Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 12.01.2011, Az. GSSt 1/10

Großer Senat für Strafsachen | REWIS RS 2011, 10522

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[X.]BESCHLUSS GSSt 1/10 vom 12. Januar 2011 in der Strafsache gegen [X.]St: ja [X.]R: ja Nachschlagewerk: ja Veröffentlichung: ja

[X.] § 243 Abs. 3 Satz 1, § 200 Abs. 1 Satz 1 In Strafverfahren wegen einer Vielzahl gleichförmiger Taten oder Tatein-zelakte, die durch eine gleichartige [X.] gekennzeichnet sind, ist dem Erfordernis der Verlesung des [X.]es i.S.d. § 243 Abs. 3 Satz 1 [X.] Genüge getan, wenn dieser insoweit wörtlich [X.] wird, als in ihm die gleichartige Tatausführung, welche die Merkmale des jeweiligen Straftatbestands erfüllt, beschrieben und die Gesamtzahl der Taten, der Tatzeitraum sowie bei [X.] der Gesamt-schaden bestimmt sind. Einer Verlesung der näheren [X.] tatsächlichen Umstände der [X.] oder der Einzelakte bedarf es in diesem Fall nicht. [X.] (Großer Senat für Strafsachen), Beschluss vom 12. Januar 2011 [X.] GSSt 1/10 [X.] Landgericht Mannheim - 2 - 1. 2. wegen Betrugs - 3 - [X.] hat durch den Präsi-denten des [X.] Prof. Dr. [X.], die Vorsitzende [X.]in am [X.] Prof. Dr. [X.], die Vorsitzenden [X.] am [X.] [X.], [X.] und [X.], sowie die [X.] am Bun-desgerichtshof Dr. Wahl, [X.], Dr. Raum, Dr. Brause, Prof. Dr. [X.] und [X.] am 12. Januar 2011 beschlossen: In Strafverfahren wegen einer Vielzahl gleichförmiger Taten oder Tateinzelakte, die durch eine gleichartige [X.] gekennzeichnet sind, ist dem Erfordernis der Verlesung des [X.]es i.S.d. § 243 Abs. 3 Satz 1 [X.] Genüge getan, wenn dieser insoweit wörtlich vorgelesen wird, als in ihm die gleichartige Tatausführung, welche die Merkmale des [X.] erfüllt, beschrieben und die Gesamtzahl der Taten, der Tatzeitraum sowie bei [X.] der Gesamtschaden bestimmt sind. Einer Verlesung der näheren [X.] tatsächlichen Umstände der [X.] oder der Einzelakte bedarf es in diesem Fall nicht. Gründe: [X.] Die Vorlage des [X.] betrifft den Umfang der Anforderungen an die Tatschilderung in dem zu verlesenden [X.] (§ 243 Abs. 3 Satz 1 [X.] i.V.m. § 200 Abs. 1 Satz 1 [X.]) bei einer Serie gleichartiger [X.]. Er hält es für ausreichend, dort neben der Schilderung der die Merkmale des jeweiligen Tatbestandes erfüllenden gleichartigen Tatausführung 1 - 4 - nur die Gesamtzahl der Taten, den Tatzeitraum sowie den Gesamtschaden zu bezeichnen. Die konkreten Tatzeitpunkte, die Tatorte, die Tatopfer und die [X.] [X.] seien in einem anderen, nicht zu verlesenden Teil der Anklage detailliert zu beschreiben. 2 1. Folgendes liegt zu Grunde: In dem beim 1. Strafsenat anhängigen Verfahren wurden in der unverän-dert zugelassenen Anklage den Angeklagten (gegen weitere Angeklagte ist das Urteil zwischenzeitlich rechtskräftig) insgesamt etwa 1.400 [X.] bzw. Teilakte von [X.] im Zusammenhang mit der betrügerischen Akquisition von Werbeanzeigen zur Last gelegt. Der [X.] schildert nur den Aufbau einer im Wesentlichen von einem der Angeklagten ([X.]

