Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 30.06.2009, Az. VI ZR 310/08

VI. Zivilsenat | REWIS RS 2009, 2779

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[X.]IM NAMEN DES VOLKES URTEIL [X.]/08 Verkündet am: 30. Juni 2009 [X.], Justizamtsinspektorin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja [X.]: ja [X.]R: [X.] § 823 ha, 828 Abs. 2 Der Geschädigte, der sich darauf beruft, hat darzulegen und erforderlichenfalls zu beweisen, dass sich nach den Umständen des Falles die typische Überfor-derungssituation des Kindes durch die spezifischen Gefahren des motorisierten Verkehrs bei einem Unfall nicht realisiert hat. [X.], Urteil vom 30. Juni 2009 - [X.]/08 - [X.] - 2 - Der [X.]. Zivilsenat des [X.] hat im schriftlichen Verfahren mit Schriftsatzfrist bis zum 23. Juni 2009 durch die Vizepräsidentin Dr. [X.], [X.], die Richterin [X.], [X.] und die Richterin von [X.] für Recht erkannt: Die Revision gegen das Urteil der 11. Zivilkammer des [X.] vom 11. November 2008 wird auf Kosten des [X.] zurückgewiesen. Von Rechts wegen Tatbestand: Der Kläger begehrt Ersatz des Schadens an seinem Fahrzeug [X.]. 1 Der Kläger hat den PKW über eine Bank finanziert, die ihn ermächtigt hat, im eigenen Namen und auf eigene Rechnung die Ansprüche aus einem Unfall vom 9. Mai 2007 geltend zu machen. Zum Unfallzeitpunkt war das Fahr-zeug auf dem Parkplatz der Realschule in [X.] geparkt. Die Parkplätze sind rechtwinklig zum davor verlaufenden Gehweg angeordnet. Die zum Unfallzeit-punkt 8-jährige Beklagte befuhr mit ihrem Fahrrad den Gehweg und stieß dabei, nachdem sie einige geparkte Fahrzeuge passiert hatte, gegen die linke [X.] - 3 - seite des PKW des [X.]. Es entstand ein Sachschaden von insgesamt 950,53 •, für den der Kläger von der [X.] Ersatz begehrt. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des [X.] ist erfolglos geblieben. Mit der vom [X.] zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter. 3 Entscheidungsgründe: [X.] Das Berufungsgericht hat ausgeführt, dass ein Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte nach § 828 Abs. 2 Satz 1 [X.] ausgeschlossen sei. Nach dem Wortlaut des § 828 Abs. 2 Satz 1 [X.] hafte ein Minderjähriger, der das siebente, aber nicht das zehnte Lebensjahr vollendet hat, nicht für einen Scha-den, den er bei einem Unfall mit einem Kraftfahrzeug einem anderen zufügt, sofern er nicht vorsätzlich handelt. Zwar sei nach der Rechtsprechung des [X.] eine teleologische Reduktion des § 828 Abs. 2 [X.] gebo-ten. Die Einführung des [X.] beruhe auf der Erwägung, dass die mit der Motorkraft möglichen Geschwindigkeiten zusammen mit den Schwierig-keiten eines Kindes, Entfernungen einzuschätzen, eine Privilegierung der unter 10-Jährigen gebieten. Vor diesem Hintergrund habe der [X.] entschieden, dass bei einem Zusammenstoß mit einem ordnungsgemäß ge-parkten PKW eine haftungsrechtliche Privilegierung eines unter 10-Jährigen nicht geboten sei, da im ruhenden Verkehr im allgemeinen eine [X.] nicht vorliege. Allerdings könne sich in besonders gelagerten Fäl-len im ruhenden Verkehr eine spezifische Gefahr des motorisierten Verkehrs verwirklichen, wenn der PKW nicht ordnungsgemäß geparkt sei. Es sei [X.], ob das Haftungsprivileg des § 828 Abs. 2 [X.] dann eingreife, zumal der 4 - 4 - Gesetzgeber nicht zwischen fließendem und ruhendem Verkehr differenziert habe. Für den Streitfall sei somit entscheidend, dass der PKW des [X.] zum Unfallzeitpunkt ordnungsgemäß