe der zuvor ermittelten Einkommensteuer abgezogen, so dass --im Hinblick auf die Einkommensteuer (die Besteuerungsgrundlagen für die Vermögensteuer ["Formuesskatt"] werden in dem Bescheid ebenfalls ermittelt und diese Steuer auch festgesetzt)-- keine festzusetzende Einkommensteuer verbleibt. Eine Anrechnung der [X.] (ausländischen) Einkommensteuer ("[X.]" = "Abzug für ausländische Einkommensteuer") fällt damit in diesem Jahr aus, wobei allerdings die Höhe der anrechenbaren ausländischen Steuer festgestellt und für zukünftige Jahre vorgetragen wird ("[X.] inntekt" = "[X.] Abzugsbetrag für Steuer auf ausländische Einkünfte").

4

Der Beklagte und Revisionskläger (Finanzamt --[X.]--) veranlagte den Kläger als beschränkt einkommensteuerpflichtig und setzte die Einkommensteuer ([X.]) und den [X.] ([X.]) fest (Bescheid vom [X.]). Er begründete dies damit, dass aufgrund der ab dem 01.01.2015 gültigen Fassung des Abkommens zwischen der [X.] und dem [X.] zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und über gegenseitige Amtshilfe auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen vom [X.] i.d.F. des Protokolls vom 24.06.2013 (Zustimmungsgesetz vom 20.11.2014, [X.] 2014, 907, [X.], 246) --DBA-[X.]-- dem Quellenstaat [X.] nur ein eingeschränktes Recht zur Besteuerung der aus [X.] stammenden Renten und Ruhegehälter zustehe (maximal 15 % der Bruttozahlungen). Daher seien bei der Prüfung der Voraussetzungen einer fiktiven unbeschränkten Steuerpflicht die [X.] Renteneinkünfte als nicht der [X.] Einkommensteuer unterliegend anzusehen (§ 1 Abs. 3 Satz 3 EStG).

5

Das Finanzgericht (FG) [X.] gab der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage statt (Urteil vom 10.09.2020 - 2 K 380/19, Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2021, 279).

6

Das [X.] rügt die Verletzung materiellen Rechts und beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

7

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

8

Das [X.] ist dem Verfahren beigetreten (§ 122 Abs. 2 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--); ein Antrag wurde nicht gestellt.

Entscheidungsgründe

II.

9

Die Revision ist begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils sowie zur Klageabweisung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 [X.]O). Das [X.] hat insoweit gegen Bundesrecht verstoßen, als es dahin erkannt hat, dass es für eine fiktive unbeschränkte Einkommensteuerpflicht bei der Tatbestandsvoraussetzung des § 1 Abs. 3 Satz 3 EStG auf eine konkrete Begrenzung des [X.] Besteuerungsanspruchs ankomme. Vielmehr war die Veranlagung des [X.] --wie es dem Einkommensteuerbescheid entspricht-- nach Maßgabe der beschränkten Steuerpflicht durchzuführen, da dem klägerischen Antrag auf Veranlagung nach (fiktiver) unbeschränkter Steuerpflicht nicht zu entsprechen war.