) gesteuerten Firmenstruktur sowie die generelle [X.] der Taten. Aufgeteilt nach den verschiedenen Angeklagten enthält der [X.] Ausführungen zur —generellen Vorgehensweise bei den Betrugstatenfi, zur Gesamtzahl der ihnen jeweils vorgeworfenen Taten und der ihnen jeweils zuzurechnenden Gesamt-schäden. Außerdem ist der jeweilige (überwiegend mehrjährige) Zeitrahmen genannt, in dem die Taten begangen seien. Hinsichtlich sämtlicher anderer [X.] ist unter der Überschrift —[X.] und Schadenfi auf (insgesamt neun) so genannte —Anlagen zum wesentlichen Ermittlungsergebnisfi verwiesen, die diese Angaben in Tabellenform enthalten, wobei die einzelnen Anlagen teil-weise aufeinander Bezug nehmen. In einer Anlage fehlen insgesamt vier Seiten mit konkretisierenden Angaben zu 52 [X.]. 3 2. In der Hauptverhandlung wurde der [X.] verlesen, eine beab-sichtigte Einführung der Anlagen im Selbstleseverfahren (§ 249 Abs. 2 [X.]) wurde nur teilweise durchgeführt. Es ist nicht festgestellt, dass die [X.] von 4 - 5 - insgesamt sieben Anlagen Kenntnis genommen hätten (§ 249 Abs. 3 Satz 2 [X.]), hinsichtlich derer am ersten Hauptverhandlungstag das Selbstlesever-fahren angeordnet worden war. 5 3. Der Angeklagte [X.]

wurde wegen Betrugs in zwei Fällen, der Angeklagte [X.]wegen Betrugs in 369 Fällen verurteilt. Ausweislich der Urteilsgründe, die über insgesamt mehr als 100 Seiten Tabellen enthalten, die den als Teil der Anklage vorgelegten Tabellen im Wesentlichen entsprechen, haben sie die objektiven Tatumstände ganz überwiegend eingeräumt. Mit ihren identischen Verfahrensrügen machen sie geltend, dass durch den allein verlesenen [X.] (§ 243 Abs. 3 Satz 1 [X.]) die [X.] und die Öffentlichkeit mangels Konkretisierung nicht hinlänglich über den Verfahrensgegenstand informiert worden seien. Dieser Mangel sei hinsicht-lich der Verfahrensbeteiligten, etwa der [X.], auch nicht durch ein ord-nungsgemäßes Selbstleseverfahren kompensiert worden. 6 4. Der 1. Strafsenat möchte die in den fehlenden Seiten einer Anlage konkretisierten Taten, weil die Anklage insofern die Umgrenzungsfunktion nicht erfüllt und ein Verfahrenshindernis besteht, aus dem Verfahren ausscheiden. Im Übrigen sieht er [X.] was auch die Revision nicht bezweifelt [X.] die Umgrenzungs-funktion gewahrt und beabsichtigt, die Rechtsmittel zu verwerfen. Hieran sieht er sich durch das Urteil des 2. Strafsenats vom 28. April 2006 (2 [X.], [X.], 649) gehindert. Danach genügt es bei einer [X.] (konkret: 58 Betrügereien) nicht, die [X.] Merkmale der [X.] nur im nicht zu verlesenden wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen aufzuführen. 7 - 6 - Auf Anfrage des [X.] vom 2. September 2009 gemäß § 132 Abs. 3 Satz 1 [X.] (1 [X.], [X.], 703) hat der 2. Strafsenat im Ergebnis an seiner Auffassung festgehalten (Beschluss vom 25. November 2009 [X.] 2 [X.], [X.], 66). Die anderen Strafsenate halten das Anliegen des [X.] für sachgerecht. Während jedoch der 4. Strafsenat (Beschluss vom 8. Dezember 2009 [X.] 4 ARs 17/09) und der 5. Strafsenat (Beschluss vom 28. Oktober 2009 [X.] 5 [X.]) der Rechtsauf-fassung des [X.] zustimmen und etwaige entgegenstehende Recht-sprechung aufgeben, hat der 3. Strafsenat (Beschluss vom 17. November 2009 [X.] 3 ARs 16/09) mitgeteilt, seine Rechtsprechung stehe zwar nicht entgegen, er habe jedoch Bedenken, ob die