Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 10.10.2013, Az. V ZB 127/12

V. Zivilsenat | REWIS RS 2013, 2150

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V [X.]
vom

10. Oktober
2013
in der Zurückschiebungshaftsache
Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
FamFG § 68 Abs. 3 Satz 2
Das Beschwerdegericht kann, sofern die Voraussetzungen des §
68 Abs.
3 Satz
2 FamFG im Übrigen vorliegen, von der persönlichen Anhörung des Betroffenen nur absehen, wenn die erste Instanz diese verfahrensfehlerfrei durchgeführt hat. Daran ändert auch ein von dem Betroffenen erklärter Verzicht auf eine erneute Anhörung nichts.
[X.], Beschluss vom 10. Oktober 2013 -
V [X.] -
LG [X.]

[X.]

-
2
-
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 10. Oktober 2013 durch die Vorsitzende Richterin Dr.
Stresemann, den Richter Dr.
Roth, die Richterinnen Dr.
Brückner und Weinland und den Richter Dr.
Kazele

beschlossen:

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird
festgestellt, dass der Beschluss des [X.] vom 22. April
2012 und der Beschluss
der 5. Zivilkammer des [X.]s Saarbrü-cken
vom 29. Mai 2012 ihn in seinen
Rechten verletzt haben.

Gerichtskosten werden
in allen Instanzen
nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in allen Instanzen werden der [X.]
auferlegt.

Der Gegenstandswert des [X.] beträgt 3.000

Gründe:

I.
Der Betroffene, ein
eritreischer
Staatsangehöriger,
wurde am 22. April
2012
am [X.] festgenommen, weil er nicht im Besitz der für die Einreise in die [X.] erforderlichen Papiere war. Ein [X.] ergab Treffer für [X.], [X.] und die [X.].
Mit Bescheid vom 22.
April 2012 verfügte die beteiligte Behörde
die Zurück-1
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3

-
schiebung des Betroffenen nach [X.] oder
in
einen anderen Staat, in den er einreisen dürfe.
Auf Antrag der beteiligten Behörde hat
das Amtsgericht nach Anhörung des Betroffenen mit Beschluss vom 22. April 2012
Zurückschiebungshaft bis zum 21. Juli
2012
angeordnet.
Das [X.] hat die Beschwerde zurückge-wiesen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit der er die Feststellung erreichen will, dass die Beschlüsse der Vorinstanzen ihn in seinen Rechten verletzt haben.
II.
Das Beschwerdegericht meint, der Haftantrag genüge den gesetzlichen Anforderungen.
Die Aushändigung des [X.] an den Betroffenen sei entbehrlich gewesen. Nur wenn der Betroffene im Hinblick auf die Besonderhei-ten des jeweiligen Falles ohne vorherige Kenntnis des Inhalts des [X.] nicht in der Lage sei, zur Sachaufklärung
beizutragen, müsse ihm der Antrag vor der Anhörung übermittelt werden. In Fällen wie dem vorliegenden, die einen einfachen und überschaubaren Sachverhalt beträfen, genüge die Eröffnung des [X.] zu Beginn der Anhörung. Das sei hier erfolgt.
Dem Betroffenen sei vor Beginn der Anhörung der Haftantrag durch telefonische Beteiligung der Dolmetscherin bekannt gegeben und übersetzt worden. Der Betroffene habe auch erklärt, dass er die Ausführungen verstanden habe und wisse, dass er seinen Asylantrag in [X.] weiter verfolgen müsse.
III.
Die Rechtsbeschwerde ist nach Erledigung der Hauptsache mit dem Feststellungsantrag analog § 62 FamFG ohne Zulassung nach § 70 Abs. 3 Nr.
3 FamFG statthaft (vgl. nur Senat, Beschluss vom 29. April 2010 2
3
4
-