1. Die Veranlagung einer natürlichen Person, die im Inland weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat und inländische Einkünfte im Sinne des § 49 EStG (hier: sonstige Einkünfte nach § 49 Abs. 1 Nr. 7 EStG durch den Bezug von Leistungen eines inländischen gesetzlichen Rentenversicherungsträgers) erzielt, erfolgt nach Maßgabe beschränkter Steuerpflicht (§ 1 Abs. 4 EStG), wenn nicht die Voraussetzungen der (antragsbezogenen) fiktiven unbeschränkten Steuerpflicht erfüllt sind (hier: Antrag des [X.] im Sinne des § 1 Abs. 3 Satz 1 EStG, ausdrücklich als [Ehegatten-]Einzelveranlagung). Die Beteiligten streiten mit Blick auf die Regelung des Art. 18 Abs. 1 [X.]-[X.] i.d.F. des mit Wirkung vom 03.02.2015 ([X.], 346, BStBl I 2015, 252) und für [X.] ab 2015 (s. z.B. [X.] in [X.] Art. 31 Rz 3) geltenden Protokolls vom 24.06.2013, der dem "Kassenstaat" [X.] ein Besteuerungsrecht bei "Zahlungen im Rahmen eines Sozialversicherungssystems" (und damit aus der gesetzlichen Rentenversicherung - s. z.B. [X.] in [X.] Art. 18 Rz 5 i.V.m. [X.] in [X.] Art. 18 Rz 18) unter Anwendung der Anrechnungsmethode für den Wohnsitzstaat (hier: Art. 23 Abs. 1 Buchst. a [X.]-[X.]) einräumt, "wobei die dort erhobene Steuer 15 Prozent der Bruttozahlung nicht übersteigen darf", insoweit zu Recht nur darum, ob die Wertgrenzen der Wahlrechtsausübung (§ 1 Abs. 3 Satz 2, 3 EStG) eingehalten sind.

2. Die Voraussetzungen der fiktiven unbeschränkten Einkommensteuerpflicht (§ 1 Abs. 3 EStG) sind nicht erfüllt.

a) Nach § 1 Abs. 3 Satz 1 EStG werden auf Antrag auch natürliche Personen als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt, die im Inland weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, soweit sie inländische Einkünfte im Sinne des § 49 EStG haben. Voraussetzung hierfür ist gemäß Satz 2 Halbsatz 1 der Vorschrift, dass entweder ihre Einkünfte im Kalenderjahr mindestens zu 90 % der [X.] Einkommensteuer unterliegen (sogenannte relative [X.]) oder die nicht der [X.] Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte den Grundfreibetrag nach § 32a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EStG nicht übersteigen (sogenannte absolute [X.]). Bei der Prüfung beider [X.]n gelten inländische Einkünfte, die nach einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung ([X.]) nur der Höhe nach beschränkt besteuert werden dürfen, als nicht der [X.] Einkommensteuer unterliegend (Satz 3). Weitere Voraussetzung für die fiktive unbeschränkte Einkommensteuerpflicht ist nach § 1 Abs. 3 Satz 5 EStG, dass die Höhe der nicht der [X.] Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte durch eine Bescheinigung der zuständigen ausländischen Steuerbehörde nachgewiesen wird.

b) Der Kläger hat die vorgenannte relative [X.] nicht gewahrt. Denn bei der Prüfung dieser Grenze sind die vom Kläger im Streitjahr erhaltenen Leistungen der [X.] als "nicht der [X.] Einkommensteuer unterliegend" zu qualifizieren, so dass die von ihm insgesamt bezogenen (Welt-)Einkünfte nicht zu mindestens 90 % der [X.] Einkommensteuer unterliegen; im Übrigen überschreiten die der [X.] Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte im Sinne der absoluten [X.] den Grundfreibetrag des § 32a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EStG.