vom 1. Strafsenat für ausreichend erachtete [X.] mit dem geltenden Recht vereinbar sei. 8 5. Mit Beschluss vom 24. Februar 2010 hat der 1. Strafsenat gem. § 132 Abs. 2 und 4 [X.] folgende, im Blick auf vom 2. Strafsenat geäußerte [X.] gegenüber der Anfrage vom 2. September 2009 konkretisierend [X.] Anfrage an den [X.] gerichtet (NJW 2010, 1386 ff.): 9 Genügt, wenn einem Angeklagten eine große Zahl von [X.] gelegt wird, die einem einheitlichen modus operandi folgen, der [X.] den Anforderungen des § 243 Abs. 3 Satz 1 [X.] i.V.m. § 200 [X.], wenn in [X.], der allein in der Hauptverhandlung zu verlesen ist, neben der Schilderung der gleichartigen Tatausführung, die die Merkmale des jeweiligen Straftatbestandes erfüllt, die Gesamt-zahl der Taten, der Tatzeitraum sowie der [X.] werden und die Einzelheiten der Taten, d. h. die kon-kreten Tatzeitpunkte, die Tatorte, die Tatopfer und die [X.], ergänzend in einem anderen, nicht zu ver-lesenden Teil der Anklageschrift detailliert beschrieben sind? - 7 - 6. Der [X.] hat beantragt, im Sinne der Anfrage des [X.] zu entscheiden. 10 I[X.] 11 Die Vorlage ist zulässig, da jedenfalls die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 [X.] gegeben sind. II[X.] In der Sache hat der [X.] für Strafsachen entschieden wie aus der [X.] ersichtlich. 12 1. § 243 Abs. 3 Satz 1 [X.] in der aktuell geltenden Fassung schreibt vor, dass in der Hauptverhandlung vor der Mitteilung über Erörterungen der Möglichkeit einer Verständigung (§ 243 Abs. 4 [X.]), der Belehrung des Ange-klagten über sein Schweigerecht (§ 243 Abs. 5 Satz 1 [X.]) und dessen [X.] (§ 243 Abs. 5 Satz 2 [X.]) der Staatsanwalt den [X.] zu verlesen hat. Diese Regelung verweist auf die Legaldefinition des § 200 Abs. 1 Satz 1 [X.], wonach [X.] der Teil der Anklageschrift ist, in wel-cher der Angeschuldigte, die ihm zur Last gelegte Tat, Zeit und Ort ihrer Bege-hung sowie die gesetzlichen Merkmale der Straftat und die anzuwendenden Strafvorschriften zu bezeichnen sind. 13 2. Nach forensischer Erfahrung besteht vor allem in Verfahren, in denen massenweise und gleichförmig begangene Delikte angeklagt sind, das prakti-sche Bedürfnis, die Hauptverhandlung von der zeitaufwändigen Verlesung von Details der einzelnen Taten zu entlasten (so auch [X.], Beschluss vom 17. November 2009 [X.] 3 ARs 16/09 < in dieser Sache >, Rn. 5 unter Hinweis auf [X.] NStZ 2007, 358; vgl. auch die Fallschilderung von [X.] 2009, 14 - 8 - 3745, 3746 sowie [X.]/[X.] [X.], 249). Dies hängt im vorrangig [X.] aber nicht ausschließlich [X.] betroffenen Bereich der Wirtschaftkrimi-nalität mit der zunehmenden Verfolgungsdichte und mit neuen Kriminalitätsfor-men zusammen. Auch wenn der Staatsanwalt, der stets gehalten ist, die [X.] klar, übersichtlich und verständlich abzufassen (vgl. Nr. 110 Abs. 1 [X.]), die Aufnahme von Einzelheiten in den zu verlesenden [X.] auf das Nötigste zu beschränken hat, hat die genannte Entwicklung dazu geführt, dass in einer zunehmenden Zahl von Einzelfällen zur Konkretisierung der [X.], des [X.], der Tatobjekte oder des jeweils konkreten Einzel-schadens umfangreiche Details in den [X.] aufzunehmen sind. Die nach dem bisherigen Verständnis von § 243 Abs. 3 Satz 1 [X.] i.V.m. § 200 Abs. 1 Satz 1 [X.] auch in solchen Fällen stets erforderliche Verlesung der Darstellung sämtlicher angeklagter Einzelfälle oder Teilakte kann dann viele Stunden oder sogar mehrere Tage lang dauern. Hierdurch werden die [X.] der Justiz sowie aller anderen Verfahrensbeteiligten erheblich belastet, ohne dass dem ein erkennbarer Informationsgewinn gegenüber steht. 