4

-

V
ZB
218/09, [X.] 2010, 359, 360), form-
und fristgerecht gemäß § 71 FamFG eingelegt und hat Erfolg.
1. Der Betroffene ist durch die Haftanordnung des [X.] deshalb in seinen Rechten verletzt worden, weil ihm der Haftantrag nicht ausgehändigt worden ist. Zwar kann ihm der Antrag erst zu Beginn der Anhö-rung eröffnet werden, wenn er einen einfachen, überschaubaren Sachverhalt betrifft, zu welchem er auch unter Berücksichtigung einer etwaigen Überra-schung ohne weiteres auskunftsfähig ist. Daraus folgt
jedoch nicht, dass sich der Haftrichter in einem solchen Fall darauf beschränken darf, den Inhalt des Haftantrags mündlich vorzutragen. Vielmehr muss dem Betroffenen in jedem Fall eine Ablichtung des Antrags ausgehändigt, erforderlichenfalls (mündlich) übersetzt und dies in dem Anhörungsprotokoll oder an einer anderen [X.] schriftlich dokumentiert werden (Senat, Beschluss vom 14. Juni 2012

[X.], [X.] 2012, 369 Rn. 9; Beschluss vom 6. Dezember 2012

[X.], [X.] 2013, 157 Rn. 5).
An der Aushändigung einer Ablichtung des [X.] fehlt es hier. Dem Protokoll über die Anhörung des Betroffenen durch das Amtsgericht lässt sie sich nicht entnehmen.
2. Die daraus folgende Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103
Abs. 1 GG; vgl. Senat, Beschluss vom 11. Oktober 2012

V
ZB
274/11, [X.] 2013, 40 Rn.
6) ist auch im Beschwerdeverfahren nicht behoben worden.
Eine Heilung des Verstoßes

die
mit Wirkung für die Zukunft möglich wä-re (vgl. Senat, Beschluss vom 15.
September 2011

V
ZB
136/11, [X.]
2011, 318 Rn. 8)

ist in der Beschwerdeinstanz
nicht
eingetreten. Zwar ist dem Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen nach der Einlegung der Beschwerde der Haftantrag übermittelt worden. Die Heilung setzt aber darüber 5
6
7
-

5

-
hinaus eine Anhörung voraus, in der sich der Betroffene zu dem ihm nunmehr bekannten Haftantrag äußern kann (vgl. Senat, Beschluss vom 20. März 2012

[X.], Rn. 12,
juris). Das Beschwerdegericht hat
eine solche nicht durchgeführt. Der Umstand, dass
der Betroffene auf die erneute persönliche Anhörung verzichtet hat, machte diese nicht entbehrlich.

Nach § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG kann das Beschwerdegericht von der Durchführung eines Termins, einer mündlichen Verhandlung oder einzelner Verfahrenshandlungen absehen, wenn diese bereits im ersten Rechtszug vor-genommen wurden und von einer erneuten Vornahme keine zusätzlichen [X.] zu erwarten sind. Obwohl das Beschwerdeverfahren als volle [X.] ausgestaltet ist, wird
es in das pflichtgemäße Ermessen des Be-schwerdegerichts
gestellt, in welchem Umfang es Ermittlungen und Beweiser-hebungen wiederholt. Die Vorschrift dient der effizienten Nutzung gerichtlicher Ressourcen in der Beschwerdeinstanz, indem unnötige doppelte Beweisauf-nahmen verhindert werden und auf
die Durchführung eines Termins verzichtet
werden kann, wenn die Sache bereits in der ersten Instanz im erforderlichen Umfang mit den Beteiligten erörtert wurde ([X.], Beschluss vom 2. März 2011

[X.] 346/10, NJW 2011, 2365 Rn. 12 unter
Hinweis auf BT-Drucks. 16/6308
S. 207 re. Sp.).
§ 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG
räumt daher auch in einem Frei-heitsentziehungsverfahren dem Beschwerdegericht die Möglichkeit ein, von einer erneuten
Anhörung
des Betroffenen abzusehen, etwa wenn die erstin-stanzliche
Anhörung
des Betroffenen nur kurze Zeit zurückliegt, sich nach dem Akteninhalt keine neuen entscheidungserheblichen Tatsachen oder rechtliche Gesichtspunkte ergeben, das Beschwerdegericht das in den Akten dokumen-tierte Ergebnis der erstinstanzlichen
Anhörung
nicht abweichend werten will und es auf
den persönlichen Eindruck des Gerichts von dem Betroffenen nicht an-kommt. Macht das Beschwerdegericht von dieser Möglichkeit Gebrauch, muss es in seiner Entscheidung die Gründe hierfür in nachprüfbarer Weise darlegen 8
-