aa) Das [X.] hält im angefochtenen Urteil eine Auslegung von § 1 Abs. 3 Satz 3 EStG ("… nur der Höhe nach beschränkt besteuert werden dürfen"), die sich am "Sinn und Zweck" der Norm orientiert, nur in der Weise für möglich, dass im konkreten Einzelfall eine tatsächliche Beschränkung des [X.] [X.] (damit ein abkommensrechtliches Hindernis infolge der Beschränkung auf 15 % der Sozialversicherungsrente) eingetreten sein muss (im Grundsatz zustimmend: [X.]/[X.], EStG, 42. Aufl., § 1 Rz 60; [X.] in [X.] EStG, § 1 Rz 253; [X.] in [X.]/[X.], EStG, § 1 Rz 43; evtl. auch [X.]/[X.]/[X.], § 1 EStG Rz 253; [X.], Praxis Internationale Steuerberatung 2023, 176, 178). Denn "in typischen Fällen der 'Auslandsrente' (= Wohnsitz im Ausland und Bezug von Einkünften ausschließlich bzw. nahezu ausschließlich aus [X.]) … würde eine abstrakte Auslegung von § 1 Abs. 3 Satz 3 EStG dazu führen, dass Einkünfte, welche tatsächlich in voller Höhe der [X.] Besteuerung unterliegen, bei der Frage der Anwendbarkeit der fiktiven unbeschränkten Steuerpflicht in vollem Umfang als nicht der [X.] Einkommensteuer unterliegend behandelt werden. Damit würde aber der gesetzliche Zweck, denjenigen Steuerpflichtigen, welche einen hinreichend nahen steuerlichen Bezug zu … ([X.]) aufweisen, steuerliche Vergünstigungen zur Freistellung des Existenzminimums bzw. Berücksichtigung der individuellen Leistungsfähigkeit zu gewähren, geradezu konterkariert. Denn die typischen Bezieher von [X.] weisen diesen nahen steuerlichen Bezug … typischerweise auf, werden jedoch aufgrund einer gesetzlichen Fiktion … unterschiedslos denjenigen Personen gleichgestellt, welche aufgrund der fehlenden steuerlichen Verbindung zu [X.] als beschränkt steuerpflichtig gemäß § 1 Abs. 4 EStG zu behandeln sind." Ob eine tatsächliche Begrenzung vorliege, lasse sich ohne Weiteres im Wege einer Vergleichsrechnung erkennen, bei der geprüft werde, ob selbst bei der für den Steuerpflichtigen ungünstigsten Besteuerungsart (der beschränkten Steuerpflicht) die im jeweiligen Abkommen angelegte Kappungsgrenze (hier nach [X.]-[X.]: 15 % der Bruttozahlung) unterschritten werde.

bb) Der Wortlaut des § 1 Abs. 3 Satz 3 EStG lässt eine solcherart einschränkende Auslegung nicht zu. Denn dort wird ein eindeutiger Bezug zwischen dem Umstand der "beschränkten Besteuerung" und einer abkommensrechtlichen Regelung (dem konkret einschlägigen Abkommen) hergestellt ("… besteuert werden dürfen"), so dass bei der [X.] solche Einkünfte ungeachtet der tatsächlichen Besteuerung nicht als "inländische Einkünfte" gelten, die unter den objektiven Tatbestand der abkommensrechtlichen Norm (die ihrerseits eine Begrenzung des [X.] [X.] zur Folge hat) subsumiert werden können (insoweit wohl auch Tiedchen, E[X.] 2021, 285, 286 und im Ergebnis [X.] in Kirchhof/Seer, EStG, 22. Aufl., § 1 Rz 20). Dieser Regelungsintention trägt auch Satz 4 Rechnung, der "abstrakt" bestimmte (andere) Einkünfte aus der Wertgrenzenermittlung herausnimmt.