geparkt gewesen sei. Der Umstand sei zwi-schen den Parteien streitig. Das Amtsgericht habe dies nicht für bewiesen er-achtet. Konkrete Zweifel an der Beweiswürdigung des Amtsgerichts bestünden nicht, so dass das Berufungsgericht nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO daran gebun-den sei. Das "non liquet" gehe zu Lasten des [X.], weil nach dem Wortlaut des § 828 Abs. 2 [X.] alles dafür spreche, dass ein Minderjähriger vor Vollen-dung des zehnten Lebensjahres bei einem Unfall im motorisierten Verkehr grundsätzlich nicht hafte und der Geschädigte die Voraussetzungen der teleo-logischen Reduktion darlegen und beweisen müsse. 5 I[X.] Das angefochtene Urteil hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung stand. Die Beklagte ist nach § 828 Abs. 2 Satz 1 [X.] für den Schaden an dem PKW des [X.] nicht verantwortlich. 6 1. Nach den maßgeblichen Grundsätzen des erkennenden Senats zum Anwendungsbereich des § 828 Abs. 2 Satz 1 [X.] ist eine teleologische Reduk-tion der Vorschrift vorzunehmen, wenn sich keine typische Überforderungssi-tuation des Kindes durch die spezifischen Gefahren des motorisierten Verkehrs realisiert hat. Hiernach hat der Senat die Haftungsfreistellung verneint in Fällen, in denen Kinder der privilegierten Altersgruppe mit einem Kickboard oder Fahrrad gegen ein ordnungsgemäß geparktes Fahrzeug gestoßen sind 7 - 5 - und dieses beschädigt haben (vgl. Senat, [X.] 161, 180; Urteil vom 30. November 2004 - [X.] ZR 365/03 - [X.], 380 und vom 21. Dezember 2004 - [X.] ZR 276/03 - [X.], 378). Demgegenüber hat der Senat eine typische Überforderungssituation für einen Minderjährigen unter zehn Jahren in mehreren Fällen bejaht: So für einen achtjährigen Jungen, der mit dem Fahrrad gegen einen in einer Straßeneinmündung anhaltenden PKW stieß, wobei die Sicht für ihn durch eine Hecke beeinträchtigt war (Senat, [X.] 172, 83 ff.); bei einem Zusammenstoß zwischen dem führungslos rollenden Fahrrad eines acht-jährigen Jungen und dem Fahrzeug des Geschädigten, das in diesem Augen-blick vorbeifuhr (Senatsurteil vom 16. Oktober 2007 - [X.] ZR 42/07 - [X.], 1669); zuletzt für das Fahren mit dem Fahrrad gegen die geöffneten hin-teren Türen eines am Straßenrand stehenden PKW (Senat, Beschluss vom 11. März 2008 - [X.] ZR 75/07 - [X.], 701). Aus diesen Senatsentschei-dungen ergibt sich, dass für das Eingreifen des [X.] nicht grund-sätzlich zwischen dem fließenden und dem ruhenden Verkehr zu unterscheiden ist, wenn es auch im fließenden Verkehr häufiger als im sogenannten ruhenden Verkehr eingreifen mag. In besonders gelagerten Fällen kann sich auch im ru-henden Verkehr eine spezifische Gefahr des motorisierten Verkehrs verwirkli-chen (vgl. Senat, [X.] 161, 180, 185 und Urteil vom 21. Dezember 2004 - [X.] ZR 276/03 - aaO jeweils m.w.[X.]). Für die Frage, ob der Haftungsausschluss nach § 828 Abs. 2 Satz 1 [X.] überhaupt in Betracht kommt, ist maßgebend darauf abzustellen, ob eine typische Fallkonstellation der Überforderung des Kindes durch die Schnelligkeit, die Komplexität und die Unübersichtlichkeit der Abläufe im motorisierten Straßenverkehr gegeben war. Allerdings kommt es nicht darauf an, ob sich die Überforderungssituation konkret ausgewirkt hat oder ob das Kind aus anderen Gründen nicht in der Lage war, sich [X.] zu verhalten. Um eine klare Grenzlinie für die Haftung von Kindern zu zie-hen, hat der Gesetzgeber die Fallgestaltungen vielmehr einheitlich in der Weise - 6 - geregelt, dass er die Altersgrenze der Deliktsfähigkeit von Kindern für den Be-reich des motorisierten Verkehrs generell auf die Vollendung des 10. Lebens-jahres heraufgesetzt hat (vgl. Senat [X.] 172, 83, 86; Urteile vom 14. Juni 2005 - [X.] ZR 181/04 - [X.], 1154, 1155 und vom 16. Oktober 2007 - [X.] ZR 42/07 - aaO). 