6

-
(zum Unterbringungsverfahren: [X.], Beschluss vom 2. März 2011

XII
ZB
346/10, aaO Rn. 13 mwN).
Auch ein ausdrücklich erklärter Verzicht des Betroffenen auf eine erneute persönliche Anhörung kann
in diesem Zusam-menhang von Bedeutung sein, da der Betroffene hierdurch zu erkennen gibt, dass von einer erneuten Anhörung aus seiner Sicht keine zusätzlichen [X.] zu erwarten sind.
Allerdings kann in einem Beschwerdeverfahren nicht von einer [X.] solcher Verfahrenshandlungen abgesehen werden, bei denen das [X.] des ersten Rechtszugs zwingende Verfahrensvorschriften verletzt hat ([X.], Beschluss vom 2. März 2011

[X.] 346/10, aaO Rn. 15 mwN; Senat, Beschluss vom 18. August 2010

[X.], juris Rn. 13; Beschluss vom 8.
Februar 2012

V ZB 260/11, juris Rn. 6). In diesem Fall muss das Be-schwerdegericht

vorbehaltlich der Möglichkeiten nach
§ 69 Abs. 1 Satz 2 und
3 FamFG, die in Haftsachen wegen des aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG abzu-leitenden Beschleunigungsgrundsatzes
([X.] 20, 45, 49 f.; 46, 194, 195)
praktisch nicht zum Tragen kommen

den betreffenden Teil des Verfahrens nachholen. Dies gilt insbesondere dann, wenn das erstinstanzliche Gericht bei der Anhörung
des Betroffenen zwingende Verfahrensvorschriften verletzt hat (zum Unterbringungsverfahren: [X.], Beschluss vom 2. März 2011

XII
ZB
346/10, aaO Rn. 14 mwN).
Die
Anhörung des Betroffenen in Freiheits-entziehungssachen nach §
420
Abs. 1 FamFG
dient der Verwirklichung der in Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG
garantierten Rechte eines Betroffenen. Danach darf die Freiheit einer Person nur aufgrund eines förmlichen Gesetzes und unter Beachtung der darin vorgeschriebenen Formen beschränkt werden. [X.] bei der Durchführung der Anhörung
verletzen den Betroffenen des-halb nicht nur in seinem Anspruch auf
Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art.
103 Abs. 1 GG, sondern auch in seinem grundrechtsgleichen Recht aus 9
-

7

-
Art.
104 Abs. 1 Satz 1 GG (vgl. [X.], Beschluss vom 2. März 2011

XII
ZB
346/10, aaO Rn. 15 mwN).
Nachdem die erstinstanzliche Anhörung des Betroffenen an einem we-sentlichen Verfahrensmangel litt, konnte das Beschwerdegericht daher trotz des von dem Betroffenen erklärten Verzichts nicht von dessen erneuter
Anhörung absehen.
IV.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
81 Abs.
1, §
83 Abs.
2, §
430
FamFG, Art.
5 [X.] analog, §
128c Abs.
3 Satz
2 [X.], die Festsetzung des [X.] aus §
128c Abs.
2 [X.], §
30 Abs.
2 [X.].

Stresemann
Roth
Brückner

Weinland
Kazele

Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 22.04.2012 -
7 [X.] -

LG [X.], Entscheidung vom 29.05.2012 -
5 [X.] -

10
11

Meta

V ZB 127/12

10.10.2013

Bundesgerichtshof V. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 10.10.2013, Az. V ZB 127/12 (REWIS RS 2013, 2150)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 2150

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V ZB 142/12

XII ZB 346/10

V ZB 119/10

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