Bundessozialgericht, Urteil vom 12.09.2019, Az. B 11 AL 19/18 R

11. Senat | REWIS RS 2019, 3650

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Gegenstand

Überprüfungsverfahren - Rücknahme einer Sperrzeitentscheidung - Vorliegen eines wichtigen Grundes für die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses durch den Abschluss einer Altersteilzeitvereinbarung - ständige Rechtsprechung - abweichende Verwaltungspraxis - Nichtberücksichtigung bzw fehlerhafte Interpretation bestehender ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung


Leitsatz

Die Verpflichtung zur Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsakts ist nicht wegen von der Verwaltungspraxis abweichender ständiger Rechtsprechung begrenzt, wenn die Arbeitsverwaltung eine bei Erlass des Verwaltungsakts bereits bestehende ständige höchstrichterliche Rechtsprechung nicht ausreichend berücksichtigt bzw fehlerhaft interpretiert hat.

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 28. September 2018 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin auch im Revisionsverfahren zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt von der Beklagten [X.] vom [X.] bis [X.] im Wege des Überprüfungsverfahrens.

2

Die 1954 geborene Klägerin war bei dem [X.] (Arbeitgeber) versicherungspflichtig beschäftigt. Am 20.11.2006 schloss sie mit dem Arbeitgeber eine Altersteilzeitvereinbarung mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 38 Stunden bis zum [X.], einer anschließenden Freistellung von der Arbeitsleistung und einem Ende des Altersteilzeitbeschäftigungsverhältnisses ohne vorherige Kündigung mit dem 31.5.2017. Sie meldete sich zum [X.] arbeitslos und beantragte [X.]. Die Beklagte stellte den Eintritt einer Sperrzeit vom [X.] bis [X.], das Ruhen des [X.]-Anspruchs während dieser [X.] und eine Minderung des Leistungsanspruchs um 180 Tage fest, weil die Klägerin ihr Beschäftigungsverhältnis ohne wichtigen Grund gelöst habe (Bescheid vom 28.4.2017; Widerspruchsbescheid vom 15.5.2017). [X.] bewilligte die Beklagte erst ab 24.8.2017 (Bescheid vom [X.]).

3

Den Antrag der Klägerin auf Überprüfung des Bescheids vom 28.4.2017 mit Hinweis auf das Urteil zur Sperrzeit bei Arbeitsteilzeitvereinbarungen (B[X.] vom [X.] - [X.] 4-4300 § 159 [X.]) lehnte die Beklagte ab. Da diese Entscheidung als ständige Rechtsprechung erst seit dem 12.9.2017 anzuerkennen sei und die Sperrzeit bereits mit dem [X.] geendet habe, sei keine Korrektur der Entscheidung möglich (Bescheid vom 29.9.2017; Widerspruchsbescheid vom 8.1.2018).

4

Das [X.] hat die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 29.9.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8.1.2018 verpflichtet, "den Sperrzeitbescheid vom 28.4.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.5.2017 zurückzunehmen und der Klägerin unter Änderung des Bescheides vom [X.] in der Gestalt des Bescheids vom 11.5.2017, des Widerspruchsbescheids vom 15.5.2017 und des Bescheids vom 18.5.2017 Arbeitslosengeld in gesetzlicher Höhe auch für die [X.] vom 1.6.-[X.] zu bewilligen" (Urteil vom [X.]). Das L[X.] hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 28.9.2018). Die Klägerin könne sich auf einen wichtigen Grund berufen, weil sie entsprechend der Intention des Gesetzgebers bei der Einführung der Altersteilzeit einen nahtlosen Wechsel in den Rentenbezug beabsichtigt habe. Hiervon sei auch prognostisch auszugehen gewesen. § 330 Abs 1 [X.]B III stehe der Anwendung von § 44 Abs 1 [X.]B X nicht entgegen. Die Rechtsfrage, ob der Abschluss einer Altersteilzeitvereinbarung einen wichtigen Grund darstellen könne, sei bereits durch das Urteil vom [X.] ([X.] [X.] 6/08 R - B[X.]E 104, 90 = [X.] 4-4300 § 144 [X.]) geklärt gewesen. In Übereinstimmung mit früheren Entscheidungen habe das B[X.] ausgeführt, dass maßgebender [X.]punkt für die Beurteilung des wichtigen Grundes der Abschluss des [X.] sei. Soweit in der Rechtsprechung davon ausgegangen worden sei, dass der wichtige Grund nachträglich entfallen könne, wenn nicht der ursprünglichen Absicht entsprechend nahtlos Rentenleistungen in Anspruch genommen würden, habe eine Abweichung von der Rechtsprechung des B[X.] vorgelegen. Der interne Vermerk der Beklagten vom [X.] in der gesetzlichen Rentenversicherung ([X.] idF der Bekanntmachung vom [X.], [X.] 787), auf dem die Verwaltungspraxis zur Sperrzeit bei [X.] beruhte, berücksichtige die Rechtsprechung des B[X.] nicht hinreichend und gelange zu hiervon nicht gedeckten Schlussfolgerungen.