3. Dem oben genannten praktischen Problem kann nicht in allen Fällen durch Beschränkung des Verfahrensstoffs begegnet werden. Ebenso wenig können die Regelungen über das Selbstleseverfahren auf den [X.] übertragen werden. Auch eine einschränkende Auslegung des § 200 Abs. 1 Satz 1 [X.] kommt nicht in Betracht. 15 a) Verfahrensbeschränkungen nach §§ 154, 154a [X.] sind nicht gene-rell geeignet, diesem praktischen Problem entgegenzuwirken. Eine [X.] gem. §§ 154, 154a [X.] bei umfangreichen [X.] würde nur dann zu einer Beschränkung des zu verlesenden [X.]es führen, wenn sie bereits von der Staatsanwaltschaft vorgenommen würde (§ 154 Abs. 1 [X.], § 154a Abs. 1 [X.]); eine Einstellung durch das Gericht ist 16 - 9 - erst nach Anklageerhebung möglich (§ 154 Abs. 2 [X.], § 154a Abs. 2 [X.]) und erfolgt nach aller Erfahrung regelmäßig erst nach Verlesung des [X.]es in der Hauptverhandlung. Auch würde eine Verfahrensbeschränkung erheblichen Umfangs, selbst wenn sie schon vor Anklageerhebung erfolgte, dem Unrechtsgehalt namentlich solcher [X.]n nicht gerecht, bei welchen die einzelnen Schäden gering sind, der Gesamtschaden hingegen hoch ist. b) Die Regelungen über das Selbstleseverfahren sind auf die Verlesung des [X.]es nicht übertragbar. Die Anklage ist Grundlage der [X.]; die Anklageschrift selbst kann daher nicht Gegenstand der [X.] in der Hauptverhandlung sein. Im Übrigen ist die Einführung des [X.] der Anklageschrift in die Hauptverhandlung in § 243 Abs. 3 Satz 1 [X.] abschließend geregelt; die Verlesung des [X.]es ist nicht Teil der Be-weisaufnahme, sondern muss dieser vorausgehen. 17 c) Ebenso wenig lässt sich die aufgezeigte Problematik durch eine Her-absetzung der Anforderungen an den [X.] im Wege einer einschrän-kenden Auslegung des § 200 Abs. 1 Satz 1 [X.] lösen. 18 Nach Ansicht des Großen Senats für Strafsachen ist eine einengende Auslegung des § 200 Abs. 1 Satz 1 [X.] in Bezug auf die Individualisierung der Taten im Ergebnis ausgeschlossen. Sie könnte zwar, ohne dass dem der erkennbare Wille des Gesetzgebers entgegenstünde, an die frühere [X.] zur notwendigen Konkretisierung der so genannten fortgesetzten Tat anknüpfen. Hier hat der [X.] bei ausreichender Konkretisierung des Gesamt-Lebenssachverhalts eine Darstellung der Einzelakte in der Anklage für nicht erforderlich gehalten (vgl. etwa Urteil vom 27. Mai 1975 [X.] 5 StR 184/75; Urteil vom 2. Mai 1985 [X.] 4 StR 142/85). Der Tatbegriff des § 200 Abs. 1 Satz 1 [X.] entspricht indes demjenigen des § 264 Abs. 1 [X.]. Er umfasst 19 - 10 - daher alle [X.] Merkmale der vorgeworfenen Tat, die [X.] sind, um diese zur Erfüllung der Umgrenzungsfunktion der Anklage von an-deren Lebenssachverhalten abzugrenzen. Diese [X.] Merkmale können daher auch in den hier in Rede stehenden Fällen aus der Umschrei-bung der angeklagten Taten und damit aus dem [X.] nicht ausgeklam-mert werden. Ansonsten bestünde die Gefahr einer Veränderung des Tatbe-griffs, deren Auswirkungen schwer zu übersehen wären. Gerade die aufgrund unzureichender Konkretisierung des Tatumfangs auftretenden Probleme etwa