cc) Der Senat hat in ständiger Rechtsprechung als Regelungszweck der zweistufigen Wertgrenzenermittlung (Ermittlung der Summe der [X.] [Summe sämtlicher Einkünfte unabhängig davon, ob sie im In- oder Ausland erzielt wurden, unter Annahme einer unbeschränkten Einkommensteuerpflicht]; sodann Ermittlung der Einkünfte, die der [X.] Einkommensteuer unterliegen beziehungsweise nicht unterliegen - s. z.B. Senatsurteil vom 01.06.2022 - I R 3/18, [X.], 246, [X.] 2023, 230) auf die notwendige Umsetzung der Rechtsprechung des Gerichtshofs der [X.] --[X.]-- (früher Gerichtshof der [X.]en) verwiesen (grundlegend [X.]-Urteil Schumacker vom 14.02.1995 - [X.]/93, [X.]:[X.]). Danach ist es grundsätzlich Sache des [X.], den Steuerpflichtigen nach Maßgabe seiner gesamten Leistungsfähigkeit zu besteuern; eine unionsrechtliche Verpflichtung des [X.], dem [X.] (beschränkt Steuerpflichtigen) die Steuervergünstigungen einzuräumen, die auch einem Gebietsansässigen (unbeschränkt Steuerpflichtigen) zustehen, besteht nur dann, wenn der Gebietsfremde seine Einkünfte im Wesentlichen in seinem Quellenstaat (Beschäftigungsstaat) erzielt und deshalb der Wohnsitzstaat nicht in der Lage ist, die persönlichen und familienbezogenen Umstände des Steuerpflichtigen zu berücksichtigen (s. dazu Senatsurteile vom 13.11.2002 - I R 67/01, [X.], 54, [X.] 2003, 587; vom 20.08.2003 - I R 72/02, [X.], 321; vom 01.10.2014 - I R 18/13, [X.], 388, [X.] 2015, 474; vom 12.08.2015 - I R 18/14, [X.], 182, [X.] 2016, 201; s. aus der Literatur z.B. [X.] in [X.]/[X.]/[X.], § 1 EStG Rz 8). Die Grundlinien dieser gesetzlichen Umsetzung begegnen keinen verfassungsrechtlichen Bedenken (z.B. --auch mit Blick auf § 1a EStG-- Senatsurteil vom 22.03.2023 - I R 45/19, [X.]NV 2023, 947, Rz 36 ff.).

In der fallbezogenen Konstellation der abkommensrechtlichen Zuweisung eines der Höhe nach begrenzten [X.] an den Quellenstaat (im Streitfall allerdings: ohne dass für die betreffenden Einkünfte nach [X.] Steuerrecht ein Steuerabzug "an der Quelle" --wie zum Beispiel für Dividenden oder [X.] vorgesehen ist, was aber weder eine Bedingung im [X.] darstellt noch in § 1 Abs. 3 Satz 3 EStG Erwähnung findet) in Verbindung mit der uneingeschränkten Besteuerungsbefugnis des Wohnsitzstaats (mit gleichzeitiger Anrechnungsverpflichtung für die ausländische Steuer des [X.] durch den Wohnsitzstaat) wird man eine entsprechende Gefahrenlage für die Berücksichtigung der persönlichen und familienbezogenen Umstände des Steuerpflichtigen angesichts des uneingeschränkten [X.] des Wohnsitzstaats allerdings nicht zu befürchten haben. Denn der Sache nach gesteht der Wohnsitzstaat nur aufgrund ausdrücklicher zwischenstaatlicher Vereinbarung dem Quellenstaat eine Partizipation an dem durch diese Einkünfte ausgelösten Steuerertrag zu. Dies zeigt sich auch an der Einschätzung des Gesetzgebers in der Begründung des Gesetzentwurfs zur (weitgehend wortlautähnlichen) Regelung des § 50 Abs. 4 Satz 4 EStG i.d.F. des sogenannten Grenzpendlergesetzes vom [X.] ([X.] 1994, 1395, [X.], 440), dass der Wohnsitzstaat das Besteuerungsrecht für die aus dem Herkunftsstaat zufließenden Einkünfte bei einem der Höhe nach beschränkten Besteuerungsrecht des Herkunftsstaates "im [X.]" behält (BTDrucks 12/6476, S. 12). Dieser Umstand wird im Streitfall nicht dadurch berührt, dass eine Anrechnung der Steuer des [X.] auf die Einkommensteuer im Wohnsitzstaat wegen nicht ausreichendem Anrechnungsvolumen im Streitjahr (und nach der Darstellung des [X.] in der mündlichen Verhandlung auch bereits in den Vorjahren und in den Folgejahren) ausfällt, aber (wie nach den Feststellungen des [X.] im Streitfall nach der [X.] Steuerrechtslage) in der Zukunft für eine Realisierung jedenfalls faktisch (wenn auch abhängig von der Höhe des dortigen zu versteuernden Einkommens und der [X.] Einkommensteuer vor der Anrechnung) zur Verfügung steht ("Anrechnungsvortrag"). Auf dieser Grundlage geht es daher abweichend zur Ansicht im angefochtenen Urteil nicht darum, dem jeweils --abkommensrechtlich determinierten-- (begrenzten) Steuersatz (hier: 15 %) eine Maßstabswirkung für den "Grad der Verbindung" des Steuerpflichtigen zum Quellenstaat zuzuweisen, die die Frage der Berücksichtigung der persönlichen und familienbezogenen Umstände beantworten könnte. Entgegen der Ansicht des [X.] löst nicht die konkrete Beeinträchtigung des nationalen Steueraufkommens durch die Limitierung auf den abkommensrechtlichen Satz die Rechtsfolge der gesetzlichen Fiktion aus, sondern die abkommensrechtliche Zuweisung des (grundsätzlichen) [X.] an den Wohnsitzstaat, verbunden mit einem bruttovergütungsbezogenen Besteuerungsrecht des [X.]. Die Nichtberücksichtigung dieser Einkünfte bei der [X.] (Quellenstaat) beruht dabei darauf, dass wegen des [X.] beider [X.] zulasten des Steuerpflichtigen eine doppelte Einbeziehung in eine staatenbezogene Bemessungsgrundlage ausgelöst werden könnte, ein solcher Konflikt aber durch das Zurückstehen des [X.] vermieden werden soll (so [X.] in Kirchhof/Seer, EStG, 22. Aufl., § 1 Rz 20 mit Hinweis auf [X.] in [X.]/[X.]/[X.], § 1 EStG Rz 278), wie auch zugunsten des Steuerpflichtigen eine doppelte Privilegierung mit Blick auf persönliche beziehungsweise familienbezogene Umstände ausgeschlossen sein soll.