5

Die Beklagte rügt eine Verletzung des § 330 Abs 1 [X.]B III. Erst mit den Urteilen vom 12.9.2017 ([X.] [X.] 25/16 R - [X.] 4-4300 § 159 [X.]) und 12.10.2017 ([X.] [X.] 17/16 R - [X.] 4-4300 § 159 [X.] 4) habe das B[X.] entschieden, dass ein wichtiger Grund für die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses nicht dadurch entfalle, dass entgegen der ursprünglichen und prognostisch belegten Absicht unmittelbar nach der Altersteilzeit keine Altersrente, sondern zunächst [X.] in Anspruch genommen werde. Eine Klärung dieser Rechtsfrage sei nicht bereits durch das Urteil des B[X.] vom [X.] ([X.] [X.] 6/08 R - B[X.]E 104, 90 = [X.] 4-4300 § 144 [X.]) erfolgt, weil es sich nicht um eine gleichgelagerte Fallgestaltung gehandelt habe. Entsprechend habe das B[X.] auch im Urteil vom [X.] ([X.] [X.] 99/99 R - [X.] 3-4100 § 152 [X.] 10) bei der Frage nach dem Vorliegen einer "ständigen Rechtsprechung" darauf abgestellt, ob die betroffenen Verwaltungen eine höchstrichterliche Entscheidung auch für andere gleichgelagerte Fälle als verbindlich akzeptierten. Ihre Dienstanweisung zur "Sperrzeit bei [X.]" habe sie erst nach dem B[X.]-Urteil vom 12.9.2017 ([X.] [X.] 25/16 R - [X.] 4-4300 § 159 [X.]) geändert und damit als ständige Rechtsprechung anerkannt.

6

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des [X.] vom 28. September 2018 sowie das Urteil des [X.] vom 11. Juni 2018 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

7

Die Klägerin beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

8

Sie bezieht sich auf das Urteil des L[X.].

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Revision der Beklagten ist nicht begründet. Das [X.] hat die Berufung der Beklagten gegen das zusprechende Urteil des [X.] zu Recht zurückgewiesen. Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig, weil die Klägerin [X.] für den [X.]raum vom [X.] bis 23.8.2017 beanspruchen kann.

1. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist neben den vorinstanzlichen Entscheidungen der Bescheid vom 29.9.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8.1.2018, mit dem es die Beklagte abgelehnt hat, den Bescheid vom 28.4.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.5.2017 zurückzunehmen. Gleichfalls in die Überprüfung der Beklagten einbezogen war der hiermit in untrennbarem Zusammenhang stehende Bescheid vom [X.], mit dem [X.] erst ab [X.] bewilligt und für den davorliegenden [X.]raum vom [X.] bis 23.8.2017 abgelehnt wurde. In diesen Bescheiden ist eine einheitliche Entscheidung zur Ablehnung von [X.] für den streitigen [X.]raum und zur Minderung der Anspruchsdauer um 180 Tage zu sehen, die mit dem Eintritt einer Sperrzeit und einem Ruhen des Anspruchs auf [X.] begründet wurde (zur einheitlichen rechtlichen Regelung von Sperrzeitbescheid und Leistungsablehnung vgl nur B[X.] vom 16.9.1999 - [X.] [X.] 32/98 R - B[X.]E 84, 270, 271 = [X.]-4100 § 119 [X.]; zuletzt B[X.] vom [X.] [X.] [X.] 12/17 R - B[X.]E 125, 170 = [X.] 4-4300 § 159 [X.], Rd[X.]0). Der Bescheid vom 11.5.2017 ist nicht zum Gegenstand der Überprüfung geworden, weil er lediglich die Übernahme von Beiträgen zur privaten Krankenversicherung, nicht jedoch das hier streitige [X.], betrifft. Gleiches gilt für den Bescheid vom 18.5.2017, mit dem für den nicht streitbefangenen [X.]raum ab [X.] höheres [X.] bewilligt worden ist.