2. Diese Grundsätze hat das Berufungsgericht beachtet und im Ergebnis richtig entschieden. Soweit die Revision sich gegen das Berufungsurteil wendet, weil das Berufungsgericht auf den Beschluss des Senats vom 11. März 2008 - [X.] ZR 75/07 - aaO nicht explizit eingegangen ist, bedurfte es dessen nicht. Mit dem genannten Beschluss hat der Senat im Hinblick auf die bestehenden recht-lichen Grundsätze zum Haftungsausschluss nach § 828 Abs. 2 Satz 1 [X.] die Revision des Geschädigten gegen das die Haftung eines achtjährigen Kindes verneinende Berufungsurteil einstimmig zurückgewiesen. Ein Berufungsgericht ist nicht gehalten, auf jede höchstrichterliche Entscheidung ohne maßgebende Bedeutung für den Fall einzugehen. 8 3. Das Berufungsgericht hat zutreffend die Haftung der [X.], weil der Kläger nicht bewiesen hat, dass der Unfall nicht aufgrund einer Überforderung der [X.] passiert ist. 9 a) Um eine klare Grenzlinie für die Haftung von Kindern zu ziehen, hat der Gesetzgeber die Fallgestaltungen einheitlich in der Weise geregelt, dass er die Altersgrenze der Deliktsfähigkeit von Kindern für den Bereich des motori-sierten Verkehrs generell heraufgesetzt hat (vgl. Senatsurteile vom 14. Juni 2005 - [X.] ZR 181/04 - aaO und vom 17. April 2007 - [X.] ZR 109/06 - [X.], 855, 856). Im Rahmen des § 828 Abs. 2 Satz 1 [X.] geht das Gesetz im Regelfall von der fehlenden Verantwortlichkeit des Minderjährigen unter den dort genannten Voraussetzungen aus. § 828 Abs. 2 Satz 1 [X.] enthält somit eine Vermutung für die Deliktsunfähigkeit des Minderjährigen im Alter zwischen 10 - 7 - sieben und zehn Jahren im motorisierten Straßenverkehr (vgl. [X.]/[X.], [X.], § 828, Rn. 2 ff.). Demzufolge haften Minderjährige in der Regel vor Vollendung des 10. Lebensjahres nicht bei einem Unfall mit den in § 828 Abs. 2 Satz 1 [X.] genannten Fahrzeugen, es sei denn, dass sie vorsätzlich gehandelt haben (§ 828 Abs. 2 Satz 2 [X.]). Die Darlegungs- und Beweislast für die nach dem Gesetzeswortlaut erforderlichen tatsächlichen Voraussetzungen für das Eingreifen von § 828 Abs. 2 Satz 1 [X.] liegt nach den allgemeinen beweisrechtlichen Grundsätzen beim Schädiger und somit beim Kind (vgl. [X.]/[X.], [X.]. § 828 Rn. 2; [X.], Haf-tungsrecht des Straßenverkehrs, 4. Aufl., § 10 Rn. 66; Soergel/[X.], [X.], 13. Aufl., § 828 Rn. 18; MünchKomm-[X.]/[X.], 5. Aufl., § 828 Rn. 12). Deshalb trägt der Minderjährige die Beweislast für die Voraussetzungen der gesetzlichen Vermutung seiner fehlenden Deliktsfähigkeit nach § 828 Abs. 2 Satz 1 [X.]. Er muss darlegen und gegebenenfalls beweisen, dass er im Zeit-punkt des Unfalls im motorisierten Verkehr noch nicht das 10. Lebensjahr voll-endet hatte. b) Hingegen handelt es sich um die Ausnahme vom Regelfall, wenn die nach dem Normzweck erforderliche besondere Überforderungssituation fehlt und deshalb die Haftungsfreistellung nicht zur Anwendung kommt. Der Ge-schädigte, der sich darauf beruft, hat deshalb darzulegen und erforderlichenfalls zu beweisen, dass sich nach den Umständen des Falles die typische Überfor-derungssituation des Kindes durch die spezifischen Gefahren des motorisierten Verkehrs bei einem Unfall nicht realisiert hat. 11 Diese Beweislastverteilung ist grundsätzlich auch [X.]