dd) Dass es infolge der Regelung zu einer Benachteiligung solcher Steuerpflichtiger kommen kann, die in einem Staat ansässig sind, mit dem [X.] ein [X.] abgeschlossen hat (so [X.]/[X.] in [X.], EStG, § 1 Rz D 76 mit Hinweis insbesondere auf [X.], Internationales Steuerrecht 1996, 111 f. [im Nicht-[X.]-Fall bestehe ein uneingeschränktes [X.] Besteuerungsrecht, so dass die [X.] leichter erfüllt werden könne]), trägt nach der Überzeugung des Senats keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Anwendungszweifel (anderer Ansicht [X.] in [X.], Internationales Steuerrecht, 5. Aufl., Rz 6.44). Denn die belastende Rechtsfolge knüpft an den Umstand einer staatenübergreifenden Zuweisung eines [X.] im Quellenstaat (unter Anrechnung dieser Steuer im Wohnsitzstaat) an, nicht aber an den Umstand des Vorliegens eines [X.]. Soweit die Benachteiligung daran festgemacht wird, dass durch die Regelung die Abgeltungswirkung eines Quellensteuerabzugs (mit möglicherweise nachteiligen Wirkungen für den Steuerpflichtigen) bewahrt werde und damit die Empfänger von abzugsteuerpflichtigen Einkünften (zum Beispiel Dividenden und Zinsen) unterschiedlich behandelt werden, je nachdem, ob sie in einem Land wohnen, mit dem ein [X.] besteht oder nicht (so Förster, [X.], 1297, 1299; [X.], [X.] --[X.]-- 1995, 766, 770), ist diese Konstellation für den Streitfall nicht einschlägig.