Das Revisionsbegehren der Beklagten ist darauf gerichtet, die nach § 54 Abs 1 Satz 1 und Abs 4 iVm § 56 [X.]G statthafte kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage der Klägerin (vgl zuletzt B[X.] vom 30.8.2018 - [X.] [X.] 16/17 R - juris Rd[X.]3) abzuweisen. Mit der Anfechtungsklage begehrt die Klägerin die Aufhebung des Bescheids vom 29.9.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8.1.2018, mit dem die Beklagte die Überprüfung des Bescheids vom 28.4.2017 (in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.5.2017) sowie des Bescheids vom [X.] abgelehnt hat. Ausgehend von ihrem Antrag im erstinstanzlichen Verfahren begehrt die Klägerin mit der Verpflichtungsklage die Rücknahme des Bescheids vom 28.4.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.5.2017 sowie die Änderung des Bescheids vom [X.]. Da die Klägerin seit Oktober 2017 eine Altersrente für besonders langjährig Versicherte bezieht, geht der Senat in Auslegung des Klage- und Revisionsbegehrens (§ 123 [X.]G) davon aus, dass sich die Klägerin nicht (mehr) gegen die Minderung des [X.] wendet. Bereits in der mündlichen Verhandlung vor dem [X.] hat sie ausdrücklich nur [X.] vom [X.] bis 23.8.2017 beantragt und in keiner Weise auf die Verfügungen zur Minderung des Anspruchs auf [X.] Bezug genommen (vgl zu einer vergleichbaren Konstellation bereits B[X.] vom [X.] [X.] [X.] 12/17 R - B[X.]E 125, 170 = [X.] 4-4300 § 159 [X.], Rd[X.]0). Die Leistungsklage zielt auf die Bewilligung von [X.] für den streitigen [X.]raum dem Grunde nach.

2. Der Sachentscheidung des Senats entgegenstehende Hindernisse liegen nicht vor. Insbesondere stand der Berufungsentscheidung nicht die Wertgrenze des § 144 Abs 1 Satz 1 [X.] [X.]G entgegen. Der angefochtene Überprüfungsbescheid betrifft abgelehntes [X.] für drei Monate. Ausweislich des Bescheids vom [X.] ist von einem monatlichen [X.]-Zahlbetrag in Höhe von 922,80 Euro auszugehen.

3. Die Vorinstanzen haben zu Recht entschieden, dass die Klägerin einen Anspruch auf Rücknahme bzw Änderung der bindenden Bescheide vom 28.4.2017 (idF des Widerspruchsbescheids vom 15.5.2017) und vom [X.] sowie [X.] für den streitigen [X.]raum hat.

a) Rechtsgrundlage für den von ihr verfolgten Anspruch auf [X.] unter Rücknahme des zur Überprüfung gestellten Bescheids vom 28.4.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.5.2017 und Änderung des [X.] vom [X.] hinsichtlich seines ablehnenden Teils ist § 330 Abs 1 Satz 1 [X.]B III iVm § 44 Abs 1 und Abs 4 [X.]B X (sämtliche Vorschriften des [X.]B III hier anwendbar in der ab dem 1.4.2012 geltenden Fassung des [X.] der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt vom 20.12.2011, [X.]). Nach § 44 Abs 1 Satz 1 [X.]B X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei dessen Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden, werden Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuches längstens für einen [X.]raum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht (§ 44 Abs 4 Satz 1 [X.]B X).

b) Der Bescheid vom 28.4.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.5.2017 und der Bewilligungsbescheid vom [X.] waren anfänglich, dh nach der im [X.]punkt ihrer Bekanntgabe gegebenen Sach- und Rechtslage (vgl B[X.] vom 1.12.1999 - [X.] RJ 20/98 R - B[X.]E 85, 151, 153 = [X.]-2600 § 300 [X.]), rechtswidrig iS des § 44 Abs 1 Satz 1 [X.]B X. Die Beklagte hat bei Erlass dieser Bescheide das Recht unrichtig angewandt und deswegen der Klägerin Sozialleistungen in Gestalt von [X.] zu Unrecht nicht erbracht.

