Bundessozialgericht, Beschluss vom 20.09.2023, Az. B 11 AL 23/23 B

11. Senat | REWIS RS 2023, 7228

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Gegenstand

(Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Zurückverweisung - Verfahrensmangel - Prozessurteil statt Sachurteil - Zulässigkeit der kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage - Rechtsschutzbedürfnis - rechtlicher Vorteil eines Bildungsgutscheines - Leistungsausschluss gem § 22 Abs 4 S 1 Nr 3 SGB 3 - unechte notwendige Beiladung des Jobcenters)


Tenor

Auf die Beschwerde der Klägerin wird das Urteil des [X.] vom 14. Juli 2021 aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

I. Im Streit steht die Erteilung eines Bildungsgutscheins für eine berufliche Weiterbildung.

2

Die Klägerin bezog seit dem 26.2.2018 Leistungen nach dem [X.] Einen im Jahr 2020 gestellten Antrag auf Erteilung eines Bildungsgutscheins für eine Umschulung zur Gesundheits- und Pflegeassistenz lehnte die Beklagte ab. Gemäß § 22 Abs 4 Satz 1 [X.] würden Leistungen zur beruflichen Weiterbildung nicht für erwerbsfähige Leistungsberechtigte im Sinne des [X.] erbracht (Bescheid vom 18.5.2020; Widerspruchsbescheid vom 18.6.2020).

3

Mit Bescheid vom [X.] bewilligte die Beklagte der Klägerin nochmals [X.] für die [X.] vom 12.3.2020 bis zum [X.]. Hierbei handelte es sich um den unverbrauchten Rest eines am 12.3.2016 entstandenen [X.]-Anspruchs.

4

Das [X.] hat die Klage als unbegründet abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 7.12.2020). Mit ihrer Berufung hat die Klägerin geltend gemacht, die Beklagte könne sich nicht auf § 22 Abs 4 [X.]I berufen. Sie habe den Antrag auf Gewährung einer Weiterbildung gestellt, als noch ein Anspruch auf [X.] bestanden habe. Das L[X.] hat die Berufung zurückgewiesen. Der Klage fehle das Rechtsschutzbedürfnis. Seit dem 14.8.2020 sei mit Ausschöpfung des [X.]-Anspruchs die Leistungszuständigkeit der [X.] nicht mehr gegeben. Der Ablehnungsbescheid habe sich deshalb erledigt. Für eine Fortsetzungsfeststellungsklage fehle es am besonderen Feststellungsinteresse (Urteil vom 14.7.2021).

5

II. 1. Die zulässige Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des L[X.] vom 14.7.2021 ist begründet. Die angefochtene Entscheidung beruht auf einem Verfahrensmangel, weil das L[X.] die Klage zu Unrecht als unzulässig angesehen hat und das Ergehen eines Prozessurteils anstatt des eigentlich angezeigten [X.] einen Verfahrensmangel iS des § 160 Abs 2 [X.] [X.]G darstellt (stRspr; s nur B[X.] vom [X.] [X.]/21 B - juris RdNr 2 mwN; B[X.] vom [X.] - B 1 KR 35/22 B - juris RdNr 5 ff mwN; [X.] in [X.]/[X.]/[X.]/[X.], [X.]G, 13. Aufl 2020, § 160 RdNr 1). Bei einem Prozessurteil handelt es sich gegenüber einem Sachurteil um eine qualitativ andere Entscheidung (B[X.] vom 30.10.2007 - B 2 U 272/07 B - juris RdNr 6; B[X.] vom [X.] [X.]/21 B - juris RdNr 2).

6

Dass das L[X.] über den [X.] nicht in der Sache entschieden hat, ergibt sich zwar nicht schon aus dem Tenor des angefochtenen Urteils, mit dem das L[X.] die Berufung "zurückgewiesen" hat. Erweist sich in einem Berufungsverfahren gegen eine erstinstanzliche Klageabweisung das Rechtsmittel als unbegründet, hat das L[X.] in jedem Fall die Zurückweisung der Berufung zu [X.], unabhängig davon, ob es die Klage als unzulässig oder unbegründet erachtet; lediglich bei einer unzulässigen Berufung, ist diese selbst zu verwerfen (vgl § 158 Satz 1 [X.]G). Dass das L[X.] die Klage für unzulässig erachtet hat, ergibt sich aber aus den Entscheidungsgründen. Um den Sinn der Urteilsformel zu ermitteln, sind die Entscheidungsgründe mit heranzuziehen (s nur B[X.] vom [X.] - B 1 KR 35/22 B - juris RdNr 8 mwN; B[X.] vom 22.6.2022 - B 1 KR 23/22 B - juris RdNr 9 mwN). Das L[X.] hat die Zurückweisung der Berufung allein auf die Unzulässigkeit der Klage gestützt. Einer kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs 1 [X.]G) fehle das Rechtsschutzbedürfnis, weil gemäß § 22 Abs 4 [X.]I eine Leistungszuständigkeit der [X.] nicht mehr gegeben sei. Für eine Fortsetzungsfeststellungsklage (§ 131 Abs 1 Satz 3 [X.]G iVm § 54 Abs 1 [X.]G) fehle es an dem erforderlichen besonderen Feststellungsinteresse.