3. Dem Begehren des [X.] ist auch nicht auf der Grundlage einer Auslegung des nationalen Rechts im Lichte des vorrangigen Unions- beziehungsweise überstaatlichen Rechts zu entsprechen.

a) Das [X.] hat ohne Rechtsfehler dahin erkannt, dass sich der Kläger nicht mit Erfolg auf Art. 28 des Abkommens über den [X.] vom 02.05.1992 --[X.]-Abkommen-- ([X.]I 1993, 266; s.a. die Verordnung ([X.]) Nr. 2894/94 des Rates vom 28.11.1994 mit Durchführungsvorschriften zum Abkommen über den [X.], [X.] --ABl[X.]-- 1994, Nr. L 305, 6) berufen kann.

Zwar ist die [X.] ([X.]) gemäß Art. 1 Abs. 3 Satz 3 des Vertrages über die [X.] als Rechtsnachfolgerin der [X.] in diesen Vertrag eingetreten (z.B. [X.]/[X.] in: [X.]/Hilf/[X.], Das Recht der [X.], Art. 217 A[X.]V Rz 73), und das [X.] ist Vertragspartei des [X.]-Abkommens (Präambel des Abkommens, ABl[X.] 1994, Nr. L 1, 7; s.a. Streit, Neue Juristische Wochenschrift 1994, 555; [X.], [X.] 2005, 236, 237). Allerdings entspricht Art. 28 des [X.]-Abkommens nach der ständigen Rechtsprechung des [X.] der Regelung des Art. 45 des [X.] Arbeitsweise der [X.] i.d.[X.] zur Änderung des [X.] [X.] und des [X.] [X.] --A[X.]V-- (Amtsblatt der [X.] --ABl[X.]-- 2008, Nr. [X.] 115, 47) zur Arbeitnehmerfreizügigkeit ([X.]-Urteile [X.]/[X.] vom 12.07.2012 - [X.]-269/09, [X.]:[X.]:2012:439, Rz 95 sowie [X.]/[X.] vom 21.12.2016 - [X.]-503/14, [X.]:[X.]:2016:979, Rz 70; s. zur Auslegungskompetenz des [X.] insoweit [X.], [X.] 2005, 236, 237 f.). Zu dieser Regelung hat der [X.] entschieden, dass sich eine Person, die ihr komplettes Berufsleben in ihrem Herkunftsstaat (hier: [X.]) verbracht hat und den Wohnsitz erst nach Eintritt in den Ruhestand in den jetzigen Wohnsitzstaat (hier: [X.]) verlegt, nicht auf diese Vorschrift berufen kann (Urteil [X.] vom 09.11.2006 - [X.]-520/04, [X.]:[X.]:2006:703, Rz 13 ff.; bestätigt durch Urteile Hirvonen vom 19.11.2015 - [X.]-632/13, [X.]:[X.]:2015:765, Rz 21 sowie [X.] und [X.]-Schlesser vom 26.05.2016 - [X.]-300/15, [X.]:[X.]:2016:361, Rz 26).

b) Das [X.] hat ebenfalls ohne Rechtsfehler dahin erkannt, dass sich der Kläger nicht mit Erfolg auf Art. 21 A[X.]V berufen kann. Denn in räumlicher Hinsicht ist im Streitfall nicht die Freizügigkeit zwischen zwei Mitgliedstaaten der [X.] betroffen (s. allgemein [X.] in [X.], [X.]V/A[X.]V, 3. Aufl., Art. 21 A[X.]V Rz 18; zum Erfordernis eines grenzüberschreitenden Sachverhalts zwischen zwei Mitgliedstaaten s.a. z.B. [X.] in M. Lang [Hrsg.], [X.], Bd. 41, 2018, 195, 252).

c) Allerdings hat das [X.] dahin erkannt, dass die Richtlinie 2004/38/[X.] des Europäischen Parlaments und des [X.] (ABl[X.] 2004, Nr. L 158, 77) dem Kläger einen mit Art. 21 A[X.]V vergleichbaren Schutz einräumt. Dem ist nicht zu folgen.