Die Klägerin erfüllt die Anspruchsvoraussetzungen für [X.] ab [X.]. Nach § 137 Abs 1 [X.]B III haben Arbeitnehmer Anspruch auf [X.] bei Arbeitslosigkeit, wenn sie arbeitslos sind ([X.]), sich bei der [X.] arbeitslos gemeldet ([X.]) und die Anwartschaftszeit erfüllt haben ([X.]). Nach den bindenden Feststellungen des Berufungsgerichts war die Klägerin ab [X.] arbeitslos (§ 138 Abs 1 [X.]B III), hat sich am 28.3.2017 mit Wirkung zum [X.] bei der [X.] persönlich arbeitslos gemeldet (§ 137 Abs 1 [X.] [X.]B III, § 141 [X.]B III) und die Anwartschaftszeit erfüllt (§ 137 Abs 1 [X.] [X.]B III, § 142 [X.]B III). Ein Ruhen des Anspruchs auf [X.] wegen des Eintritts einer Sperrzeit bei verspäteter Arbeitsuchendmeldung (§ 159 Abs 1 Satz 2 [X.] 7 [X.]B III) kommt nicht in Betracht. Nach dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des [X.] kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Klägerin ihrer Obliegenheit zur frühzeitigen Meldung auch subjektiv vorwerfbar nicht nachgekommen ist (vgl zur "doppelten Verschuldensprüfung" zuletzt B[X.] vom [X.] [X.] [X.] 12/17 R - B[X.]E 125, 170 = [X.] 4-4300 § 159 [X.], Rd[X.]3 mwN).

Die Beklagte hat zu Unrecht ein Ruhen des Anspruchs auf [X.] wegen des Eintritts einer Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe angenommen. § 159 [X.]B III bestimmt in Abs 1 Satz 1, dass der Anspruch auf [X.] für die Dauer einer Sperrzeit ruht, wenn sich ein Arbeitnehmer versicherungswidrig verhalten hat, ohne dafür einen wichtigen Grund zu haben. [X.] Verhalten liegt vor, wenn - nur dieser Tatbestand kommt hier in Betracht - der Arbeitslose das Beschäftigungsverhältnis gelöst und dadurch vorsätzlich oder grob fahrlässig die Arbeitslosigkeit herbeigeführt hat (Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe, § 159 Abs 1 Satz 2 [X.] [X.]B III). Zwar hat die Klägerin ihr Beschäftigungsverhältnis gelöst, indem sie mit ihrem Arbeitgeber im Rahmen einer Altersteilzeitvereinbarung das unbefristete Arbeitsverhältnis in ein befristetes umgewandelt hat. Sie hat ihre Arbeitslosigkeit mit dem Ende der Freistellungsphase zum 31.5.2017 auch zumindest grob fahrlässig herbeigeführt, weil sie nicht mindestens konkrete Aussichten auf einen [X.]arbeitsplatz hatte (vgl B[X.] vom 17.11.2005 - [X.]/11 [X.] 49/04 R - [X.] 4-4300 § 144 [X.]0 Rd[X.]4; B[X.] vom 2.5.2012 - [X.] [X.] 6/11 R - B[X.]E 111, 1 = [X.] 4-4300 § 144 [X.]3, Rd[X.]5).