bei den Fragen der Verjährung oder des Strafklageverbrauchs waren Gründe, welche den [X.] zur Aufgabe der Rechtsfigur der fort-gesetzten Handlung bewogen haben (vgl. [X.] [GSSt], Beschluss vom 3. Mai 1994 [X.] [X.], [X.], [X.]St 40, 138, 148 ff.). Für eine Herabsetzung der Anforderungen an die Individualisierung lässt sich auch die Rechtsprechung nicht fruchtbar machen, die Einschränkungen bei der Konkretisierung von [X.] zulässt, wenn anders die Verfolgung und Aburteilung strafwürdiger Taten nicht möglich wäre. Dies ist als Ausnahme auf Fälle beschränkt worden, in denen typischerweise bei einer Serie gleichartiger Handlungen einzelne Taten etwa wegen Zeitablaufs oder wegen Besonderhei-ten in der Beweislage nicht mehr genau voneinander unterschieden werden können (vgl. [X.], Urteil vom 29. Juli 1998 [X.] 1 [X.], [X.], 42; Ur-teil vom 11. Januar 1994 [X.] 5 StR 682/93, [X.]St 40, 44, 48). Diese Vorausset-zungen liegen aber in den vom Vorlagebeschluss genannten [X.], in allen Einzelheiten feststellbarer [X.] nicht vor. In [X.] zwingender Rechtsfolgeentscheidungen etwa gem. § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB, die gerade im Bereich des Vermögensstrafrechts häufig sind, könnte überdies auf eine Individualisierung von [X.] schon aus materiell-rechtlichen Gründen nicht verzichtet werden. 20 - 11 - 4. Daraus, dass danach der [X.] die [X.] auch in Fällen der in Rede stehenden Art so beschreiben muss, dass sie sich von anderen nach der [X.] gleichartigen Taten der [X.] abgrenzen lassen, folgt indes nicht, dass die zur Individualisierung erforderlichen Details notwen-digerweise auch bei der Verlesung der Anklage zu Beginn der Hauptverhand-lung wiedergegeben werden müssten. Allerdings kann der Begriff des [X.]es in § 243 Abs. 3 Satz 1 [X.] nicht in anderem Sinne verstanden werden als in § 200 Abs. 1 Satz 1 [X.], der ihn gesetzlich definiert. Die Möglichkeit einer Beschränkung ergibt sich aber aus dem Begriff des —[X.] im Sinne des § 243 Abs. 3 Satz 1 [X.]. Dieser ist dahin zu interpretieren, dass es bei Anklagen wegen einer Vielzahl gleichförmiger Taten oder gleichförmiger [X.] genügt, wenn der [X.] nur insoweit wörtlich vorgelesen wird, als in ihm die gleichartige Tatausführung, welche die Merkmale des jewei-ligen Straftatbestands erfüllt, beschrieben und die Gesamtzahl der Taten, der Tatzeitraum sowie bei [X.] der Gesamtschaden dargestellt sind. Einer Verlesung der näheren [X.] Umstände der [X.] oder Tateinzelakte bedarf es in diesen Fällen nicht, da die Hauptverhandlung durch sie ohne erkennbaren verfahrensrechtlichen Gewinn belastet würde. 21 a) Diese Auslegung ist nach Sinn und Zweck der Vorschrift im Wege te-leologischer Reduktion des Begriffs der Verlesung geboten. Gemessen an der Funktion, die der Verlesung des [X.]es in der Hauptverhandlung zu-kommt, ist es ausreichend, den [X.] in der Hauptverhandlung den [X.] und der Öffentlichkeit so zu präsentieren, dass die zur Abur-teilung stehenden Lebenssachverhalte in [X.] verständlich werden und somit der Gang der Hauptverhandlung nachvoll-zogen werden kann. Hierfür ist die Mitteilung aller [X.] zumindest dann nicht geeignet und erforderlich, wenn deren Details schon aufgrund der Menge 22 - 12 - an Information intellektuell nicht aufgenommen und im Gedächtnis gespeichert werden können. 