Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 30.08.2012, Az. 4 CN 5/11

4. Senat | REWIS RS 2012, 3523

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Gegenstand

Maßstäbe für Befristungen und Bedingungen auf der untersten Ebene der Regelungshierarchie des Raumordnungsrechts


Tatbestand

1

[X.]ie Antragstellerin ist ein Unternehmen, das den Abbau von Bodenschätzen zum Gegenstand hat. Sie wendet sich gegen Regelungen im Regionalen Raumordnungsprogramm 2006 (RROP 2006) des Antragsgegners, die die Möglichkeiten zum Abbau von [X.] beschränken. [X.]as als Satzung beschlossene und am 3. Juli 2006 bekanntgemachte RROP 2006 legt in seinem Abschnitt [X.] 3.4 "Rohstoffgewinnung" u.a. folgende Ziele fest:

01 [X.]ie hochwertigen [X.]arzsandvorkommen sind möglichst vollständig auszubeuten.

...

08 Für nachfolgend aufgeführte [X.] sind Vorranggebiete für Rohstoffgewinnung ([X.]) im Planungsraum [X.]

...

Gebiet [X.], westlich der Bahnlinie und südlich der [X.]

...

10 [X.]ie Vorranggebiete für Rohstoffgewinnung ([X.]) sind auf der Grundlage des [X.] in zwei Zeitstufen [X.]

[X.]ie Vorranggebiete der [X.] ([X.] 9.3) stehen für die [X.]arzsandgewinnung in den kommenden 20 Jahren zur Verfügung. [X.]ie Vorranggebiete der [X.]I ([X.] 9.3) sind erst dann in Anspruch zu nehmen, wenn die Abbaumöglichkeiten in den Gebieten der [X.] erschöpft sind.

...

11 [X.]er Abbau von [X.]arzsand außerhalb der im Planungsraum festgelegten Vorranggebiete für Rohstoffgewinnung ist unzulässig. [X.]iese [X.] gilt nur für raumbedeutsame [X.] in den Gebieten der Gemeinden [X.], [X.] und [X.] sowie der Stadt Leer.

2

[X.]ie Antragstellerin bereitet sich seit dem Jahr 2001 darauf vor, innerhalb einer jetzigen "[X.] II"-Fläche [X.]arzsandtagebau im [X.] durchzuführen. Hierfür hat sie Flächen teilweise erworben, teilweise vertraglich gesichert. Einen Antrag auf [X.]urchführung eines Planfeststellungsverfahrens nach § 57a BBergG vom 20. September 2006 lehnte das [X.], Energie und Geologie wegen der Zeitstufenregelung im RROP 2006 ab. [X.]agegen hat die Antragstellerin beim zuständigen Verwaltungsgericht Verpflichtungsklage erhoben. [X.]as dortige Verfahren ist ausgesetzt.

3

[X.]as Normenkontrollgericht hat das RROP 2006 hinsichtlich der Regelungen in Kapitel [X.] 3.4 Nr. 08, 10 und 11 für unwirksam erklärt. [X.]en entscheidenden Mangel hat es darin gesehen, dass sich die zeitlich gestaffelten Zielfestlegungen in [X.] 3.4 Nr. 10 RROP 2006 nicht auf eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage stützen könnten. Zwar enthalte § 7 Abs. 2 ROG 1997 (richtig: 1998) keinen abschließenden Kanon von Festsetzungsmöglichkeiten. Aus dem gesamten Regelungszusammenhang des Raumordnungsrechts ergebe sich aber, dass dieses nur die Raum-, nicht auch die Zeitstruktur zum Gegenstand habe. [X.]ie Regelung in [X.] 3.4 Nr. 10 RROP 2006 begegne auch unter dem Gesichtspunkt der ausreichenden Bestimmtheit oder Bestimmbarkeit durchgreifenden Bedenken. Für die Befugnis zum Abbau von [X.] in Vorranggebieten der [X.]I komme es allein auf die faktische Erschöpfung der Abbaumöglichkeiten in den Gebieten der [X.] an. Wann das der Fall sei, sei ungewiss und - auch wegen des Abbauverhaltens der [X.], die aus unterschiedlichen Gründen ein Interesse daran haben könnten, den Abbau in die Länge zu ziehen - nicht prognostizierbar. Als weiteres Unsicherheitsmoment komme hinzu, dass die fragliche Zielfestsetzung keine Handhabe dafür biete, den Eintritt der Erschöpfung festzustellen. Sei die Zeitstufenregelung unter Nummer 10 unwirksam, müsse die Unwirksamkeit auf die Nummern 08 und 11 erstreckt werden, weil deren Beibehaltung ohne die Regelung in Nummer 10 nicht dem mutmaßlichen Willen des Antragsgegners entspräche.

