Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 25.11.2009, Az. 2 ARs 455/09

2. Strafsenat | REWIS RS 2009, 411

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[X.] vom 25. November 2009 in der Strafsache gegen 1. 2. wegen Betruges hier: [X.] des 1. Strafsenats vom 2. September 2009 - 1 StR 260/09 - gemäß § 132 Abs. 3 GVG - 2 - Der 2. Strafsenat des [X.] hat am 25. November 2009 be-schlossen: Der beabsichtigten Entscheidung steht Rechtsprechung des Se-nats entgegen. An dieser wird festgehalten. Gründe: Der 1. Strafsenat beabsichtigt zu entscheiden: 1 Liegen einem Angeklagten zahlreiche Vermögensdelikte zur Last, die einem einheitlichen modus operandi folgen, genügt der [X.] [X.] den Anforderungen des § 200 Abs. 1 Satz 1 StPO und des § 243 Abs. 3 Satz 1 StPO, wenn dort - neben der Schilderung der gleichartigen Tatausführung, die die Merkmale des jeweiligen Straftatbestandes erfüllt - die Tatorte, die Gesamt-zahl der Taten, der Tatzeitraum und der [X.] werden und im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen der Anklage oder einer Anlage zur Anklage die Einzelheiten der Taten, d. h. die konkreten Tatzeitpunkte, die Tatopfer und die jeweiligen Einzelschäden, detailliert beschrieben sind. Er hat daher gemäß § 132 Abs. 3 GVG bei den anderen Strafsenaten angefragt, ob diese an entgegenstehender Rechtsprechung festhalten. 2 1. Der beabsichtigten Entscheidung steht, wie der 1. Strafsenat unter Zif-fer 4 des [X.]es zutreffend dargelegt hat, die [X.]entscheidung vom 28. April 2006 - 2 [X.] - (NStZ 2006, 649 = [X.], 457) entge-gen. In dem damals vom Senat entschiedenen Fall enthielt der [X.], 3 - 3 - der der Verurteilung wegen Betruges in Tateinheit mit Inverkehrbringen von [X.] unter irreführender Bezeichnung zugrunde lag, eine allgemeine Be-schreibung des [X.] und der Tatausführung und teilte mit, dass mit Kunden des mitangeklagten [X.] des Angeklagten 38 Verträge über die Liefe-rung von [X.] und 74 Verträge über die Lieferung von Futtergetreide geschlossen worden waren. Entgegen der durch Täuschung erreichten [X.] der Kunden sei jeweils statt Getreide aus kontrolliert biologischem Anbau solches aus konventionellem Anbau geliefert worden. Der [X.] führte die Gesamtmenge des gelieferten Getreides sowie den Gesamtpreis der [X.] auf. Die Einzelheiten zu den [X.], insbesondere Angaben zu den Vertragspartnern, Vertragsdaten, Lieferungs- und Zahlungszeitpunkten, waren nicht im [X.], sondern im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen [X.], welches in der Hauptverhandlung nicht verlesen wurde. Dieser [X.] genügte nach der Entscheidung des [X.] nicht den Anforderungen des § 200 Abs. 1 Satz 1 StPO, weil er die vom Gesetz ge-forderte Umgrenzungs- und Informationsfunktion nicht erfüllte ([X.]beschluss vom 28. April 2006 - 2 [X.] -, Rdn. 6 f.). 4 2. An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest. Der vom anfragenden Senat zu entscheidende Sachverhalt unterscheidet sich von dem der genann-ten [X.]entscheidung zugrunde liegenden Fall nicht in rechtlich erheblicher Weise, so dass die [X.]rechtsprechung der vom 1. Strafsenat beabsichtigten Entscheidung entgegensteht. 5 Die Erörterung im Senat hat ein nicht einheitliches Meinungsbild erge-ben. 6 a) Teile des [X.] stimmen der Rechtsansicht des 1. Strafsenats zu. 7 - 4 - b) Eine andere im Senat vertretene Ansicht ist dieser Rechtsauffassung entgegen getreten; sie will im Hinblick auf die eindeutige, zu "pragmatischen" Ausnahmen nicht berechtigende Regelung der §§ 200 Abs. 1 Satz 1, 243 Abs. 3 Satz 1 StPO an der Verpflichtung festhalten, eine hinreichende Konkreti-sierung aller von der Anklage umfassten [X.] in den [X.] aufzu-nehmen. Gerade auch bei der Anklage von Tatserien ähnlicher oder gleicharti-ger Taten gebietet danach die Regelung des § 200 Abs. 1 Satz 1 StPO eine möglichst genaue Konkretisierung, um die Identität des von der Anklage um-fassten geschichtlichen Vorgangs unzweifelhaft zu bestimmen. Soweit etwa bei [X.] gemäß § 176 StGB in der Rechtsprechung des [X.] geringere Anforderungen gestellt werden, handelt es sich hierbei nicht um "Ausnahmen" von § 200 Abs. 1 Satz 1 StPO, sondern um eine Auslegung der Vorschrift im Hinblick auf die aufgrund tatsächlicher Schwierigkeiten in solchen Fällen oft eingeschränkte Möglichkeit der Einzelfallkonkretisierung. Anders ist es aber in den vom 1. Strafsenat angesprochenen Fällen einer Vielzahl von im Einzelnen präzise konkretisierbaren [X.], namentlich im Bereich der Wirtschaftskriminalität. Hier würde eine Aufnahme der individualisierten Daten in den [X.] nicht an der Möglichkeit der Feststellung scheitern; vielmehr soll sie - nach Auffassung des vorlegenden [X.] - aus praktischen Gründen überflüssig sein, weil die Verlesung besonders umfangreicher, unübersichtlicher Einzelfalls-Schilderungen, etwa in Tabellenform, die Aufnahmefähigkeit von [X.] überfordere und daher die Informationsfunktion des § 243 Abs. 3 Satz 1 StPO im Ergebnis nicht erfüllen könne. 