Bundesgerichtshof, Beschluss vom 16.05.2013, Az. V ZB 44/12

5. Zivilsenat | REWIS RS 2013, 5758

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Gegenstand

Abschiebungshaftverfahren: Androhung der Abschiebung als Rückkehrentscheidung; Vorliegen der Abschiebungsandrohung im Zeitpunkt der Sicherungshaftanordnung; Darlegung der Abschiebungsvoraussetzungen im Haftantrag


Leitsatz

1. Die Androhung der Abschiebung enthält die nach der Richtlinie 2008/115/EG (Rückführungsrichtlinie) erforderliche Rückkehrentscheidung.

2a. Eine nach § 59 AufenthG erforderliche Abschiebungsandrohung muss im Zeitpunkt der Sicherungshaftanordnung vorliegen. Die Absicht der Ausländerbehörde, sie demnächst zu erlassen, reicht nicht aus.

2b. Zu den in einem Antrag auf Anordnung von Sicherungshaft darzulegenden Abschiebungsvoraussetzungen gehört die Androhung der Abschiebung oder die Darlegung, dass eine solche ausnahmsweise entbehrlich ist (z.B. nach § 59 Abs. 1 Satz 3 AufenthG oder nach § 34a Abs. 1 Satz 3 AsylVfG).

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird festgestellt, dass der Beschluss des [X.] vom 18. Januar 2012 ihn in seinen Rechten verletzt hat. Die weitergehende Rechtsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in allen Instanzen werden der [X.] auferlegt.

Der Gegenstandswert des [X.] beträgt 3.000 €.

Gründe

I.

1

Der Betroffene, ein [X.] Staatsangehöriger, hatte 2009 in [X.] und später auch in der [X.] und in [X.] Asylanträge gestellt. Nach eigenen Angaben reiste er am 1. Januar 2012 ohne die erforderlichen Papiere in das [X.] ein. Am 17. Januar 2012 wurde er in [X.] vorläufig festgenommen.

2

Auf Antrag der Beteiligten zu 2 vom 18. Januar 2012 hat das Amtsgericht am selben Tag [X.] gegen den Betroffenen bis zum 31. März 2012 angeordnet. Einen von dem Betroffenen am Folgetag gestellten Asylantrag hat das [X.] mit Bescheid vom 6. Februar 2012 als unzulässig abgelehnt, nachdem [X.] seine Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrags erklärt hatte.

3

Das [X.] hat die gegen die Haftanordnung gerichtete Beschwerde zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde möchte der am 28. Februar 2012 an [X.] überstellte Betroffene die Rechtswidrigkeit der Haftanordnung und der Beschwerdeentscheidung festgestellt wissen.

II.

4

Das Beschwerdegericht hat die Haftgründe des § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 5 [X.] für gegeben und das Beschleunigungsgebot für gewahrt erachtet. Eine schriftliche Rückkehrentscheidung im Sinne von Art. 6 der Richtlinie 2008/115/[X.] müsse im [X.]punkt der Anordnung von [X.] noch nicht vorliegen; im konkreten Fall sei sie zudem nach Art. 6 Abs. 3 der [X.] entbehrlich gewesen.

III.

5

1. Die Rechtsbeschwerde ist nicht statthaft, soweit der Betroffene geltend macht, er sei dem Haftrichter nicht unverzüglich im Sinne von Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG vorgeführt worden. Denn die Rechtmäßigkeit der polizeilichen Ingewahrsamnahme, die hierdurch in Zweifel gezogen wird, kann mit der Rechtsbeschwerde nicht überprüft werden; insoweit ist der Rechtsweg mit der Beschwerdeentscheidung erschöpft (vgl. [X.], Beschluss vom 12. Mai 2011 - [X.]/10, [X.] 2011, 253; Beschluss vom 23. Mai 2011 - [X.], juris).

6

2. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und begründet, soweit der Betroffene festgestellt wissen will, dass die Entscheidung des Amtsgerichts ihn in seinen Rechten verletzt hat. Die Haftanordnung vom 18. Januar 2012 war rechtswidrig, weil es an einem zulässigen Haftantrag nach § 417 FamFG fehlte.

7

a) Das Vorliegen eines zulässigen [X.] ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung ([X.], Beschluss vom 29. April 2010 - [X.], [X.] 2010, 210, 211, Rn. 12; Beschluss vom 22. Juli 2010 - [X.], NVwZ 2010, 1511, 1512, Rn. 7). Der Haftantrag muss nach § 417 Abs. 2 Satz 1 FamFG begründet werden. Erforderlich sind Darlegungen zu der zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den [X.], zu der Erforderlichkeit der Haft, zu der Durchführbarkeit der Abschiebung und zu der notwendigen Haftdauer (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 5 FamFG). Ein Verstoß gegen den Begründungszwang führt zur Unzulässigkeit des [X.] ([X.], Beschluss vom 29. April 2010 - [X.], aaO, Rn. 14; Beschluss vom 22. Juli 2010 - [X.], aaO, Rn. 8; Beschluss vom 7. April 2011 - [X.] 133/10, juris Rn. 7).