Die Klägerin kann sich für ihr Verhalten jedoch auf einen wichtigen Grund berufen. Dies ist bei der Lösung des Beschäftigungsverhältnisses durch Altersteilzeitvertrag der Fall, wenn der Arbeitnehmer bei Abschluss der Vereinbarung beabsichtigt, nahtlos von der Freistellungsphase der Altersteilzeit in den Rentenbezug zu wechseln und eine entsprechende Annahme bei prognostischer Betrachtung objektiv gerechtfertigt ist. Die Beurteilung des künftigen Verhaltens des Arbeitnehmers ist abhängig von seiner rentenrechtlichen Situation sowie davon, ob bzw wie er diese unter Berücksichtigung seiner Kenntnisse und Nachfragen bei sachkundigen Stellen eingeschätzt hat (B[X.] vom [X.] - [X.] [X.] 6/08 R - B[X.]E 104, 90 = [X.] 4-4300 § 144 [X.]8; B[X.] vom 12.9.2017 - [X.] [X.] 25/16 R - [X.] 4-4300 § 159 [X.]; B[X.] vom 12.10.2017 - [X.] [X.] 17/16 R - [X.] 4-4300 § 159 [X.]). Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze lag ein wichtiger Grund vor, weil die Klägerin nach den bindenden Feststellungen des [X.] bei Abschluss des [X.] einen nahtlosen Wechsel von der Altersteilzeit in den Rentenbezug beabsichtigt hatte. Dies wird durch die vom Berufungsgericht festgestellten objektiven Begleitumstände (Versicherungsverlauf, Modellrechnung des Arbeitgebers, Erklärungen der Klägerin) gestützt. Dass die Klägerin die Altersrente dann nicht zu dem ursprünglich vorgesehenen [X.]punkt beantragt hat, stellt kein eigenständiges (weiteres) versicherungswidriges Verhalten im Sinne der Sperrzeitregelung dar (vgl hierzu im Einzelnen Urteil des Senats vom 12.9.2017 - [X.] [X.] 25/16 R - [X.] 4-4300 § 159 [X.] Rd[X.]2 ff; B[X.] vom 12.10.2017 - [X.] [X.] 17/16 R - [X.] 4-4300 § 159 [X.] Rd[X.]0).

c) Das [X.] hat auch zu Recht angenommen, dass § 330 Abs 1 [X.]B III einer Rücknahme der bindenden rechtswidrigen Bescheide nicht entgegensteht. § 330 Abs 1 Alt 2 [X.]B III schränkt den Anwendungsbereich des § 44 Abs 1 Satz 1 [X.]B X ua für den Fall ein, dass der Verwaltungsakt auf einer Rechtsnorm beruht, die nach Erlass des Verwaltungsakts in ständiger Rechtsprechung anders als durch die [X.] ausgelegt worden ist. Entgegen § 44 Abs 1 Satz 1 [X.]B X ist ein derartiger Verwaltungsakt im Arbeitsförderungsrecht dann nur mit Wirkung für die [X.] nach dem Entstehen der ständigen Rechtsprechung zurückzunehmen. Von dem Anwendungsbereich des als Ausnahmevorschrift eng auszulegenden § 330 Abs 1 Alt 2 [X.]B III von vornherein nicht erfasst sind Fallgestaltungen, in denen die Verwaltung eine bei Erlass des Verwaltungsakts bereits bestehende ständige höchstrichterliche Rechtsprechung nicht ausreichend berücksichtigt bzw fehlerhaft interpretiert hat (vgl [X.] in jurisPK-[X.]B II, § 40 Rd[X.]29, Stand 28.6.2019; vgl zur engen Auslegung der Vorschrift auch B[X.] vom [X.] [X.] 2/06 R - [X.] 4-4300 § 330 [X.] Rd[X.]6).

Die Verwaltungspraxis der Beklagten, also ihre Auslegung des § 159 [X.]B III bezogen auf die Konstellationen der Altersteilzeitvereinbarungen, stimmte bereits bei Erlass des Bescheids vom 28.4.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.5.2017 sowie des Bescheids vom [X.] nicht mit der Rechtsprechung des B[X.] überein. Entgegen der Ansicht der Beklagten ist nicht erst durch die Urteile des Senats vom 12.9.2017 ([X.] [X.] 25/16 R - [X.] 4-4300 § 159 [X.]) und vom 12.10.2017 ([X.] [X.] 17/16 R - [X.] 4-4300 § 159 [X.] Rd[X.]0) im Sinne einer Änderung der ständigen Rechtsprechung entschieden worden, dass ein zeitlich dem Abschluss einer Altersteilzeitvereinbarung nachfolgendes Verhalten des Arbeitnehmers nicht sperrzeitrelevant ist. Bereits in seinem Urteil vom 17.11.2005 hat der Senat den wichtigen Grund allein bezogen auf den das Beschäftigungsverhältnis auflösenden Akt, konkret den [X.]punkt des Abschlusses der Aufhebungsvereinbarung, geprüft. Ausdrücklich nicht gefolgt ist der Senat der Ansicht des Berufungsgerichts, wonach ein wichtiger Grund auch darin zu sehen sei, dass die im konkreten Fall bezogene Abfindung nach Auslaufen des [X.]-Bezugs für den Lebensunterhalt verwendet werden könne. Es sei mit der typisierten Zielsetzung der Sperrzeitregelung, die Risiken für die Versichertengemeinschaft vermeiden wolle, nicht zu vereinbaren, wenn bei der Prüfung, ob der Versicherte für sein Verhalten einen wichtigen Grund gehabt habe, erst auf späteres Verhalten abgestellt werde (B[X.] vom 17.11.2005 - [X.]/11 [X.] 69/04 R - B[X.]E 95, 232 = [X.] 4-4300 § 144 [X.]1, Rd[X.]8).