23 aa) Die dem [X.] zukommende Umgrenzungsfunktion ist durch eine solche Auslegung nicht betroffen, denn diese Funktion der Anklage bleibt vom Umfang des in der Hauptverhandlung zu verlesenden [X.]es un-berührt. Die vom [X.] in der Entscheidung zur fortge-setzten Tat hervorgehobene Pflicht des Staatsanwalts, in der Anklageschrift die Anklagevorwürfe nicht nur pauschalierend und ungenau darzustellen, sondern sämtliche Vorwürfe exakt zu beschreiben und zu konkretisieren (vgl. [X.] [GSSt], Beschluss vom 3. Mai 1994 [X.] [X.], [X.], [X.]St 40, 138, 150, 161) ändert sich durch eine Einschränkung des zu verlesenden Teils der Anklage nicht. [X.]) Auch die vom [X.] in der vorgenannten Entscheidung angesprochene Gefahr, dass die —Verteidigung des Angeschul-digten durch vage, unbestimmte Vorwürfefi beeinträchtigt werde (vgl. [X.] [GSSt], Beschluss vom 3. Mai 1994 [X.] [X.], [X.], [X.]St aaO 150, 161), steht der einschränkenden Auslegung des Verlesungsbegriffs nicht ent-gegen. 24 Ihrer Informationsfunktion gegenüber dem Angeklagten (und seinem Ver-teidiger) genügt die Anklageschrift, wenn sie über die Einzelheiten des [X.] unterrichtet, so dass Gelegenheit besteht, das Prozessverhalten hierauf einzustellen (vgl. [X.], Urteil vom 11. Januar 1994 [X.] 5 StR 682/93, [X.]St 40, 44, 47 f.). Diese Funktion entfaltet die Anklageschrift im [X.] dadurch, dass sie vollumfänglich (also nicht nur ihr zu verlesender Teil) dem Angeschuldigten und seinem Verteidiger alsbald nach Eingang durch den Vorsitzenden des Gerichts mitzuteilen ist (§ 201 Abs. 1 Satz 1 [X.]). Damit 25 - 13 - werden der Angeschuldigte und sein Verteidiger so früh wie möglich umfassend und zuverlässig unterrichtet, um eine sachgerechte Verteidigung gegenüber dem Gericht bereits vor der Entscheidung über die Eröffnung des [X.] zu ermöglichen. Durch die Verlesung des gesamten [X.]es in der Hauptverhandlung unter Einschluss aller die Einzelheiten einer [X.] konkre-tisierenden Umstände werden die Möglichkeiten einer sachgerechten Verteidi-gung nicht erweitert. Die Verlesung des [X.]es in der Hauptverhand-lung soll zwar dem Angeklagten nochmals die gegen ihn erhobenen Vorwürfe verdeutlichen. Hierfür genügt jedoch eine Verlesung, die sich auf [X.], nicht aber auch auf alle Details der Vorwürfe bezieht. Eine daraus resultierende Beschränkung von Verteidigungsmöglichkeiten ist nicht erkennbar. cc) Die eingeschränkte Verlesung des [X.]es in der [X.] behindert auch die [X.] bei der Wahrnehmung ihres Amtes nicht. Sie sollen durch die Verlesung mit dem Verhandlungsgegenstand und den Grenzen, innerhalb derer sich die Urteilsfindung zu bewegen hat, so bekannt gemacht werden, dass sie dieses Amt ausüben können. Auch deshalb ist die Anklage verständlich und erfassbar zu gestalten (vgl. auch Nr. 110 Abs. 1 [X.], im Ansatz ebenso [X.] in [X.], 2008, [X.], 111 f., der zutref-fend von der —Hörverständlichkeitfi des zu verlesenden [X.]es spricht). Verständlichkeit und Erfassbarkeit des Inhaltes sind bei Tabellenwerken oder sonstigen Details über zahlreiche - gelegentlich hunderte - Seiten, die über viele Stunden oder Tage verlesen werden müssten, aber gerade nicht gegeben (vgl. bereits [X.], Urteil vom 2. Dezember 1986 [X.] 1 [X.], [X.], 282). Die [X.] werden durch eine konzentrierte und gruppierte Darstellung der [X.] Sachverhalte weitaus besser informiert als