8

b) Den genannten Anforderungen genügt der Haftantrag der Beteiligten zu 2 nicht.

9

aa) Zu den gemäß § 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 FamFG darzulegenden [X.] gehört die nach § 59 [X.] erforderliche Abschiebungsandrohung. Fehlt es an einer für die Vollstreckung der Abschiebung notwendigen Voraussetzung, darf auch eine [X.] Gesetzes (§ 58 Abs. 2 Satz 1 [X.]) vollziehbare Ausreisepflicht nämlich nicht ohne weiteres durchgesetzt werden. Das hat der [X.] bereits für § 59 [X.] aF entschieden (Beschluss vom 30. Juli 2012 - [X.] 245/11, juris Rn. 9). Für die am 26. November 2011 in [X.] getretene und hier einschlägige Neufassung der Vorschrift gilt nichts anderes ([X.], Beschluss vom 14. März 2013 - [X.]/12, juris Rn. 7). Zu der Neuregelung hat sich der Gesetzgeber mit Blick auf die Richtlinie 2008/115/[X.] (im Folgenden: [X.]) veranlasst gesehen, die in Art. 6 eine „Rückkehrentscheidung“ verlangt. Dass diese in Fällen, in denen die Ausreisepflicht nicht bereits durch Verwaltungsakt statuiert worden ist, durch die Androhung der Abschiebung begründet werden soll, geht aus den Gesetzesmaterialien klar hervor (BT-Drucks. 17/5470, S. 24; vgl. auch [X.], [X.] 2013, 98, 99; [X.], Beschluss vom 8. November 2012 - 10 CE 12.2401, juris Rn. 7; [X.], Ausländerrecht, Stand August 2012, § 59 [X.] Rn. 2a). Ausführungen zu einer Abschiebungsandrohung oder dazu, dass es einer solchen ausnahmsweise nicht bedurfte (z.B. nach § 59 Abs. 1 Satz 3 [X.] oder nach § 34a Abs. 1 Satz 3 AsylVfG), enthält der Haftantrag nicht.

Entsprechende Angaben im Haftantrag waren unverzichtbar. Sie wären auch dann nicht entbehrlich gewesen, wenn die Auffassung des [X.] zuträfe, dass die [X.] im konkreten Fall keine Rückkehrentscheidung verlangte. Eine unmittelbare Anwendung der [X.] kommt nämlich nicht mehr in Betracht, nachdem diese in nationales Recht umgesetzt worden ist. Wann von einer nach § 59 [X.] an sich erforderlichen Abschiebungsandrohung im Ermessenswege abgesehen werden kann, ist in § 59 Abs. 1 Satz 3 [X.] abschließend geregelt (vgl. GK-[X.]/[X.], Stand Dezember 2012, § 59 Rn. 143 u. 151 [X.]).

Die - hier angenommene - Fluchtgefahr berechtigt die Behörde zwar dazu, von einer Fristsetzung für die freiwillige Ausreise abzusehen (§ 59 Abs. 1 Satz 2 [X.]), macht eine Abschiebungsandrohung aber nicht entbehrlich (vgl. [X.], Ausländerrecht, Stand März 2012, § 59 [X.] Rn. 80). Ebenso wenig reicht die Absicht der Ausländerbehörde aus, eine solche Androhung - und damit eine Rückkehrentscheidung im Sinne der [X.] - demnächst zu erlassen (a.[X.], Beschluss vom 21. März 2011 - 5 T 41/11, juris Rn. 33 ff.). Liegen die [X.] bei Beantragung der [X.] noch nicht vor, muss sich die Behörde darauf beschränken, eine vorläufige Freiheitsentziehung gemäß § 427 FamFG zu beantragen (vgl. [X.], Beschluss vom 31. Mai 2012 - [X.] 167/11, [X.], 2448 Rn. 10 [X.] für das nach § 72 Abs. 4 Satz 1 [X.] notwendige Einvernehmen der Staatsanwaltschaft).

bb) Ferner enthielt der Haftantrag keine ausreichenden Angaben zu der Erforderlichkeit der beantragten Haftdauer. Notwendig sind auf das Land bezogene Ausführungen, in das der Betroffene abgeschoben werden soll. Anzugeben ist, ob und innerhalb welchen [X.]raums Abschiebungen in das betreffende Land üblicherweise möglich sind. Erforderlich sind konkrete Angaben zum Ablauf des Verfahrens und eine Darstellung, in welchem [X.]raum die einzelnen Schritte unter normalen Bedingungen durchlaufen werden können (vgl. [X.], Beschluss vom 27. Oktober 2011 - [X.] 311/10, [X.] 2012, 82, 83).