7

Für die erhobene kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage bestand indessen entgegen der Auffassung des L[X.] ein Rechtsschutzbedürfnis. An einem Rechtsschutzbedürfnis fehlt es unter anderem, wenn der Rechtsbehelf demjenigen, der ihn erhebt oder einlegt, keinen tatsächlichen oder rechtlichen Vorteil bringen kann. Das ist nur der Fall, wenn die begehrte gerichtliche Entscheidung die rechtliche oder wirtschaftliche Stellung des Betroffenen nicht verbessern würde (dazu Senatsurteil vom 15.2.2023 - B 11 [X.] 39/21 R - juris RdNr 13 f mwN). Vorliegend ist ein Rechtsschutzbedürfnis schon deshalb nicht zweifelhaft, weil der begehrte Bildungsgutschein selbstverständlich einen rechtlichen Vorteil für die Klägerin bedeuten würde. Andere Gründe, die einem Rechtsschutzbedürfnis entgegenstehen, sind ebenfalls nicht ersichtlich. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang insbesondere das Ende des [X.]-Anspruchs mit Ablauf des [X.], aus dem das L[X.] geschlussfolgert hat, der Ablehnungsbescheid der [X.] habe sich auf andere Weise erledigt (vgl § 39 Abs 2 [X.]B X). Soweit - worauf sich das L[X.] beruft - das B[X.] unter Hinweis auf § 19 Abs 1 [X.]B V entschieden hat, dass sich ein krankenversicherungsrechtlicher Ablehnungsbescheid infolge des Wechsels der Krankenkasse erledigt, weil hiermit die Mitgliedschaft als Grundlage der Leistungsgewährung endet und die Krankenkasse deshalb nicht mehr zur Leistungserbringung verpflichtet ist (B[X.] vom [X.] KR 7/10 R - B[X.]E 108, 206 = [X.]-2500 § 33 [X.]4, RdNr 21), lässt sich dies nicht verallgemeinern und schon gar nicht auf die vorliegende Konstellation übertragen. Vorliegend ist kein Wechsel in der formellen Zuständigkeit eines Leistungsträgers eingetreten, sondern es steht die Reichweite eines materiellen Leistungsausschlusses (§ 22 Abs 4 Satz 1 [X.]) in Rede, die aber eine Frage der Begründetheit der Klage ist. Andernfalls wäre es einem Sozialleistungsträger im Übrigen auch kaum möglich, mit Bestandskraft (vgl § 77 [X.]G) das Fehlen seiner Leistungspflicht gegenüber dem Antragsteller festzustellen.

8

2. Der Senat macht von dem ihm durch § 160a Abs 5 [X.]G eingeräumten Ermessen dahingehend Gebrauch, den Beschluss des L[X.] aufzuheben und den Rechtsstreit an dieses zurückzuverweisen.

9

3. Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird das L[X.] die bisher nicht erfolgte Beiladung des zuständigen [X.] gemäß § 75 Abs 2 Alt 2 [X.]G zu erwägen haben, das anstelle der [X.] als leistungspflichtig zumindest in Betracht kommt (vgl § 16 Abs 1 Satz 2 Nr 4 [X.] iVm § 81 [X.]I). Der Umstand, dass die Leistungsgewährung im pflichtgemäßen Ermessen des [X.] steht, steht einer unechten notwendigen Beiladung nach der Rechtsprechung des B[X.] nicht von vornherein entgegen (vgl für die Verurteilung des unecht notwendig Beigeladenen nach § 75 Abs 5 [X.]G schon B[X.] vom [X.] - B[X.]E 57, 1, 2 f = [X.] 2200 § 1237a [X.] f).

4. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens bleibt der Entscheidung des L[X.] vorbehalten.

        

Söhngen

Burkiczak

B. [X.]

Meta

B 11 AL 23/23 B

20.09.2023

Bundessozialgericht 11. Senat

Beschluss

Sachgebiet: AL

vorgehend SG Hamburg, 7. Dezember 2020, Az: S 14 AL 196/20, Gerichtsbescheid

§ 22 Abs 4 S 1 Nr 4 SGB 3, § 81 SGB 3, § 16 Abs 1 S 2 Nr 4 SGB 2, § 54 Abs 1 SGG, § 75 Abs 2 Alt 2 SGG, § 75 Abs 5 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 160a Abs 5 SGG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 20.09.2023, Az. B 11 AL 23/23 B (REWIS RS 2023, 7228)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 7228

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