Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 16.10.2007, Az. VI ZR 42/07

VI. Zivilsenat | REWIS RS 2007, 1429

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[X.]IM NAMEN DES VOLKES [X.]/07 Verkündet am: 16. Oktober 2007 [X.], Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja [X.]: nein [X.]R: ja BGB § 828 Abs. 2 Satz 1 n.F. Lässt ein achtjähriges Kind auf dem Bürgersteig sein Fahrrad los, damit es von [X.], und rollt das führungslose Fahrrad auf die Fahrbahn gegen das zu [X.] Zeitpunkt vorbeifahrende Kraftfahrzeug, so handelt es sich um einen Unfall mit einem Kraftfahrzeug im Sinne des § 828 Abs. 2 Satz 1 BGB n.F., der zu einer [X.] führt. [X.], Urteil vom 16. Oktober 2007 - [X.]/07 - [X.]AG [X.]
- 2 - Der [X.]. Zivilsenat des [X.] hat im schriftlichen Verfahren nach [X.] bis 26. September 2007 durch die Vizepräsidentin Dr. [X.], [X.] [X.] und [X.], die Richterin [X.] und [X.] für Recht erkannt: Die Revision des [X.] gegen das Urteil der 12. Zivilkammer des [X.]s [X.] vom 1. Februar 2007 wird [X.]. Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsverfahrens. Von Rechts wegen