Diese Angaben waren hier nicht deshalb entbehrlich, weil bei [X.] nach der [X.] II-Verordnung (Verordnung [[X.]] Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003, [X.] L 50/1 vom 25. Februar 2003) grundsätzlich davon auszugehen ist, dass die Abschiebung in einen Mitgliedstaat innerhalb von drei Monaten seit der Haftanordnung wird erfolgen können. Denn das gilt nur, wenn sich aus dem Haftantrag ergibt, dass der Mitgliedsstaat zu der Rückübernahme des Betroffenen verpflichtet ist (vgl. [X.], Beschluss vom 29. September 2010 - [X.] 233/10, juris Rn. 13 [insoweit nicht abgedruckt in [X.] 2011, 320]; Beschluss vom 14. Juni 2012 - [X.] 28/12, juris Rn. 10; Beschluss vom 8. November 2012 - [X.] 120/12, juris Rn. 5). Angaben zu der Rückübernahmeverpflichtung [X.]s enthält der Haftantrag jedoch nicht.

Ebenso wenig findet sich darin eine auf Tatsachen gestützte, für den Haftrichter nachvollziehbare Prognose, innerhalb welchen [X.]raums mit einer Abschiebung des Betroffenen nach [X.] gerechnet werden konnte. Darlegungen, welche konkreten Schritte im Fall des Betroffenen geplant waren, um dessen Abschiebung nach [X.] vorzubereiten, und wie viel [X.] diese erfahrungsgemäß in Anspruch nehmen, fehlen. Die Angabe, „dieses werde einige [X.] in Anspruch nehmen, jedoch nicht länger als drei Monate“ ist eine universell einsetzbare Leerformel und damit unzureichend (vgl. [X.], Beschluss vom 27. Oktober 2011 - [X.] 311/10, [X.] 2012, 82, 83 Rn. 13 f.; Beschluss vom 15. September 2011 - [X.] 123/11, juris Rn. 9). Entsprechendes gilt für die Formulierung, die beantragte Haftdauer sei „zur Sicherung der Abschiebung notwendig und ausreichend“ und die Abschiebung sei „innerhalb von drei Monaten … möglich“.

3. Unbegründet ist die Rechtsbeschwerde, soweit der Betroffene festgestellt wissen will, dass auch die Entscheidung des [X.]s ihn in seinen Rechten verletzt hat. Dies ist nicht der Fall, da die Mängel des [X.] im Beschwerdeverfahren - mit Wirkung für die Zukunft - geheilt worden sind (zu dieser Möglichkeit vgl. [X.], Beschluss vom 3. Mai 2012 - [X.] 244/11, [X.] 2012, 419, 420 Rn. 12 f.). Die beteiligte Behörde hat mit der Beschwerdeerwiderung den Bescheid des [X.] vom 6. Februar 2012 vorgelegt, durch den der Asylantrag des Betroffenen für unzulässig erklärt worden ist. Der Bescheid enthält die Anordnung der Abschiebung (§ 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG); diese stellt eine Rückkehrentscheidung im Sinne der [X.] dar (vgl. [X.], [X.] 2013, 98, 99; [X.], Beschluss vom 8. November 2012 - 10 CE 12.2401, juris Rn. 7) und macht eine Abschiebungsandrohung entbehrlich (§ 34a Abs. 1 Satz 3 AsylVfG). Ferner hat die Behörde mitgeteilt, dass die Abschiebung für den 28. Februar 2012 organisiert sei, und damit die Angaben zur Erforderlichkeit der beantragten Haftdauer präzisiert. Der Betroffene, dem die ergänzenden Angaben über seinen Bevollmächtigten zur Kenntnis gebracht worden sind, hat in seiner persönlichen Anhörung vor dem Beschwerdegericht zudem Gelegenheit erhalten, hierzu Stellung zu nehmen.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 u. 2, § 83 Abs. 2, § 430 FamFG, Art. 5 Abs. 5 [X.] analog. Trotz der teilweisen Zurückweisung der Rechtsbeschwerde entspricht es billigem Ermessen, der beteiligten Behörde die außergerichtlichen Kosten des Betroffenen insgesamt aufzuerlegen; denn dieser befand sich, weil die Anhörung des [X.] nur einen Tag vor seiner Abschiebung erfolgte, ganz überwiegend auf der Grundlage einer rechtswidrigen Anordnung in [X.]. Die Festsetzung des [X.] folgt aus § 128c Abs. 2 KostO i.V.m. § 30 Abs. 2 KostO.

Stresemann                   Schmidt-Räntsch                        Czub

                    [X.]

Meta

V ZB 44/12

16.05.2013

Bundesgerichtshof 5. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Bremen, 27. Februar 2012, Az: 10 T 94/12a

Art 6 Abs 1 EGRL 115/2008, § 59 Abs 1 S 3 AufenthG, § 62 Abs 3 AufenthG, § 417 Abs 2 S 2 Nr 5 FamFG, § 34a Abs 1 S 3 AsylVfG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 16.05.2013, Az. V ZB 44/12 (REWIS RS 2013, 5758)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 5758

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