Bundessozialgericht, Beschluss vom 10.07.2012, Az. B 13 R 53/12 B

13. Senat | REWIS RS 2012, 4889

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Gegenstand

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - Entscheidung des LSG über eine bei ihm erhobene unzulässige Wiederaufnahmeklage durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung


Leitsatz

Über eine unzulässige Wiederaufnahmeklage kann das LSG wie über eine unzulässige Berufung durch Beschluss entscheiden.

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des [X.] vom 21. Juni 2011 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe

1

I. Im Streit steht die Wiederaufnahme eines rechtskräftig abgeschlossenen Berufungsverfahrens auf Rente wegen Erwerbsminderung.

2

Das [X.] hatte mit rechtskräftigem Urteil einen Anspruch auf Rente wegen voller bzw teilweiser Erwerbsminderung, auch bei Berufsunfähigkeit, verneint, weil die Klägerin noch körperlich leichte bis mittelschwere Tätigkeiten bei einem Leistungsvermögen von täglich mindestens sechs Stunden verrichten konnte und ihr zudem der behauptete [X.] als Reiseverkehrskauffrau nicht zustand ([X.] Berlin-Brandenburg Urteil vom [X.] R 360/09; nachgehend Senatsbeschluss vom 4.3.2011 - B 13 R 345/10 B).

3

Mit ihrem beim [X.] am 27.4.2011 eingegangenen Wiederaufnahmeantrag hat die Klägerin vorgetragen, dass die Tatsachenfeststellung des [X.] nicht der Realität entsprochen habe, weshalb das rechtskräftige Berufungsurteil unrichtig sei. Dies ergebe sich aus den dem Wiederaufnahmeantrag beigefügten Nachweisen (Kopien von Bescheinigungen der Pflegekasse bzw des [X.], Zertifikate über Weiterbildungen, Leistungsnachweisen etc). Zudem seien die Feststellungen des [X.] zu ihrem [X.] als Reiseverkehrskauffrau unzutreffend.

4

Der Berichterstatter hat die Klägerin mit Verfügung vom 27.5.2011 darauf hingewiesen, dass die von ihr behaupteten Gründe die Wiederaufnahme des Verfahrens (§ 179 [X.] iVm §§ 578 ff ZPO) nicht rechtfertigten, weder als Nichtigkeitsklage (§ 579 ZPO) noch als Restitutionsklage (§ 580 ZPO). Der Senat beabsichtige daher, die [X.] entsprechend § 153 Abs 4 [X.] durch Beschluss abzuweisen. Nach dieser Regelung könne das Gericht ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss entscheiden, wenn es die Klage einstimmig für unbegründet halte.

5

Mit Beschluss vom 21.6.2011 hat das [X.] Berlin-Brandenburg die gegen das Urteil des [X.] Berlin-Brandenburg vom [X.] (L 30 R 360/09) gerichtete Klage auf Wiederaufnahme des Verfahrens abgewiesen; sie sei unbegründet: Die Klägerin habe keinen der gesetzlich vorgeschriebenen Wiederaufnahmegründe (§ 179 [X.], §§ 579, 580 ZPO) behauptet bzw sei ein solcher für das [X.] nicht ansatzweise ersichtlich. Auch auf den gerichtlichen Hinweis vom 27.5.2011 habe die Klägerin solche Wiederaufnahmegründe nicht geltend gemacht. Allein das Behaupten eines materiellen Anspruchs rechtfertige die Rechtskraftdurchbrechung des Berufungsurteils nicht.

6

Mit der Nichtzulassungsbeschwerde rügt die Klägerin die Verletzung von § 153 Abs 4 [X.]. Nach dieser Vorschrift dürfe das [X.] durch Beschluss nur über eine Berufung, nicht aber - wie hier - über eine Klage entscheiden. Hätte das [X.] aufgrund mündlicher Verhandlung mit den ehrenamtlichen Richtern entschieden, hätte die Klägerin Gelegenheit gehabt, das Gericht in vollständiger Besetzung von der Richtigkeit ihrer Argumente für die [X.] zu überzeugen.

7

[X.]. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist zulässig, aber unbegründet.

8

Ein Verfahrensfehler iS von § 160 Abs 2 [X.] [X.] liegt entgegen der Ansicht der Klägerin nicht darin, dass das [X.] auf ihre - unzulässige - [X.] keine mündliche Verhandlung durchgeführt, sondern durch Beschluss entschieden hat. Daher lässt sich eine unvorschriftsmäßige Besetzung des Berufungsgerichts - nur mit den Berufsrichtern - und damit das Vorliegen eines absoluten Revisionsgrundes gemäß § 202 [X.] iVm § 547 [X.] 1 ZPO (stRspr, vgl [X.]-1500 § 158 [X.] Rd[X.] 10; [X.] 2 Rd[X.] 10; [X.] 4-1500 § 153 [X.] 12) nicht feststellen.