durch die langatmige Ver-lesung eines etwa nur chronologisch geordneten Sachverhalts mit einer un-überschaubaren und daher nicht einprägbaren Menge von Einzeldetails. Nach 26 - 14 - aller forensischer Erfahrung ist eine solche Verlesung nicht nur für die gedankli-che Erfassung des Anklagevorwurfs nutzlos; sie führt darüber hinaus sogar zu einer Ermüdung, die die Aufmerksamkeit für das einer solchen Verlesung nach-folgende Verfahrensgeschehen beeinträchtigen kann. 27 Außerdem bewirkt eine Begrenzung der Verlesung des [X.]es auch deshalb keinen bedeutsamen [X.], weil sämtliche für das Urteil wesentlichen Einzelheiten Gegenstand der Beweisaufnahme sein müs-sen. Allein hierauf beruht die für die Urteilsfindung erforderliche Information. Das Verständnis der Hauptverhandlung und die Möglichkeit, sich hieran [X.] etwa durch Fragen [X.] zu beteiligen, werden aber durch eine nur eingeschränkte Ver-lesung nicht beeinträchtigt. Der Urteilsfindung werden ohnehin Informationen nicht deshalb zu Grunde gelegt, weil sie im verlesenen [X.] enthalten waren. Entscheidend ist allein der Inbegriff der Hauptverhandlung (§ 261 [X.]). Die Begrenzung des Umfangs des zu verlesenden [X.]es führt jedoch nicht zu einer Einschränkung des notwendigen Umfangs der Hauptverhandlung, insbesondere nicht zu Einschränkungen des Umfangs der Beweisaufnahme. Unabhängig von der Information durch die Beweisaufnahme kann Schöf-fen die Ausübung ihres Amtes dadurch erleichtert werden, dass ihnen der ge-samte [X.] ausgehändigt wird. Die Aushändigung des [X.]es an die [X.] widerspricht nicht den Grundsätzen eines fairen Verfahrens ([X.], 2871, 2873) und ist auch sonst nicht zu beanstanden ([X.], Urteil vom 26. März 1997 [X.] 3 StR 421/96, [X.]St 43, 36, 38 ff.; [X.], [X.] vom 25. November 2009 [X.] 2 [X.] Rn. 11, [X.], 66; [X.], Beschluss vom 28. Oktober 2009 [X.] 5 [X.] < in die-ser Sache > Rn. 5; [X.], Beschluss vom 2. November 2010 [X.] 1 StR 544/09, Rn. 55; vgl. auch [X.], NStZ 2008, 525, 526 ; 28 - 15 - Häger in [X.]. für [X.], 1990, [X.], 172 ff.; [X.] in [X.]. § 243 Rn. 21; [X.] [X.] 53. Aufl. § 243 Rn. 13). 29 [X.]) Auch die gebotene Information der Öffentlichkeit durch die Verlesung des [X.]es wird durch die aufgezeigte Begrenzung des Umfangs der Verlesung im Ergebnis nicht eingeschränkt. Die Verlesung des [X.]es soll der Öffentlichkeit eine effektive Kontrolle des [X.] ermöglichen (vgl. insoweit [X.], Urteil vom 6. Oktober 1976 [X.] 3 StR 291/76, [X.]St 27, 13, 15), ihr Informationsinteresse erfüllen ([X.] in [X.]. [X.] Vor § 169 Rn. 4) und auch spezial- und generalpräventiven Zwecken dienen (vgl. [X.] in [X.]. [X.] § 169 Rn. 2). Zur Erreichung dieser Zwecke ist aber eine langwierige und gegebenenfalls ermüdende Verlesung detaillierter Tabellen oder sonstiger Einzelheiten nicht erforderlich; sie ist vielmehr geradezu abträg-lich. Jedenfalls wird keiner dieser Zwecke durch eine solche Verlesung geför-dert. Soweit einzelne Mitglieder der zur Teilnahme am Strafprozess berechtig-ten Öffentlichkeit ein berechtigtes Interesse an der Information über die näheren [X.] tatsächlichen Umstände der [X.] oder der [X.] haben können, wird dem ohnehin nicht durch die Verlesung des Anklagesat-zes in der Hauptverhandlung, sondern durch den Anspruch auf Akteneinsicht gemäß § 406e [X.], §§ 475 ff. [X.] Rechnung getragen. 