Tatbestand: Am 9. September 2005 gegen 18.00 Uhr befuhr der Fahrer Ü. mit dem Fahrzeug des [X.] eine [X.], die in einer 30 km/[X.] liegt. Dort kam ihm eine Gruppe Kinder entgegen, unter denen sich auch der damals 8-jährige [X.] mit seinem Fahrrad befand. Zwischen den Parteien ist streitig, ob die Gruppe auf dem Bürgersteig oder auf der [X.] lief. Jedenfalls kam es zu ei-nem Zusammenstoß zwischen dem führungslos rollenden Fahrrad und dem Fahrzeug des [X.], das in diesem Augenblick vorbeifuhr. Durch den Zu-sammenstoß entstand an dem Fahrzeug des [X.] ein Schaden in Höhe von 1 - 3 - 1.121,88 •. Darüber hinaus entstanden dem Kläger Kosten für die Einholung eines Sachverständigengutachtens in Höhe von 341,39 • sowie weitere Unkos-ten von (pauschal) 20,00 •. 2 Der Kläger hat behauptet, die ihm entgegenkommenden Kinder seien auf dem Bürgersteig gelaufen. Der [X.] sei vorweg gelaufen und habe dabei sein Fahrrad vor sich her geschoben und es dann in der Absicht losgelassen, es alleine vorweg rollen zu lassen. Das Fahrrad sei daraufhin ein Stück gerade-aus gerollt, dann mit dem Lenker nach links eingeknickt und auf die Fahrbahn geraten, wo es mit dem vorbeifahrenden Fahrzeug des [X.] kollidiert sei. Das Amtsgericht hat die Klage auf Zahlung von insgesamt 1.483,27 • nebst Zinsen abgewiesen. Das [X.] hat die hiergegen gerichtete Beru-fung des [X.] zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter. 3 Entscheidungsgründe: [X.] Das Berufungsgericht hat sich der Würdigung des [X.], dass Schadensersatzansprüche des [X.] gemäß § 823 Abs. 1 BGB wegen Verletzung des Eigentums an seinem Kraftfahrzeug an dem zu Gunsten des [X.]n eingreifenden Haftungsprivileg des § 828 Abs. 2 Satz 1 BGB n.F. scheiterten, selbst wenn man von der Unfallschilderung des [X.] ausgehe. Gerade der vom Kläger angeführte Umstand, dass der [X.] sich überhaupt nicht mit dem [X.]nverkehr auseinandergesetzt und sich keine Gedanken darüber gemacht habe, dass das Fahrrad mit dem Fahrzeug des [X.] kollidieren könne, belege das Vorliegen der vom Gesetzgeber mit der 4 - 4 - Neuregelung in den Blick genommenen typischen altersbedingten [X.]. Denn im Gegensatz zu dem 8-jährigen [X.]n hätte ein ver-antwortlicher Erwachsener bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorg-falt die Möglichkeit, dass das Fahrrad auf die [X.] rollen und dort einen Unfall verursachen könne, erkannt und sich dementsprechend verhalten. Soweit der Kläger anführe, es könne keinen Unterschied machen, ob das Fahrrad zufällig nach links (auf die [X.]) oder nach rechts (gegen ein parkendes Fahrzeug) rolle, unterstelle er einen hypothetischen Alternativsachverhalt, der sich im [X.] Fall gerade nicht realisiert habe und die Entscheidung deshalb nicht be-einflussen könne. Anderenfalls müsse man das gleiche Argument reziprok auch gegen eine Haftung des Kindes bei Beschädigung eines parkenden Fahrzeugs gelten lassen, was zu offensichtlich widersinnigen Ergebnissen führen würde. Die Gefahr eines Schadenseintritts resultiere vorliegend - zumindest auch - aus der [X.] des [X.], welches sich nur aufgrund seiner Bewegung "zur falschen Zeit am falschen Ort" befunden habe und bei deren Hinwegdenken sich die Haftungsfrage mangels Schadenseintritts gar nicht stel-len würde. I[X.] Die Beurteilung des Berufungsgerichts hält im Ergebnis [X.] Nachprüfung stand. Entgegen der Auffassung der Revision ist die haf-tungsrechtliche Verantwortlichkeit des [X.]n nach der Unfallschilderung des [X.], die revisionsrechtlich als richtig zu unterstellen ist, nach § 828 Abs. 2 Satz 1 BGB n.F. ausgeschlossen. 5 1. Da das schädigende Ereignis nach dem 31. Juli 2002 eingetreten ist, richtet sich die Verantwortlichkeit des minderjährigen Schädigers gemäß 6 - 5 - Art. 229 § 8 Abs. 1 EGBGB nach § 828 BGB in der Fassung des [X.] zur Änderung schadensrechtlicher Vorschriften vom 19. Juli 2002 ([X.]). Danach ist für den Schaden, den er bei einem Unfall mit einem Kraft-fahrzeug einem anderen zufügt, nicht verantwortlich, wer das siebte, aber nicht das zehnte Lebensjahr vollendet hat. 7 2. Die Revision geht zwar ebenfalls davon aus, dass § 828 Abs. 2 Satz 1 BGB nach seinem Wortlaut im vorliegenden Fall ohne weiteres eingreift. Sie meint jedoch, die Vorschrift finde nach ihrem Sinn und Zweck gleichwohl keine Anwendung. Dieser Auffassung kann aus Rechtsgründen nicht gefolgt werden. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats ist eine teleologi-sche Reduktion des Wortlauts dieser Vorschrift nur in Fällen vorzunehmen, in denen sich keine typische Überforderungssituation des Kindes durch die spezi-fischen Gefahren des motorisierten Verkehrs realisiert hat. Hiernach hat der Senat das Haftungsprivileg verneint in Fällen, in denen Kinder der privilegierten Altersgruppe mit einem Kickbord oder Fahrrad gegen ein ordnungsgemäß ge-parktes Kraftfahrzeug gestoßen sind und dieses beschädigt haben (vgl. Se-natsurteile [X.] 161, 180 und vom 21. Dezember 2004 - [X.] ZR 276/03 - [X.], 378 m.w.N.). 8 Der Gesetzgeber hat nämlich mit der Einführung der Ausnahmevorschrift des § 828 Abs. 2 BGB dem Umstand Rechnung getragen, dass Kinder bis zur Vollendung ihres 10. Lebensjahres regelmäßig überfordert sind, die besonderen Gefahren des motorisierten [X.]nverkehrs zu erkennen, insbesondere die Entfernungen und Geschwindigkeiten von anderen Verkehrsteilnehmern richtig einzuschätzen und sich den Gefahren entsprechend zu verhalten. Dabei hat er sich von der Erkenntnis leiten lassen, dass Kinder in diesem Alter wegen ihres Lauf- und Erprobungsdrangs, ihrer Impulsivität, Affektreaktionen, mangelnden 9 - 6 - Konzentrationsfähigkeit und ihres gruppendynamischen Verhaltens oft zu einem verkehrsgerechten Verhalten nicht in der Lage sind (vgl. [X.]. 14/7752, S. 16 f. und 26 f.). Allerdings wollte er die Deliktsfähigkeit nicht generell und nicht bei sämtlichen Verkehrsunfällen erst mit Vollendung des 10. Lebensjahres beginnen lassen. Er wollte die Heraufsetzung der Deliktsfähigkeit vielmehr auf im motorisierten [X.]n- oder Bahnverkehr plötzlich eintretende [X.] begrenzen, bei denen die altersbedingten Defizite eines Kindes, wie z.B. Entfernungen und Geschwindigkeiten nicht richtig einschätzen zu können, zum Tragen kommen, weil sich das Kind durch die Schnelligkeit, die [X.] und die Unübersichtlichkeit der Abläufe in einer besonderen [X.] befindet (vgl. [X.]. 14/7752, S. 26 f.). 3. Entgegen der Auffassung der Revision kann eine solche typische Überforderungssituation, die nach dem Willen des Gesetzgebers zu einem Haf-tungsausschluss führt, auch unter Zugrundelegung des vom Kläger vorgetrage-nen Unfallgeschehens nicht verneint werden. Denn es hat sich auch in diesem Fall eine Gefahr verwirklicht, die daraus herrührt, dass Kinder in dem entspre-chenden Alter wegen ihres Lauf- und Erprobungsdrangs und ihres gruppendy-namischen Verhaltens oft zu einem verkehrsgerechten Verhalten nicht in der Lage sind. Nach dem Vorbringen des [X.] lief der [X.] entgegen der Fahrtrichtung des herannahenden Kraftfahrzeugs auf dem Bürgersteig einer Gruppe von Kindern vorweg, die ihn anfeuerte, und schob dabei sein Fahrrad so schnell er konnte vor sich her um es dann loszulassen, damit es von alleine weiterrolle. In einer solchen Situation lässt sich die Möglichkeit nicht ausschlie-ßen, dass der [X.], als er das Fahrrad los ließ, die Geschwindigkeit und die Entfernung des herannahenden Fahrzeuges falsch einschätzte und deshalb nicht damit rechnete, dass das führungslose Fahrrad gerade zu dem Zeitpunkt auf die Fahrbahn geraten könnte, in dem das Fahrzeug des [X.] vorbeifuhr. 10 - 7 - Entgegen der Auffassung der Revision kommt es nicht darauf an, ob sich die Überforderungssituation konkret ausgewirkt hat oder der [X.] lediglich nicht damit gerechnet hat, dass das führungslose Fahrrad auch auf die [X.] rollen kann. Um eine klare Grenzlinie für die Haftung von Kindern zu ziehen, hat der Gesetzgeber diese Fallgestaltungen einheitlich in der Weise geregelt, dass er die Altersgrenze der Deliktsfähigkeit von Kindern für den Bereich des motori-sierten Verkehrs generell heraufgesetzt hat (vgl. Senatsurteile vom 14. Juni 2005 - [X.] ZR 181/04 - [X.], 1154, 1155 und vom 17. April 2007 - [X.] ZR 109/06 - [X.], 855, 856). 11 II[X.] [X.] ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO. 12 [X.]
[X.] [X.] [X.]

[X.] Vorinstanzen: AG [X.], Entscheidung vom 20.06.2006 - 79 C 5926/05 - LG [X.], Entscheidung vom 01.02.2007 - 12 S 97/06 -

Meta

VI ZR 42/07

16.10.2007

Bundesgerichtshof VI. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 16.10.2007, Az. VI ZR 42/07 (REWIS RS 2007, 1429)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2007, 1429

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