9

1. Das [X.] hat die [X.] der Klägerin durch Beschluss im Entscheidungssatz, erläutert durch [X.] der Gründe (3. Absatz), als "unbegründet" abgewiesen. Diese Aussage ist jedoch anhand der weiteren Gründe auszulegen (vgl zB Senatsbeschluss vom 20.7.2011 - [X.] 4-1500 § 158 [X.] 4 Rd[X.] 8 unter Hinweis auf [X.], 283, 285 mwN). Insoweit führt das [X.] aus, eine materielle Prüfung des Anspruchs sei nicht möglich. Denn "vorliegend (sei) keiner der gesetzlichen Wiederaufnahmegründe von der Klägerin auch nur behauptet oder für das Gericht ansatzweise ersichtlich". Auch nach gerichtlichem Hinweis habe sie entsprechende Wiederaufnahmegründe nicht geltend gemacht ([X.] Entscheidungsgründe).

Damit ist die [X.] bereits in der [X.] gescheitert. Denn die Statthaftigkeit der [X.] setzt - neben weiteren Prozessvoraussetzungen - die schlüssige Darlegung eines gesetzlichen Wiederaufnahmegrundes voraus (vgl [X.], 46, 47 zur Abgrenzung von [X.], 10, 17 ff; vgl auch [X.], 33, 35; [X.] in [X.]/ [X.]/[X.], [X.], 10. Aufl 2012, § 179 Rd[X.] 9). Auch wenn die vom [X.] als Begründung für die von ihm gewählte Entscheidungsform "Beschluss" herangezogene Norm des § 153 Abs 4 S 1 [X.], die ihrem klaren Wortlaut nach voraussetzt, dass das [X.] die Berufung für "unbegründet" hält, damit nicht anwendbar ist, lässt sich hieraus kein Verfahrensfehler herleiten, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann und der zur Zulassung der Revision führen könnte.

2. Denn auch über eine unzulässige [X.] kann durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung entschieden werden (zum Anhörungserfordernis vgl [X.]-1500 § 158 [X.]). Dies folgt aus § 179 Abs 1 [X.] iVm § 585 ZPO und entsprechender Anwendung von § 158 S 1 und [X.] [X.]. Das Vierte Buch der ZPO (§§ 578 ff ZPO), auf das § 179 Abs 1 [X.] verweist, enthält keine Bestimmung darüber, in welcher Form die gerichtliche Entscheidung über die [X.] zu ergehen hat. § 589 Abs 1 [X.] ZPO normiert zwar, dass eine unzulässige [X.] zu verwerfen ist, sieht aber keine Regelung vor, ob dies durch Beschluss oder Urteil zu erfolgen hat. § 585 ZPO bestimmt lediglich, dass für das weitere Verfahren die allgemeinen Vorschriften entsprechend gelten. Daraus kann aber nicht geschlossen werden, dass sich für das sozialgerichtliche Verfahren die Entscheidung im [X.] verbieten würde.

Vielmehr ist die Entscheidungsform der [X.] im sozialgerichtlichen Verfahren den entsprechenden Vorschriften des [X.] zu entnehmen (für die verwaltungsgerichtliche [X.] vgl [X.] vom 12.4.1995 - 4 S 887/94 - NVwZ-RR 1996, 539).

Die nach ihrem Wortlaut nur die unzulässige Berufung erfassende Vorschrift des § 158 S 1 [X.] ist auf die unzulässige [X.] entsprechend anzuwenden (offen gelassen: [X.]-1500 § 158 [X.] Rd[X.] 6; zweifelnd: BSG vom 28.11.2002 - [X.] [X.] 26/02 R - Juris Rd[X.] 22; befürwortend: [X.] in [X.]/[X.]/[X.], [X.], 10. Aufl 2012, § 158 Rd[X.] 6a; [X.], [X.], Stand November 2010, § 158 Rd[X.] 2b; [X.] in [X.], [X.], Stand Oktober 2011, § 158 Rd[X.] 7; [X.] in [X.]/Fichte, [X.], 2009, § 158 Rd[X.] 5; wie hier vgl stRspr zu § 125 Abs 2 VwGO: BVerwG vom 31.10.1995 - 5 [X.]/95 - [X.] 310 § 153 VwGO [X.] 29 und vom 15.9.1995 - 11 PKH 9/95 -; [X.] in [X.]/[X.], VwGO, 3. Aufl 2010, § 125 Rd[X.] 45 mwN).