30 b) Der Wortlaut des Gesetzes steht dieser maßgeblich an Sinn und Zweck der Vorschrift orientierten Auslegung nicht entgegen. 31 aa) Das Gesetz verwendet für die Bekanntgabe eines geschriebenen Textes durch lautes Lesen sowohl den Begriff —Vorlesenfi als auch den Begriff —Verlesenfi. Der Begriff —Vorlesenfi wird in der Regel dann gebraucht, wenn die 32 - 16 - Bekanntgabe gegenüber einer bestimmten Person wegen bei ihr vorhandener Einschränkungen in dieser Weise erfolgen soll (vgl. auch Duden [X.] [X.] [X.] [X.] 3. Aufl. 1999, Band 10, S. 4373), z.B. bei Inhaftierung (§ 35 Abs. 3 [X.]; vgl. auch [X.], Beschluss vom [X.] 2010 [X.] 1 StR 422/10 Rn. 7 bei Analphabetismus), oder wenn das Vorlesen eines Protokolls zur Genehmigung an die Stelle der ebenfalls möglichen Vorla-ge des Protokolls tritt (§ 168a Abs. 3 Satz 1 [X.]). Dies macht ohne Weiteres deutlich, dass eine Urkunde regelmäßig uneingeschränkt in ihrem vollen Wort-laut —vorzulesenfi ist. [X.]) Unter Verlesen versteht man dagegen, dass —etwas Amtliches, was der Öffentlichkeit zur Kenntnis gebracht werden soll, durch Lesen [X.] wird (vgl. Duden [X.] [X.] [X.] [X.] 3. Aufl. 1999, Band 9, [X.]). 33 Diesem Begriff wohnt die Möglichkeit einer funktionalen Beschränkung inne; entscheidend ist, dass verlesen wird, was nicht zur individuellen, sondern zur allgemeinen Kenntnis zu bringen ist. Dementsprechend gebietet § 249 Abs. 1 [X.], wonach Urkunden und sonstige Schriftstücke zu verlesen sind, nicht notwendig, dass die Urkunden oder die Schriftstücke ausnahmslos in vol-lem Wortlaut zu verlesen sind ([X.], Urteil vom 8. März 1960 [X.] 5 StR 17/60, [X.] 1960, 277). Vielmehr sind nur die für die Entscheidung bedeutsamen Teile zu verlesen ([X.], Urteil vom 23. Oktober 1957 [X.] 3 StR 37/57, [X.]St 11, 29, 31). 34 Anerkannt ist auch, dass es ausreicht, eine repräsentative Auswahl der Urkunden zu verlesen, wenn eine Vielzahl gleichartiger Urkunden zu verlesen wäre ([X.] [X.] 53. Aufl. § 249 Rn. 15; [X.] in [X.], 26. Aufl. [X.], § 249 Rn. 39 mwN). 35 - 17 - c) Es ist auch nicht ersichtlich, dass einer solchen Auslegung der Wille des Gesetzgebers entgegenstünde. § 243 Abs. 3 Satz 1 [X.] und § 200 Abs. 1 Satz 1 [X.] in ihrer heutigen Fassung gehen zurück auf das Gesetz zur Ände-rung der Strafprozessordnung und des Gerichtsverfassungsgesetzes vom 19. Dezember 1964 ([X.] I S. 1067). § 243 Abs. 3 Satz 1 [X.] ersetzt die zuvor erforderliche Verlesung des [X.] durch die Verlesung des —[X.]esfi. Dieser Begriff wurde in dem ebenfalls neu gefassten § 200 Abs. 1 Satz 1 [X.] definiert (Legaldefinition). Es gibt keine objektiven, in der [X.] zum Ausdruck gebrachten (vgl. insoweit [X.] 11, 126, 130 f.) Anhaltspunkte dafür, dass es der Gesetzgeber von 1964 für erfor-derlich erachtete, bei [X.]n alle Details der [X.] in den [X.] dann in der Hauptverhandlung zu verlesenden [X.] [X.] aufzunehmen. Die Geset-zesmaterialien verhalten sich hierzu nicht (vgl. [X.]. 180/60 S. 37). 36 [X.] [X.] [X.] [X.] Ernemann Wahl [X.] Raum Brause [X.] Franke

Meta

GSSt 1/10

12.01.2011

Bundesgerichtshof Großer Senat für Strafsachen

Sachgebiet: False

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 12.01.2011, Az. GSSt 1/10 (REWIS RS 2011, 10522)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 10522

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