4

Gegen das Urteil hat der Antragsgegner die vom Oberverwaltungsgericht zugelassene Revision eingelegt.

Entscheidungsgründe

5

[X.]ie Revision des Antragsgegners ist unbegründet. [X.]as vorinstanzliche Urteil beruht nicht auf der Verletzung revisiblen Rechts.

6

1. Im Einklang mit Bundesrecht hat das Oberverwaltungsgericht die Regelung in [X.] 3.4 Nr. 10 Abs. 2 Satz 2 des RROP 2006 des Antragsgegners wegen mangelnder hinreichender Bestimmtheit oder Bestimmbarkeit für unwirksam erklärt.

7

[X.]as Oberverwaltungsgericht hat die Notwendigkeit der Bestimmtheit oder Bestimmbarkeit der umstrittenen Zielfestlegung konkludent aus § 3 Nr. 2 ROG 1998 hergeleitet. [X.]as zeigt seine Bezugnahme auf das Urteil des [X.]s vom 16. [X.]ezember 2010 - BVerwG 4 [X.] 8.10 - (BVerwGE 138, 301). [X.]iesem Ansatz folgt der [X.] nicht. Mit der [X.]efinition in § 3 Nr. 2 ROG 1998 (jetzt § 3 Abs. 1 Nr. 2 ROG) werden Ziele der Raumordnung als verbindliche Vorgaben in Form von räumlich und sachlich bestimmten oder bestimmbaren, vom Träger der Raumordnung abschließend abgewogenen textlichen oder zeichnerischen Festlegungen in [X.] zur Entwicklung, Ordnung und Sicherung des Raums von Grundsätzen der Raumordnung nach § 3 Nr. 3 ROG 1998 (jetzt § 3 Abs. 1 Nr. 3 ROG) abgegrenzt (Urteil vom 1. Juli 2010 - BVerwG 4 [X.] 6.09 - BVerwGE 137, 259 Rn. 11). Anders als in dem Fall, der dem Urteil vom 16. [X.]ezember 2010 (a.a.[X.]) zugrunde lag, geht es vorliegend aber nicht um die Grenzziehung zwischen [X.] und -grundsatz.

8

Bundesrechtlicher Prüfungsmaßstab ist das im Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) verankerte Gebot der Normenbestimmtheit und Normenklarheit. Es besagt, dass der Anlass, der Zweck und die Grenzen einer Regelung bereichsspezifisch, präzise und eindeutig festgelegt werden müssen. [X.]amit soll sichergestellt werden, dass sich der betroffene Bürger darauf einstellen kann, die gesetzesausführende Verwaltung für ihr Verhalten steuernde und begrenzende [X.] vorfindet und die Gerichte die [X.] durchführen können (vgl. z.B. [X.], Beschluss vom 3. März 2004 - 1 [X.] - [X.]E 110, 33 <53>).