Das [X.] sieht im Berufungsverfahren - als Ausnahme von der Regel, dass durch Urteil aufgrund mündlicher Verhandlung zu entscheiden ist (§ 153 Abs 1 [X.] iVm § 124 Abs 1, § 125 [X.]) - in zwei Fällen die vereinfachte Form der Entscheidung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung vor: 1. die Verwerfung einer unzulässigen Berufung (§ 158 [X.]) und 2. die Zurückweisung einer einstimmig für unbegründet gehaltenen Berufung (§ 153 Abs 4 S 1 [X.]). § 153 Abs 4 [X.] [X.] verweist im Hinblick auf die Rechtsmittelbelehrung auf § 158 [X.] und 4 [X.].

Damit hat der Gesetzgeber deutlich zum Ausdruck gebracht, dass auch im Berufungsverfahren nicht stets die Notwendigkeit besteht, die aufwändigere Entscheidungsform der mündlichen Verhandlung zu wählen, sondern hat den Berufsrichtern die Möglichkeit eingeräumt, unter Beachtung der prozessrechtlichen Voraussetzungen eine vereinfachte Entscheidung im [X.] treffen zu können. Dies dient der Entlastung der Berufungsinstanz (vgl [X.], [X.], [X.] und [X.] Zu Nummer 10 unter Hinweis auf die parallelen Vorschriften von § 125 Abs 2, § 130a VwGO). Damit können aussichtslose Berufungen rasch und ohne besonderen Verfahrensaufwand erledigt werden. Das Wiederaufnahmeverfahren bezweckt schließlich nichts anderes als die Fortsetzung des abgeschlossenen Berufungsverfahrens und die Ersetzung der rechtskräftigen Entscheidung (vgl OVG Bremen vom 19.3.1990 - 2 T 1/90 - NJW 1990, 2337).

Dieser gesetzgeberischen Zielrichtung entspricht es, unzulässige [X.]n nach Anhörung der Beteiligten durch Beschluss in entsprechender Anwendung von § 158 S 1 und 2 [X.] zu verwerfen. Hätte hingegen die Entscheidung über die unzulässige [X.] zwingend in Form eines Urteils zu ergehen, widerspräche dies dem aufgezeigten Gesetzeszweck gerade in den Fällen, in denen die Wiederaufnahme eines Verfahrens begehrt wird, über das durch Beschluss (§ 153 Abs 4 S 1 [X.]) entschieden wurde. Die Ablehnung eines unzulässigen [X.] rechtfertigt kein aufwändigeres Verfahren als die Entscheidung über die Berufung selbst. Zudem existiert kein prozessualer Rechtssatz, wonach über die [X.] immer in jener Form zu entscheiden wäre, die das Berufungsgericht für die Entscheidung im vorausgegangen Berufungsverfahren gewählt hat.

3. Zu Recht hat das [X.] ausgeführt, dass die Klägerin keinen der in § 179 [X.] iVm §§ 579, 580 ZPO genannten Wiederaufnahmegründe schlüssig dargelegt hat. Entgegen der Meinung der Klägerin hat sie insbesondere durch die vorgelegten Kopien nicht den Wiederaufnahmegrund des "[X.] einer Urkunde" iS von § 580 [X.] 7b ZPO aufgezeigt. Denn hierzu zählen grundsätzlich nur Urkunden, die schon vor Abschluss des Berufungsverfahrens vorhanden waren, aber in diesem Verfahrens weder bereits vorgelegen haben noch hätten vorgelegt werden können (vgl [X.] in [X.], ZPO, 29. Aufl 2012, § 580 Rd[X.] 16a mwN).

Wiederaufnahmegründe sind auch nicht dann dargetan, wenn die Klägerin vorträgt, die Beweiswürdigung des Gerichts (§ 128 Abs 1 S 1 [X.]) sei unrichtig. Die Verletzung von § 128 Abs 1 S 1 [X.] kann nach dem ausdrücklichen Wortlaut von § 160 Abs 2 [X.] Halbs 2 [X.] im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde von vornherein nicht geltend gemacht werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 [X.].

Meta

B 13 R 53/12 B

10.07.2012

Bundessozialgericht 13. Senat

Beschluss

Sachgebiet: R

vorgehend SG Berlin, 12. März 2009, Az: S 21 R 4108/07

§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 124 Abs 1 SGG, § 125 SGG, § 153 Abs 1 SGG, § 153 Abs 4 S 1 SGG, § 158 S 1 SGG, § 158 S 2 SGG, § 179 Abs 1 SGG, § 202 SGG, § 547 Nr 1 ZPO, § 578 ZPO, §§ 578ff ZPO, § 585 ZPO, § 589 Abs 1 S 2 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 10.07.2012, Az. B 13 R 53/12 B (REWIS RS 2012, 4889)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 4889

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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