aa) Die Freizügigkeitsrichtlinie gewährleistet (wie auch Art. 21 A[X.]V) die allgemeine Freizügigkeit im Binnenraum der [X.], woraus in Verbindung mit Art. 18 Abs. 1 A[X.]V zugleich ein allgemeines Diskriminierungsverbot in Bezug auf die Rahmenbedingungen und das Verhalten während der Ausübung der Freizügigkeit (als Bewegungs- und Aufenthaltsfreiheit) folgt (z.B. [X.] in [X.]alliess/[X.], [X.]V/A[X.]V, 5. Aufl., Art. 21 Rz 1 ff. sowie 6, m.w.N.). Nach Auffassung des [X.] soll die Richtlinie auf den Kläger anwendbar sein, da deren Grundsätze gemäß Art. 1 Nr. 1 des Beschlusses des [X.] vom 07.12.2007 (ABl[X.] 2008, Nr. L 124, 20) auch für Angehörige von [X.] des [X.]s ([X.]) gelten solle und der räumliche Anwendungsbereich auch das Staatsgebiet von [X.]-[X.] umfasse (das [X.] verweist auf [X.], [X.] und [X.] Integration - Völker- und europarechtliche Probleme dargestellt am Beispiel [X.]s, 2007, S. 47). Sie biete entsprechend der Rechtsprechung des [X.] zur Anwendung von Art. 18 Abs. 1 A[X.]V im Bereich der Verwirklichung von Grundfreiheiten (Urteil [X.]/[X.] vom 13.02.1985 - [X.]-293/83, [X.]:[X.]:1985:69) einen Schutz vor Diskriminierung, die der Kläger bei Berücksichtigung der Grundsätze, die der [X.] in der Entscheidung [X.] (Urteil vom 09.11.2006 - [X.]-520/04, [X.]:[X.]:2006:703) aufgestellt habe, durch § 1 Abs. 3 Satz 3 EStG (im Zusammenhang mit dem Inkrafttreten des Protokolls zu Art. 18 Abs. 1 [X.]-[X.] für die Erhebung von Steuern ab 2015) in Form einer Verletzung seines Rechts auf allgemeine Freizügigkeit in diskriminierender Weise erleide, da die Vorschrift ihn im Streitfall ausschließlich deswegen steuerlich schlechterstelle, weil er von seinem Recht auf Ausübung der allgemeinen Freizügigkeit (Umzug nach [X.] in 2008 und anschließend dortiger Aufenthalt) Gebrauch gemacht habe.