9

[X.]ie Regelung in [X.] 3.4 Nr. 10 Abs. 2 Satz 2 RROP 2006 ist nicht schon deshalb unbestimmt, weil sich der Zeitpunkt der Erschöpfung der Möglichkeiten, Quarzsand abzubauen, nicht voraussehen lässt. [X.]er [X.] hat den [X.]harakter einer aufschiebenden Befristung, wie sie § 36 [X.] für das [X.] kennt. Abhängig ist die Freigabe der Quarzsandvorkommen in den Gebieten der [X.] von dem in der Zukunft liegenden Zeitpunkt der Erschöpfung der Vorkommen in den Gebieten der Zeitstufe I. [X.]ass dieser Zeitpunkt nicht durch die Angabe eines kalendarischen [X.]atums fixiert worden ist und - wie der Antragsgegner betont - wegen der Entwicklung des Marktes und des Abbauverhaltens der [X.] auch nicht fixiert werden kann, stellt die Bestimmtheit der Befristung nicht in Frage. Eine Befristung kann auch dadurch bewirkt werden, dass ein Zeitpunkt durch ein bestimmtes Ereignis festgelegt wird, sofern objektiv sicher ist, dass das Ereignis, wann auch immer, eintreten wird (vgl. [X.]/[X.], [X.], 13. Aufl. 2012, § 36 Rn. 15). Nichts anderes gilt, wenn der Regelung in [X.] 3.4 Nr. 10 Abs. 2 Satz 2 RROP 2006 der [X.]harakter einer aufschiebenden Bedingung beigemessen wird. Auch eine Bedingung ist nicht deshalb unbestimmt, weil ungewiss ist, ob das Ereignis, von dem die mit einer Regelung angestrebten Wirkungen abhängen sollen, überhaupt eintritt. Bestimmt oder bestimmbar muss das zukünftige Ereignis sein ([X.], in: [X.]/Bonk/Sachs, [X.], 7. Aufl. 2008, § 36 Rn. 28), nicht das Ob des Eintritts. Gerade auf [X.] der Regelungshierarchie des Raumordnungsrechts können die Maßstäbe für Befristungen oder Bedingungen nicht strenger sein als diejenigen, die nach § 36 [X.] für Nebenbestimmungen eines Verwaltungsakts gelten.

[X.]er [X.] in [X.] 3.4 Nr. 10 Abs. 2 Satz 2 RROP 2006 ist aber unbestimmt, weil er nach dem vorinstanzlichen Verständnis, an das der [X.] nach § 173 VwGO i.V.m. § 560 ZPO gebunden ist, keinen Maßstab enthält, um den Eintritt der Erschöpfung der Möglichkeiten zum Quarzsandabbau festzustellen ([X.] f.). [X.]er [X.] versteht das Oberverwaltungsgericht dahingehend, dass es sowohl eine mangelnde Bestimmbarkeit des Tatbestandes der Erschöpfung der [X.]en kritisiert als auch eine Regelung des Verfahrens vermisst, wie eine Erschöpfung nachweisbar festgestellt wird.

Im vorinstanzlichen Urteil wird der Tatbestand der Erschöpfung der [X.] nicht konturiert. [X.]as hat seine Ursache nicht darin, dass sich der Tatbestand aus sich heraus erklärt und keiner Auslegung bedarf, sondern weil das Oberverwaltungsgericht ersichtlich jeden Auslegungsversuch für untauglich gehalten hat. [X.]as ist nachvollziehbar. [X.]enkbar ist z.B., eine Erschöpfung der [X.]en erst anzunehmen, wenn die Lagerstätten vollständig ausgebeutet sind, oder schon dann, wenn noch Restbestände vorhanden sind, deren Abbau sich aber wirtschaftlich nicht lohnt. Möglich ist aber auch, die [X.]en als erschöpft anzusehen, wenn ein Unternehmer seine Abbautätigkeit einstellt, obwohl die Lagerstätte noch ergiebig ist, ein weiterer Abbau aber nicht mehr möglich ist, weil einem neuen Unternehmer keine Abbaugenehmigung erteilt werden könnte. Weitere [X.] sind vorstellbar. Welche von ihnen der Vorstellung des Antragsgegners entspricht, ist aus Sicht der öffentlichen Stellen, an die die Regelung adressiert ist (§ 4 Abs. 1 ROG 1998), offen. [X.]eshalb ist - zwangsläufig - auch offen, wie sich feststellen lässt, ob der Tatbestand der Erschöpfung der [X.]en verwirklicht ist.