. Ob eine Fallkonstellation vorliegt, in der sich die typische Überforderungssituation des Kindes durch die spezifischen Gefahren des motorisierten Verkehrs nicht realisiert hat, kann nur für den jeweiligen Einzelfall bestimmt werden. Es wäre 12 - 8 - aber nicht mit der gesetzgeberischen Intention zu vereinbaren, die Altersgrenze für die Deliktsfähigkeit eines Minderjährigen im motorisierten Verkehr generell auf die Vollendung des zehnten Lebensjahres heraufzusetzen, wenn der [X.] seine eigene Überforderung im Einzelfall beweisen müsste. § 828 Abs. 2 [X.] würde im Hinblick auf die Beweisschwierigkeiten des Kindes häufig nicht greifen, obwohl die Überforderung des Minderjährigen nach dem Gesetz bei einem Unfall mit einem Kraftfahrzeug grundsätzlich vermutet wird. Entgegen der Auffassung der Revision entfällt die Haftungsfreistellung nicht schon bei einem Unfall im ruhenden Verkehr. In besonders gelagerten Fällen kann sich auch im ruhenden Verkehr eine spezifische Gefahr des motorisierten Verkehrs verwirklichen (vgl. etwa Senatsurteile [X.] 29, 163, 166 f. und vom 25. Oktober 1994 - [X.] ZR 107/94 - [X.], 90, 92). Sie kann von einem Kraftfahrzeug ausgehen, das im fließenden Verkehr anhält und auf der [X.] für das Kind ein plötzliches Hindernis bildet, mit dem es möglicherweise nicht gerechnet hat. Auch in einer solchen Fallkonstellation können altersbe-dingte Defizite eines Kindes im motorisierten Straßenverkehr, von denen die Fähigkeit zur richtigen Einschätzung von Entfernungen und Geschwindigkeiten nur beispielhaft genannt sind, zum Tragen kommen (vgl. grundlegend Senat, [X.] 161, 180, 185 m.w.[X.]). c) Die Annahme des Berufungsgerichts, dass der Kläger nicht bewiesen hat, dass eine typische Überforderungssituation für die Beklagte nicht gegeben war, ist aus revisionsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden. Gemäß § 2 Abs. 5 [X.] durfte die Beklagte auch den Gehweg mit ihrem Fahrrad befahren. Schon der Umstand, dass die Beklagte gegen die linke Heckseite stieß, nachdem sie an anderen Fahrzeugen vorbeigefahren war, legt nahe, dass das Fahrzeug [X.] als die daneben geparkten PKW in den Gehweg ragte und die Beklagte da-durch in ihrer Reaktionsfähigkeit überfordert worden ist. Dies ist jedenfalls nicht auszuschließen. 13 - 9 - d) Soweit die Revision im Hinblick auf ein beiderseitiges Mitverschulden weitere Feststellungen für erforderlich hält, verkennt sie, dass die [X.] nach § 828 Abs. 2 Satz 1 [X.] auch für das Mitverschulden nach § 254 [X.] gilt (vgl. Senatsurteile [X.] 34, 355, 366 und 161, 180, 186). Die [X.] hat zur Folge, dass Kinder dieses Alters sich ein Mitverschulden bei der Schadensverursachung nicht entgegenhalten lassen müssen (vgl. BT-Drucks. 14/7752 S. 16; Bollweg/[X.], Das neue [X.] § 828 Teil 3 Rn. 5; [X.]/Buller, [X.], 218, 219). 14 - 10 -
II[X.] Danach ist die Revision mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO [X.]. 15 [X.] Zoll [X.] Pauge von [X.] Vorinstanzen: [X.], Entscheidung vom 20.05.2008 - 16 C 222/07 - [X.], Entscheidung vom 11.11.2008 - [X.] [X.]/08 -

Meta

VI ZR 310/08

30.06.2009

Bundesgerichtshof VI. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 30.06.2009, Az. VI ZR 310/08 (REWIS RS 2009, 2779)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2009, 2779

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