bb) Diesem Verständnis der Vorinstanz ist nicht beizupflichten. Es ist zwar nicht in Abrede zu stellen, dass ein Art. 21 A[X.]V entsprechendes Freizügigkeitsrecht auch solchen Personen zusteht, die in einem [X.]-Staat wohnhaft sind (der Kläger verweist auf die Urteile des EFTA-[X.]ourt vom 27.06.2014 - [X.]/13 [X.] ./. [X.]; vom 26.07.2016 - [X.]/15 Yankuba Jabbi ./. [X.] und vom 13.05.2020 - [X.]/19 [X.]ampbell ./. [X.]). Unabhängig von der Frage, ob die Freizügigkeit in diesem Sinne einen über das [X.]-spezifische allgemeine Freizügigkeitsrecht der Arbeitnehmer beziehungsweise das allgemeine Niederlassungsrecht hinausreichenden Anwendungsbereich hat, geht allerdings schon der auf den Vergleich mit der Entscheidungskonstellation in der [X.]-Rechtssache [X.] (Urteil vom 09.11.2006 - [X.]-520/04, [X.]:[X.]:2006:703) beruhende Vorwurf einer tatbestandsrelevanten Diskriminierung fehl. Während in diesem [X.]-Urteil ausgeführt wird (Rz 28), "dass sich der gebietsfremde Steuerpflichtige - ob er nun als Arbeitnehmer oder Selbständiger tätig ist -, wenn er seine gesamten oder nahezu seine gesamten Einkünfte in dem Staat erzielt, in dem er seine berufliche Tätigkeit ausübt, hinsichtlich der Einkommensteuer objektiv in derselben Situation befindet wie der in diesem Staat Ansässige, der dort die gleiche Tätigkeit ausübt. Beide werden nur in diesem Staat besteuert, und die Bemessungsgrundlage für ihre Steuer ist dieselbe …", ist der Streitfall durch die im Streitjahr maßgebende abkommensrechtliche Vereinbarung zwischen [X.] und [X.] bestimmt, dass beide [X.] mit Blick auf die hier gegenständlichen ([X.]-)Einkünfte ein Besteuerungsrecht haben ([X.] als Quellenstaat nur ein begrenztes) und eine Besteuerung durchführen (der Wohnsitzstaat [X.] dabei unter Anrechnung der [X.] Steuer). Eine Vergleichbarkeit mit einem in [X.] ansässigen Bezieher von [X.]-Einkünften, der nur in seinem Quellen- und Wohnsitzstaat nach Maßgabe unbeschränkter Steuerpflicht besteuert wird, besteht nicht; es geht damit nicht entscheidungserheblich um den Umstand, dass der Kläger als Steuerpflichtiger mit [X.] Staatsangehörigkeit zwar in einem anderen Staat (hier: [X.]) lebt, nahezu die gesamten von ihm erzielten Einkünfte jedoch aus [X.] zufließen (siehe allgemein zur Freistellung von abkommensrechtlichen Maßgaben der Aufteilung der [X.] vom Diskriminierungsvorwurf bei der Besteuerung des Ruhegehalts [X.]-Urteil [X.] vom 30.04.2020 - [X.]-168/19 und [X.]-169/19, [X.]:[X.]:2020:338). Allenfalls wird man dem Wohnsitzstaat, der abkommensrechtlich dem Quellenstaat ein (begrenztes) Besteuerungsrecht zugestanden hat, die Aufgabe zuweisen können, die wirtschaftliche Belastung des seine Freizügigkeit in Anspruch nehmenden Steuerpflichtigen im Rahmen der eigenen Steuerveranlagung auszugleichen (siehe auch die Verpflichtung zum Ausgleich steuerlicher Benachteiligungen in der [X.] in EFTA-[X.]ourt vom 27.06.2014 - [X.]/13 [X.] ./. [X.]). Nicht zuletzt kann ausgeschlossen werden, dass dem Freizügigkeitsrecht die Wirkung zukommen kann, die im Augenblick der konkreten Ausübung der grenzüberschreitenden Freizügigkeit geltende Rechtslage vor künftigen relevanten Rechtsänderungen (hier mit Blick auf die abkommensrechtliche [Neu-]Justierung des [X.]; s.a. Senatsurteil vom 22.03.2023 - I R 45/19, [X.]NV 2023, 947, Rz 34) auf Dauer zu bewahren (Rechtsgedanke aus dem Beschluss des [X.] vom 05.02.2002 - 2 BvR 305/93, 2 BvR 348/93, [X.] 105, 17).

4. [X.] beruht auf § 135 Abs. 1 [X.]O.

Meta

I R 37/20

11.10.2023

Bundesfinanzhof 1. Senat

Urteil

vorgehend Finanzgericht Mecklenburg-Vorpommern, 10. September 2020, Az: 2 K 380/19, Urteil

§ 1 Abs 3 S 3 EStG 2009, Art 18 Abs 1 DBA NOR vom 24.06.2013, Art 21 AEUV, § 49 Abs 1 Nr 7 EStG 2009, § 1 Abs 4 EStG 2009, EStG VZ 2017, Art 3 Abs 1 GG, Art 45 AEUV, EGRL 38/2004

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 11.10.2023, Az. I R 37/20 (REWIS RS 2023, 9779)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 9779

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