[X.]er Antragsgegner stellt nicht in Frage, dass die Unwirksamkeit der Regelung in [X.] 3.4 Nr. 10 Abs. 2 Satz 2 RROP 2006 zur Unwirksamkeit der gesamten Zeitstufenregelung führt und auch die Regelungen in [X.] 3.4 Nr. 08 und [X.] erfasst. [X.]er [X.] hat daher keinen Anlass, das angefochtene Urteil insofern revisionsgerichtlich zu überprüfen.

2. Ob die Auffassung des [X.], die Regelung in [X.] 3.4 Nr. 10 Abs. 2 Satz 2 RROP 2006 sei auch mangels Ermächtigungsgrundlage unwirksam, mit Bundesrecht vereinbar ist, braucht nicht entschieden zu werden. Ist eine Entscheidung - wie hier - auf mehrere selbständig tragende Begründungen gestützt, genügt es für deren Bestätigung, dass eine der Begründungen der revisionsgerichtlichen Kontrolle standhält. Sollte dies bei einer anderen Begründung nicht der Fall sein, kann diese hinweggedacht werden, ohne dass sich der Ausgang des Verfahrens ändert, und beruht das Urteil nicht, wie von § 137 Abs. 1 VwGO für den Erfolg der Revision vorausgesetzt, auf der Verletzung von Bundesrecht.

B e s c h l u s s

[X.]er Wert des Streitgegenstandes wird unter Änderung des Beschlusses des Niedersächsischen [X.] für beide Instanzen gemäß § 47 Abs. 1 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG auf 100 000 € festgesetzt.

[X.] n d e :

1

[X.]a der [X.] (NVwZ 2004, 1327), an dem sich der [X.] im Interesse der Einheitlichkeit und Berechenbarkeit von Streitwertentscheidungen zu orientieren pflegt, für [X.] gegen einen Raumordnungsplan keine Empfehlung enthält, hat der [X.] zu entscheiden, ohne sich an einem solchen Vorschlag ausrichten zu können. Er hält die Bedeutung der Sache für die Antragstellerin mit einem Streitwert von 100 000 € für angemessen bewertet. Ein höherer Streitwert ist nicht gerechtfertigt, namentlich nicht im Hinblick auf das wirtschaftliche Interesse der Antragstellerin, ohne Bindung an eine Wartefrist Quarzsand in einem Vorranggebiet der [X.] abbauen zu dürfen. [X.]enn die Rechtmäßigkeit der Zeitstufenregelung im RROP 2006 des Antragsgegners ist lediglich Vorfrage für die Befugnis der Antragstellerin zum Bodenabbau, über die im Verfahren auf Erlass eines bergrechtlichen Planfeststellungsbeschlusses zu entscheiden ist. [X.]er [X.] hatte den Streitwert für das Revisionsverfahren vorläufig auf 1 000 000 € festgesetzt. [X.]aran hält er nicht mehr fest und ändert den auf die gleiche Summe lautenden Streitwertbeschluss des [X.] für das erstinstanzliche Verfahren von Amts wegen (§ 63 Abs. 3 Satz 1 GKG).

Meta

4 CN 5/11

30.08.2012

Bundesverwaltungsgericht 4. Senat

Urteil

Sachgebiet: CN

vorgehend OVG Lüneburg, 27. Juli 2011, Az: 1 KN 224/07, Urteil

§ 36 VwVfG

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 30.08.2012, Az. 4 CN 5/11 (REWIS RS 2012, 3523)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 3523

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1 BvF 3/92

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