8 Dem ist nach Ansicht der von Teilen des [X.] vertretenen [X.] jedoch entgegenzuhalten, dass Ausnahmen von zwingenden Formvor-schriften der StPO nicht nach Maßgabe des praktischen Bedürfnisses im Ein-zelfall vorgenommen werden dürfen. Soweit der vom 1. Strafsenat mitgeteilte beabsichtigte Leitsatz die Ausnahme von § 200 Abs. 1 Satz 1 StPO an das [X.] - 5 - liegen von "zahlreichen Vermögensdelikten" knüpft, "die einem einheitlichen modus operandi folgen", ist schon in dieser Voraussetzung ein Quell zukünftiger Unklarheiten, [X.] und Rechtsstreitigkeiten enthalten, denn in der alltäglichen Praxis der [X.] und Gerichte dürfte sich schnell eine insgesamt nach unten tendierende, jedoch regional oder sogar je nach Spruchkörper verschiedene Auffassung davon einspielen, was als "zahlreiche Vermögensdelikte" und was als "einheitlicher modus operandi" anzusehen sei. Dass diese Auslegung ggf. Anlass zu zahlreichen Rechtsmittelangriffen sein würde, ist nur als weiterer, gegen die angenommene Entlastung sprechender Umstand zu erwähnen. Wesentlich gegen einen regelmäßigen Verzicht auf Darstellung von Ein-zelfällen im [X.] spricht die erfahrungsgemäß nicht geringe Fehleranfäl-ligkeit solcher Aufstellungen, gerade auch im Umfangs- und Punkteverfahren. Es erschiene dem Senat nicht angemessen, etwa Fragen und Einzelheiten der Abgrenzung von Versuch und Vollendung, Fallüberschneidungen sowie Konkur-renzfragen praktisch ganz aus dem [X.] zu entfernen und "Anlagen" zum Ermittlungsergebnis zu überlassen. 10 Die vom anfragenden Senat angesprochene Konsequenz, dass bei (aus-schließlicher) Verlesung umfangreichster [X.] die Aufmerk-samkeit und Aufnahmefähigkeit der Verfahrensbeteiligten regelmäßig überfor-dert ist und sich die Erfüllung der Pflicht aus § 243 Abs. 1 Satz 1 StPO daher als letztlich gerade für die Informationsfunktion nutzlose Förmlichkeit darstellen kann, erscheint nicht zwingend. Ihr kann vielmehr, etwa durch Überlassung von Abdrucken des [X.]es an alle Verfahrensbeteiligten, unschwer entge-gengewirkt werden. Warum dies in dem vom 1. Strafsenat zu entscheidenden Fall nicht geschehen ist, ergibt sich aus dem Vorlagebeschluss nicht. 11 - 6 - c) Eine dritte, von Teilen des [X.] vertretene Ansicht stimmt mit der unter b) dargestellten Auffassung insoweit überein, als sie eine Verschiebung von [X.] bei [X.] vom [X.] in den - nicht in der Hauptverhandlung zu verlesenden und auch sonst nicht in den Inbegriff der Hauptverhandlung einzubringenden - Abschnitt der Anklageschrift über das we-sentliche Ergebnis der Ermittlungen für unzulässig hält, jedoch eine Vereinfa-chung des Verfahrens der Einführung in die Hauptverhandlung für [X.] hält. Dies könnte hiernach etwa dadurch geschehen, dass das Selbstlese-verfahren (§ 249 Abs. 2 StPO) für bestimmte, genau zu umschreibende Fall-gruppen auf solche Teile des [X.]es ausgedehnt wird, die, etwa in ta-bellenartiger Form, konkretisierende Einzeldaten zu einer Vielzahl von Taten enthalten, deren allgemeine Struktur in dem zu verlesenden Teil der Anklage hinreichend konkret dargestellt wird. Einzelheiten einer solchen möglichen Re-gelung sowie die erforderlichen Abgrenzungen der betroffenen Fallgruppen sind im Senat nicht erörtert worden. 12 - 7 - 3. Insgesamt will daher eine Mehrheit des [X.] dem vom 1. Strafsenat beabsichtigten Rechtssatz nicht beitreten, sondern - vorbehaltlich ggf. [X.] gesetzlicher Neuregelungen für Sonderfälle - an dem Grundsatz des § 200 Abs. 1 Satz 1 StPO und daher an der [X.]entscheidung vom 28. April 2006 - 2 [X.] - festhalten. [X.] Roggenbuck [X.][X.]

Meta

2 ARs 455/09

25.11.2009

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: ARs

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 25.11.2009, Az. 2 ARs 455/09 (REWIS RS 2009, 411)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2009, 411

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