Entgegen der Ansicht der Beklagten hat auch der 7. Senat des B[X.] in seinem Urteil vom [X.] bei der Prüfung des Vorliegens eines wichtigen Grundes ausschließlich auf den [X.]punkt des Vertragsabschlusses abgestellt ([X.] [X.] 6/08 R - B[X.]E 104, 90 = [X.] 4-4300 § 144 [X.]8, Rd[X.]4). In ihrem Vermerk vom 24.3.2014 hat die Beklagte aus der Formulierung in dieser Entscheidung, dass ein wichtiger Grund nur anerkannt werden könne, "wenn nach der Altersteilzeit auch tatsächlich eine Rente beantragt werden soll" (B[X.] aaO Rd[X.]4), unzutreffend abgeleitet, dass ein wichtiger Grund für das Herbeiführen der Arbeitslosigkeit "demnach" nicht vorliege, wenn sich der Arbeitslose nach Beendigung der Beschäftigung in Altersteilzeit arbeitslos melde, anstatt planmäßig Altersrente - ggf auch mit Abschlägen - zu beziehen. Diese Textpassage bezog sich auf die durch objektive Umstände zu unterlegende subjektive Absicht des Arbeitnehmers im [X.]punkt des Abschlusses der Altersteilzeitvereinbarung. Das spätere Revisionsvorbringen der Beklagten, wonach das Urteil vom [X.] (aaO) bei der Frage, wann eine ständige Rechtsprechung vorliege, unberücksichtigt bleiben müsse, weil es sich nicht um eine gleichgelagerte Fallgestaltung handele bzw im konkreten Fall mangels ausreichender Tatsachenfeststellungen eine Zurückverweisung erfolgt sei, greift nicht. Trotz einer Zurückverweisung kommt der im Rahmen einer Urteilsbegründung vom Gericht gegebenen Antwort auf eine Rechtsfrage eine Bindungswirkung im entschiedenen Einzelfall zu (§ 170 Abs 5 [X.]G). Auch kommt ihr - unbesehen der Unterschiede im jeweils zu entscheidenden Sachverhalt - eine präjudizielle Bedeutung für die vorliegend zentrale Rechtsfrage zu, auf welchen [X.]punkt bei der Beurteilung des Vorliegens eines wichtigen Grundes abzustellen ist. Entsprechend ist den Begründungen der Urteile des Senats aus dem Jahre 2017 zu entnehmen, dass das B[X.] die seit jeher geltenden Grundsätze für die Annahme eines wichtigen Grundes bereits in seinem Urteil vom [X.] ([X.] [X.] 6/08 R - B[X.]E 104, 90 = [X.] 4-4300 § 144 [X.]8), ebenfalls für die Fallgestaltung der Lösung des Beschäftigungsverhältnisses durch Altersteilzeitvertrag, zugrunde gelegt hat. Das Vorliegen eines wichtigen Grundes ist nicht nur inhaltlich, sondern auch zeitlich allein bezogen auf den das Beschäftigungsverhältnis auflösenden Akt zu prüfen (B[X.] vom 12.9.2017 - [X.] [X.] 25/16 R - [X.] 4-4300 § 159 [X.] Rd[X.]2; B[X.] vom 12.10.2017 - [X.] [X.] 17/16 R - [X.] 4-4300 § 159 [X.] Rd[X.]6).

Anders als die Beklagte meint, stellen die durch das RV-Leistungsverbesserungsgesetz erfolgten Änderungen im Rentenrecht keine die Sperrzeitregelung berührende Rechtsänderungen dar, die maßgebenden Einfluss auf die Auslegung des wichtigen Grundes iS des § 159 [X.]B III durch die ständige Rechtsprechung des B[X.] haben konnten (vgl B[X.] vom 12.9.2017 - [X.] [X.] 25/16 R - [X.] 4-4300 § 159 [X.] Rd[X.]0). Gleiches gilt für die Regelungen zur frühzeitigen Arbeitsuche. Lediglich mit Rücksicht auf die Bezugnahme der Vorinstanz auf ein obiter dictum aus einer älteren Entscheidung des B[X.] (vom [X.] [X.] - B[X.]E 43, 269, 274 = [X.] 4100 § 119 [X.] S 6) hat der Senat ergänzend dargelegt, dass es auf die vom Berufungsgericht angenommene Pflicht zu weiteren Bemühungen zur Arbeitsuche im [X.] an den das Beschäftigungsverhältnis auflösenden Akt sperrzeitrechtlich auch deshalb nicht ankommen könne, weil dies im Widerspruch zu weiteren gesetzgeberischen Grundentscheidungen, insbesondere der eigenständigen versicherungsrechtlichen Obliegenheit zur frühzeitigen Arbeitsuche, stehe (B[X.] vom 12.9.2017 - [X.] [X.] 25/16 R - [X.] 4-4300 § 159 [X.] Rd[X.]4).

Bei der Beurteilung der für die Anwendbarkeit des § 330 Abs 1 [X.]B III zentralen Frage, ob bzw ab wann eine ständige Rechtsprechung zu einer Rechtsnorm vorliegt, kann es nicht auf das Verständnis, die Akzeptanz oder konkrete Umsetzung einer höchstrichterlichen Rechtsprechung durch die Verwaltung ankommen. Ginge man hiervon aus, könnten [X.]räume der Rechtsunsicherheit, ggf bis zu einer erneuten Klarstellung durch das B[X.], entstehen. Die Frage, ob die Unrichtigkeit einer iS des § 44 Abs 1 Satz 1 [X.]B X rechtswidrigen Verwaltungsentscheidung auf einer bereits vorhandenen höchstrichterlichen Rechtsprechung, einer nach Erlass dieses Verwaltungsakts erstmals gebildeten oder einer geänderten ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung beruht, ist daher im Streitfall ggf vom Revisionsgericht unter Berücksichtigung der Begründungen der jeweils vorangegangenen höchstrichterlichen Entscheidungen zu beantworten (vgl [X.] in Brand, [X.]B III, 8. Aufl 2018, § 330 Rd[X.]4; B[X.] vom 30.1.1985 - 1 RJ 2/84 - B[X.]E 58, 27, 33 = [X.] 1300 § 44 [X.]6 S 32 zur Annahme besonders eingehender Begründungen bei [X.]). Soweit der Senat in seiner Entscheidung vom [X.] ([X.] [X.] 99/99 R - [X.]-4100 § 152 [X.]0 [X.]) in anderem Zusammenhang ausgeführt hat, es komme für die Entstehung einer ständigen Rechtsprechung auf deren Akzeptanz durch die Verwaltung an, hält er hieran nicht fest (vgl zur Kritik an dieser Entscheidung bereits [X.], [X.] 2011, 383 ff, 393; [X.], [X.] 2016, 13 ff, 24). Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem vom Gesetzgeber des vormaligen § 152 [X.] verfolgten Zweck dieser Regelung, die Verwaltung von massenhaft anfallenden Überprüfungsverfahren zu entlasten (vgl B[X.] vom [X.] [X.] 2/06 R - [X.] 4-4300 § 330 [X.] Rd[X.]6 mit Bezug auf BT-Drucks 12/5502 [X.] zu [X.]3; vgl BT-Drucks 16/3794 [X.] zur lediglich redaktionellen Änderung durch § 330 Abs 1 [X.]B III). Auch dies setzt jedenfalls voraus, dass die [X.] ihre Verwaltungspraxis an einer bereits vorhandenen höchstrichterlichen Rechtsprechung orientiert hat, weil sie andernfalls selbst den Grund für spätere Überprüfungsverfahren gesetzt hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 [X.]G.

Meta

B 11 AL 19/18 R

12.09.2019

Bundessozialgericht 11. Senat

Urteil

Sachgebiet: AL

vorgehend SG Karlsruhe, 11. Juni 2018, Az: S 5 AL 352/18, Urteil

§ 159 Abs 1 S 1 SGB 3 vom 20.12.2011, § 159 Abs 1 S 2 Nr 1 SGB 3 vom 20.12.2011, § 330 Abs 1 Alt 2 SGB 3, § 44 Abs 1 S 1 SGB 10

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 12.09.2019, Az. B 11 AL 19/18 R (REWIS RS 2019, 3650)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 3650

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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